„Antworten in der Genesis“

Kreationistische Perspektiven
zur gegenwärtigen Pandemie


    Vincent Sartorius

            Noah's Ark Museum
 
 


Vorbemerkung


In unserem Seminar-Forschungsprojekt sollte von den einzelnen Teilnehmer*innen der konkrete Umgang mit der Corona-Pandemie in exemplarischen religiösen Gemeinschaften näher untersucht werden. Da ich US-amerikanische Religionen persönlich sehr spannend finde und mich im Kontext unseres Lehrforschungsprojekts vor allem eine dezidiert kreationistische Perspektive auf die gegenwärtige Pandemie interessierte, habe mich für eine Detailuntersuchung der hierfür einschlägigen Gemeinschaft Answers in Genesis (AiG) entschieden, die vor allem durch ihr biblisch-kreationistisches „Creation Museum“ in Petersburg (Kentucky) und die davon ca. 70 km entfernte riesige begehbare Nachbildung der „Arche Noah“ in Williamstown (Kentucky) bekannt wurde. – Wir hatten uns im Seminar bereits auf grundlegende Leitfragen verständigt, um ein möglichst gemeinsames analytisches Grundkonzept in den Händen zu halten: zum Beispiel die Frage nach den Veränderungen in der Glaubenspraxis während der Corona-Zeit. Persönlich bin ich diesem Fragehorizont vor allem durch Recherchen auf den Internet-Seiten von AiG und durch Analysen entsprechender Youtube-Videos nachgegangen.


Noah's Ark Museum

Bild1: Kolossale Nachbildung der biblischen "Arche Noah" als begehbare Familienattraktion in Williamstown/Kentucky (arkencounter.com)



1) Wer ist „Answers in Genesis“?


Answers in Genesis wurde 1987 von Kenneth Ham in Australien gegründet. Nachdem diese biblizistisch-evangelikale Organisation in den USA Fuß gefasst hatte, wurde sie schnell zu einer globalen Organisation mit Tausenden von Gläubigen; zudem wurde eine Trennung von der australischen Ursprungs- und weiteren Sub-Organisationen vollzogen (vgl. letztere nunmehr unter dem neuen Namen Creation Ministrries International [CMI]). Die Answers in Genesis zählt zu den kreationistischen Organisationen, in der die Anhänger nicht an die Evolutionstheorie glauben; für sie gab es es auch keinen Urknall. Die AiG vertritt auf der Basis einer Extrapolierug des biblischen Zeithorizonts die für viele kreationistische Perspektiven typische These einer „jungen Erde“ seit dem 'historischen' Ereignis der „Schöpfung“ (vor rund 6.000 Jahren). Sie ist evangelikal-apologetisch eingestellt, was bedeutet, dass sie ihre Ansichten mit allen Mitteln zu verteidigen versucht und konfessionsübergreifend ünterstützend wirken möchte. Die Abtreibung ist untersagt. Die Bibel wird bei der AiG faktisch als inspiriert und historisch akkurat angesehen und daher programmatisch „eins zu eins“ (vgl. dazu das Logo) übernommen. Sie betreibt ihre eigenen Schulen mit eigenem Curriculum, in der der Staat und Religion nicht getrennt sein sollen. Alle ihre Texte und Aussagen werden entsprechend immer mit Bibelzitaten untermauert. Da die AiG ihre eigene Wissenschaftler angestellt hat, die nach ihrem Glaubensbekenntnis schreiben, wird sie von der Mehrheit der Scientific Community nicht anerkannt. Dagegen versucht die AiG in einem immerwährenden Kampf „wissenschaftlich“ zu beweisen, dass ihre Theorien wahr sind (im Stil einer alternativen „Und die Bibel hat doch recht“-Forschung). – Die deutschsprachigen Seiten des AiG-Internetauftritts werden dabei mittlerweile von dem in Deutschland wegen seiner radikal-biblizistischen und kreationistischen Thesen bereits einschlägig bekannten und daher (sowie wegen seiner AfD-Affinität) nicht gerade unumstrittenen – freischaffenden Theologen und Publizisten Dr. Lothar Gassmann verantwortet, der sich bereits im März 2020 mit einer eigenen kleinen Schrift zur Coronakrise als „Chance“ für den wahren Glauben an die Öffentlichkeit gewandt hat (s.u.).

      Die AiG hat zwischen 2005 und 2010 eine (nach eigenem Bekunden) exakte Kopie der Arche Noah in Kentucky gebaut und ca. eine Autostunde entfernt davon das sog. „Creation-Museum“ errichtet, welches die wahre Geschichte der Genesis mit Exponaten illustriert. Wegen der Pandemie mussten die Museen zeitweilig schließen. Die AiG verfasste Corona-Konzepte zum Schutz ihrer Mitarbeiter und konnte unter diesen Bedingungen im Juni 2020 ihre Ausstellungen wieder teilweise öffnen, pocht aber derzeit (Aprli 2021) auf eine baldige Wiedereröffnung der Einrichtungen (vgl. https://arkencounter.com/reopening/).



2) Was propagiert die AiG in Corona-Zeiten?


Waht to do in COrona Times

Bild 2: Screenshot von der Internetseite der AiG zum Thema Gottvertrauen während der Corona-Krise
https://answersingenesis.org/coronavirus/pandemic-provision-trust-god-during-coronavirus-outbreak/


Kenneth Ham hat sich in zwei Youtube-Videos (s.u.) über eine Stunde lang über die Herausforderungen von COVID-19 an die Mitglieder der AiG gerichtet. Das wichtigste sei seiner Meinung nach: zu beten und Gott zu vertrauen. Man solle keine Angst haben. Diese Pandemie, die von Gott geschickt worden ist, sei nichts Neues. Die Pandemie sei eine Strafe Gottes, weil die Menschen nach dem Fall (Genesis) in Sünde lebten. „Gott kontrolliere unsere Leben.“ Man solle auf die Rückkehr von Jesus Christus warten, der alle retten wird. Des Weiteren hatte die AiG – gezwungen durch die Schließung der Museen – erhebliche ökonomische Einbußen zu ertragen. Daher kreierte sie ein Streaming-Portal für die Gemeinde. Die AiG ist sehr Technik-affin und nutzt alle sozialen Medien wie Facebook, Twitter usw. – Sie befolgte allerdings die Weisungen der Landesregierung und schloss die Ausstellungen für die Öffentlichkeit, was zur Folge hatte, dass sie viele AiG-Mitarbeiter entlassen musste. In dem Video verspricht Ken Ham jedoch, dass alle Mitarbeiter finanziell versorgt werden sollen, da sie sich als eine Familie verstehen. Ken Ham beschreibt ferner, wie die AiG im Krieg mit den „Atheisten“ sei. Die Regierung könne ohne triftige Begründung die Kirchen schließen. Er sehe dadurch die Religionsfreiheit im Westen in Gefahr. Auch vergleicht er die Corona-Toten mit der Abtreibung Ungeborener. Tausende würden jeden Tag „getötet“ werden. Für ihn ist die Abtreibung genauso schlimm wie die Toten der Covid 19 Pandemie.



3) Die Corona-Pandemie als eindeutiger Indikator für den nahenden Weltuntergang


Für die AiG stellt die Corona-Pandemie ein klares Zeichen für den kommenden Weltuntergang dar. Besonders eindrücklich und plakativ wird dies mit dem nachstehenden Bild der apokalyptischen Zerstörung illustriert, in das überdimensionale Corona-Viren wie Bomben einschlagen (Ausschnittvergrößerung). Wie alle anderen Katastrophen sei auch diese Pandemie einerseits sowohl menschengemacht und/oder zugleich (aus AiG-Sicht) von Gott ermächtigt bzw. zugelassen oder gar mit-bewirkt. Als Beispiel wird die Pest im 13. Jahrhundert angeführt. – Anstelle von Angst und Furcht sollte man als glaubender Mensch jetzt aber ganz auf die Erwartung des zurückkehrenden Jesus Christus und seine Zuwendung hoffen.

(vgl. https://answersingenesis.org/coronavirus/coronavirus-sign-end-times/)



Corona undd die Endzeit

Bild 3: Ausschnitt aus einer plakativen AiG-Fotomontage: Riesige Corona-Viren schlagen wie zerstörerische Bomben auf der Welt ein ...



Trotz der eindeutig apokalytischen Einbettung des Pandemie-Geschehens warnt die AiG zur Vorsicht vor allzu leichtfertige Hinweisen auf das direkt anbrechende Ende der Zeit: „Pandemics have come and gone many times. So rather than reflexively sharing that post about how these are certainly signs that Jesus will be back to create a new heavens and a new earth (e.g., Isaiah 65:17, Revelation 21:1), stop and consider if that is really true“ (ebd.; Hervorh. V.S.). Man sei vepflichtet, derartige Interpretationen erst einmal ganz gewissenhaft durch das „eigene eschatologische Deutungs-Filter“ laufen zu lassen, bevor man sie an andere – behutsam (!) – weitergebe.

      Diese apokalyptische Deutungs-Vorsicht deckt sich mit ganz analogen Vorbehalten bei dem deutschen AiG-Mitstreiter Lother Gassmann in seiner eigenen online-Publikation zur Corona-Krise von Anfang 2020 (vgl. Bild 5). → Die anbrechende Endzeit allzu unbedacht und zu häufig auszurufen, nutze sich ab und führe womöglich zur Nichtbeachtung, wenn es dann wirklich so weit ist:

„Bitte, geben wir nicht ständig Fehlalarm! Der größte Feind des Alarms ist der Fehlalarm, weil dann, wenn es wirklich ernst wird, alles schläft und niemand mehr hören will! [...]
Viele der vom Herrn genannten Zeichen sind bereits eingetreten, wenige stehen noch aus. So gilt: Die Wiederkunft Jesu Christi ist nahe. Wie nahe, wissen wir nicht, aber die Zeichen der Endzeit sind deutlich!“ (L.Gassmann, Coronakrise – ein Ruf zur Umkehr, S.26 [Hervorh. i.O.])




4) Maßnahmen der AiG in der Corona Pandemie


Wie sollte der einzelne Mensch – gerade angesichts der Pandemie – zum Gottvertrauen gelangen? – Laut der AiG sei es wichtig zu beten und die Bibel zu lesen. Durch den Sündenfall komme es andauernd zu kritischen Herausforderungen für den Menschen. Diese seien normal, solange die Menschheit noch nicht endgültig errettet sei. In jedem Falle solle man daher an Gott glauben, der jedem/jeder hilft, durch diese Zeit der Krise zu gelangen. Dazu hat die AiG praktische Übungen veröffentlicht: Zunächst sollte man beten, um die Angst vor der Zukunft zu nehmen. Die Gläubigen sollen sich fragen, für was sie dankbar im Leben sind und woher genau ihre Angst kommt. Gebete sollten sich dann gezielt auf diese Probleme richten. Zudem biete das „irrtumsfreie Wort Gottes“ stes einen verlässlichen „Anker“:

https://answersingenesis.org/coronavirus/pandemic-provision-trust-god-during-coronavirus-outbreak/,
... sowie: https://answersingenesis.org/coronavirus/sure-place-our-thinking-coronavirus-devotional/



AiG Anchor --- Gassmann Coronakrise

           Bild 4: Screenshot zum spirituellen Zuspruch "We have an Anchor" von der AiG-homepage ...                   Bild 5: Buchtitel von L.Gassmann



Man solle „Gottes Wort“ immer wieder lesen und die ganze Schrift auf sich wirken lassen; bestimmte Bibelstellen seien besonders zu beherzigen, angefangen bei Genesis 3,15 – eine Stelle, die von AiG [im Sinne einer Protevangeliums-Prophezeiung] als erster biblischer Hinweis auf den kommenden Messias gedeutet wird – oder auch die Psalmen aus dem Alten Testament. Jesu eigenes Beispiel aus dem Neuen Testament, als er sich in die Wüste zurückzieht, um zu beten, sollten auch die Gläubigen der AiG als Vorbild ernst nehmen und spirituell als „quarantine rest“ nachvollziehen.

    Weitere Maßnahmen sind: das Predigen des Evangeliums für sich selbst; dabei solle die Leidensgeschichte Jesu Christi im Mittelpunkt stehen. .Auch sei es wichtig, sich über seine Vergangenheit klar zu werden und Selbstreflexion zu üben. „Wie war ich als Mensch bisher?“ ... Ferner wird geraten, christliche Lobpreismusik zu hören und alle sozialen Medien abzuschalten. Wenn man Probleme habe, rät die AiG, mit einem christlichen Freund über die Bibel oder Alltagsprobleme zu sprechen. Die AiG sagt außerdem, dass die Gläubigen sich an die positiven Ereignisse in ihrer Vergangenheit orientieren sollen. Während des Lockdowns sei es wichtig, etwas Produktives zu tun, um dem Alltagsstress und den Sorgen zu entkommen.

https://answersingenesis.org/coronavirus/pandemic-provision-trust-god-during-coronavirus-outbreak/,
.... sowie: https://answersingenesis.org/coronavirus/coronavirus-quarantine-rest/



5) Fazit zu den Eindrücken


Im Anspruch und Erscheinungsbild sind die beiden AiG-Besucherattraktionen Creation Museum und Ark-Encounter zu dem von Erich von Däniken ins Leben gerufenen Schweizer „Mystery-Park“ bei Interlaken (heute: „Jungfrau-Park“) direkt vergleichbar: In beiden Fällen wird eine am Oberflächentext der Bibel (im zweiten Fall auch anderer heiliger Schriften und Artefakte) orientierte, bewusst alternative Sichtweise der Menscheits- und Religionsgeschichte präsentiert, die allen wissenschaftlichen und historischen Erkenntnissen zuwiderläuft und stattdessen den Anspruch erhebt, der biblischen Textvorlage buchstabengetreu zu folgen – einerseits im biblisch-kreationistischen Sinn bzw. im anderen Fall im prä-astronautisch-kreationistischen Sinn. Beide rekurrieren dabei ganz analog und vergleichsweise schlicht auf eine direkte Wahrheitsbehauptung bezüglich wörtlicher biblischer Überlieferungen und Mythen (1:1).
  – Nach dem Durchforsten der verschiedenen Internet-basierten Quellen der AiG stellt sich folgendes Bild dar: Zum einen präsentiert sich die AiG sehr Technik-affin mit professionellen Internet-Auftritten, um ihre Sichtweise möglichst medial perfekt zu plausibilisieren (auch dies ganz analog zum Mystery-Park), und zum anderen befolgt sie im Blick auf die Schutzmaßnahmen die Regeln des Bundesstaates, um nicht in Kritik zu geraten. Die AiG befindet sich dabei in einem Spannungsfeld zwischen dem eigenen religiös-apologetischen Anspruch, voll und ganz auf den Glauben zu vertrauen und die buchstäblich ganze Bibel (dem dezidierten Selbstverständnis nach möglichst „1:1“) gegen alle möglichen ‚Welt’-Meinungen – inkl. wissenschaftlicher Faktenanalyse und historisch-kritischer Theoriebildung(!) – durchzusetzen und einer andererseits gesellschaftlich wie rechtlich unentrinnbaren Abhängigkeit vom Staat. Die Zwangspause solle als „quarantine rest“ positiv gesehen und in der Nachfolge Jesu spirituell genutzt werden: Beten sei in dieser Situation das beste Hilfsmittel gegen die verschiedenen Herausforderungen der Pandemie – weil Gott ohnehin alles Leben kontrolliere und in seinen Händen halte.
  – Auffällig ist in diesem Spannungsfeld, dass der von der glaubenstreuen Orientierung her eigentlich sehr naheliegende Gedanke, anstelle von lediglich äußerlichen Schutzmaßnahmen noch viel mehr auf die desinfizierende spirituelle Kraft des Glaubens zu setzen (etwa: Glaube als die eigentlich rettende antivirale Rüstung gem. Eph 6,14–17) nicht ausgesprochen oder gar empfohlen wird, sondern in diesen öffentlich sichtbaren Stellungnahmen deutlich vernehmbar ausgespart bleibt. – Bemerkenswert erscheint zudem die Vorsicht, die eindeutige Identifikation der Corona-Pandemie als Endzeit-Merkmal zwar einerseits deutlich unterstreichen zu wollen (vgl. Bild 3), andererseits möchte man aber zugleich vor einer vorschnellen Panikmache warnen, um einen (wiederholt) unnötigen Fehlalarm zu vermeiden. – Kompromissloser als die Darlegung der homepage selbst (vgl. „COVID-19 – a Biblical Plague?“) präsentiert sich der Gründer Kenneth Ham mit einer klaren Deutung der Corona-Pandemie als „Strafe Gottes“ für menschliche Verfehlungen in seiner Video-Botschaft.



6) Quellen (in Auswahl):   (alle Links wurden am 28.04.2021 zuletzt kontrolliert)

AiG homepage logo


Bildnachweise:


(Logo neben dem Titel) Direkt von der homepage der AiG entnommen: https://answersingenesis.org.

(Bild 1) Arche Noah: https://assets.arkencounter.com/img/blog/2020/05/ark-encounter-aerial2020.jpg; Abbildung auf der Seite zur Wiedereröffnung: https://arkencounter.com/reopening/.

(Bild 2) Screenshot von der Internetseite der AiG zum Thema "Gottvertrauen während der Corona-Krise" (https://answersingenesis.org/coronavirus/pandemic-provision-trust-god-during-coronavirus-outbreak/).

(Bild 3) Ausschnitt aus einer plakativen AiG-Fotomontage: Riesige Corona-Viren schlagen wie zerstörerische Bomben auf der Welt ein. Vgl. das Originalbild: https://assets.answersingenesis.org/img/cms/content/contentnode/header_image/coronavirus-sign-end-times.jpg; im Zusammenhang abrufbar unter: https://answersingenesis.org/coronavirus/coronavirus-sign-end-times/.

(Bild 4) Screenshot "We have an Anchor" von der AiG-homepage: https://answersingenesis.org/coronavirus/sure-place-our-thinking-coronavirus-devotional/.

(Bild 5) Titelbild (Ausschnitt) der online-Publikation zur Coronakrise von Lothar Gassmann (s.o.).


zurück

    ––––––––    

Zeugen Jehovas