Exkursion nach Okinawa im März 2012, ausgehend von einem »FoLL-Projekt«: Forschungsorientiertes Lehren und Lernen unter der Leitung von Prof. Dr. Birgit Abels

 

Tradition im Spannungsfeld China-Japan-USA: Die identitätsstiftende Funktion von Sanshinmusik auf den Ryukyu-Inseln

 

»Zur Stärkung der nationalen Einheit müssen die regionalen Eigenheiten Okinawas vollständig getilgt werden.“ – Fuchigami Fusatarō, Gouverneur der japanischen Präfektur Okinawa im Jahre 1940

 

Diese drastische Forderung, die vor dem Hintergrund des japanischen Imperialismus verstanden werden muss, führt im Zusammenhang mit der komplexen, von verschiedenen Kulturen beeinflussten historischen Entwicklung der Ryukyu-Inseln zu den Fragen, inwiefern bei den kulturellen Gruppierungen Okinawas spezifisch okinawaische kulturelle Identitäten verhandelt werden und welche Rolle die traditionelle Kultur, hier insbesondere die Musik, Okinawas dabei spielt(e).

Aufgrund seiner geographischen Lage war Okinawa bis ins 21. Jahrhundert hinein für verschiedene regionale und überregionale Mächte von geostrategischem Interesse. Die Ryukyu-Inseln, die heute die japanische Präfektur Okinawa bilden, wurden 1429 durch die Sho-Dynastie zum Königreich Ryukyu zusammengeschlossen.

In der Folgezeit erfuhr die Inselgruppe einen wirtschaftlichen Aufschwung durch Handel mit China, Japan, Korea und Südostasien, der auch positive Auswirkungen auf das kulturelle Leben des Königreichs hatte. Die geographische Lage zwischen den Großmächten China und Japan stellte sich jedoch als schwierig dar. 1609 überfielen und besetzten Truppen aus Satsuma (heute Kagoshima) die Inseln. Das Königreich bestand aber, abhängig von Satsuma, weiter, die kulturellen Aktivitäten litten hierunter jedoch nicht – im Gegenteil.

Als Japan im Zuge der Meiji- Restauration im späten 19. Jahrhundert ein auf koloniale Expansion ausgelegter Militärstaat wurde, wurde die kulturelle Assimilationspolitik Japans neben Taiwan und Korea auch auf die Ryukyu-Inseln angewendet. Nach der Schlacht um Okinawa 1945, bei der über 250.000 japanische Soldaten und Einwohner ums Leben kamen, stand Okinawa zu großen Teilen unter der Verwaltung der Vereinigten Staaten von Amerika; 1972 schließlich wurden die Ryukyu-Inseln wieder an Japan angegliedert.

Die Musik der Ryukyu-Inseln wurde stark von den mit den skizzierten politischen Entwicklungen einhergehenden Migrationswellen beeinflusst. Insbesondere chinesische Zuwanderer, die sowohl ihr Instrumentarium als auch musikalische Traditionen auf die Inseln brachten, spielten hier eine erhebliche Rolle. Die frühesten Zeugnisse einer Musikausübung gehen auf chinesische Chroniken des 6. Jahrhunderts zurück, die Tradition okinawaischer Kunstmusik ist ab dem späten 14. Jahrhundert belegbar. Während der zahlreichen politischen Veränderungen im 15. Jahrhundert entstand auf Okinawa eine Hofmusik. Hier trat die Sanshin in den Mittelpunkt, eine dreisaitige Spießhalslaute, die mit der japanischen Shamisen und dem chinesischen Sanxian eng verwandt ist und die klassische Musik Okinawas bis heute vollständig durchdringt. Ihre zentrale Rolle in der Musikkultur Okinawas lässt uns danach fragen, auf welche Weise dieses Instrument eine identitätsstiftende Funktion ausübt und welche Rolle es in den komplexen Prozessen der Verhandlung kultureller Identität(en) Okinawas spielt.

Für die für die Beantwortung dieser Fragen notwendige Analyse der Sanshin-Musik bedarf es zunächst einer historisch-kritischen Kontextualisierung zentraler kulturpolitischer Geschehnisse in Okinawa seit dem Zweiten Weltkrieg. Hierzu gehören

  • die Renaissance der Volksmusik auf Okinawa nach dem Zweiten Weltkrieg unter der Besatzung der USA und der Einfluss amerikanischer Kulturpolitik auf diese Entwicklung; sowie
  • die musikalisch-kulturellen Entwicklungen seit dem Jahr 1972, in dem die Rückgabe Okinawas an Japan erfolgte.

In diesem Zusammenhang wird uns die Frage beschäftigen, ob und inwiefern sich Veränderungen in der Musikausübung und Kulturpolitik ergeben haben. Die vorhandene Literatur über die Sanshin-Musik ist zumeist entweder US-amerikanischer oder japanischer Provenienz und mitunter politisch gefärbt. Durch die Erhebung eigener Feldforschungsdaten erwarten wir, diese Literatur an entscheidenden Stellen kritisch hinterfragen zu können.

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