Hans D. Baumann: Horror : die Lust am Grauen

Weinheim u.a.: Beltz, 1989

Gewiß kann es ein subtil aufgebautes Horror-Werk schaffen, uns etwas als furchterregend zu präsentieren, das uns in der Realität nie zuvor die geringste Angst eingeflößt hat. Wer weiß, wie vielen Frauen in Hotelduschen nach Psycho der Schreck in die Glieder gefahren sein mag, wenn hinter dem milchigen Vorhang plötzlich ein dunkler Schatten emporstieg? (In Filmen zitiert wurde dieser Augenblick häufig genug [...]) Meist jedoch, und da stellt letztlich auch diese Szene keine Ausnahme dar, werden vorhandene Ängste aufgegriffen und vielfältig gebrochen auf uns zurückgespiegelt. Die hervorragenden Werke des Genres schaffen es, daß wir uns neu mit den in uns schlummernden Ungeheuern auseinandersetzen können, nachdem wir sie auf diese Weise quasi von außen haben erleben können. "Anstatt sich ihnen zu stellen, ziehen wir es vor, unsere Ängste gewissermaßen aus zweiter Hand zu erleben", schreibt der Regisseur J. Badham. Für die Beurteilung eines Horror-Werkes ist es also letztlich ausschlaggebend, inwieweit - und unter Einsatz welcher Mittel - es in der Lage ist, im Rezipienten diese Lust am Grauen hervorzurufen.

(S. 84 f)

Horror macht modellhaft Gewaltverhältnisse sichtbar. Er reduziert sie damit zwar unzulänglich auf einzelnes Konkretes - aber er verschafft den Ängsten Ausdruck in den Fratzen der Monster und macht damit das unüberschaubare Grauen zum Gegenstand möglicher Auseinandersetzung und symbolischer Gegenwehr. Er reflektiert am Einzelfall die Folgen dessen, was sich als Abstraktes der Vorstellungskraft entzieht. Die Milliardenprojekte für Rüstungsgüter, Atomfabriken und zur fahrlässigen Vorbereitung absehbarer Umweltkatastrophen - sowie zur Kontrolle der gesellschaftlichen Gegenkräfte - lassen nicht das Entsetzen ihrer zu Ende gedachten Konsequenzen ahnen. Horror zeigt sie. Aber er zeigt sie nicht schonungslos, sondern so, daß sie noch verarbeitet werden können. Schlesinger mußte seine Achtminuten-Szene der fiktionalen Folter mit dem Zahnarztbohrer aus Der Marathon-Mann streichen, weil das Publikum sie nicht aushalten konnte - aber die Welt ist voll mit Folterungen derer, die sich für ein menschenwürdiges Leben einsetzen; in Ländern, mit denen wir schwungvollen Handel treiben. "Das glückliche Dasein in der Welt des Grauens", schreiben Horkheimer und Adorno, "wird durch deren bloße Existenz als ruchlos widerlegt." Tausende stürmen freiwillig zu militärischen Flugshows, aber ein ganzes Volk erstarrt entsetzt, wenn dabei ein - voraussehbarer - Unfall einen Bruchteil dessen anrichtet, was die bejubelten Maschinen bestimmungsgemäß an Leichen produzieren sollten. Politische und wirtschaftliche Interessen erlauben die Vergiftung von Luft, Boden und Wasser; [...] Unsere Gesellschaft erträgt es nicht, wenn ihr die letzten Folgen ihres Handelns und ihrer Entscheidungen bluttriefend und mit eitrigen Geschwüren bedeckt präsentiert werden. Horror ist nur eine zaghafte Nachahmung dieser Schrecken; notwendig noch fern von der Idee "einer Menschheit, die, selbst nicht mehr entstellt, der Entstellung nicht länger bedarf."

(S.353 f)

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