titel
Methoden
Psycholinguistik
Bilingualer Sprach-erwerb
Gebärdensprache
Variationslinguistik
Text- & Gesprächs-analyse
Linguistik & Literatur
Kapitel 8
Linguistik und Literatur


Aufgabe 1: Wortbildung

1. verbale Okkasionalismen auf —ieren: zum verbalen Suffix (is/ifiz)ier(en) siehe Fleischer/Barz (1995: 311-313)
Part. II
Verbstruktur
Bemerkungen
dramolierten
dramol+ier+en
vgl. drama+t+is+ier+en, Dramolette
schlehmilierte
schlehmil+ier+en
Schlehmil, Figur aus Adelbert von Chamisso, Peter Schlehmils wundersame Geschichte. Das Wort Schlehmil stammt aus der Gaunersprache und bezeichnet einen ungeschickten oder unglücklichen Menschen, dem nichts gelingt.
konjekturiert
konjektur+ier+en
ballonisiert
ballon+is+ier+en/div>
Morphemkombination -is+ier+en
ganoviertes
ganov(e)+ier+en
-e-Tilgung
Die Verben alkoholisieren, basieren und tingieren sind keine Okkasionalismen.

2. Fachsprache: Die Verwendung nicht-nativer Morphologie soll Fachsprachlichkeit anzeigen.

3. Sprachspielerischer Effekt: Dieser kommt durch die Vermischung usueller und okkasioneller Wortbildung zustande.


Aufgabe 2: Phonologie

  1. Neubildungen (Doppelmoppel; Doppelweib)
  2. idiomatische Wendungen (ein Doppelleben führen)
  3. Betonung
  1. Reim: Endreim als Paarreim (moppel - doppel; kinn - drin usw.); Anfangsreim als Kreuzreim (dererer - erder); Wortreim, z.B. Doppelmoppel
  2. bending (doppel statt doppelt)
  3. Alliteration (Doppelmoppel, Dinge, doppel, Doppelkinn usw.)
  1. eingeschränkt: Wortreim kann auch eine sprachliche Form sein; Beispiel: Hottentotten, Abrakadabra
  2. ja: bending kann in der gesprochenen Umgangssprache und bei Dialekten vorkommen
  3. nein: Alliteration ist ein stilistisches Mittel der Literatur

Aufgabe 3: Deixis und Anapher

  1. deiktische Elemente
    1. Personaldeixis: wir (Bezug auf eine Gruppe von Soldaten, die den Sprecher einschließt)
    2. Lokaldeixis: neun Kilometer hinter der Front. Lokale Präpositionen wie hinter verlangen eine bestimmte räumliche Perspektive. So könnten die Soldaten auch von der Front überrollt worden sein. Man muss also die Perspektive kennen, um die Bedeutung der ganzen Präpositionalphrase zu verstehen. Nach Zifonun/Hoffmann/Strecker (1997: 336) gilt, dass die Perspektive „situativ duch den Sprecherort gegeben sein“ kann, „so dass wir eine quasideiktische Verwendung der Präposition haben.“
    3. Temporaldeixis: gestern, jetzt; sogar für abends: Ausdrücke wie heute abend werden bei Zifonun/Hoffmann/Strecker (1997: 347) als Fälle von metrischer temporaler Orientierung behandelt, da es sich um eine interne zeitliche Strukurierung des tages handelt. Aus dem Kontext ist ersichtlich, dass sich abends auf den Tag des (fiktionalen) Erzählakts bezieht. Zur Temporaldeixis gehören auch alle tempusmarkierten Verben.
  2. anaphorische Elemente
    1. Anapher: dazu, das schafft, (… der Küchenbulle …) er1 … er2 … er3 … er4, (… jedem der vorbeikommt …) ihm
    2. Katapher: so ein Fall. Man beachte hier den Doppelpunkt, der auf die folgende Information verweist.
Literatur
Zifonun, Gisela/Hoffmann, Ludger/Strecker, Bruno et al. (1997): Grammatik der deutschen Sprache. Bd. 1. Berlin/New York: de Gruyter.


Aufgabe 4: Narration

(a) Labov-Waletzky-Schema
Eingang/Orientierung: Wenn Herr K. … aufdrückten.
Komplikation: Im Gegenteil … passte.
Evaluation: allerdings … leiden.
Endphase: Wenn Herr K. Gastfreundschaft … eingehend.
Coda: Und es ist besser … sagte er.

(b) Durchgehend Wechsel von beschreibenden und handlungsbezogenen Satzteilen, z.B. Beginn mit handlungsorientiertem Satzteil (Wenn Herr K. … antraf.), Wechsel in beschreibenden Satz (denn er hielt … aufdrückten).

(c) Beispiel für Bottom-up: Gegenüberstellung von zwei Situationen (Gastfreundschaft gewähren vs. Gastfreundschaft in Anspruch nehmen) und das darauf angepasste Verhalten von Herrn K. (Verrücken bzw. Nicht-Verrücken der Möbel in der Wohnung)

Beispiel für Top-down: in der Regel passt sich der Gastgeber den Gepflogenheiten der Gäste an und der Gastgeber entscheidet nicht selbst, was zu einem Gast passt. Erst dieses Wissen erlaubt es, die ungewöhnliche Einstellung von Herrn K. zu erfassen.

(d) Durch den Titel wird der frame „Gastfreundschaft“ evoziert. Revision bzw. Distanz zum frame durch Beschreibung des Verhaltens von Herrn K. als Gast bzw. Gastgeber. Es geht dabei nicht, wie erwartet, um die Bewirtung und Unterhaltung von Gästen, sondern um die Anpassung der Umgebung (Stube, Möbel).


Aufgabe 5: Sprechakte

Frau Marthe:
(1) Sagt doch
Frage
(2) gestrenger Herr,
Anrede
(3) wo find ich auch den Sitz in Utrecht der Regierung?

[Erläuterung: Formal handelt es sich bei (1), (3) um einen Imperativsatz mit eingebettetem w-V2-Satz.]

Walter::
(4) Weshalb,
(Rück-)Frage
(5) Frau Marthe?
Anrede

Frau Marthe:
(6) Hm!
Kommentar
(7) Weshalb?
(Echo-)Frage
(8) Ich weiß nicht —
Feststellung
(9) Soll hier dem Krug nicht sein Recht geschehn?
(tendenziöse) Frage

Walter::
(10) Verzeiht mir!
Bitte um Verzeihung
(11) Allerdings.
Feststellung (Antwort zu (9))
(12) Am großen Markt, und Dienstag ist und Freitag Session.
Feststellung (Antwort zu (1)/(3))

Frau Marthe:
(13) Gut.
Kommentar
(14) Auf die Woche stell ich dort mich ein.
Ankündigung

Anmerkung: Zu hm in (6) vgl. Zifonun/Hoffmann/Strecker (1997: 367f.)


Aufgabe 6: Metapher

Autos (1) schossen aus schmalen, tiefen Straßen in (2) die Seichtigkeit heller Plätze.
(3) Fußgängerdunkelheit bildete (4) wolkige Schnüre.
Wo (5) kräftigere Striche der Geschwindigkeit quer durch ihre lockere Eile fuhren, verdickten sie [=die wolkigen Schnüre] sich, rieselten nachher rascher und hatten nach wenigen Schwingungen wieder ihren gleichmäßigen Puls.
Hunderte Töne waren zu einem (6) drahtigen Geräusch ineinander verwunden, aus dem einzelne Spitzen hervorstanden, längs dessen schneidige Kanten liefen und sich wieder einebneten, von dem klare Töne absplitterten und verflogen.
An diesem Geräusch, ohne dass sich seine Besonderheit beschreiben ließe, würde ein Mensch nach jahrelanger Abwesenheit mit geschlossenen Augen erkannt haben, dass er sich in der Reichshaupt- und Residenzstadt Wien befinde.

(1) Die metaphorische Bedeutung des Verbs schießen ‚sich rasch bewegen’ bezieht sich auf die wörtliche Bedeutung ‚ein Geschoss abfeuern’. Es handelt sich um eine komparative Metapher (vgl. Wahrig-Burfeind 2006).

(2) Das Nomen Seichtheit ‚Oberflächlichkeit’ ist eine Metapher zur wörtlichen Bedeutung ‚seichte Beschaffenheit’, wobei das zugrundeliegende Adjektiv seicht sich typischerweise auf flache Gewässer bezieht. Das von Musil verwendete Nomen Seichtigkeit bedeutet ebenfalls ‚seichte Beschaffenheit’ und ist nach Wahrig-Burfeind (2006) abwertend. (Ob dies zu Musils Zeiten auch so war, müsste man recherchieren.) Hier ist von der Seichtigkeit von Plätzen die Rede. Dies ist metaphorisch, insofern Plätze mit Gewässern verglichen werden. Möglicherweise soll auch eine pejorative Bedeutung vermittelt werden. Es handelt sich um eine komparative Metapher.

(3) Dunkelheit bedeutet wörtlich ‚Lichtlosigkeit, Finsternis’ (Wahrig-Burfeind 2006). Das Nominalkompositum Fußgängerdunkelheit ist als ‚dunkle Fläche, die durch eng beieinander gehende Fußgänger gebildet wird’ zu verstehen: komparative Metapher.

(4) Schnüre bedeutet wörtlich ‚Bänder’. Hier wird der Begriff auf das Gebilde der Fußgänger übertragen, die wie eine Wolke erscheinen: komparative Metapher. Es ist klar, dass normalerweise Schnüre nicht zugleich Wolken sind: wolkige Schnüre ist eine projektive Metapher. Interessant ist die Extension der Metapher: Schnüre rieseln, Schnüre haben eine Schwingung, Schnüre haben einen gleichmäßigen Puls.

(5) kräftigere Striche der Geschwindigkeit bezieht sich auf die Autos, die die Fußgängerströme kreuzen. In Bildern wird Geschwindigkeit oft durch Striche angezeigt. Ein kräftiger Strich kann auch eine bestimmte Malweise bezeichnen. Komparative Metapher.

(6) drahtiges Geräusch bezeichnet ein Geräusch, das Eigenschaften von Draht hat: projektive Metapher. Man beachte die Ausdehnung der Metapher: das Geräusch hat Spitzen, Kanten, Töne splittern ab, etc.

Insgesamt hat man den Eindruck, dass sich Musil in diesem Textabschnitt von der neusachlichen Malerei und ihrer Darstellung des Großstadtlebens beeinflussen ließ. Hinzu kommt der Versuch, die akustische Dimension des modernen Großstadtverkehrs wiederzugeben.

Literatur

Skirl, Helge/Schwarz-Friesel, Monika (2007): Metapher. Heidelberg: Winter.
Wahrig-Burfeind, Renate (2006): Deutsches Wörterbuch. 8. Aufl. Gütersloh/München: Wissen Media Verlag.


Aufgabe 7: Spracherwerb und Literaturerwerb

Laternenlied (anonym)

[1] Ich geh mit meiner Laterne
[2] und meine Laterne mit mir.
[3] Dort oben leuchten die Sterne,
[4] hier unten leuchten wir.
[5] Mein Licht ist aus,
[6] ich geh nach Haus.
[7] Rabimmel, rabammel, rabumm.

Die Entdeckung des Reims (mit einem bestimmten Reimschema) ist Teil des phonologischen Erwerbs. Das Kind muss die Personaldeixis beachten (der Referent von ich in [1] ist Teil der mit wir in [4] bezeichneten Sprechergruppe) und die Lokaldeixis mit dem Gegensatz zwischen dort oben [3] und hier unten [4]. Semantisch merkwürdig ist, dass ausgesagt wird, dass die Laterne mit dem Referenten von ich geht [1/2], denn Laternen sind nicht belebt und nicht handlungsfähig. Die Laterne wird also als personalisiert dargestellt; Personalisierung von Gegenständen findet sich zum Beispiel auch im Märchen). Das Kind lernt auch, dass Wörter wie rabimmel, rabammel, rabumm in [7] keine wörtliche Bedeutung haben, sondern expressiven und wortspielerischen Zwecken dienen. Ein pragmatischer Aspekt ist, dass das Lied im Kontext eines Laternenumzugs eine bestimmte Gebrauchsfunktion hat.

Literatur

Messerli, Alfred (1991): Elemente einer Pragmatik des Kinderliedes und des Kinderreimes. Aarau: Sauerländer.


Aufgabe 8: Sprachwandel und Literaturwandel

(a) stilistische Merkmale
Jugendjargon (das bockt nicht so, logisch, alles nur noch Matsche)
Ellipsen (Kühler muß hinter der Fensterscheibe von Edeka; Ja Pech)
Comic-Sprache (bommmmppp!)
Füllwörter (also logisch, )
Veränderte Syntax (Schule, also logisch, das bockt nicht so)
Verschleifung, Weglassung von Wortteilen (geh)

(b) Häüufung der stilistischen Merkmale aus (a), Verdichtung der Sprache und dargestellten Sachverhalte, Verwendung des Inneren Monologs und Einfügung standarddeutscher Sprache (z.B. Der Trick ist, du mußt an der Stelle rennen, wo die Baustelle ist, da können die Autos nicht ausweichen) sind Hinweise darauf, dass es sich um eine literarische Bearbeitung jugendsprachlicher Elemente handelt.