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Das Sonntagsblatt 23. Februar 1995: RELIGION IM GESPRÄCH: HORST Hirschler: "Wir wollen kein Lehrverfahren"

Der hannoversche Landesbischof zum Streit um den Göttinger Theologieprofessor Gerd Lüdemann: "Der Mann möchte geschlagen werden"

Der Göttinger Professor für Neues Testament, Gerd Lüdemann, darf vorerst nicht mehr beim ersten theologischen Examen der Kirche prüfen. Das haben die in der Konföderation zusammengeschlossenen evangelischen Landeskirchen Niedersachsens beschlossen. Damit reagieren sie auf ein Interview, in dem Lüdemann gesagt hat, es sei eine "Schizophrenie" und "Scheinheiligkeit", daß evangelische Pfarrerinnen und Pfarrer bei der Ordination auf die Bekenntnisschriften der Kirche aus dem 16. Jahrhundert verpflichtet werden, auf etwas, das sie nach Lüdemann "gar nicht mehr glauben können".

* Herr Hirschler, halten Sie als Bischof der hannoverschen Landeskirche, der größten in Niedersachsen, es für gerechtfertigt, Herrn Lüdemann die Prüfungsberechtigung zu entziehen?

Horst Hirschler: Diese Entscheidung zielt darauf, daß ein klärendes Gespräch stattfinden soll, bevor Herr Lüdemann wieder als Prüfer eingeladen wird.

* Geht es der Kirche denn nur um die Form der Äußerungen von Herrn Lüdemann, also um den Vorwurf der "Schizophrenie" und der "Scheinheiligkeit", oder geht es auch um die Inhalte dessen, was er als Professor lehrt?

Hirschler: Es ist für uns ganz selbstverständlich, daß der Theologe, der forscht und lehrt, auch Waghalsiges denken muß und Dinge ausprobieren und sagen darf, die die Kirche unter Umständen ärgern. Doch es wird schwierig, wenn die Grundlage der Kirche für obsolet erklärt wird, zum Beispiel die Verpflichtung der Pfarrer auf die Heilige Schrift und die Bekenntnisschriften, die mit der Ordination verbunden ist. Ich möchte unterstreichen, daß Dr. Günter Linnenbrink, der Vorsitzende des Prüfungsamtes der niedersächsischen evangelischen Kirchen, gegenüber Herrn Professor Lüdemann ausdrücklich erklärt hat, daß er, "um Mißverständnisse hinsichtlich der Freiheit von Forschung und Lehre gerade auch in der Theologie erst gar nicht aufkommen zu lassen", keinen Anstoß nehmen wolle an Lüdemanns Forschungsmethoden und -ergebnissen. Linnenbrink schrieb ihm: "Anstoß nehme ich nur an Ihrer pauschalen Behauptung von Scheinheiligkeit und Schizophrenie bei der Kirche und Pfarrerschaft, wenn zum Pfarramt ordiniert wird."

* Wenn Professor Lüdemann an seinen Aiffassungen festhält, wird dann die Kirche einen Schritt weitergehen und ihm die kirchliche Lehrerlaubnis entziehen?

Hirschler: Das Problem von Herrn Lüdemann ist, er tut alles, damit er geschlagen wird. Er sagt fortwährend Dinge in der Hoffnung, daß wir uns so verhalten, wie er es gerne hätte, zum Beispiel, daß wir ihn mit einem Verfahren überziehen. Doch wir werden ihm diesen Gefallen nicht tun. Wir tun nur eines, wir laden ihn bis auf weiteres nicht mehr zu unseren Prüfungen ein. Erst muß in einem Gespräch geklärt werden, ob Professor Lüdemann die Unterstellung zurücknimmt, daß die Ordination und die damit verbundene Verpflichtung auf die Heilige Schrift und die Bekenntnisschriften eine objektive Schizophrenie und Scheinheiligkeit ist. Lüdemann will uns ja unterstellen, wir würden die Bibel und die Bekenntnisschriften fundamentalistisch verstehen.

* Haben Sie den Eindruck, daß Lüdemann nur einen Popanz aufbaut, um auf ihn einzuschlagen?

Hirschler: Das kann man so sagen.

* Warum werden Pfarrer des 20. Jahrhunderts nach wie vor auf die Bekenntnisschriften des 16. Jahrhunderts verpflichtet? Es gab ja nicht wenige Theologen, die sagten: Die Heilige Schrift genügt.

Hirschler: Unsere Kirche ist eine Verabredungsgemeinschaft. Was 1530 formuliert wurde, verweist so treffend auf die Heilige Schrift und in ihr auf Christus, daß wir selbstverständlich daran festhalten.

* Ist es noch sinnvoll, das Apostolische Glaubensbekenntnis mit seinen schwierigen Formulierungen Sonntag für Sonntag im Gottesdienst zu beten?

Hirschler: Ja. Ich halte das jedoch nur für sinnvoll, wenn regelmäßig auch über dieses Glaubensbekenntnis gesprochen und gepredigt wird. Vergessen Sie nicht: Es enthält eine Sammlung von Überschriften, gebündelten Glaubenserfahrungen der Menschen. Interpretationen sind unbedingt nötig, um die Inhalte hinter den Formulierungen zu erschließen.

* Die Kirche bekennt, daß Jesus Christus "wahrer Mensch und wahrer Gott" ist. Für Professor Lüdemann ist diese Formel "antiquiert". Brauchen wir denn diese alten Bekenntnisformeln noch, oder sollten sich Theologen nicht darum bemühen, neue Formeln zu entwickeln?

Hirschler: Die Formel "wahrer Mensch und wahrer Gott" ist das bis heute Genialste, was theologisch formuliert wurde. Es muß natürlich interpretiert werden. Das Problem Lüdemanns ist, daß er ein sehr eingeschränktes Verständnis der Wirklichkeit hat. So sagt er, die Bibel sei nicht Gottes Wort, sondern nur Menschenwort. Jeder Theologe lernt doch zu Beginn seines Studiums, daß in der Bibel Gottes Wort als Menschenwort enthalten ist. Wie das zusammengeht, darüber muß man genauso nachdenken wie darüber, daß Gott uns in einer Welt begegnet, die ich mit wissenschaftlichen Methoden untersuchen und berechnen kann.

* Befürchten Sie denn, daß Lüdemanns radikale Bibelkritik, wenn sie öffentlich geäußert wird, der Kirche schadet?

Hirschler: Das ist keine radikale Bibelkritik. Vieles, was Lüdemann sagt, verbreite ich bei jeder passenden Gelegenheit - und zwar als Bischof. Es sieht doch zum Beispiel jeder, daß die beiden Schöpfungsgeschichten am Anfang der Bibel sich widersprechen. Das Interessante aber ist doch, daß Gott gerade durch solche widersprüchlichen Geschichten zu uns spricht. Das begreift Lüdemann nicht.

* Gerhard Lüdemann hält es für verhängnisvoll, daß die blutrünstige "Offenbarung des Johannes" bis heute Teil des Neuen Testaments ist, und zwar, weil sie die Ängste der Menschen anheizt und weil sie die Sekten bedient. Ist es erlaubt, die Bibel je nach den psychologischen und seelsorgerlichen Bedürfnissen der Menschen von Zeit zu Zeit zu überarbeiten?

Hirschler: Die Bilder müssen nicht redigiert, sondern interpretiert werden. Dieses biblische Buch besagt ja, daß unter all den Schrecken der Welt stets der geheime Wille Gottes gegenwärtig bleibt. Deshalb ist dieses Buch in Verfolgungszeiten immer eine Hilfe gewesen. Wenn es jedoch benutzt wird, wie ich höre, angesichts der Jahrtausendwende Weltuntergangsängste zu erzeugen, ist das mittelmäßiger Schwachsinn.

* An welchen Aussagen Lüdemanns nehmen Sie besonders Anstoß?

Hirschler: Lüdemanns Wirklichkeitsverständnis endet, bildlich gesprochen, beim Spatenstich, bei den Grabungsarbeiten. Was er nicht auszugraben vermag, existiert für ihn nicht. Seine exegetischen Forschungsergebnisse sind zum Teil sehr wissenswert, doch taugen sie nicht als Maßstab für eine sachgemäße Interpretation. Die biblischen Texte müssen doch hauptsächlich daraufhin befragt werden, was sie für die Existenzerfahrungen des Menschen bedeuten sollen. Das fällt bei Lüdemann faktisch weg.

* Haben Sie ein Beispiel?

Hirschler: Nehmen Sie seinen Satz: "Die Jungfrauengeburt hat nachweislich nicht stattgefunden!" Wenn das alles ist, dann wird überhaupt nicht deutlich, daß die Glaubenden mit solch einer Erzählung das Geheimnis aufzuzeigen versuchen, daß sie diesen Jesus einerseits als wirklichen Menschen und zugleich als Wort Gottes in Person erfahren haben.

* Im Konflikt um Lüdemann wird auch ein Sprachproblem der Theologen deutlich. Die Frage ist: Wie vermitteln wir heute Glaubenserfahrungen von gestern? Sollte die Kirche die Theologen nicht vielmehr zu neuen Übersetzungsversuchen motivieren, statt sie zurückzupfeifen?

Hirschler: Wir pfeifen Lüdemann nicht zurück, sondern wollen mit ihm sprechen, bevor wir ihn wieder zu Prüfungen einladen können. Richtig ist: Wenn Theologen nicht waghalsig dächten, hätte ich Sorge um unsere Kirche. Wir müssen immer wieder neu erproben, wie man richtig von Christus spricht. Genau deshalb wäre ich froh, wenn Lüdemann häufiger den Versuch unternähme, über den Christus seines Glaubens zu sprechen. Übrigens halte ich die Kirche heute nicht für sprachlos - wir können sicher manches besser machen. Das Hauptübel ist jedoch, daß wir fast nur eine Sprache für das Machen haben. Die Frage nach Gott, nach dem Geheimnis unseres Lebens, hat in unserer Gesellschaft kein Gewicht.

* Lüdemann sieht sich selbst als einen radikal historisch denkenden Menschen. Zum Teil erwecken seine Aussagen aber den gegenteiligen Eindruck: Geschichte wird als Last gesehen. Was meinen Sie: Ist die Kirche in ihrer eigenen Geschichte und Tradition gefangen? Schleppen wir zu viel historisches Gepäck mit uns herum?

Hirschler: Nein. Luther hat zum Beispiel eindrucksvoll versucht, mit der Bibel "gleichzeitig" zu werden. Dementsprechend ist unsere Aufgabe heute, uns hineinzuversetzen in das, was die frühen Christen mit dem predigenden, gekreuzigten, ihnen als lebendig vor Augen gestellten Jesus erfahren haben. Mit Lüdemann muß im Gespräch geklärt werden: Hat er überhaupt das richtige Instrumentarium, um die religiösen Inhalte zu erreichen, die über das "Zersägbare" der historischen Ereignisse hinausgehen? Bislang sehe ich nur: Lüdemann ist ein Historiker mit eingeschränktem Wirklichkeitsverständnis. Er vertritt eine platte Aufklärungstheologie. Er hat die letzten 70 Jahre Theologie nicht zur Kenntnis genommen, soweit sie die Verknüpfung und Gegenüberstellung des historischen Jesus und des verkündigten Christus betreffen. Darüber habe ich mit ihm schon ausführlich gesprochen. Das wird wieder geschehen müssen.

* Lüdemann behauptet ja, die Theologie sei keine kirchliche, sondern eine freie Wissenschaft, sie sei nur der Wahrheit verpflichtet, sie "kann überhaupt kein Resultat voraussetzen". Wie sehen Sie das? Gibt es eine Theologie ohne Bezug zum Glauben?

Hirschler: Nein. Sonst verliert die Theologie ihren Realitätsgrund. Wer Theologie lehrt, versucht, in kritischer Reflexion die christliche Wahrheit verständlich zu machen. Theologie ist etwas anderes als Religionswissenschaft.

Die Fragen stellten Eduard Kopp und Jürgen Wandel

Wenn Sie mehr erfahren wollen, DS - Das Sonntagsblatt - Nr. 8

MNDesign 23. Februar 1995


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Letzte Aktualisierung am 22. April 2020
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