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Göttingen - Riga, Samstag, 17./18. September
Die Reise beginnt…
Natalija Ignatjeva
 
Es war ein ganz gewöhnlicher Tag, an dem mein Handy seinen üblichen Tango spielte. Hmm...eine komische Nummer?! Auf mein „Hallo“ hörte ich eine freundliche Stimme – Ve-rena Dohrn, die ich schon von früher aus E-Mail und kurzen telefonischen Kontakten ein we-nig kannte. Sie hatte sich für die Geschichte und Gegenwart der Altgläubigen in Lettland inte-ressiert. Es kam ein für mich überraschendes Angebot.
Verena Dohrn hatte im Sommersemester ein Seminar über den Alten Glauben geleitet, und sie wollte die angelesenen Informationen nun durch eine Reise auf den Spuren der Altgläubigen mit Bildern aus der Realität beleben. Verena Dohrn fragte mich, ob ich die von ihr organisierte Exkursion nach Lettland begleiten möchte. Da ich mich selbst mit der Geschichte der Altgläubigen in Lettland beschäftigt hatte und plane, weiter darüber zu forschen, fand ich dieses Angebot absolut anziehend. Durch mein Studium in Deutschland war ich von dem Thema abgekommen, aber mein Interesse war natürlich nicht verschwunden. Es war mir schon wichtig zu wissen, wie die heutige Lage der altgläubigen Gemeinden ist und wie der aktuelle Stand der Forschung aussieht. Auch die Aussicht, zusammen mit deutschen Studenten in mein Heimatland zu fahren, impo-nierte mir sehr.
Es war eine einzigartige Möglichkeit, mein Land mit den Augen eines Fremden zu sehen.
Ich dachte, ich stecke da ziemlich tief drin, und viele Sachen scheinen mir so selbst-verständlich, dass ich für sie keine Erklärung mehr suche. Außenstehende und Beobachter wie deutsche Studierende könnten manche Dinge bestimmt schärfer sehen und sie auch objektiver beurteilen. Auf jeden Fall war ich gespannt, meine Wahrnehmungen mit ihren zu vergleichen. Außerdem war die Exkursion nach Lettland ein guter Grund, meine Eltern zu besuchen, die ich schon ein ganzes Jahr nicht gesehen hatte.

Aber diesmal dauerte meine Reise nach Hause viel länger als üblicherweise. Rezekne – meine Heimatstadt – stand erst am 23. September auf dem Programm, also fast eine Woche nach dem Exkursionsbeginn. Auch die Strecke war ganz ungewöhnlich. Zuerst bin ich nach Göttingen gefahren, wo mich Diana, eine Studentin, die aus der lettisch-kurländischen Stadt Tukums stammt, und ihr deutscher Freund Thomas empfingen. Seine Begrüßung auf schönem Lettisch und die Aufforderung: „Padod savu somu!“ (Gib mir deine Tasche) wirkten sehr gastfreundlich. Ich hatte das Gefühl willkommen zu sein. Während des Abendessens erzählte mir Diana über sich und ihr Studium. Von meinen Gastgebern erfuhr ich auch mehr über den Inhalt des Seminars und über ihr Engagement für die Exkursion.
Früh am nächsten Tag sollten wir den Zug nach Hannover nehmen, wo der eigentliche Treff-punkt war. Da habe ich mich den anderen Exkursionsteilnehmern vorgestellt. Die schienen über meine Anwesenheit nicht überrascht zu sein, als ob ich schon von Anfang an das Semi-nar mit ihnen besucht hätte. Auf jeden Fall stellten sie zuerst keine Fragen; da ich selbst noch nicht richtig wach war (es war ja noch früh am Morgen), blieb auch meine Gesprächigkeit aus. Als Verena eintraf, machten wir uns untereinander bekannt. Verena schlug vor sich zu duzten, was sofort eine lockere Atmosphäre schuf.
Die Exkursionsteilnehmer haben mich sehr schnell in ihre Gemeinschaft integriert. Ich fühlte ihre Aufmerksamkeit und Neugier, was natürlich nicht zuletzt meiner formellen Zugehörig-keit zum Alten Glauben zuzuschreiben war. Es entstand schnell eine gegenseitige Sympathie, die sich später zu totaler Begeisterung entwickelt.

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