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Zur Weihnachtszeit 2011

Die Geschichte von Maria und ihrem Sohn Jesus

Gerd Lüdemann

Eine Klarstellung

Die Aussage, Jesus sei vom Geist gezeugt und von einer Jungfrau geboren, nimmt historische Gegebenheiten nicht zur Kenntnis. Jesus hatte auf jeden Fall einen menschlichen Vater. Keiner mit dem heute selbstverständlichen biologischen Grundwissen kann hier ernsthaft widersprechen - schon gar nicht, wenn zusätzlich ein Minimum religionswissenschaftlicher Bildung vorausgesetzt werden darf. Daraus folgt, dass jede Interpretation, die sich an dieser Stelle vor einer klaren Stellungnahme drückt, unwahrhaftig ist. Hierunter fällt das gesamte offizielle katholische Mariendogma, aber ebenso die allsonntäglichen Bekenntnisse auch im evangelischen Gottesdienst zu Jesus dem Jungfrauensohn. Dieser Rubrik sind aber auch die Äußerungen von evangelischen Geistlichen zuzurechnen, die sich in gemeinsamen Publikationen mit ihren katholischen Kollegen um eine eindeutige Aussage zur Ungeschichtlichkeit der Jungfrauengeburt drücken.

Die zwei Wurzeln der Jungfrauengeburt

Der theologische Lehrsatz von der Geburt Jesu aus einer Jungfrau hatte zwei Wurzeln:

a) Er beantwortet die im Dienst antichristlicher Polemik stehende Erzählung, dass Jesus vorehelich, illegitim geboren und in Unzucht empfangen wurde.

b) Er stellt Jesus auf eine Stufe mit anderen göttlichen Helden der Antike, deren Geburt ebenfalls auf Zeugung durch Gott oder ein Mittelswesen zurückgeführt wurde.

Beide Antworten haben eine hohe Christologie zur Voraussetzung. Sie führt zum Verständnis Marias als einer Heiligen. Maria als Heilige ist unlösbar mit Jesus, dem Sohn Gottes, verbunden. Die Vorstellung von einem Gottvater und seinem Sohn schloss die Idee einer Mutter Gottes ein.

Maria - zur Stummheit verdammt

Aber die Geschichte spricht eine andere Sprache: Die ganz unheilige, nämlich voreheliche, vielleicht gewaltsame Zeugung Jesu zog den Vorwurf des späteren Adoptivvaters Joseph sowie der Einwohner Nazareths nach sich, Maria habe in Unzucht empfangen, und die Notsituation der jungen Frau Maria führte zu ihrem völligen Verstummen. Sie erzählt nichts, ja, darf gar nichts von ihrer Schwangerschaft berichten. Vielmehr wird ihre Gebärmutter - in Reaktion auf die feindliche Unterstellung - bald zum Ort einer Zeugung ohne Sexualität gemacht. Die Gynäkologie dient hier der Theologie zur Legitimation der göttlichen Herkunft und Herrschaft Jesu.

Maria in der feministischen Theologie

In der feministischen Theologie sieht der Betrachter Frauen vor drei verschiedenen Türen stehen.

Vor der ersten Tür befinden sich Frauen, deren Ziel es ist, mit der feministischen T heologie zur Erneuerung des sanierungsbedürftigen Gebäudes von Theologie und Kirche beizutragen. Sie zielen ab auf eine Gemeinschaft in der Kirche, die alle Unterschiede von Frauen und Männern erträgt. Ihre Absicht ist es, eine neue Qualität von Beziehungen zu leben, in der Frauen und Männer gleich berechtigt sich und Gott neu finden. Sie lesen die biblischen Texte in dieser Reformabsicht. Es ist ihnen in erstaunlicher Weise gelungen, den Einfluss herauszuarbeiten, den christliche Frauen schon im beginnenden Christentum ausübten. So geben sie dem feministischen Interesse im Christentum auch für die Gegenwart innerhalb der Kirche einen breiten Raum und können guten Gewissens in die Tür der Kirche eintreten, um dort andauernd Wohnung zu nehmen. Als Preis dafür gehen sie selektiv mit den biblischen Aussagen über Maria um, betonen ihre Niedrigkeit sowie ihren von Gott gesetzten Sonderstatus, verzichten aber auf eine Überprüfung der Faktizität des göttlichen Handelns am Leib der Maria. Inkarnation und Jungfräulichkeit begründen weiterhin Niedrigkeit und Hoheit der Maria. Sie stützen somit letztlich die überlieferten Lehren der Kirche.

Vor der zweiten Tür stehen Frauen, die das Christentum für zutiefst von männlichen Phantasien durchsetzt sehen. Sie nehmen die Frauenfeindlichkeit der biblischen Texte nicht nur zur Kenntnis, sondern auch ernst. Sie sehen keine Chance, sich durch alternative Lesarten in die christliche Tradition einzufügen. Diese Frauen halten das Christentum für nicht reformierbar, da seine zentralen Glaubensaussagen patriarchal seien. Nur selten betreiben sie historische Tatsachenforschung; stattdessen ziehen sie es vor, ihre eigene Geschichte zu machen. So gründete Mary Daly eine eigene Religion, um einen nach-christlichen Umgang mit neuen schwesterlichen Formen von Spiritualität zu praktizieren. Der Auszug aus dem patriarchalen Gebäude steht unter dem Motto: Der Weg in die Freiheit geht durch die Tür hinein und wieder durch sie hinaus.

Vor der dritten Tür sind Frauen versammelt, die - anknüpfend an biblische und kirchliche Traditionen - neue Zugangswege zu Maria-Texten entdecken und diese auf ihrem angeblich matriarchalen Hintergrund neu deuten oder auf eine matriarchale Zukunft hin interpretieren. Sie erhöhen Maria zur Göttin und machen sie so zu einer Schlüsselfigur im Selbstfindungsprozess christlich orientierter Frauen in der Gegenwart. Doch mit diesem Ansatz pflegen sie einen unhistorischen Umgang mit den biblischen Texten und haben überdies die Glaubenslehren der Kirche längst verlassen. Oftmals fordern kirchliche Autoritäten diese Frauen auf, die Kirche durch dieselbe Tür, durch die sie eingetreten sind, wieder zu verlassen.

So führen, zusammenfassend gesagt, die gängigen feministischen Ansätze kaum zu Entwürfen, die der historischen Maria und ihrem Sohn Jesus gerecht werden. Aber auch theologisch gesehen, ist weder die Vorstellung einer erniedrigten, noch die einer erhöhten Maria haltbar, denn beide sind unauflöslich mit dem Weltenherrscher Jesus verbunden. Maria geht ihm als Jungfrau voraus, begleitet ihn als Mutter, singt sein Herrschaftslied und endet als seine Braut. Hier werden Erwartungen an die ideale Frau in den Himmel projiziert und ersetzen alle früheren Himmelsgöttinnen. Sie verkörpern in Maria ein frauenverachtendes Programm und zwingen jede Frau schließlich in die Heiligen- oder Hurenrolle. Sohn, Mann, Herrscher, Geldverdiener etc. bleiben dabei in der Hauptrolle.

Der historisch sperrige Aspekt von Maria und ihrem Sohn Jesus

Über Maria haben wir nur ein Minimalwissen. Dies ist darin mitbegründet, dass Maria einer patriarchalen Kultur angehörte und nicht reden durfte. Sie empfing Jesus irregulär vor der Ehe und beteiligte sich später am familiären Protest gegen ihn. Als Jesus nach seinem Tod in Jerusalem verehrt wurde, nahm sie ihr zweitältester Sohn Jakobus aus Galiläa mit nach Jerusalem, wo er als Bruder des Herrn und sie als dessen Mutter in hohem Ansehen standen.

Mit seiner leiblichen Familie überworfen, führte Jesus ein unstetes Leben, war Rebell gegen Gewohnheit und Herrenmacht, Prophet Gottes und Wundertäter zugleich. Sein Gesamtwirken zeichnete sich durch einen Drang nach unten zu den Armen und Verachteten aus. Angestoßen durch ihn, spielte der Patriarchalismus unter seinen Nachfolgern keine Rolle mehr; alle sind gleiche Teilhaber am Reich Gottes. Diese Botschaft hat bis heute nicht an Aktualität verloren.

Aber der Frühling des Auftretens Jesu hielt nicht lange an. Am Kreuz erfuhr er, was Einsamkeit, Schmerz und Gottverlassenheit heißt. Ähnliche Erfahrungen durchlitt seine Mutter Maria in der Stunde der Zeugung ihres Kindes, der Zeit der Schwangerschaft sowie dem Augenblick der Geburt des Sohnes. All dies vermochte die biblisch-kirchliche Tradition nicht zu ertragen und malte die Geschichte von Maria und ihrem Sohn Jesus schon bald auf goldenem Untergrund. Christliche Theologen verließen die geschichtliche Basis und verloren so mehr und mehr die Bodenhaftung. Um die Mutter des Herrn verehren zu können, decken sie auch heute zu, was nicht zum kirchlichen Dogma passt, und erliegen so einer Selbsttäuschung. Daher ist es an der Zeit, den Schleier zu lüften, der sich - gewebt aus einer Mischung von Wunschdenken, Frömmigkeit und Phantasie - über Maria gelegt hat.

Zum Weiterlesen vgl. Gerd Lüdemann: Jungfrauengeburt? Die Geschichte von Maria und ihrem Sohn Joseph, Springe 2008.


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Letzte Aktualisierung am 22. April 2020
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