Nicht nur die in dieser unserer "Wendezeit" durchaus zahlreichen Positionen des Verdrängens, wie sie sich in Parolen des "Weiter wie bisher, nur noch effektiver" oder "Amüsieren wir uns bis zum Schluß" äußern, lassen Unbehagen aufkommen. Auch bieten Universalisten und Partikularisten Zukunftsvisionen an, deren letzte Konsequenzen beunruhigen. Universalistische Zukunftsvisionen laufen nämlich auf eine globale Monokultur ohne Grenzen hinaus, in der sich Technologientwicklung, Weltethos, Weltregierung und Ökodiktatur verbinden. Partikularistische Visionen laufen demgegenüber auf eine Vielfalt territorial getrennter, weitgehend autonomer Einzelkulturen hinaus, die sich jedes Eingriffs von außen in ihre Lebensstile und Wertvorstellungen verschließen, die sich durch deutliche Grenzziehungen absichern und die in permanente Konflikte mit territorialen Nachbarn und internen Minderheiten geraten. Angesichts dieser beiden Angebote, die der Politikwissenschaftler Benjamin BARBER kürzlich als Alternative zwischen "Dschihad und McWorld" bezeichnete, kommt der Wunsch nach einem "dritten Weg" auf.
Da ich weder Historiker oder Kulturphilosoph, noch Futurologe oder Prophet bin, vermag ich nicht zu entscheiden, welche dieser Perspektiven oder welche Kompromisse zwischen ihnen die Zukunft bestimmen werden. Als Didaktiker will ich mich darauf beschränken, Lernbereiche aufzuweisen, die es zu erschließen gilt, um möglichst viele Menschen zu befähigen, an einem globalen Lernprojekt mitzuwirken, das kleine Lösungen in widersprüchlichen Situationen verspricht und damit möglicherweise einen dritten Weg zwischen globaler Monokultur und chaosnahen Zuständen erschließt.
Zunächst möchte ich jedoch versuchen, mit einigen knappen Strichen den Hintergrund eines solchen Lernprojekts zu skizzieren. Da zu diesem Hintergrund auch das Phänomen des Fundamentalismus gehört, hoffe ich, auf diese Weise auch eine Verknüpfung zu den vorausgegangenen Vorträgen dieser Reihe herzustellen.
Die Jahre 1945 bis 1991 erlebten dann den Zusammenbruch sämtlicher europäischer Imperien, die dem Ansturm der nationalistischen Bewegungen in aller Welt nicht standhalten konnten. Die gegen die Westmächte auftretenden "nationalen Befreiungsbewegungen" operierten in einer merkwürdigen Dualität von universalistischer Menschenrechtsrhetorik und autochthonem Fundamentalismus" (69/70).
"Er ist ein informierter Büger, der am politischen Leben teilnimmt; er weist ein ausgeprägtes Wirksamkeitsgefühl auf; er ist höchst unabhängig und autonom in seinem Verhältnis zur Tradition, insbesondere wenn er grundlegende Entscheidungen über persönliche Angelegenheiten trifft; und er ist offen für neue Erfahrungen und Ideen, das heißt, er ist relativ aufgeschlossen und kognitiv flexibel".Den Gegenpol auf dieser Modernitätsskala bildet ein Typus, den INKELES im Anschluß an ROGERS & SVENNING als "Subkultur der Bauern" bezeichnet. Er zeichnet sich aus durch wechselseitiges persönliches Mißtrauen, Wissen um materielle Knappheit, Feindseligkeit gegenüber der Staatsautorität, Familismus, fehlende Innovationsneigung, Fatalismus, geringen Ehrgeiz, Fehlen von Bedürfnisaufschub, beschränkte Weltsicht und geringe Empathie.
Unabhängig von der Schwarz-Weiß-Zeichnung, die INKELES uns hier bietet, ist dies doch ein wichtiger, auch empirisch belegter Hinweis darauf, wie sich Universalismus und Weltkultur in den Köpfen von Menschen spiegeln.
3. Der dritte Grund betrifft das weltweit verbreitete moderne Wissenschaftsverständnis, das davon ausgeht, daß die "scientific community" weltweit organisiert ist, daß sie weltweit kommuniziert und daß sie die universelle Gültigkeit ihrer Erkenntnisse anstrebt.
4. Der vierte Grund betrifft neue Bewegungen, die sich um die Entwicklung eines weltweit gültigen moralischen Codes, eines "Weltethos" bemühen. Beispielhaft hierfür ist die 1993 vom "Parlament der Weltreligionen" veröffentlichte "Erklärung zum Weltethos", die im wesentlichen von dem Schweizer Theologen Hans KÜNG entworfen wurde. Diese Erklärung enthält vier Verpflichtungen mit weltweitem Geltungsanspruch:
Indem sie sich global ausbreitete, hat sich Weltkultur sozusagen von ihren Wurzeln emanzipiert und ent-territorialisiert. Dabei hat sie allerdings ein Erbe von der europäischen Moderne übernommen, das bereits im Westen fundamentalistische Gegenreaktionen ausgelöst hatte: die Ausdifferenzierung und Entkoppelung der Wertsphären bzw. des "Wahrheitsraumes", die Peter SLOTERDIJK in seinem Buch "Kopernikanische Mobilmachung und ptolemäische Abrüstung" wie folgt charakterisiert: "Das Wahre verliert tendenziell seine Beziehung zum Guten und Schönen, das Schöne emanzipiert sich mit grandiosem und bedrohlichen Eigensinn von Gutheit und Wahrheit, und das Gute wird vollends zu etwas, das zu schön wäre um wahr zu sein."(30/31)
Bernhard DRESSLER hat darauf aufmerksam gemacht, daß unter "Fundamentalismus" ursprünglich eine antimodernistische Reaktion im Protestantismus verstanden wurde, nicht erst die Gegenbewegungen gegen Weltkultur in islamischen Ländern außerhalb Europas: "Die fundamentalistischen Vereinseitigungen reagieren auf Widersprüche der Moderne: Widersprüche zwischen den Verheißungen (und den ja nicht unbeträchtlichen tatsächlichen Errungen- schaften), die das geschichtliche Programm der Aufklärung verkündigte, und seinem in diesem Jahrhundert ins Katastrophale wachsenden Folgekosten, die uns heute den Preis des Fortschritts unbezahlbar erscheinen lassen. Fundamentalistische Regressionen spiegeln die andere Seite im Janusgesicht der Moderne wider; sie sind von ihrem Triumph nicht zu trennen" (8).
"Es gibt einen Aspekt der Entwicklung, der für die Zukuft der Menschheit von unvergleichlicher Bedeutung ist: die Balance zwischen Einheit und Vielfalt. Dieses Gleichgewicht ist grundlegend für alle Formen der Evolution, in der Natur ebenso wie in der Geschichte der Menschheit. (...) Aber Integration und Diversifikation sind nicht immer im Gleichgewicht. (...) In der gegenwärtigen geschichtlichen Epoche steht der Vielfalt der Gesellschaften nur eine ungenügende Einheit gegenüber. Auf diesem Planeten gibt es etwa 170 Nationalstaaten. (...) Außer den Nationalstaaten gehören zu diesem Spektrum noch einige hundert weltweit agierende multinationale Konzerne ... und schließlich gibt es im Bereich der Verteidigung mehrere Atommächte, die jeweils für sich über genügend Kapazität verfügen, um nicht nur den Gegner, sondern die gesamte Menschheit auszulöschen.Soweit LASZLO.Durch den weltweiten Fluß an Energie, Gütern, Menschen und Informationen hat die Welt des 20. Jahrhunderts globale Dimensionen erreicht; sie hat aber nicht die Ordnung entwickelt, die zum Funktionieren in diesen Dimensionen erforderlich ist. Man spricht zwar heute gern von Weltordnung, ... aber die zweigeteilte Welt der Nachkriegsjahre hat sich in eine vielfach geteilte Welt verwandelt, die komplex aber nicht stabil ist.
Wenn Systeme überleben und sich entwickeln sollen, so müssen sie ihre Wechselwirkungen harmonisieren, und das trifft auf natürliche ebenso wie auf menschliche Systeme zu. Wenn das geschieht, ergibt sich ein neues Ordnungsniveau. In der Natur ist das für die Moleküle die makromolekulare Ebene, für Makromoleküle die Zellebene, für die Zelle die organische Ebene und für Organismen die soziale und ökologische Stufe.
In der Menschenwelt ist es für die Nationalstaaten und für die genannten Wirtschafts- und Sozialorganisationen die globale Stufe. Eine Integration auf globaler Ebene braucht die Vielfalt auf regionaler oder nationaler Ebene nicht zu vermindern; eine globale Integration kann sich im Gegenteil erst auf der Grundlage einer örtlichen, regionalen und nationalen Vielfalt entwickeln." (13-15).
Der "Lernbericht an den Club of Rome" ist in mehrfacher Hinsicht bemerkenswert. Er bringt die Begriffe "Globalisierung" und "Lernen" erstmals in einen systematischen Zusammenhang. Er verbindet Konzepte menschlichen Lernens mit der Idee langfristiger und weltweiter Kulturentwicklung und löst sie damit aus ihrer einseitigen Bindung an individualistische und eurozentrische Bildungstheorien. Er erinnert mit der Unterscheidung von "tradiertem Lernen" und "innovativem Lernen" an die pädagogische Einsicht, daß Lerntätigkeit nicht nur aus der Vergangenheit von Gesellschaften, sondern immer auch aus deren Zukunft begründet werden muß. Und er weist auf einen Zielkonflikt hin, der sich bei zunehmender globaler Vernetzung ergibt, nämlich den Konflikt zwischen der Sicherung kultureller Vielfalt, kultureller Identität und kultureller Autonomie einerseits und der Sicherung von kultureller Einheit, kultureller Integration und des Bewußtseins globaler Interdependenz andererseits. Es heißt dort:"Kulturelle Identität ist ein globales Problem, das ein doppeltes Risiko beinhaltet: globale Homogenisierung und lokalen Zerfall" (183). Zugleich geben die Autoren jedoch der Hoffnung Ausdruck, daß kulturelle Identität und globale Interdepenzenz einander nicht ausschließen müssen. Sie stellen eine Forderung auf, die da lautet: "Jeder sollte in der Lage sein, die globalen Probleme aus mindestens zwei Perspektiven zu betrachten: aus globaler Sicht und von einem kulturspezifischen Standpunkt aus, sei er nun national oder lokal. Das erfordert, daß die Wertvorstellungen anderer respektiert werden müssen, daß man sich auf ein Minimum weltweit anerkannter Werte einigen muß, daß dem internationalen Austausch auf multinationaler Basis eine bedeutendere Rolle zugeordnet werden muß und daß Menschen aller Altersgruppen sich der Globalität menschlichen Erbes aus einer Perspektive außerhalb ihres eigenen Kulturkreises bewußt sind. Die Entwicklung und Weitergabe dieser Bewußtheit ist eines der Hauptziele einer neuen Lernperspektive" (187/88).
Unter "globalem Lernen" verstehe ich menschliche Lerntätigkeit,
die primär darauf gerichtet ist, die Widersprüche lernend zu
bearbeiten, die sich aus dem Globalisierungsprozeß ergeben und die
zur Teilhabe an und zur Entwicklung von Weltkultur im Sinne von Einheit
in Vielfalt befähigen als auch zur Teilhabe an und zur Entwicklung
von lokaler Einzelkultur. Die beiden Pole kultureller Identität und
Multikulturalität - Weltkultur und Einzelkultur - stehen diesem Konzept
zufolge nicht im Widerspruch zueinander, sondern bedingen und fördern
einander wechselseitig, wie dies in der von der Ökologiebewegung geprägten
Formel "global denken - lokal handeln" zum Ausdruck kommt, und wie dies
auch der bereits erwähnte evolutionstheoretische Ansatz LASZLOs deutlich
macht.
Um Mißverständnisse zu vermeiden, möchte ich betonen,
daß ich Einzelkultur nicht gleichsetze mit Nationalkultur. Letztere
ist nur eine Variante von Einzelkultur. Andere Varianten kollektiver Identitätsbildung
können Lokalkulturen, Regionalkulturen oder Generationskulturen sein,
Kulturen, die primär durch religiöse oder ideologische Orientierungen
bestimmt sind, oder auch solche, die mit institutionellen Bindungen zu
tun haben. Wichtig für ein positives Konzept globalen Lernens ist
jedoch, daß die Lebensentwürfe jeder dieser Einzelkulturen langfristiges
Überleben sichern, daß sie den globalen Gesellschaftsvertrag
respektieren, daß sie miteinander kommunizieren und daß sie
nach Möglichkeit voneinander lernen.
Sie mögen einwenden, daß dies eine Vision oder eine Utopie sei, deren Realisierbarkeit gering einzuschätzen ist. Eine Vision ist es in der Tat. Ich halte es jedoch für eine Vision, deren Realisierungschancen weit realistischer sind als die Utopien jener Wachstums- und Wettbewerbsideologen von McWorld, die noch nicht einmal in der Lage sind zu sagen, wie sie relativ wenig komplexe Entsorgungsprobleme lösen wollen, geschweige denn langfristige Folgeprobleme, die sich ergeben, wenn man ihre von moralischen Überlegungen zumeist abgekoppelten technischen Phantasien fortschreibt. Und sicher ist diese Vision auch realistischer als die Hoffnungen fundamentalistischer Glaubenskrieger auf den "Endsieg".
Im pädagogischen Bereich entwickelten sich Konzepte globalen Lernens seit Beginn der 60er Jahre. In den USA geschah dies zunächst unter der Bezeichnung "developmental education", in der Bundesrepublik als "Entwicklungsländer-Pädagogik" bzw. "Dritte-Welt-Pädagogik". Später setzten sich in den USA dann zunehmend die Begriffe "international education", "intercultural learning" und "global education", in der Bundesrepublik "Interkulturelle Pädagogik" und "Eine-Welt-Pädagogik" durch. Die folgenden Überlegungen schließen sich auch an diese Traditionen an, die in Praxis und Forschung inzwischen umfangreiches Wissen erzeugt haben.
So verstanden läßt sich Globales Lernen als neues Konzept
allgemeiner Bildung begreifen, ein Konzept, das nicht nur Beiträge
zum Überleben der Menschheit liefert, sondern das zugleich neue Lebensqualität
auf der Grundlage von materieller Genügsamkeit und Bescheidenheit
anbietet.
Was nun die Folgerungen anbelangt, die sich aus diesen Überlegungen
für die Gestaltung unserer Bildungssysteme ergeben, so möchte
ich sie in folgenden Punkten erörtern:
Zum anderen aber besteht globales Lernen nur in geringem Umfang aus der Aneignung von Wissen, das in Wissensordnungen klassischer Lehrfächer eingebunden ist, die weitgehend den Charakter von relativ autonomen und selbstregulativen Systemen haben und deren Systematik in aller Regel endogene Entwicklungen widerspiegelt, und nur in geringem Umfang aktuelle gesellschaftliche Problemlagen. Wie auch immer man die oft beschworenen, selten jedoch realisierten Forderungen nach "Interdisziplinarität" und "fächerübergreifender Organisation" einschätzen mag, sie stehen jedenfalls für begrenzte Alternativen. Und was den Bereich der Hochschule anbelangt, so könnte globales Lernen im Rahmen dessen eine besondere Funktion erhalten, was wir mit dem Begriff des "studium generale" verbinden, möglicherweise könnte es sogar zum Konzentrationsprinzip eines künftigen "studium generale" werden.
Wie für andere Lernbereiche, so lassen sich auch für globales Lernen einige Leitthemen benennen. Im Anschluß an eine Arbeit von HANVEY (1982) geht es um fünf Komplexe:
"Interkulturelle Kompetenz" in diesem Sinne scheint mir eine Grundvoraussetzung dafür zu sein, daß auf dieser Ebene kulturelle Bevormundung vermieden und Konsens darüber herbeigeführt wird, welches Verhältnis von kultureller Autonomie und kultureller Integration die Beziehungen zwischen den einzelnen Gemeinschaften und Organisationen bestimmen soll.
Hierzu ist gelegentlich der Einwand zu hören, daß doch jede dieser Entwicklungen unterschiedlichen Fachgebieten zuzuordnen ist und daß nur die jeweiligen Experten die Kompetenz hätten, Aussagen über sie zu machen. Eine Reihe von Synopsen, die nach meinem Urteil gelungen sind, widerlegen diesen Einwand. Diese können die Form von interdisziplinären Synthesen wie beispielsweise die bereits erwähnte Publikation von SIEFERLE über "Epochenwechsel" haben. Sie können aber auch als Software für Computer-Simulationen verfügbar gemacht werden wie Frédéric VESTERS "Ökolopoly", oder "WORLD 3" von MEADOWS und seinen Mitarbeitern. Interessanterweise zeigen neuere empirische Untersuchungen, daß bei solchen Simulationen Nichtexperten im Umgang mit Komplexität erfolgreicher sind als Experten. Damit soll nicht gesagt sein, daß Expertenwissen weniger Wert hat als Generalistenwissen, sondern nur, daß es ergänzungsbedürftig ist, wenn komplexe Sachverhalte zur Debatte stehen.
Bewußtsein für kulturelle Alternativen kommt in den Wissenschaften beispielsweise dann zum Ausdruck, wenn Lehrende kontroverse Positionen zunächst dem Selbstverständnis der besten Vertreter dieser Positionen nach, sodann hinsichtlich ihrer Stärken und Schwächen darstellen, bevor sie ihre eigene Wahl erläutern und begründen. Wenn sie alternative Positionen also nicht so verzerrt darstellen, daß man sie nur als Ausdruck von Beschränktheit, Rückständigkeit oder bösem Willen wahrnehmen muß. Entsprechendes gilt für die Vertreter religiöser Richtungen. Es gilt für die Professionen, und es gilt für Projekte, etwa solche der Energieversorgung, der Stadtentwicklung, der Abfallentsorgung oder der Armutsbekämpfung.
Dabei verlangt das Bewußtsein für Alternativen die Erörterung der kulturellen Aspekte, in die technische Projekte eingebunden sind. Am Beispiel der Müllentsorgung lassen sich Aspekte kultureller Kontextualität und kultureller Bewertung gut veranschaulichen: Was wird wann als Müll und wann als wertvolle Antiquität betrachtet? Welchen sozialen Status haben diejenigen, die mit Abfall umgehen, wie werden sie entlohnt? Wie werden Delikte unerlaubter Abfallentsorgung geahndet? Bezieht sich die Kategorie "Abfall" nur auf Sachen, oder wird sie auch auf Symbole, Institutionen und Personen bezogen? Da bei jeder Alternative in bezug auf Projekte der Müllentsorgung diese sozialen und kulturellen Aspekte bewußt oder unbewußt mitspielen - und zwar nicht nur 'in Indien', sondern auch bei uns - erweisen sich solche Alternativen, die wir unserer eigenen kulturellen Prägung entsprechend gerne als lediglich technische Alternativen sehen möchten, in der Regel stets auch als kulturelle Alternativen.
Am Beispiel der Mitwirkung an einem Projekt "Windenergie" mag deutlich werden, welcher besondere Zusammenhang zwischen globaler und lokaler Kultur sowie zwischen Bewußtseinsbildung und Handeln besteht. Das Projekt einer einzelnen Windenergieanlage mag vergleichsweise lokal begrenzt erscheinen, die Zahl der aktiv daran Beteiligten relativ klein. Das Netz der Wirkungen ist demgegenüber jedoch globaler Natur, wenn auch die Wirkungen in diesem Netz minimal sein mögen: Der ins Netz eingespeiste Strom hat prinzipiell Einfluß auf das ganze Netz. Der Einsparungseffekt, der zur Verringerung des Kohlendioxyd-Ausstoßes führt, betrifft die ganze Biosphäre. Menschen, welche die Anlage sehen und darüber sprechen, reisen in die ganze Welt und verbreiten die Information an Orten auch über den eigenen Landkreis hinaus. Die Erfahrungen, die an diesem einen Projekt gewonnen wurden, werden auf andere Projekte übertragen. Und möglicherweise verbreiten auch Massenmedien Information über das Projekt und über seinen Kontext. - Wie man sieht läßt sich die Formel "global denken, lokal handeln" erweitern zur Formel "global und lokal denken und handeln".
So sind beispielsweise alle Bereiche lokaler Öffentlichkeit, in denen die Gelegenheit für Praktika oder Projektmitarbeit besteht, potentielle Lernorte auch für globales Lernen: Vereine und Projektgruppen, Behörden und Unternehmen, Bibliotheken und Museen. Es gilt, vorhandene Tagungs- und Begegnungsstätten im In- und Ausland für internationale und interkulturelle Begegnungen zu erschließen. Gut vorbereitete und gut nachbereitete Auslandsaufenthalte eröffnen den Zugang zu neuen Lernorten. Aber auch die Massenmedien lassen sich aktiv nutzen, indem man ihre Angebote bewußt auswählt und indem man sie für die Verbreitung eigener Botschaften nutzt. Schließlich wird es auch darum gehen müssen, vorhandene Möglichkeiten interaktiver Telekommunikation, insbesondere die von "Internet" eröffneten Chancen zu nutzen und weitere zu erschließen.
Was andere Lehr-Lernformen anbelangt, die besonders geeignet sind, globales Lernen in organisierter Weise zu vermitteln, so habe ich bereits auf die Einbeziehung von Simulationen verwiesen, die besonders geeignet sind, vernetztes Denken in globalen Zusammenhängen zu entwickeln und zu üben (s. o. zu "Ökolopoly" und "World 3"). Es sei besonders auch an Projektunterricht und Projektstudium erinnert, darüber hinaus an Fallstudien und Werkstattseminare, an Erkundungen und Hospitationen im In- und Ausland. Nicht zuletzt gibt es inzwischen auch die Möglichkeit, über Telekommunikation an Fernunterricht von Autoren und Tutoren in anderen Ländern der Welt teilzunehmen.
Ich habe versucht, Ihnen auf dem Hintergrund einer Skizze globaler Veränderungen einige Überlegungen zur Organisation von Lernprozessen vorzustellen, die dazu beitragen können, diesen Veränderungen Rechnung zu tragen. Die Lernprozesse sind darauf gerichtet, die Widersprüche zwischen kultureller Einheit und kultureller Vielfalt, zwischen kultureller Autonomie und transkultureller Orientierung, zwischen kultureller Identität und Multikulturalität zu bearbeiten und so zur Entwicklung eines Weltzustands beizutragen, der nicht nur das Überleben der Menschheit sichert, sondern auch deren weitere kulturelle Entwicklung.
Meine Position gegenüber Fundamentalismen habe ich dabei jedenfalls indirekt dargestellt, und zwar aus der Perspektive eines Menschen, dessen Arbeitsschwerpunkt Interkulturelle Didaktik ist. Aus dieser Perspektive heraus kannn man sicher nicht zu dramatisch neuen Erkenntnissen in bezug auf den Fundamentalismus im allgemeinen und zu einzelnen Fundamentalismen im besonderen gelangen. Es lassen sich jedoch einige Aspekte benennen, die möglicherweise nicht nur fundamentalistische Positionen auszeichnen, aber eben auch diese: Unter Bezugnahme auf die genannten zentralen Themen globalen Lernens stellt sich mir Fundamentalismus wie folgt dar: