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Alexander Schwabe: Irrlehrer Lüdemann hofft aufs höchste Gericht

Spiegel-Online

Er nannte die leibliche Auferstehung Jesu "Humbug", er warf der Kirche Scheinheiligkeit vor, wurde dafür gemaßregelt und verlor an der Uni Göttingen seinen Lehrstuhl für Neues Testament. Doch auch nach seiner jüngsten Niederlage vor Gericht gibt der streitbare Theologe Gerd Lüdemann nicht auf.

Theologe Lüdemann: "Kampf David gegen Goliath"

Die evangelisch-lutherische Landeskirche Hannovers sieht sich bestätigt: "Ein Professor an einer evangelisch-theologischen Fakultät hat ein konfessionsgebundenes Staatsamt inne, so dass es nur konsequent ist, wenn seine bewusste Abwendung vom Christentum auch seine Stellung in der Fakultät verändert", heißt es kühl in einem Statement des Kirchenamtes in Niedersachsens Hauptstadt zu einem Urteil des Oberverwaltungsgerichts Lüneburg von dieser Woche im Fall des Theologie-Professors Gerd Lüdemann, 57.

Die Stellung des Hochschullehrers zu Göttingen hat sich in der Tat verändert, seit der Neutestamentler vor zehn Jahren bei Theologen und Klerikern einen Sturm der Entrüstung auslöste. Weil er behauptet hatte, was andere Theologen längst vor ihm lehrten - dass es keinen historisch haltbaren Beweis für die leibliche Auferstehung Jesu gebe -, musste er eine Schlacht nach der anderen gegen die Institutionen schlagen. Ein Kampf Davids gegen Goliath, bei dem - anders als in der Bibel - der Mann mit der Steinschleuder gegen die geballte Macht der Philister bisher nicht viel ausrichtete.

1996 verbot ihm die hannoversche Landeskirche, Studenten zu prüfen, die in den Pfarrdienst wollten. Bischof Horst Hirschler tat öffentlich kund, Lüdemann tue alles, um "geschlagen" zu werden. Zwei Jahre später distanzierte sich Lüdemann vom Christentum. Der Kirche warf er "Scheinheiligkeit" und "Schizophrenie" vor, weil sie etwas zu lehren verlange, was der Wahrheit nicht entspreche. Der Gelehrte bestritt die Gottessohnschaft Jesu und nannte dessen Lehre einen Irrtum. Daraufhin stand neben der Kirchenleitung auch die Fakultät auf und legte dem Kollegen mehrheitlich nahe, dieselbe zu verlassen.

Nach Darstellung von Thomas Kaufmann, Dekan der theologischen Fakultät in Göttingen, brach der Konflikt innerhalb des Fakultätskollegiums in dem Moment auf, als Lüdemann den Professoren eine "perfide Doppelmoral" vorwarf: Diese trieben historische Exegese - und bildeten dennoch Prediger aus. Der Kirchengeschichtler wirft Lüdemann heute vor, unglaubwürdig zu sein. "Wenn einer die Basis des Systems in Frage stellt, läge es nahe, sich nicht von diesem System alimentieren zu lassen", sagt er.

Forschungsfreiheit kontra Bekenntnistreue

Lüdemann weigerte sich, dem Ansinnen der Kollegen und der Kirchenführer nachzukommen. Er berief sich stattdessen auf die im Grundgesetz garantierte Freiheit von Forschung und Lehre. Beim Wissenschaftsministerium in Hannover aber brachte die Kirche weiterhin erhebliche Bedenken vor und pochte auf die Bekenntnis- und Bibeltreue theologischer Hochschullehrer. Das Wissenschaftsministerium befand, es gebe keine rechtliche Handhabe zur Abberufung Lüdemanns.

Uni-Präsident Horst Kern präsentierte schließlich einen Kompromissvorschlag: Lüdemann verlor seinen Lehrstuhl für Neues Testament und rückte dafür auf einen neu geschaffenen, nicht konfessionsgebundenen für "Geschichte und Literatur des frühen Christentums" - ein Vorgang, der vom Verwaltungsgericht Göttingen für rechtens erklärt wurde.

Lüdemann wollte sich damit nicht zufrieden geben. In einer Berufungsverhandlung bestätigte das Oberverwaltungsgericht in Lüneburg nun jedoch das Göttinger Urteil. Ein Sprecher des Gerichts teilte mit, die von Lüdemann angefochtene Veränderung des Aufgabenbereichs sei nach dem Hochschulgesetz Niedersachsens rechtmäßig. Das Selbstbestimmungsrecht der Kirchen sei höher zu werten als die Freiheit der Wissenschaft. Das Staatskirchenrecht von 1949 räumt den Kirchen als Körperschaften des Öffentlichen Rechts ein, besonders behandelt zu werden.

"Festlegung auf religiöse Intoleranz"

Gegenüber SPIEGEL ONLINE kündigte Lüdemann nun an, er wolle beim höchsten Gericht in Revision gehen. Statt nur auf Verträge zwischen Landesregierung und Landeskirchen zu fokussieren, müsse das Bundesverwaltungsgericht die Verfassung stärker berücksichtigen. Und die, so Lüdemann, garantiere jedem Deutschen, dass ihm wegen seines Glaubens keine Nachteile bei der Ausübung eines öffentlichen Amtes widerfahren dürfe.

Da die Bekenntnisschriften der Kirche nicht auf historisch verifizierbaren Wirklichkeiten beruhten, könne er sich als Wissenschaftler nicht auf sie verpflichten. Dekan Kaufmann dazu: "Ein Theologieprofessor wird gar nicht auf das Bekenntnis vereidigt, sondern auf das Grundgesetz und die Landesverfassung." Kaufmann räumt ein, die Einklagbarkeit der Bekenntnistreue sei "durchaus schwierig".

Die Fronten bleiben verhärtet. Der Landeskirche hält Lüdemann vor, ihn auf Grund seiner Glaubenseinstellung zensiert zu haben. Dies sei jedoch nur berechtigt, sofern ihm fachliche Fehler nachgewiesen werden können. Er habe die Lehre der Kirche korrekt dargestellt, "mir aber vorbehalten, sie zu kritisieren", sagt er.

Kommenden Herbst wird Lüdemanns neues Buch "Die Intoleranz des Evangeliums" erscheinen. Darin nimmt er erneut die Volkskirchen ins Visier. Die Verpflichtung geistlicher Amtspersonen auf Bibel und Bekenntnis lege Pfarrer auf religiöse Intoleranz fest. Dies widerspreche dem kirchlichen Anspruch, an einem toleranten Gemeinwesen mitzuarbeiten, so seine These.

"Unkritischer Trend" unter Studenten

Die rund 400 Studenten der evangelischen Theologie in Göttingen kratzt der Fall Lüdemann längst nicht mehr. Als vor sechs Jahren sein fiktiver "Brief an Jesus" erschien, politisierte Lüdemann noch. Theologiestudenten boykottierten längere Zeit seine Vorlesungen. Tempi passati. "Die Generation der heutigen Studenten begann ihr Studium, als Lüdemann schon kaltgestellt war", heißt es bei der Evangelischen Studentengemeinde.

In seine Vorlesung verliert sich gerade mal eine Hand voll Hörer. Die Seminarscheine werden von der Kirche nicht anerkannt. Heinz Dieter Knigge, früher Dozent für Bibelkunde in Göttingen, stellt einen "unkritischen Trend" unter den Studenten fest: "Da herrscht eher die Angst vor, später von der Landeskirche nicht angestellt zu werden."

Lüdemann bereut inzwischen, dass er 1994 einem Ruf der Universität Bonn nicht gefolgt ist. Die Kirche dort sei wesentlich liberaler und beschneide die wissenschaftliche Theologie nicht. Die hannoversche Landeskirche stuft er dagegen als "erzkonservativ" ein. Vor einem Vierteljahrhundert noch habe in der Kirche ein Geist geweht, der selbst eine "Gott-ist-tot-Theologie" aushielt. Doch auch diese Zeiten seien vorbei.

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Letzte Aktualisierung am 22. April 2020
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