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 Veröffentlichungen 1998

Ich trete nicht aus

Der Theologe hat sich vom christlichen Glauben losgesagt. "Aus beruflichen Gründen" bleibt er Kirchenmitglied

VON EDUARD KOPP UND JÜRGEN WANDEL

Gerd Lüdemann, 52, lehrt als Neutestamentler ohne kirchliche Prüfungserlaubnis an der Universität Göttingen. Ursprünglich wollte Gerd Lüdemann Mönch werden, dann wurde er Theologieprofessor. Nun hat er mit dem Christentum gebrochen. Über seinen Lebensweg sprach er mit dem DS.

Herr Professor Lüdemann, Sie haben einst Theologie studiert, weil Ihnen der christliche Glaube wichtig war. Nun haben Sie sich vom Christentum verabschiedet. Sind Sie gescheitert?

Gerd Lüdemann: Als Schüler wollte ich noch Pfarrer werden, später in die Mönchsgemeinschaft von TaizÇ eintreten. Doch als Theologiestudent war ich im Herzen ein Christ und im Kopf ein Atheist. Denn meine Lehrer haben mir nicht vermitteln können, was die wissenschaftliche Theologie, die mich gleich begeistert hat, überhaupt mit dem christlichen Glauben zu tun hat.

Das heißt, der Abschied vom Christentum, den Sie kürzlich in einem "Brief an Jesus" öffentlich gemacht haben, war innerlich schon längst vollzogen.

Lüdemann: So ist es. Aber vorher habe ich nicht gewagt, es auszusprechen. Allerdings habe ich seither eine eigene, stark mystisch geprägte Religiosität gewonnen.

Auf Ihre Religiosität wollen wir gleich noch einmal zurückkommen. Doch zunächst eine andere Frage. Wie konnten Sie trotz Ihrer Glaubenszweifel eine Laufbahn an einer theologischen Fakultät einschlagen, also an einer konfessionell geprägten Einrichtung?

Lüdemann: Mir ging es um die Wissenschaft. Der konfessionelle Charakter der theologischen Fakultäten wurde in den sechziger und siebziger Jahren nicht so betont, wie das heute der Fall ist.

Aber das muß Ihnen doch mit der Zeit bewußt geworden sein?

Lüdemann: Ja. Aber ich hatte eine Zeitlang die Illusion, nur eine evangelisch geprägte Fakultät garantiere die Freiheit der Wissenschaft. Die Katholiken haben es da ja wesentlich schwerer.

Würden Sie denn rückblickend sagen, daß Ihr Eintritt in eine theologische Fakultät ein Irrweg war und Sie bei den Religionswissenschaftlern besser aufgehoben wären?

Lüdemann: Nein. Denn in der Religionswissenschaft werden das Neue Testament und die frühen Quellen des frühen Christentums nicht studiert. Das geschieht nur an den theologischen Fakultäten.

Und warum ist Ihnen das Neue Testament so wichtig?

Lüdemann: Weil es zu meiner Biographie gehört. Ich habe an den Herrn geglaubt, ich habe die Behauptungen der Bibel beim Wort genommen und wollte mehr darüber wissen.

Ihre Beschäftigung mit dem Neuen Testament ist also eine Aufarbeitung der eigenen christlichen Vergangenheit.

Lüdemann: Ja - und eine Aufarbeitung der christlichen Tradition unserer Kultur.

In Ihrem "Brief an Jesus" schreiben Sie, daß Sie sich von einem Gott befreit haben, der Ihnen Schuldgefühle und angst machte. Dieser Gott ist doch ein Götze und nicht der christliche Gott.

"Nach Luther soll man Gott fürchten und lieben. Man beachte die Reihenfolge"

Lüdemann: Ich habe Gott so erlebt. Aber so sehe ich ihn auch in der Bibel. Selbst bei Jesus ist das leider so. Er entfaltet zwar eine imponierende Humanität, aber er sieht sie in dem Gott Israels begründet, den man nach Luther "fürchten und lieben" soll. Man beachte die Reihenfolge.

Nun haben Sie von Ihrer Religiosität gesprochen. Und auch in Ihrem "Brief an Jesus" propagieren Sie eine echte Religion. Was ist denn das?

Lüdemann: Eine Religion, die von Liturgie geprägt ist, wo Menschen sich versammeln, singen und beten. Denn wir brauchen ein Gemeinschaftsgefühl und ein Gespür für das Heilige. Und auch um die Schwellenerfahrungen des Lebens wie Geburt und Tod zu bewältigen, brauchen wir Religion. Denn der Atheismus ist mir viel zu oberflächlich. Ich habe ja selber Grenzerfahrungen gemacht.

Welche?

Lüdemann: Wenn Sie bei einer Psychotherapie im Zustand der Entspannung mit dem Boden verschmelzen und ein Nichts werden. Oder wenn plötzlich Wärme auftaucht, daß Sie sich fast erhaben fühlen. Und ich erinnere mich, daß ich plötzlich gesagt habe, Gott ist schön.

Über solche Erfahrungen berichten auch christliche Mystiker. Warum haben Sie sich trotzdem vom Christentum verabschiedet?

Lüdemann: Das Christentum steht und fällt mit dem historischen Ursprung. Das Christentum behauptet zum Beispiel die leibliche Auferstehung, daß Jesus aus dem Grab wieder herausgekommen ist. Das aber läßt sich angesichts der Ergebnisse, die die historisch-kritische Erforschung des Neuen Testamentes erbracht hat, nicht halten.

Aber an diesem Punkt argumentieren Sie wie die christlichen Fundamentalisten, die auch sagen, entweder ist Jesus historisch nachprüfbar leibhaftig auferstanden oder christlicher Glauben ist unmöglich.

Lüdemann: Ja, an diesem Punkt ist ein Schuß Fundamentalismus nötig. Wenn es um die Auferstehung geht, kommt das Christentum ohne den Bezug auf ein historisches Faktum nicht aus. Der christliche Glaube, daß sich Gott in der Auferstehung zu Jesus bekannt hat, stimmt nur, wenn dieser aus dem Grab herausgekommen ist. Wenn das nicht geschehen, ist, dann stimmt auch nicht die Aussage, daÝ Gott sich zu Jesus bekannt hat.

Es fällt auf, daß Sie argumentieren, entweder ist etwas historisch geschehen oder es ist eine religiöse Illusion. So sagen Sie auch, entweder stimmt die biblische Schöpfungsgeschichte oder die Evolutionslehre. Diese Entgegensetzung ist doch viel zu grobschlächtig. Kein ernsthafter Christ behauptet, daß die Welt wirklich in sieben Tagen erschaffen wurde.

Lüdemann: Auch sagt kein ernsthafter Christ, daß der Leichnam Jesu wiederbelebt worden ist. Aber wenn man dann nachfragt, reden sie drum herum.

Aber Thomas Manns Zauberberg kann doch auch wahr sein, ohne daß er so, wie ihn Mann beschreibt, historisch existiert hat.

Lüdemann: Ja, aber die Schspfungsgeschichte steht in der Bibel. Und die ist nicht nur Literatur wie Thomas Manns Zauberberg, sondern für die Kirche als Heilige Schrift etwas Besonderes. Sie ist Wort Gottes.

Aber kein ernsthafter Theologe setzt doch die Bibel mit dem Wort Gottes gleich. Das hat doch nicht einmal Luther getan.

Lüdemann: Aber die Kirche spricht von der Heiligen Schrift. Und dieses Wort erscheint auch im Ordinationsversprechen der Pfarrer.

"Für mich ist die Bibel Menschenwort. Alles andere ist unhistorisch"

Ja sicher, man kann die Bibel Heilige Schrift nennen, weil sie Gottes Wort enthält, aber doch nicht weil sie Gottes Wort ist.

Lüdemann: Das sind für mich Begriffsspielereien. Für mich ist die Bibel ausschließlich Menschenwort. Alles andere ist unhistorisch.

Sind Sie, Herr Lüdemann, nicht in einer übertriebenen Weise auf der Suche nach einer Realität, die es so gar nicht gibt? Können Auskünfte über religiöse Erfahrungen denn überhaupt Realität im wissenschaftlichen Sinn sein?

Lüdemann: Was die Dichtung, die Lyrik in der Bibel angeht, natürlich nicht. Aber ein großer Teil der Bibel besteht aus Geschichtsberichten. Gegenüber den sich ausdrücklich als geschichtliche Berichte verstehenden Werken der Bibel, vom deuteronomistischen Geschichtswerk über die Bücher der Chronik und die Evangelien bis zur Apostelgeschichte, gelten meine kritischen Nachfragen. An dieser Frage entzündet sich die Problematik.

Ihnen sind mystische Erfahrungen wichtig. In einer seelischen Grenzerfahrung sind Sie in den Himmel aufgefahren, wie Sie im "Brief an Jesus" schrieben. Haben Sie denn schon eine Religionsgemeinschaft gefunden, die solchen Erfahrungen viel Raum gibt - eine "echte" Religionsgemeinschaft, um mit Ihren Worten zu sprechen?

Lüdemann: Viele Menschen haben solches in der katholischen oder evangelischen Kirche oder im Judentum erfahren. Ich sehe gar keinen Grund, eine neue Religion zu gründen. Auch ohne Religion lassen sich, wie ich schon sagte, solche Erfahrungen machen.

Praktizieren Sie eigentlich noch Religion?

Lüdemann: Wenn ich unerkannt bin, gehe ich in Amerika mal in die Kirche, ganz versteckt und verstohlen, in irgendeine, die gerade da ist. Ich freue mich über den Klang der Lieder, achte aber nicht auf ihren Inhalt. In Deutschland kann ich an keinem Gottesdienst teilnehmen, weil das Bekenntnis gesprochen wird - mit all den angeblich historischen Gegebenheiten.

Haben Sie Wünsche, einer bestimmten anderen Religionsgemeinschaft anzugehören?

Lüdemann: Keiner konkreten. Aber ich spüre in spontanen Gesprächen mit Studenten, Kollegen oder Therapeuten oder Therapierten einen Austausch, der Zeit und Raum vergessen läßt. Ich spüre eine Sehnsucht, solchen Erfahrungen Raum zu geben und sie zu organisieren. Liebe zu erfahren ist etwas Besonderes. Ich hatte einmal erwogen, einen Verein mit dem Namen "Europäisches Jesus-Seminar" zu gründen, aber daraus wird nichts, weil ich Abschied von Jesus genommen habe. Eine Vereinsgründung kommt aber durchaus in Frage, aber da hängt vieles auch vom Zufall ab.

"Auf dem Katheder hat Predigt nichts zu suchen, sondern das Argument"

Ist das Ende Ihrer "Liebesgeschichte" oder "Haßgeschichte" mit der Kirche absehbar?

Lüdemann: Ja. Es kommen gelegentlich noch tiefe Abneigungen, wenn ich bestimmte Amtstrachten sehe.

Mystische Gemeinschaften gab es in den Kirchen zu allen Zeiten, die sich - oft mehr schlecht als recht - mit der Kirche arrangiert haben. Warum kommt für Sie ein solches Arrangement mit volkskirchlichen Traditionen nicht in Frage?

Lüdemann: Weil ich ein öffentliches Amt habe und mich als Repräsentanten der Wissenschaft fühle. Auf dem Katheder hat Predigt nichts zu suchen, sondern das Argument ... und die Lust an der Enthüllung.

Schließt diese Lust ein, daß Sie traditionellen Kirchenleuten vor den Kopf stoßen?

Lüdemann: Ich habe bestimmte Erfahrungen mit Seelsorgern und in der Beichte gemacht, wo es letztlich dann doch darauf hinauslief, den Verstand zu opfern. Ich wollte - wie erwähnt - Bruder in der Mönchsgemeinschaft von TaizÇ, werden, zwei Jahre war ich dort. Da wurde ich gefragt, ob ich bereit wäre, auf mein Theologiestudium zu verzichten - und damit letztlich auch auf all die Fragen. Da war die Sache für mich gelaufen.

Wohin führt Ihr Weg?

Lüdemann: Es ist in der historischen Kritik so: Man steht am Ufer eines Flusses und muß abstoßen, ohne das andere Ufer zu sehen. Man weiß nicht, wohin der Weg führt. Mein Lebensmotto ist: In den wenigen Dingen, in denen wir die Freiheit haben, voll abzustoßen, will ich dies tun. Ich sehe mein Amt als Hochschullehrer als ideale und vorzügliche Möglichkeit, diesen Traum der Erkenntnis vollständig zu leben.

Ihre Tage in der Ausbildung von Pfarrern sind vermutlich gezählt...

Lüdemann: Das sehe ich ganz anders. Die Universität Göttingen ist stark der Aufklärung verpflichtet. Von der Geschichte der Universität und der Fakultät her ist es unmöglich, mich aus dem Amt zu entfernen. Es gibt keinen besseren Ort, wo meine Forschung samt ihren Konsequenzen Platz hätte. Ginge ich faule Kompromisse ein, könnte ich nicht so gut auf andere einwirken. Sie sähen mich dann als korrupten Theologen an.

Müssen sich Ihrer Meinung nach die theologischen Fakultäten ändern?

Lüdemann: O ja. Da habe ich weitreichende Vorstellungen. Zum Beispiel ist die Zeit der konfessionell getrennten theologischen Fachbereiche abgelaufen. Aus zwei Fakultäten muß - möglichst kurzfristig - eine werden. Dies politisch durchzusetzen ginge mit einer rotgrünen Regierung leichter.

Wie stellen Sie sich überhaupt Ihre Zukunft am Fachbereich vor?

Lüdemann: Ich glaube, daß es so bleibt, wie es ist. Fachkollegen werden vielleicht versuchen, mich zu versetzen und aus dem Fachbereich herauszudrängen. Doch damit werden sie nicht erfolgreich sein - dafür ist die wissenschaftliche Tradition der evangelischen Theologie noch zu stark. Theologie ist Wissenschaft, sie geht rational vor und muß nachvollziehbar sein. Mit dem Anspruch auf Wissenschaftlichkeit verträgt es sich nicht, daÝ katholische und evangelische Fakultäten getrennt arbeiten. Ich weiß gar nicht, was die evangelische Kirche dagegen haben sollte, ihre Pfarrer auf neutrale theologische Fakultäten zu schicken und dann, in der zweiten Ausbildungsphase, für den kirchlichen Dienst vorzubereiten.

Sie sagen: Ich bin kein Christ mehr. Wäre es dann nicht logisch, aus der Kirche auszutreten?

Lüdemann: Das tue ich aus beruflichen Gründen nicht, denn dann würde ich sofort versetzt. Ich hätte dann keine Möglichkeit mehr, an der theologischen Fakultät zu wirken. Ich gebe zu: Das könnte aussehen wie ein Trick, eine taktische List. Die Kirchenführer haben mit ihrem Vorwurf recht, daß ich unfair bin, denn ich erfülle nicht mehr die Erwartungen, die an meine Berufung geknüpft wurden. Aber auf der anderen Seite nehme ich Interessen der Gesamtgesellschaft wahr. Und die Gesamtgesellschaft drängt darauf, daß die theologischen Fakultäten verändert werden. Das gelingt aber nur, wenn ich in der Fakultät bleibe und mit Wort und Tat für Veränderungen sorge. Wenn ich einfach durch einen juristischen Akt verschwinden würde, bliebe alles so, wie es ist. Von außen hätte ich keine Möglichkeiten, meinen Einfluß geltend zu machen. Letztlich fördere ich durch mein Bleiben das Christentum.

©DS - DEUTSCHES ALLGEMEINES SONNTAGSBLATT,

1. Mai 1998 Nr. 18/1998


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Letzte Aktualisierung am 22. April 2020
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