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KARL IMMERMANN

DE LA PEINTURE EN ALLEMAGNE AU XIXE SIÈCLE (1833)

(Deutsche Übersetzung von Ansgard Danders, herausgegeben von Henrik Karge)

Editorische Vorbemerkung:

Da der Originaltext Immermanns, der dem in der französischen Zeitschrift L’Europe Littéraire erschienenen Essay zugrundegelegen hatte, verschollen ist, kann er durch eine Rückübersetzung ins Deutsche nicht vollständig wiederhergestellt werden. Zu den Unschärfen, die die ursprüngliche Übertragung ins Französische mit sich gebracht hat, gesellen sich bei einer aktuellen Rückübersetzung notwendigerweise weitere Transformationsverluste. Aus diesem Grunde hat sich die Übersetzerin, unterstützt vom Herausgeber, für eine relativ freie Übertragung des Textes entschieden, die vor allem darauf zielt, die Aussage des Autors möglichst präzise und sprachlich differenziert wiederzugeben. Trotz aller Einschränkungen wird dieses bislang so gut wie unbekannte Werk Immermanns so wieder in seiner literarischen und kunstwissenschaftlichen Qualität faßbar, und zwar in einer lebendigeren Weise, als es die französische Druckfassung zu vermitteln vermag.

Der Herausgeber


KARL IMMERMANN

ÜBER DIE DEUTSCHE MALEREI IM 19. JAHRHUNDERTS

(Erster Artikel.)

I.

Lessing, Winckelmann, Mengs.

Im 18. Jahrhundert war die Kunst in Deutschland ebenso tief gesunken wie in den anderen Ländern. Schon seit langem hatte man sich von der Quelle des reinen und wahrhaftigen Schaffens entfernt und richtete sein Bestreben entweder auf die sklavische Nachahmung einiger roher und grober Eigentümlichkeiten, die man in der Natur vorfand, oder auf eine süßliche Eleganz, die leer und charakterlos einherkam. Deutlich sichtbar werden diese zwei Irrwege in dem Genre, das sich sonst durch eine gewisse Beständigkeit auszeichnet, nämlich im Porträt. Betrachtet man die Porträts dieser Epoche, einschließlich derjenigen von Künstlern, die damals zu großem, wenn auch vergänglichem Ruhm gelangten, so erstaunt man über den Grad der Verkümmerung der Talente, die im übrigen durchaus vorhanden waren. In diesen Porträts wird das Charakteristische wie durch einen glänzenden Überzug erstickt, der Elfenbein und Alabaster an die Stelle von Fleisch und Leben setzt. Oder man will der Natur habhaft werden, indem man Sommersprossen und widerspenstig gesträubte Haare malt. Die erste Art der Verfehlung ist jedoch die häufigere.

In der Geschichte des menschlichen Geistes der modernen Zeiten läßt sich oft feststellen, daß es in Phasen des Verfalls nicht die schaffenden Kräfte sind, die eine Wende zum Besseren vorbereiten. Das Verlangen nach Veränderung geht im allgemeinen deren Durchsetzung voraus, und so offenbart sich zuerst in den Reflexionen der spekulativen Naturen eine Vorstellung dessen, was das Talent nach Meinung der geistigen Elite erschaffen müßte. Vielleicht besteht der wesentliche Unterschied zwischen der alten und der modernen Kunst darin, daß man die erstere als unvorhergesehen, und die zweite als vorhergesehen charakterisieren kann, was besagt, daß die alte Kunst gefordert wurde, weil sie schon geschaffen war, während die moderne Kunst geschaffen wurde, weil man sie gefordert hatte.

Diese These hat sich auch hinsichtlich unseres Themas durch die Erfahrung bestätigt. Lange bevor ein herausragender Meister erschien, der den Fortschritt realisierte, hatten alle gebildeten Deutschen diesen Fortschritt schon gefordert. Gedanken über allgemeine Wege der Verbesserung fanden sich in den Schriften jener Geister, die immer die Wünsche ihrer Epoche aufs Ausführlichste und Vollständigste zum Ausdruck bringen. Aber diese Vorstellungen unterlagen dem gleichen Schicksal wie alle durch den Verstand hervorgebrachten Gedankenkombinationen. Sobald ein Gegenstand aus dem Nebel hervorzutreten beginnt, sei es am Meer oder im Gebirge, so zeichnet er sich vorerst nur verdreht oder mit verzerrten Konturen ab, auf jeden Fall erscheint er in falschem Licht, was auch immer die Ursache dafür sei.

Lessing und Winckelmann haben tatkräftig dazu beigetragen, die Deutschen zugunsten der Kunst aus ihrer Lethargie zu erwecken. Insbesondere diese beiden Autoren haben wir mit unseren Betrachtungen ins Auge gefaßt. Lessing zeigt die Grenzen zwischen Malerei und Poesie auf, er veranschaulicht die Natur der ersteren, legt dar, wo der Maler sich der seiner Kunst eigentümlichen Vorteile bemächtigen sollte, was er zu tun und was er lieber zu unterlassen habe. Er lenkt die Aufmerksamkeit auf mannigfaltige Einzelheiten der Kunst. Winckelmann genießt die Kunst wie es sonst nur den Griechen zustand; mit einer bisher ungekannten Intensität offenbart seine Schwärmerei die Neigung des ganzen Jahrhunderts. Aber wenn man beiden die Frage stellte, wo der lebende Künstler sein Heil zu suchen habe, würde ihre direkte oder indirekte Antwort lauten: "In der Antike". Das bedeutet, daß das in den antiken Statuen erkenntliche Streben nach einem abstrakten Ideal den Rang eines allgemeingültigen Symbols eingenommen hatte. Selbst Goethe blieb ein halbes Jahrhundert lang diesen Ansichten verbunden und bekräftigte sie sowohl in den theoretischen Schriften als auch in der Praxis.

Der einzige Künstler, der als Zeitgenosse dieser Männer noch erwähnenswert scheint, ist Raphael Mengs. Er wurde 1728 in einer Familie dänischer Herkunft geboren und starb im Jahre 1779. Man nannte ihn zu seiner Zeit den philosophischen Maler. Welch seltsame Auszeichnung! Man verglich ihn mit Raffael und ersparte es ihm nicht, alle Ähnlichkeiten aufzuzeigen. Es läßt sich nicht leugnen, daß Mengs, ein intelligenter und scharfsinniger Mann, erfüllt war von jener idealisierenden Neigung zur Antike, die er durch elegante Formen und grazile, gefällige Gruppierungen zu bekunden suchte. Um dieses Ziel zu erreichen, schien ihm eine eklektische Vorgehensweise angebracht, er ahmte insbesondere Raffael nach, versuchte, von den Fertigkeiten der Carracci oder eines Guido Reni zu profitieren, und warf sogar einige verstohlenen Blicke auf die prächtigen Farben von Correggio. Er hatte tiefgründiger als seine Mitbrüder Besonderheiten und äußere Erscheinungsformen der Natur studiert, nur fehlte seinen Bildern wie den ihrigen die entscheidende Bedingung: die Seele.

Diese Neigung zur Antike trug in sich den Nachteil, daß, anstatt sich von einem ursprünglichen Gefühl inspirieren zu lassen, die Impulse überwiegend in schon existierenden Kunstwerken gesucht wurden, und daß die durch dieses Verfahren entstehenden Werke niemals mehr als ein geliehenes Leben aus zweiter Hand beinhalten konnten. Zudem ist zu bedenken, daß die Antike keine Malerei von herausragender Bedeutung hervorgebracht hatte, so daß als Bezugspunkt die Statuen dienten, was dazu führte, daß die Malerei sich an einem Prinzip orientierte, das ihr an sich gänzlich fremd ist.

Trotz aller Mißverständnisse begünstigte die Neigung zur Antike das Reifen kostbarer Früchte, allerdings auf indirekte Weise. Sie führte in eine Welt der vollständigen, in sich geschlossenen Kunst, in der man alsbald erkennen mußte, daß diese Kunst weder durch Nachahmung noch durch Anpassung entstanden war, sondern daß sie sich aus den Tiefen des kreativen Geistes nach eigenen Gesetzen den Weg zum Licht gebahnt hatte. Notwendigerweise mußten die Künstler, nachdem die erste oberflächliche Illusion sich verflüchtigt hatte, ihre Aufmerksamkeit dem Bereich zuwenden, der in jeder Kunst die entscheidende Bedingung ist, so daß der Weg zur Wahrheit in dem Moment gefunden wurde, in dem das schaffende Talent sich diese Perspektive zu eigen gemacht hatte. Die anfänglichen Mißverständnisse trugen letztlich erheblich zu dem Aufschwung bei, den nachzuzeichnen wir uns vorgenommen haben.

II.

Vorläufer der modernen Tendenz: Carstens und Schick.

Das wahrhafte Kunstwerk entsteht aus der Inspiration. Diese läßt sich ebensowenig definieren wie Blitz, Wärme oder Licht. Aber man kann sie daran erkennen, daß eine Idee des darzustellenden Gegenstandes aus den Tiefen der Seele emporsteigt und dem Künstler einen Impuls verleiht. Die Idee wird ohne Mutter, ohne Vorfahren geboren, wie Pallas bewaffnet dem Haupt des Jupiter entsteigt. Um diese geistige Vorstellung, diese Idee umzusetzen, stehen dem Künstler alle äußeren Mittel zur Verfügung. Er kann, ja muß sogar Studien an der Gliederpuppe, am Modell und am Faltenwurf von Stoffen betreiben, er sollte sich all dessen bedienen, was sich seinen Sinnen darbietet; es ist ihm sogar erlaubt, auf Werke anderer Meister zurückzugreifen. Aber all dies sind nur Mittel, um die Idee zu verdinglichen, die schon vor der Verwendung dieser Mittel seine Seele erfüllt hatte.

Wir kommen nun zu zwei Künstlern, auf die sich diese Betrachtungen anwenden lassen. Beide hatten eine große Vorliebe für antike Themen, beide zogen großen Nutzen aus ihren Studien des Altertums, doch bewahrten sich beide einen freien Geist, da in ihnen die Funken der Erfindungsgabe und eines originären Genies leuchteten. Sprechen wir also von Carstens und Schick.

Carstens wurde 1750 im Herzogtum Schleswig geboren. Die erste Regung seiner Berufung fühlte er in den Kunstsammlungen von Kopenhagen, und durch sein Gemälde Der Tod des Aischylos wurde er schon sehr jung bekannt. Aber ihm fehlten die für sein Talent notwendigen Ermutigungen, und erst im Alter von achtunddreißig Jahren konnte er sich den Wunsch erfüllen, Rom zu sehen. Die schönsten Jahre seines Lebens waren inmitten von Unruhe, Unsicherheit und aufgenötigten Beschäftigungen vergangen. Diese widrigen Verhältnisse verhinderten großenteils die vollständige Entfaltung seines Talents. Carstens war ein großes Genie, ein wahrer Dichter der Figuren, da er seinen natürlichen Veranlagungen zufolge aber eher plastischer Künstler als Maler war und da sich die Umstände seiner Ausbildung als ungünstig erwiesen, hinterließ er mehr Skizzen als vollendete Werke. Seine Bildkompositionen, größtenteils der Mythologie entliehen, erinnern an die künstlerischen Konzeptionen Michelangelos, allerdings mit dem Unterschied, daß Carstens, dem ganz der Reflexion verschriebenen Geist seines Jahrhunderts folgend, einen deutlichen Hang zur Allegorie erkennen ließ. Zweifellos wäre er ein großer Freskomaler geworden, aber durch die Umstände, die das Schicksal für ihn vorgesehen hatte, besteht sein Hauptwerk aus einer Serie kolorierter Zeichnungen, von denen am erwähnenswertesten sind: Phaedons Gastmahl, Charons Barke, Die Reise der Argonauten (Joseph Koch hat nach diesem Bild eine Radierung angefertigt), Die Parzen, Die Schlacht der Titanen, Perseus und Andromeda. Alle diese Arbeiten zeugen von einer außerordentlichen Einbildungskraft und bergen in sich Ideen besonderer Art. Sie sind vergleichbar mit gewissen Kindern, die uns manchmal im realen Leben durch ausgeprägte Gesichtszüge und tiefgründigen Ausdruck auffallen und deren Anblick uns mit seltsamem Mitleid erfüllt, da man ihnen ansieht, daß das Schicksal ihnen nicht bestimmt hat, bis zur vollständigen Entfaltung heranzureifen.

Die Kompositionen von Carstens wurden oft kopiert, die Originale befinden sich in der Bibliothek von Weimar. Er starb im Jahre 1798 in Rom. Jeder Fremde, der Deutschland bereist und die Entwicklung unserer modernen Kunst kennenlernen will, darf nicht versäumen, sich diese Zeichnungen zeigen zu lassen.

Gottlieb Schick, 1779 in Württemberg geboren, hatte in den Gefilden der Kunst einen kurzen, aber unvergeßlichen Auftritt. Er hatte in Paris unter David studiert, doch er verließ diesen Meister, dessen Übertriebenheit und Kälte ihm auf Dauer nicht zusagen konnten, und ging 1804 nach Rom. Die Natur hatte ihn mit der Gabe einer brillanten und liebenswürdigen Phantasie ausgestattet, und er hatte dank seines Meisters eine solide und geschickte Kunstfertigkeit entwickelt, die diesen Meister unbestreitbar verriet. In einem kurzen Zeitraum von nur fünf Jahren entstanden drei große historische Gemälde, David und Saul, Abrahams Opfer und Apoll unter den Hirten, mehrere ausgezeichnete Porträts, darunter das klassische Bild Die Familie von Humboldt, und viele weitere hervorragende Arbeiten. In seiner Art, die antiken Themen zu bearbeiten, näherte er sich der Kunstauffassung Raffaels; die christlichen Sujets lagen ihm weniger. Er kehrte krank in seine Heimat zurück und starb, noch ehe er sein dreißigstes Jahr vollendet hatte.

In gewisser Weise sind Carstens und Schick zu Märtyrern ihres Eifers geworden. Ihnen war das gleiche Schicksal beschieden wie all denjenigen, die eine neue Saite anklingen lassen: sie lebten nicht bis zum Tag der Vollendung und des Glücks. Durch die folgende Begebenheit werden die falschen Vorstellungen ihrer Epoche sehr treffend charakterisiert: Ein deutscher Prinz, der Herzog von G***, wollte ein Porträt in ganzer Figur von sich anfertigen lassen. Man schlug Schick für diese Arbeit vor, aber der Prinz entschied, daß man von Camuccini die Idee und die Anordnung erbitten würde und daß Schick lediglich zur Ausführung herangezogen werde. Denn es herrschte damals in vornehmen Kreisen die Überzeugung, daß die Deutschen es zwar verständen, ein Gemälde geduldig und sorgfältig auszuführen, daß ihre Vorstellungskraft aber zu schwerfällig für die Komposition sei.

Indessen bahnten sich doch nach und nach bessere Auffassungen den Weg. Man wurde langsam der unfruchtbaren Vorliebe für antiken Marmor, der akademischen Gliederpuppen und der wundersamen Situationen überdrüssig. Es wurde begonnen, die großen Werke des Mittelalters zu studieren, man betrachtete mit Aufmerksamkeit die Vorläufer Raffaels, später auch die Schulen von Gent und Brügge, und schließlich drängte sich der Verdacht auf, daß die gotische Architektur nicht einfach nur als Zeichen des Verfalls des guten Geschmacks zu betrachten sei, sondern daß auch sie eine Ausdrucksform der Kunst darstelle, die sich neben den antiken Friesen und Architraven durchaus sehen lassen könne.

Als augenfälligstes Zeugnis dieses aufkeimenden Sinnenwandels dünkt uns ein Buch, das 1797 erschien. Seine Autoren waren Ludwig Tieck und Wackenroder, und es trug den Titel: Herzensergießungen eines kunstliebenden Klosterbruders. Die Autoren ließen erkennen, was in allen Bereichen der Kunst fehlte, nämlich Liebe, Enthusiasmus, Glaube an die Wahrheit des Themas und religiöse Inbrunst. Ihre Gegner klagten dieses Buch aufs heftigste der Ketzerei an, man unterstellte ihm alle Übel, von denen nach Meinung der Vertreter des alten Systems die Kunst heimgesucht wurde, gleichwohl hatte es diese bitteren und hitzigen Beschuldigungen nicht recht verdient. Viele von denen, die dieses Buch hätte verführen können, haben es niemals gelesen. In Wahrheit sind Buch und Künstler erschienen, weil ihre Zeit gekommen war. Das Buch und die Künstler haben sich zu Exzessen hinreißen lassen, aber es waren Exzesse der Sensibilität, des Temperaments, des Enthusiasmus, die dem Moment der männlichen Kraft vorausgehen müssen.

III.

Künstlerleben in Rom – Die Villa Massimi – Die Casa Bartholdy – Ausstellung im Palazzo Caffarelli – Overbeck, Cornelius, Schadow, Schnorr, Vogel, Hess, ihre Freunde und Nachfolger.

Im Jahre 1809 traf über die Alpen in Deutschland die Nachricht ein, daß es in Rom eine gewisse Anzahl junger deutscher Künstler gebe, die lange Bärte, Baretts und mittelalterliche Gewänder trügen und die von der protestantischen Konfession zum katholischen Glauben übergewechselt seien. Diese Künstler, so hieß es, versammelten sich im Caffè Greco, um mystische Reden zu halten und öffentlich zu verkünden, daß die wahre Kunst mit Giotto ihr Dasein aufgegeben hätte, und daß, wolle man sie wiederbeleben, Bilder in ältester Manier gemalt werden müßten.

Kurze Zeit später war eine mächtige Bewegung am deutschen Götterhimmel zu beobachten, in Prosa und Versen fochten die Federn gegen den Verfall der Kunst, deren Untergang man sehr nahe wähnte. Goethe rief dazu auf, sich vor dem Abirren in den Altersschimmel und in die Goldgründe zu hüten, und alle Welt schien sich im Bannfluch gegen diese Abtrünnigen zu vereinen. Die jungen Leute, von denen hier die Rede ist, wurden sogar für die Italiener zur Zielscheibe des Spottes. Man nannte sie die Nazarener. In anderen Versionen erschienen sie als verkleidete Freimaurer oder Schlimmeres.

Statt sich in moralischen und dogmatischen Anschuldigungen zu ergehen oder die Kleidung zu kritisieren, wäre es vorerst klüger gewesen, die künstlerische Ausrichtung dieser verspotteten Männer unvoreingenommen zu prüfen. Die Zeit der Leidenschaft ist jetzt weit von uns entfernt, und so können wir über das, was diese Männer wollten und schufen, ein unabhängiges Urteil fällen. Wir stellen also fest, daß nach mehreren ankündigenden Symptomen sich im Bewußtsein einiger zeitgenössischer Künstler das Bedürfnis eines Bruches regte. Diese Männer erkannten in der Tiefe ihres Empfindungsvermögens die der Kunst eigentümlichen Bedingungen. Sie fühlten, daß weder die Nachahmung von Werken eines fremden Systems noch die Abbildung einiger äußerlicher Besonderheiten ein Kunstwerk wirklich mit Leben erfüllen konnten. Sie wollten und konnten nichts anderes malen als den Gedanken ihrer Seele, einen Gedanken, an den ihr Geist sich mit aller Kraft klammerte. Zugleich war ein Großteil der jungen Leute von einer sehr ausgeprägten Neigung zur Religion durchdrungen, und da sie fast alle aus dem Norden Deutschlands stammten und somit einer Konfession angehörten, deren Formen, damals ziemlich ausdruckslos, in keiner Weise den Bedürfnissen entsprachen, die im Laufe der Zeit in ihnen erwachten, so fühlten sie sich gezwungen, ihrem Glauben abzuschwören, wenn sie ihren Gefühlen treu bleiben wollten.

Auf jene Umstände sind die Vorzüge und Verfehlungen dieser Künstler zurückzuführen. Sie befanden sich gewissermaßen in der Lage jener Meister, von denen die ersten Versuche der modernen Kunst stammen, wenn ihre Position nicht gar noch schlimmer war. Während die alten Meister auf nichts zurückblicken konnten, so stand hinter den modernen Künstlern weniger als ein Nichts, nämlich eine zerrüttete, entkräftete Vergangenheit ohne Kultur. Selbst die Gegenwart, eine dürre Zeit ohne Charakter und voll religiöser Gleichgültigkeit, konnte ihnen keine Zuflucht bieten. Daher war es natürlich, daß sie sich den Bereichen zuwandten, die am reichhaltigsten die Elemente enthielten, die ihre Epoche ihnen verweigerte. Aus dieser Situation heraus, und nicht aus scheinheiliger Berechnung oder einer Art Koketterie, wurden sie von der Liebe zu den ältesten Kunstwerken, zu Formen und Gestalten des frühesten Mittelalters erfaßt. Zweifelsohne hat sich auch in manchen schwachen Arbeiten dieser Zeit das Fehlen eines wirklichen Talents als Nachahmung zerknitterter Stoffe und unproportional gezeichneter Gliedmaßen verkleidet. Unser Ziel ist es keineswegs, die Schwächen zu verteidigen, die sich gewöhnlich an jede neue Kunstrichtung klammern. Wir wollen lediglich jene Künstler ins rechte Licht rücken, die entschiedenen – und unserer Meinung nach heilsamen – Einfluß auf ihre jüngeren Zeitgenossen ausübten. Wir werden uns mit Overbeck, Cornelius, Schadow, Schnorr, Veit und Hess befassen. Zu diesen Männern gesellen sich, durch Ansichten und Ausrichtung ihrer Bemühungen verbunden, Vogel, Begasse und Wach.

Die neue Schule wurde vor allem durch drei Ansammlungen von Arbeiten [in Rom] bekannt: durch die Freskobilder der Casa Bartholdy, durch jene der Villa Massimi und durch die Ausstellung im Palazzo Caffarelli.

Der preußische Generalkonsul Bartholdy ließ einen Saal seines Hauses mit Freskobildern ausschmücken, die Szenen aus der Geschichte Josephs darstellen. An den Arbeiten, die im Jahre 1814 begannen und 1817 beendet wurden, waren Cornelius, Veit, Schadow und Overbeck beteiligt. Der Marchese Massimi veranlaßte im Jahre 1819, daß seine Villa am Stadttor bei San Giovanni in Laterano mit Freskobildern verschönert werde, deren Motive den Werken von Dante, Ariost und Tasso entnommen werden sollten. Ein Saal und zwei Zimmer wurden auf diese Weise ausgeschmückt. Overbeck, Cornelius, Schnorr, Veit und Koch führten die Arbeiten aus.

Die Gemäldeausstellung im Palazzo Caffarelli fand im Jahre 1818 statt.

Im Folgenden wollen wir kurz auf die besonderen Umstände der einzelnen Künstler und auf ihre Werke eingehen.

Overbeck wurde in Lübeck geboren und kam 1809 nach Rom. Er hatte zusammen mit Vogel aus Zürich und Pforr aus Frankfurt an der Wiener Akademie studiert. Alle drei wurden entlassen, weil sie ihre Modellstudien nicht den von den Professoren vorgeschriebenen Verfahrensweisen anpassen wollten. Bis auf eine Reise nach Deutschland im Jahre 1831 hat Overbeck Italien dann niemals mehr verlassen. Er widmete sein Talent fast ausschließlich der Darstellung christlichkatholischer Themen. Sein Schaffensprozeß war von vollkommener Konzentration und Isolation gekennzeichnet. Die herausragenden Charakterzüge dieses achtbaren Mannes sind eine tiefe, zur Askese neigende Frömmigkeit, eine zarte Inbrunst in der Auffassung der Sujets und ein Geist, der sich reichhaltiger und origineller im Entwurf als in der Ausführung offenbart. So sind oft seine ersten Striche die wichtigsten, und die Komposition verliert hernach das, was sie durch Formgebung und Farbe eigentlich gewinnen müßte. Dieses Versagen ist im wesentlichen der Abwesenheit einer tiefgründigen Naturbeobachtung zuzuschreiben. Später hat Overbeck, im Einklang mit seiner asketischen Grundhaltung, an diesem Fehler eher absichtlich festgehalten, als daß er versucht hätte, ihn zu überwinden.

Overbeck arbeitete anfangs mit seinen beiden Schicksalsgenossen aus Wien im ehemaligen Kloster San Isidoro, in einer kleinen Zelle malte jeder ein Bild nach seinen eigenen Vorstellungen. Unter ähnlichen Umständen entstand Overbecks Christi Einzug in Jerusalem, ein Gemälde von bewundernswerter Gefühlsintensität, das den Künstler berühmt machte. Dieses Werk befindet sich heute in Lübeck. Anschließend malte er die Anbetung der Könige für die Königin von Bayern, und für seinen Freund Vogel Christus bei Martha und Maria. Stil und Komposition dieser Gemälde sind vortrefflich, so daß die Mängel des Kolorits weitestgehend ausgeglichen werden. Diese Schwächen sind noch weniger spürbar in den Freskobildern des Künstlers. Er hat in Bartholdys Saal die Allegorie Die sieben mageren Jahre und Der Verkauf Josephs gemalt, und in der Villa Massimi die Szenen aus dem befreiten Jerusalem.

Für die Kirche Santa Maria degli Angeli, die sich zwischen Foligno und Perugia befindet, hat Overbeck ein bewundernswertes Freskobild gemalt, die Vision des heiligen Franz von Assisi. Dieses Gemälde ist der Höhepunkt seines Schöpfertums und gehört ohne Zweifel zu den unsterblichen Monumenten der Kunst unserer Epoche.

Overbeck hat außerdem eine Menge Zeichnungen angefertigt, die von den schönsten Ideen zeugen. Wir kennen von ihm kein Porträt. Er bleibt in seinem Schaffen weiterhin vollkommen isoliert, so daß er keinen Schüler von noch so geringer Bedeutung hinterlassen hat.

Die Gesellschaft der aus Wien Verbannten löste sich nach einiger Zeit auf. Pforr starb im Jahre 1812, Vogel kehrte nach Deutschland zurück, und Overbeck wäre ganz allein geblieben, wenn nicht Cornelius und Schadow nach Rom gekommen wären. Diese schlossen unter sich ein enges Bündnis. Anfangs gehörte der spirituelle Rinzenhausen noch dazu, aber er trennte sich bald von ihnen, und sicher ging er dabei verloren.


KARL IMMERMANN.

ÜBER DIE DEUTSCHE MALEREI IM 19. JAHRHUNDERT.

(Zweiter Artikel.)

Peter Cornelius aus Düsseldorf gehört zu jenen Künstlern, die der deutschen Kunst zur größten Ehre gereichten. In seiner Jugend erlitt er Entbehrungen und Verfolgungen. In seiner Heimat war er gezwungen, die schäbigsten Arbeiten anzunehmen, um überleben zu können. Da er am Rhein von einer Stadt zur anderen zog, ist es möglich, daß die Überreste der byzantinischen Kunst und der alten Kölner Malerschule ihn inspiriert hatten, zumindest findet man in all seinen Werken Anklänge, die derlei Eindruck bestätigen. In Deutschland hatte er schon eine Bilderserie zu Goethes Faust gemalt, die ihm den Ruf eines bemerkenswerten Geistes einbrachte. In Rom fertigte er zuerst eine Folge von Szenen aus dem Nibelungenlied an. Diese zwei Werkgruppen zeugen von einem sehr originellen, höchst phantasievollen und manchmal absonderlichen Geist. Nach Abschluß dieser Arbeiten erhielt er die Aufträge für die Casa Bartholdy. Er malte hier Josephs Deutung der Pharaonenträume, und Joseph gibt sich seinen Brüdern zu erkennen. Dieses letztgenannte Gemälde zeichnet sich insofern aus, als daß es sich stilistisch deutlich von seinen anderen Arbeiten unterscheidet. Sollten wir über Cornelius in einer Geschichte der Kunst sprechen, die den Anspruch auf umfassendste Schlußfolgerungen und anspruchsvollste Betrachtungsweise erheben würde, so gäben wir ihm kaum einen anderen Namen als den eines grandiosen Manieristen. Cornelius versteht es, die zu behandelnden Themen immer in ihrem entscheidenden Punkt zu erfassen, er versucht, durch einen Charme, der oft die Grenzen des Erlaubten überschreitet, den Mangel an ernsthaft vertiefenden Studien zu verschleiern, und wählt die markantesten und auffälligsten Formen, weil ihm das Talent der Farbgebung weitestgehend fehlt. Diese Bemerkungen zielen keineswegs darauf ab, seine Verdienste zu schmälern. Man muß im Gegenteil mit Genugtuung anerkennen, daß Cornelius durch seinen tiefgründenden Enthusiasmus und durch die neuen Ideen, die in allem erscheinen, was darzustellen er unternimmt, im höchsten Grade dazu beigetragen hat, der deutschen Kunst jenen Schwung zu verleihen, von dem sie heute noch ergriffen ist.

Im Jahre 1817 kehrte der Künstler nach Deutschland zurück. Er wurde zum Direktor der Düsseldorfer Akademie ernannt. Dies war eine merkwürdige Entscheidung. Cornelius hatte sich bisher nur als Freskomaler ausgezeichnet. Wir glauben nicht, daß er jemals ein Ölbild gemalt hat, bis auf ein kleines Gemälde, das eine Grablegung darstellt und sich im Besitz des berühmten Thorvaldsen befindet. Überdies gab es damals in Düsseldorf und Umgebung überhaupt keinen Ort, an dem man Freskobilder hätte malen können, so daß man sagen kann, daß Cornelius gewissermaßen in der Luft hing und nicht wußte, woran er sich halten sollte. Er ertrug diese Situation nicht lange. Während er geschäftig seinen Verpflichtungen in Düsseldorf nachzugehen schien, wohnte er doch größtenteils in München, wohin ihn unwiderstehlich die Aufträge des Kronprinzen und heutigen Königs von Bayern gezogen hatten, der seine Glyptothek ausschmücken lassen wollte. Bald darauf wurde er gänzlich nach München berufen und zum Direktor der dortigen Akademie ernannt. Ludwig I. zeichnete kurz nach seiner Thronbesteigung Cornelius durch unmißverständliche Gunstbezeugungen aus. Er erhob ihn in den Adelsstand und überreichte ihm inmitten seiner Werke den schmückenden Orden mit folgenden Worten: "Man schlägt die Helden zu Rittern auf dem Schlachtfeld, das Zeuge ihrer Taten ist, daher ist es angebracht, daß ich Ihnen an dieser Stelle das Kreuz überreiche." Außerdem wurde in München eine Straße nach Cornelius benannt.

Cornelius hat drei Räume der Glyptothek mit Fresken ausgestaltet, die mythologische Themen darstellen. Im Moment ist er damit beschäftigt, die Kartons für die Wandbilder der neuen Ludwigskirche anzufertigen. Sein Geist ist so universeller Natur, daß noch nicht vorauszusehen ist, welche Wege er weiterhin beschreiten wird, auch wenn er schon in der Mitte seines Lebens steht.

Wilhelm Schadow aus Berlin hatte eine ganz andersartige Ausbildung als die beiden eben beschriebenen Künstler durchlaufen. In Berlin herrschte damals eine entsetzliche Dürre in den hohen Gefilden der bildenden Kunst. Niemand hätte ihn zum Komponieren ermutigt. Für einen aufmerksamen Geist hingegen gab es viele Gelegenheiten, die Natur zu studieren. Von seinen Veranlagungen geleitet,?konzentrierte sich Schadow vor allem auf die Farben und ihre Wirkung. Er hatte viel nach der Natur gemalt, vor allem Porträts. Solcherart vorbereitet traf er in Rom ein. Zuerst malte er in der Casa Bartholdy die zwei Bilder Jakob, dem man Josephs blutiges Kleid überreicht und Die Traumdeutung Josephs im Gefängnis.

Die Freskomalerei war nicht seine Berufung. Vielmehr widmete er sich sehr bald ausschließlich der Ölmalerei. Der Kronprinz von Bayern gab bei ihm mehrere Werke in Auftrag, unter anderem eine Heilige Familie, von der Schadow anschließend eine Kopie für den König von Preußen anfertigte, und das Porträt einer schönen Römerin. Fast gleichzeitig arbeitete er an einem Selbstbildnis mit seinem Bruder Rudolph und mit Thorvaldsen. Dieses Gruppenbild ist voller Leben und Natürlichkeit.

Im Jahre 1819 kehrte Schadow nach Berlin zurück und arbeitete mehrere Jahre an ehrenvollen Aufträgen. Er malte ein Großes Bacchanal an die Decke der Vorderbühne des Theaters, eine Heilige Jungfrau für den Prinzen von Hohenzollern, Bischof von Ermland, wobei er von diesem Bild eine Kopie für den Großherzog von Weimar anfertigte, und eine große Anzahl von Porträts, unter denen besonders das Familienbild der Ehefrau des Prinzen Wilhelm von Preußen mit ihren Kindern erwähnenswert ist. Später gab der König von Preußen eine Anbetung der Hirten für die Potsdamer Garnisonskirche in Auftrag, sowie ein Altarbild von gewaltigen Ausmaßen für die Kirche von Schulpforta, Christus mit zwei Evangelisten. Zusätzlich entstanden viele historische Gemälde für die Prinzen des Königshauses, und schließlich malte er für den Bankier Fraenkel einen Genius der Poesie.

Im Jahre 1826 wurde er nach Düsseldorf berufen, um Cornelius als Direktor der Akademie abzulösen. Ab dieser Zeit gewann er den größten und wirksamsten Einfluß, von dem wir später auf den der Düsseldorfer Schule gewidmeten Seiten noch berichten werden. Schadow fertigte weiterhin abwechselnd historische Bilder und Porträts. Besonders erwähnenswert sind das Doppelporträt vom Prinzen Friedrich von Preußen und seinem Bruder, dem Prinzen von Solms, das sich im Besitz der Herzogin von Cumberland befindet, sowie die Standporträts seiner eigenen Kinder. Zu einer seiner besten historischen Kompositionen zählt das Bild Die vier Evangelisten, das er in gewaltigen Ausmaßen für die Werdersche Kirche in Berlin angefertigt hat.

Im Jahre 1831 wurde er nach der Rückkehr von einer Italienreise von einem hartnäckigen Augenleiden befallen, das ihm schreckliche Prüfungen auferlegte. Während seiner Genesung konnte er nur Zeichnungen anfertigen, deren Themen er fast ausschließlich der Leidensgeschichte Christi entnahm. Nach seiner Wiederherstellung begann er ein Votivbild für das Kloster der Barmherzigen Schwestern in Koblenz. Er malte Die Himmelskönigin, die das Jesuskind in ihren Armen hält und umgeben von glänzendem Ruhm auf den Wolken über der Stadt Koblenz schwebt, deren Türme man im unteren Teil des Bildes erblickt.

Zu den drei bisher besprochenen Künstlern gesellte sich im Jahre 1815 Philipp Veit, der aus einer reichen Berliner Familie stammte. Seine Veranlagungen waren sehr ausgewogener Natur. Auch er erhielt Aufträge für die Casa Bartholdy. Gerade diese Arbeit war von besonderer Bedeutung. Da die Tradition der Freskomalerei in Rom fast versiegt war, waren die deutschen Künstler gezwungen, sich irgendwie auszuhelfen und auf alle erreichbaren Mittel zurückzugreifen. Daraus entstand eine Malerei, die sich mit nichts ihrer Zeit vergleichen ließ, und trotz aller Widersprüche festigte sich der gute Ruf der deutschen Schule. Veit malte Joseph mit Potiphars Frau und die Allegorie Die sieben fetten Jahre. Dieses Gemälde weckte die größten Hoffnungen, welche durch Veits spätere Arbeiten nicht immer erfüllt wurden. Er malte in der großen Galerie des Vatikans Die christliche Kirche, umgeben von einem Engel und einem knienden Pilger, triumphiert auf den Ruinen des Kolosseums. Die Grundidee ist schön, aber die Ausführung eher mittelmäßig. Wir müssen noch eine große Komposition von hervorragender Qualität erwähnen, die zur gleichen Zeit entstand und die er für den berühmten Kenner Baron von Quandt anfertigte, nämlich eine Judith, die bis zu den Knien dargestellt ist. Für den Marchese Massimi gestaltete Veit die Decke eines Zimmers seiner Villa mit Szenen aus Dantes Werken. Leider entspricht auch in diesen Arbeiten die Qualität der Ausführung nicht den meist sehr schönen Ideen. Nachdem Veit noch in der Santa Trinità ein schönes Bild von der heiligen Jungfrau gemalt hatte, verließ er Rom und ging nach Frankfurt am Main, um Direktor des dortigen Kunstinstituts zu werden. Hier malte er eine Vorstellung im Tempel. In seinem Atelier haben wir auch das Porträt eines französischen Geistlichen gesehen, dessen Kolorit und Wahrhaftigkeit der venetianischen Schule alle Ehre gemacht hätten.

Julius Schnorr aus Leipzig kam im Jahre 1817 nach Rom. Seine Bilder mit Motiven aus dem Rasenden Roland hatten dermaßen Erfolg, daß der Marchese Massimi ihn beauftragte, den größten Raum seiner Villa auszugestalten. Das Deckengemälde stellt Szenen von Ariost dar und gehört zu den glücklichsten Hervorbringungen der Freskomalerei. Schnorr malte auch mehrere Ölbilder, unter anderem eine Madonna mit ihrem Kind unter dem Spalier für den Baron von Quandt in Dresden, und eine Susanna im Bade für den Baron Schede in Leipzig. Aber seine Ölgemälde sind bei weitem nicht so gut wie seine Freskobilder. Der König von Bayern hat Schnorr nach München gerufen, wo er einen neuen Saal des königlichen Schlosses mit Fresken ausschmückt, die Szenen aus dem Nibelungenlied darstellen. Das ist eine Aufgabe, die seinem großen Talent entspricht.

Wilhelm Wach aus Berlin hatte in Paris bei David und Gros studiert, aber diese Meister stellten ihn nicht zufrieden. Seine wirkliche Künstlerkarriere begann im Jahre 1817 in Rom. Er hat einen sehr ernsthaften Charakter und ein ausgesprochen feines Gefühl für die Schönheit der Linienführung, aber seine Erfindungsgabe besitzt nicht gleichermaßen eine wirklich produktive Kraft. Die erste Frucht seiner Studien in Rom, Maria auf dem Thron, fertigte er für den König der Niederlande an. Später, nachdem er wieder nach Berlin zurückgekehrt war, malte er für die evangelische Kirche von Moskau eine Auferstehung Christi, außerdem für die Decke des Theaters Neun Musen, und für die neue Werdersche Kirche in Berlin ein Bild, das Glaube, Hoffnung und Barmherzigkeit darstellt. Sein letztes Werk, Der ruhende Pilger, hatte viel Erfolg auf der Ausstellung von Berlin. Wach ist außerdem ein fleißiger Porträtmaler.

Carl Vogel von Vogelstein, geboren in Dresden, fiel vor allem durch sein Talent für die Farbgebung auf. In Rom fertigte er sehr schöne Porträts und kleinere Ölbilder. Anschließend malte er im Speisesaal des Schlosses von Pillnitz die Künste allegorisch darstellende Bilder auf Aquarellgrundlage. Seinen Werken liegen gute Ideen zugrunde, sie sind von brillanter Farbgestaltung, aber man erkennt noch zu sehr seine Vorbilder, insbesondere Raffael. So war es zum Beispiel eine gute Idee, die Poesie nicht in die Mitte der Künste zu stellen, sondern ihr einen eigenen Platz zwischen den Geistern, die über allem schweben, zuzuweisen. In Wirklichkeit ist die Poesie nämlich keine Kunst, sondern die Mutter aller Künste. Vogel hat weiterhin in der Kapelle des Schlosses von Pillnitz das Freskobild Das Leben der heiligen Jungfrau gemalt. Insgesamt gesehen eignet sich sein Talent eher für leichte und anmutige Themen als für religiöse Stoffe.

Heinrich Hess aus München fand sich im Jahre 1821 in Rom ein und malte ein großes Parnaßbild. Heute ist er Mitglied der Münchner Akademie und hat den Auftrag, die Kapelle der Residenz mit Fresken auszugestalten, deren Motive dem Alten Testament entnommen werden sollen.

Carl Begasse aus Köln wurde im Jahre 1815 in Paris, wo er eine Ausbildung in der Schule von David durchlaufen hatte, dem König von Preußen durch ein kleines Gemälde, Die Himmelskönigin, aufs vorteilhafteste vorgestellt. Der König wurde sein Mäzen und Beschützer, gab bei ihm Werke in Auftrag und schickte ihn 1822 nach Rom. In den bisherigen Arbeiten des Künstlers erkannte man unmißverständlich die französische Schule: seit seiner frühesten Jugend zeigte er eine außerordentliche Sicherheit in der Ausführung und ein bemerkenswertes Talent für die Wiedergabe der Natur. Allerdings fehlte es ihm oft an Würde und Erhabenheit. An dieser Stelle führen wir einige seiner bemerkenswertesten Werke auf.

Christus am Ölberg, in der Garnisonskirche in Berlin;
Die Aussendung des Heiligen Geistes, in Berlin, im Dom.
In beiden Werken ist der Einfluß der französischen Schule deutlich sichtbar.
Sein Bildnis der Familie des Künstlers, mit kleinen Figuren, befindet sich in Köln. Ein ausgezeichnetes Werk.
Christi Taufe in den Wassern des Jordan schmückt die Garnisonskirche in Potsdam. Dieses Bild zeigt deutlich, daß Begasse versucht hat, die alte Florentiner Schule nachzuahmen.
Der junge Tobias und der Engel war ein Auftrag des Berliner Kunstvereins.
Christi Auferstehung ist ein sehr großes Altarbild und befindet sich in der neuen Werderschen Kirche in Berlin. Besonders schön ist die Gruppe der erwachenden Soldaten, die oberen Teile des Bildes sind ihm weniger gelungen.
Begasse zeichnet sich besonders im Porträt aus, da ihm hier seine außergewöhnlichen Fähigkeiten der Naturnachahmung sehr zustatten kommen.

An dieser Stelle müssen wir noch Heinrich Naeke aus Dresden erwähnen. Im Jahre 1817 fertigte er in Rom den Karton für das Bild Die heilige Elisabeth verteilt Almosen an die Armen, welches er später in Dresden für den Baron von Quant ausführte. Anschließend hat er Szenen aus Goethes Faust bearbeitet. Derzeit hält er sich in Dresden auf.

Schließlich bleibt noch ein Mann zu erwähnen, der, ohne Maler von Berufs wegen zu sein, dennoch bewiesen hat, daß er sich in diesem Bereich der Kunst hätte ebenso hoch emporschwingen können, wie er es in einem anderen getan hat. Wir wollen über den berühmten Architekten Schinkel aus Berlin sprechen. Schinkel hat in seinen Mußestunden, teilweise mit der Intention, seine architektonischen Arbeiten auszuschmücken, eine Reihe von Zeichnungen mit Landschaften oder historischen Themen angefertigt, die von außergewöhnlicher Vorstellungskraft und größtem Ideenreichtum zeugen. Insbesondere die Aquarellzeichnungen für die ersten Säle des Berliner Museums lassen seine Begabung erkennen. Diese Zeichnungen sind Allegorien über Macht und Unterwerfung der Naturkräfte, sowie über Geburt und Einfluß der Künste. Man muß zugeben, daß dieses philosophischpittoreske Gedicht (wie wir diese Bilderfolge nennen wollen) nicht gerade für die große Masse gemacht ist. Um es verstehen zu können, muß man über Kenntnisse sowohl der Mythologie als auch der verschiedenen philosophischen Strömungen verfügen.

Wenn wir jetzt zurückblicken auf die Entwicklung und Tätigkeit all jener Männer, die wir bisher aufgeführt haben, können wir zusammenfassend feststellen, daß sich eine Tendenz abzeichnet, der eine einheitliche Idee zugrunde liegt und die sich veralteter Formen bedient. Diese Formen, die nicht wie die antiken Formen etwas völlig Fremdes darstellen, sind trotz allem in gewisser Weise die Wurzeln unseres heutigen Daseins. Zu diesen Formen gesellte sich nämlich gleichzeitig eine Fülle intimen und intellektuellen Lebens, oder ein tiefes Bedürfnis, die Geheimnisse der Natur in ihrer Einzigartigkeit zu durchdringen. So hatte auch die Einseitigkeit des Blicks und die Manie der Nachahmung bald ihren Reiz verloren, und die deutsche Kunst strömte in die verschiedensten Themen und Konzeptionen. Allen diesen Meistern ist nichts gemein als die Ernsthaftigkeit, mit der sie ihrer Berufung folgten, stilistisch unterscheiden sie sich jedoch deutlich voneinander.

Genre und Landschaftsmalerei.

In diesen Bereichen der Malerei wurde intensiv gearbeitet. An erster Stelle müssen wir Joseph Koch aus Tirol, 1770 geboren, erwähnen. Da Koch gezwungen war, die militärische Disziplin der Stuttgarter Karlsschule zu ertragen, entschied er sich zu flüchten und lebt nun schon seit langem in Rom. Er hat wirklich Talent, allerdings ein sehr heftiges, dessen herbe Rauheit sich im ungehobelten und derben Charakter seiner Landschaften widerspiegelt. Doch fehlte ihm jegliche solide Ausbildung. Er war schon im fortgeschrittenen Alter, als der Marchese Massimi ihn beauftragte, in seiner Villa Szenen aus Dantes Höllenwanderung zu malen. Seine Bilder zeugen von Erfindungsgabe, aber auch von einem vollständigen Mangel an Ausbildung und Sicherheit der Ausführung.

Franz Catel aus Berlin ließ sich vor vierundzwanzig Jahren in Rom nieder und hat seitdem viele Genre und Landschaftsbilder gemalt, selbstredend nach italienischen Vorlagen. Er ist zu hohem Ansehen gelangt, seine Werke sind in ganz Europa verbreitet.

Noch vor ihm war ein anderer Künstler bekannt geworden, Reinhardt aus Stuttgart, der ihm in der Strenge des Stils und der Reinheit der Zeichnung überlegen ist. Im Jahre 1819 ist plötzlich ein junger, völlig unbekannter Mann, Helmsdorf aus Magdeburg, mit einer Landschaft von überraschender Schönheit hervorgetreten. Dieses Bild, Rom vom Kloster San Onofrio aus betrachtet, war eine große Sensation. Später hat er nichts Vergleichbares mehr geschaffen und lebt heute fast gänzlich vergessen in Straßburg.

Rebell aus Wien fertigte in Italien sehr gute Seestücke an.
Reinhold hatte fast zeitgleich mit ihm seine erfolgreiche Schaffensphase in Italien. Beide sind sehr jung gestorben.
Von Kolbe, der Berlin niemals verlassen hat, kennt man viele Werke, die wir gern als romantische Genrebilder bezeichnen würden. Sie schildern Situationen des Alltags, aber eingefangen in der poetischsten Sphäre des Lebens. Wir werden später auf diese Idee zurückkommen.

Peter Hess aus München hat moderne Schlachtenbilder gemalt, von denen mehrere als klassisch bezeichnet werden können. Karl Krüger aus Berlin ist vor allem durch Militärbilder, Jagdszenen und durch die Lebendigkeit seiner Pferdedarstellungen bekannt. Sein berühmtes Bild Die große Parade in Berlin gehört jetzt dem Zaren von Rußland. Krüger wurde nach Petersburg berufen, um Werke gleicher Thematik zu malen.

In München gibt es eine ganze Schule von Landschafts, Genre und Stillebenmalern, aus der oft höchst zufriedenstellende Werke hervorgehen, auch wenn die engen Grenzen der Thematik nicht überschritten werden. Domenico Quaglio hat Außergewöhnliches in der Architekturmalerei geleistet.

ÜBER DIE DEUTSCHE MALEREI IM 19. JAHRHUNDERT

(Dritter Artikel.)

Der Einfluß der in den vorangegangenen Artikeln vorgestellten Künstler in der Sphäre der Kunst ist nun sichtbar geworden. Eine junge und blühende Generation hat sich um sie versammelt und formiert sich zu Gruppen, die sich auf unterschiedliche Weise charakterisieren lassen.

Der Begriff „Schule“ wird meist in zwei Bedeutungen verwendet. Ein Meister kann seinem Schüler nur die rein technischen Fertigkeiten vermitteln, ihn in die Vorhalle der Kunst führen und ihn dort seiner eigenen Art zu sehen und zu fühlen überlassen. Allerdings verweisen diese technischen Fertigkeiten immer auf eine einzige Tendenz, sind auf ein immergleiches Ziel gerichtet, ohne daß die Individualität des Schülers Beachtung fände. Der Meister kann aber auch seinem Schüler das Siegel seiner eigenen poetischen Schöpferkraft aufprägen. Die erste Art der Einflußnahme ist die Schule im modernen akademischen Sinn.

Die zweite Art der Beeinflussung kann man Schule im Sinn der großen Meister des 15. und 16. Jahrhunderts nennen. In allen Werken der Schüler Raffaels, Rubens‘ und anderer, die den Namen Meister verdienen, erkennt man etwas von der Erfindungsgabe ihrer Lehrer. Auch in der Geschichte der modernen deutschen Kunst lassen sich Schulen beider Ausprägungen wiederfinden. Gegenwärtig gibt es nur drei einflußreiche Schulen, wir unterscheiden eine Schule von Wach, eine von Cornelius und die von Schadow gegründete Düsseldorfer Schule. Wach hat die Jugend eher im akademischen Sinn ausgebildet, die Art der Einflußnahme von Cornelius nähert sich hingegen derjenigen der Meister des 15. Jahrhunderts. Neben diesen zwei Schulen hat sich in Düsseldorf eine dritte Ausprägung entwickelt, die sich auf ganz besondere Weise von all dem unterscheidet, was wir bisher in der Geschichte der Kunst beobachten konnten und die deshalb einer speziellen Würdigung bedarf.

Im großen und ganzen kann man behaupten, daß die jungen deutschen Maler mit einem glücklichen Schicksal gesegnet sind. Die deutsche Kunst hat sich, wie schon geschildert, aus Schatten und Dunkelheit emporgearbeitet, inmitten von Gleichgültigkeit und allerlei Verachtungen mußte sie sich einen Weg bahnen und leidenschaftlichen Verfolgungen Widerstand leisten. Die Inspiration war seit langem versiegt, und die technischen Fertigkeiten waren zu einem trockenen, oberflächlichen Mechanismus verkümmert. Die ersten Künstler, die einen besseren Weg fanden, betraten ihn nur im Dunkel tastend, sie standen im Widerspruch zur Welt, oft sogar zu sich selbst, und man kann sagen, daß sie in ihren Werken nicht all das verwirklichen konnten, was eine günstigere Kunstepoche ihnen vielleicht erlaubt hätte. Wieviel besser ist da nicht die Lage der Jugend! Der Weg und das Ziel sind schon vorgezeichnet, der Widerstreit der Meinungen geschlichtet, und das tiefgründige Studium der Natur hat sich zumindest in einigen Bereichen durchgesetzt. Die jungen Künstler können in einer harmonischen Bewegung ihre Kräfte sammeln und entwickeln, und sie müssen nicht mehr hundert Schritte tun, um einen einzigen vorwärts zu kommen.

Die Schulen von Wach und Cornelius.

Wach begann gleich nach seiner Rückkehr aus Italien im Jahre 1819 Schüler um sich zu sammeln. Der König stellte ihm mehrere große Säle zur Verfügung, die sich in dem Gebäude befanden, in dem auch berühmte Bildhauer ihre Werkstätten hatten. Vielleicht hat der direkte Kontakt mit diesen Künstlern dazu beigetragen, der Schule von Wach jenen Stempel aufzudrücken, der anfangs ohne Zweifel nur der Individualität des Meisters zu verdanken war. Wach ist ein sehr ernsthafter Mann von konsequentem Geist. Dies sind seine hervorstechendsten Eigenschaften, nur in weitaus geringeren Maßen verfügt er über Reichtum und Feuer der Phantasie. Er verfährt sehr methodisch bei der Ausbildung seiner Schüler, und da er auf sie keinerlei Einfluß durch die Vorbildwirkung eigener überragender Schöpfungen ausüben kann, so beschränkt er sich auf eine negative Vorgehensweise, indem er sie dazu bringt, alle ihre Kräfte einzig darauf zu konzentrieren, sich vor Ungeschicklichkeiten und Anstoß erregenden Dingen zu hüten. Wach betreibt diese Methode mit viel Ernst und Ausdauer, und als Ergebnis der Lektionen zeichnen sich die Werke seiner Schüler tatsächlich durch Intelligenz, Reinheit, Eleganz und Schönheit der Linien aus, aber ihm gelingt es nicht, ihre schöpferischen Fähigkeiten in ausreichendem Maße zu wecken. Es läßt sich sogar behaupten, daß er diesen oder jenen auf indirekte Weise davon abgehalten habe, sich größeren Kompositionen zuzuwenden, da sein Prinzip darin besteht, die Schüler über Jahre hinweg nur Aktzeichnungen anfertigen zu lassen. Kontinuierliche Studien und das Abzeichnen des menschlichen Körpers sind zweifellos sehr lobenswerte Übungen, die für jeden Künstler unumgänglich sind, nur sollte der Meister mit durchdringendem Blick jenen Moment erspähen, in dem die Erfindungslust sich in seinem Schüler zu regen beginnt, um dann darauf zu achten, diese in keiner Weise zu stören. Denn in der Verbindung von Naturbeobachtung und Gedankenspiel, in der Anwendung von Naturgegebenheiten zugunsten der Einbildungskraft besteht das Geheimnis der Kunst: im Tempel der Kunst wird nicht Isis, sondern Apollon verehrt.

Inmitten all der Qualitäten, die die Bilder der Schule Wachs unbestreitbar besitzen, fühlt man sich bei ihrer Betrachtung doch manchmal wie von einem Eishauch umweht. Nicht selten findet man in den Gruppierungen und Posen den Widerschein einer Ästhetik, die eher der Bildhauerei angehört, was wir zumindest teilweise der Nachbarschaft zu den Bildhauern zugeschrieben haben, eine Nachbarschaft, die immer gefährlich für die Maler ist.

Außerdem ist Berlin keine Stadt, in der eine Künstlerschule glücklich erblühen könnte. Es ist eine neue Stadt, der es gänzlich an Nachahmungen von schöner Natur oder von eindrucksvollen Altertümern fehlt, die große Masse der Berliner ist nur wenig empfänglich für die Schönheit, und ihr Gefühl für das Bessere ist vorwiegend auf praktische Tüchtigkeit, Wissenschaft und Gelehrsamkeit gerichtet. Auch wenn in Berlin die Kunst heute, wie auch schon früher, eine zeitweilige Wertschätzung genießt, so bleibt sie doch nur eine Mode, die den unbeständigen Launen des Tages unterworfen ist: die Kunst kann hier nie zu einem wahren, dauerhaften Bedürfnis von größerer Tragweite werden.

Eine große Stadt trägt in sich keine Vorteile für die Kunst, wenn sie nicht so groß ist, daß die Kunst sich in ihr in eine Nische zurückziehen kann. Das Kunstwerk will wie der Pflanzensamen in der Stille keimen. Aber in einer großen Stadt wird alles rasch von der Hitze des Tages ausgetrocknet, man hat nicht die Geduld, auf Ergebnisse zu warten, die jungen Pflanzen werden erstickt unter den Staubwirbeln der Kritik, und trotz aller Verfeinerungen ähnelt man in vieler Hinsicht jenen Wilden, die den Baum fällen, um an die Früchte zu gelangen.

Zu den herausragendsten Schülern von Wach zählt Steinbrück aus Magdeburg, der die Bilder Die Erbsünde, Ein Engel öffnet die Pforten zum Paradies, Die Vertreibung Hagars und eine Madonna mit dem Kind gemalt hat. Besonders die beiden letztgenannten Gemälde verhalfen ihm zu großem Ansehen. Weitere Schüler sind Henning aus Berlin, der Christi Abschied gemalt hat, der taubstumme Siebert aus Brandenburg, dessen Gemälde Der heilige Lukas malt die heilige Jungfrau hervorragend ist, und schließlich Hopfgarten, der zur Zeit sehr erfolgreich in Rom an historischen Bildern arbeitet.

Auch die bemerkenswerten Landschaftsmaler Krause und Ahlborn sind aus dieser Schule hervorgegangen.

Cornelius und seine Gruppe in München stehen im denkbar größten Gegensatz zu der Schule von Wach. Schon seit seiner Düsseldorfer Zeit hatte Cornelius das Bedürfnis, junge Leute an sich zu ziehen, damit sie ihm bei seinen großen Arbeiten, die er damals mit viel Aufwand in München ausführte, zur Hand gingen. Stürmer, Stilke und Götzenberger waren die ersten, die durch sein großes Ansehen angezogen wurden. Später kam noch Hermann hinzu, der sicher von diesen Männern das größte Talent war. Cornelius setzte sich dafür ein, daß seine Schüler mit einer wichtigen Aufgabe betraut wurden: es sollten Das Jüngste Gericht für den Gerichtssaal in Koblenz und Die vier Fakultäten für die Aula der Universität Bonn gemalt werden. Stürmer und Stilke erhielten den Auftrag für das erste Bild, Hermann und Götzenberger sollten die Fakultäten malen. Diese Arbeiten waren so anspruchsvoll, daß selbst die Kräfte von Meistern auf der Höhe ihres Talents nicht überflüssig gewesen wären, und die in keiner Weise dem Können junger Schüler entsprachen. So waren die Entwurfskartons zwar teilweise hervorragend, insbesondere Die Theologie von Hermann, aber die Ausführung scheiterte an mangelnden Erfahrungen. Das Jüngste Gericht wurde nie beendet, und die Verdammten warten immer noch auf ihr Urteil. Auch Die Fakultäten sind bis zum heutigen Tag nicht zu Ende geführt. Den letzteren vier Figuren liegt die gleiche Idee zugrunde: Theologie, Philosophie und Rechtsprechung sitzen jeweils im entsprechenden Rahmen auf einem Thron, links und rechts sind Stufen, und darunter befindet sich die Gruppe derjenigen, die durch Lehren, beispielhaftes Leben oder durch das Schwert zu ihrem Ruhm beigetragen haben. Diese Ähnlichkeit des Arrangements verursacht eine gewisse Einförmigkeit.

Ungefähr zur gleichen Zeit wollte der Graf von Spee einen Saal seines Schlosses Heltorf mit Freskobildern ausschmücken lassen, und er entschied sich für Szenen aus dem Leben Friedrich Barbarossas, dem mächtigsten Herrscher des ruhmreichen Geschlechts der Hohenstaufer. Hermann malte hier Das Treffen des Kaisers mit dem Papst Alexander III. in Venedig. Aber auch diese Arbeiten konnten erst viel später durch die Schüler von Schadow vollendet werden, da im Jahre 1825 die Abreise von Cornelius nach München alles unterbrach, was bisher begonnen wurde. Seine Schüler, zu denen sich Kaulbach, Eberle und Gassen gesellt hatten, folgten ihm, und erst hier, in der Hauptstadt Bayerns, fand die Schule den ihr angemessenen Wirkungsbereich. Der König überantwortete ihnen bald in rascher Folge die großen und zahlreichen Aufträge für die Ausgestaltung der Glyptothek, der Arkaden des Hofgartens, des neuen Flügels der Residenz, des Odeons und der Ludwigskirche. Hinzu kamen Aufträge für die evangelische Kirche und das Schloß des Prinzen Max. Weltliche und religiöse Geschichte, regionale Chroniken, Homer, die tragischen Dichter, Zyklen aus romantischen Legenden und Sagas und die moderne Poesie, alles wurde in Anspruch genommen, um das neue Reich der Formen, Gestalten und Farben zu schaffen, das der König um sich herum zu errichten beschlossen hatte. Diesem Fürsten wird es immer zur Ehre gereichen, daß er aufrichtig nach dem Großen strebte, und da er dieses Ziel ernsthaft verfolgte, so fand er auch den Meister, der dies verwirklichen konnte.

An diesen Arbeiten, deren Vollendung wahrscheinlich noch mehr als ein Vierteljahrhundert in Anspruch nehmen wird, beteiligen sich Cornelius, seine Schüler und Anhänger, hier anzufügen Zimmermann, Förster, Röckel, Hiltensperger, Schilgen, Monten und Lindenschmidt. Das charakteristischste Merkmal dieser Schule ist, wie man aus dem Vorangegangenen schließen kann, daß sie sich ausschließlich der Freskomalerei verschrieben hat. Dieses Genre eignet sich von seiner Natur her einzig für erhabene Themen der Geschichte und der Poesie, die nur in großen, eindrucksvollen Gruppenanordnungen dargestellt werden können; daher werden von den Schülern alle Kräfte ihres Vorstellungsvermögens gefordert, ihre Blikke werden stets in die höchsten Sphären der Kunst gelenkt, und das Talent ist gezwungen, sich Gewagtheit und Entschiedenheit zuzulegen. Denn hier gilt: Was gemalt ist, ist gemalt, ansonsten muß eine Wandfläche niedergerissen werden. Andererseits ist den Freskobildern die Magie von Licht und Schatten sowie die des Kolorits versagt. Die Farben sind im Vergleich zu den Ölgemälden hell, leicht, glänzend und oberflächlich. Freskobilder eignen sich vorrangig für Szenen im Freien und im hellen Tageslicht. Alles was sich zwischen vier Wänden, im Schatten der Nacht oder unter geheimnisvollen Schleiern ereignet, ist der Freskomalerei versagt. Mit diesen Situationen tun sich daher auch jene schwer, die sich ausschließlich der Freskomalerei geweiht haben, ein Genre, das eine Menge von Feinheiten und die letzten Geheimnisse der Kunst des Malers erfordert.

Der Weg der Kunst, so wie er in München eingeschlagen wurde, bringt daher für die dortige Schule neben großen Vorteilen auch einige Nachteile mit sich. Die Persönlichkeit des Meisters beeinflußt die Situation in dieser doppelten Hinsicht. Aus allem bisher Gesagten könnte man leicht schließen, auch wenn wir es nicht so ausdrücklich formulieren würden, daß Cornelius im gewöhnlichen Sinn des Wortes kein pädagogisches Talent besitzt. Er gehört zu jenen Naturen, die nur durch ihr Beispiel die Gemüter beeindrucken, erhitzen und entflammen. Sein Genie ist so überragend, daß er die Kräfte aller, die ihn umgeben, unterjocht und ihre Phantasie in Fesseln legt. Die Werke seiner Schüler sind daher nicht viel mehr als Abbilder seiner eigenen Originalität, auch wenn sie gewiß durch die Persönlichkeit jedes Einzelnen abgewandelt werden. Man findet immer wieder die gleichen gewagten Bewegungen, die Vorliebe für gigantische Figuren, die Phantasie, die immer bestrebt ist, jeden Moment in seiner höchsten Spannung zu erfassen, und auch die gleichen Verfehlungen, den Mangel an natürlicher Wahrheit und eine matte oder mehr oder weniger kalte Farbgebung.

Mag man diese Schwächen den wirklichen Talenten noch verzeihen, so werden sie doch völlig unerträglich in den Händen mittelmäßiger Künstler oder jener Dilettanten, die immer dort zusammenströmen, wo sich etwas Neues mit ein wenig Lärm und Aufsehen anbahnt. Dann sieht man Körper mit blutrotem oder chicoréegrünem Fleisch, mit gespannten Muskeln, die wie durch Beulen oder Geschwulste entstellt werden, die Bewegung fällt an allen Stellen auseinander, und statt eines echten Ausdrucks haben wir nur die Übertreibung. Wenn wir Cornelius an der Spitze seiner besten Schüler stehend betrachtet haben, haben wir ihn Meister einer Schule im alten Sinn des Wortes genannt, und vielleicht ist er der letzte Meister dieser Art. Aber wenn wir ihn inmitten der ihn umgebenden Mißgeburten betrachten, erinnert er uns an das Unglück Michelangelos, der keine würdigen Nachfolger, sondern nur eine Menge übertriebener Nachahmer hinterließ. Ferner gibt es einen weiteren Umstand, der einem Teil der jungen Leute schadet, die sich in Cornelius' Einflußbereich befinden: dieser, wie die Mehrzahl der großen Genies, die völlig in den Ideen ihrer Schöpfungen aufgehen, interessiert sich ausgesprochen wenig für die Sorgen oder das moralische Wohlbefinden seiner Schüler. Er überläßt sie ihrem glücklichen oder unglücklichen Stern. So wie er es anfangs in der Gegend am Rhein zuließ, daß die jungen Leute ohne zureichende Ausbildung und Kenntnisse Aufgaben übernahmen, an denen sie notwendigerweise scheitern mußten, so hat er auch später in ähnlichen Situationen nicht eingegriffen. Ebenso geschah es, daß in der von ihm gewählten Sphäre, die nur historische Bilder höchsten Anspruches zuließ, junge Leute sich über Jahre erfolglos quälten, die vielleicht in leichteren Genres, wie der Landschafts, Genre oder Stillebenmalerei, hervorragende Ergebnisse erzielt hätten.

Alle diese Beobachtungen sollen in keiner Weise den gerechtfertigten Ruhm und die Verdienste dieses großen nationalen Meisters schmälern. Aber wir schreiben hier eine geschichtliche Abhandlung und keine Lobrede. Das wirklich schöpferische Genie ist nur selten oder niemals ein aufmerksamer und sorgfältiger Lehrer. Die schöpferischen Kräfte der menschlichen Natur haben immer etwas vom gleichgültigen Egoismus der Kräfte der allgemeinen Natur, sie haben nur das vor Augen, verfolgen kein anderes Ziel, als was sich ihnen als Großartigkeit darbietet. Ein Unwetter, dessen Sturm Halme knickt und Bäume entwurzelt, reinigt dennoch segensreich die Luft ganzer Landstriche. Wir sind überzeugt, daß Cornelius mit seiner Schule und seinem Einfluß in München immer als äußerst befruchtender Maler für die Kunstgeschichte gelten wird, auch wenn manch armseliges Wesen am Rausch, den er um sich verbreitete, zugrunde ging oder auch wenn man es in einigen Jahren für angebracht hielte, den Vorhang über ein Wandbild zu ziehen, das sich unpassend neben den Meisterwerken auszunehmen scheint. Am Ende unseres Artikels können wir es uns nicht versagen, die gewagten und geistreichen Worte unseres genialen Heine zu zitieren, die er über Cornelius in seinen Reisebildern vernehmen ließ:

„Man sehe nur“, schreibt er, „mit welcher vornehmen Geringschätzung der langhaarige Cornelianer durch den Rubenssaal wandelt! [...] Es läßt sich fast kein größerer Gegensatz ersinnen – und nichts desto weniger ist mir bisweilen zu Sinn, als hätten beide dennoch Ähnlichkeiten, die ich mehr ahnen als anschauen könne. Vielleicht sind landsmannschaftliche Eigenheiten in ihnen verborgen, die den dritten Landsmann, nämlich mich, wie leise heimische Laute ansprechen. Diese geheime Verwandtschaft besteht aber nimmermehr in der niederländischen Heiterkeit und Farbenlust, die uns aus allen Bildern des Rubens entgegenlacht, so daß man meinen sollte, er habe sie im freudigen Rheinweinrausch gemalt, während tanzende Kirmesmusik um ihn her jubelte. Wahrlich die Bilder des Cornelius scheinen eher am Karfreitage gemalt zu sein, während die schwermütigen Leidenslieder der Prozession durch die Straßen zogen und im Atelier und Herzen des Malers widerhallten. In der Produktivität, in der Schöpfungskühnheit, in der genialen Ursprünglichkeit, sind sich beide ähnlicher, beide sind geborne Maler, und gehören zu dem Zyklus großer Meister, die größtenteils zur Zeit des Raphael blühten, einer Zeit, die auf Rubens noch ihren unmittelbaren Einfluß üben konnte, die aber von der unsrigen so abgeschieden ist, daß wir ob der Erscheinung Peter Cornelius fast erschrecken, daß er uns manchmal vorkommt wie der Geist eines jener großen Maler aus raphaelscher Zeit, der aus dem Grabe hervorsteige, um noch einige Bilder zu malen, ein toter Schöpfer, selbstbeschworen durch das mitbegrabene, inwohnende Lebenswort. Betrachten wir seine Bilder, so sehen sie uns an, wie mit Augen des fünfzehnten Jahrhunderts, gespenstisch sind die Gewänder, als rauschten sie uns vorbei um Mitternacht, zauberkräftig sind die Leiber, traumrichtig gezeichnet, gewaltsam wahr, nur das Blut fehlt ihnen, das pulsierende Leben, die Farbe. Ja, Cornelius ist ein Schöpfer, doch betrachten wir seine Geschöpfe, so will es uns bedünken, als könnten sie alle nicht lange leben, als seien sie alle eine Stunde vor ihrem Tode gemalt, als trügen sie alle die wehmütige Ahnung des Sterbens. Trotz ihrer Heiterkeit erregen die Gestalten des Rubens ein ähnliches Gefühl in unserer Seele, diese scheinen ebenfalls den Todeskeim in sich zu tragen, und es ist uns, als müßten sie eben durch ihre Lebensüberfülle, durch ihre rote Vollblütigkeit, plötzlich vom Schlage gerührt werden. Das ist sie vielleicht, die geheime Verwandtschaft, die wir in der Vergleichung beider Meister so wundersam ahnen. Die höchste Lust in einigen Bildern des Rubens und der tiefste Trübsinn in denen des Cornelius erregen in uns vielleicht dasselbe Gefühl. Woher aber dieser Trübsinn bei einem Niederländer? Es ist vielleicht eben das schaurige Bewußtsein, daß er einer längst verklungenen Zeit angehört und sein Leben eine mystische Nachsendung ist – denn ach! er ist nicht bloß der einzige große Maler, der jetzt lebt, sondern vielleicht auch der letzte, der auf dieser Erde malen wird; vor ihm, bis zur Zeit der Caraccis, ist ein langes Dunkel, und hinter ihm schlagen wieder die Schatten zusammen, seine Hand ist eine lichte, einsame Geisterhand in der Nacht der Kunst, und die Bilder, die sie malt, tragen die unheimliche Trauer solcher ernsten, schroffen Abgeschiedenheit. Ich habe diese letzte Malerhand nie ohne geheimen Schauer betrachten können, wenn ich den Mann selbst sah, den kleinen scharfen Mann mit den heißen Augen; und doch wieder erregte dies? Hand in mir das Gefühl der traulichsten Pietät, da ich mich erinnerte, daß sie mir einst liebreich auf den kleinen Fingern lag, und mir einige Gesichtskonturen ziehen half, als ich, ein kleines Bübchen, auf der Akademie zu Düsseldorf zeichnen lernte.“


KARL IMMERMANN.

ZUM STAND DER MALEREI IN DEUTSCHLAND

IM 19. JAHRHUNDERT.

(Vierter Artikel.)

Die Düsseldorfer Schule.

Wenn man die Ateliers der Düsseldorfer Akademie besichtigt, bietet sich den Augen des Kenners und des unterrichteten Liebhabers ein seltsames Schauspiel. Wir betreten den ersten Saal und sehen auf den Staffeleien Landschaftsbilder mit feuchten Waldböden, moosbewachsenen Eichen, Bächen oder Teichen, an deren Ufern eine einsame Mühle ihrer monotonen Aufgabe nachgeht. Wir öffnen eine Tür und finden uns plötzlich umgeben von pittoresken farblosen Felslandschaften. Wenn zuerst die abwechslungsreichen Farben der Natur unser Auge erfreut haben, wird unser Interesse nun von dem Gefühl ihres eigenwilligen Formenreichtums angeregt. Zwischen den Einsamkeiten der Wälder und diesen Felswüsten findet man die Skizze einer weiten, ruhigen Aussicht über den Fluß, wo das Farbspiel des Wassers, die Sonnenreflexe auf dem flachen Ufer und eine Gruppe von Fischern oder Fährmännern die gleichförmigen Linien der Landschaft beleben.

Wenn wir in den Räumen der Landschaftsmaler die Darstellung der Natur in ihren mannigfaltigen Formen gesehen haben, werden wir in den Räumen der Historienmaler und verwandter Genres von einer noch viel größeren Vielfalt der Sujets und Ausführungen beeindruckt. Neben einer Himmelskönigin auf den Wolken oder dem Leidensbild des Heiland, der unter der Last des Kreuzes zusammenbricht, ist eine Diana in Arbeit, umgeben von gänzlich entblößten Nymphen, die vergeblich versuchen, ihre geheimsten Reize vor den lüsternen Blicken des verwegenen Jägers zu verbergen. Schlichte, zurückhaltende Farben, eine asketische Strenge der Formen leben in guter Nachbarschaft mit einem heißen und blühenden Kolorit, das auch einem Tizian oder Correggio alle Ehre gemacht hätte.

Wir führen unseren Rundgang fort und sehen finstere Räuber im Hinterhalt hockend auf ihre Beute lauern, oder wir entdecken neben einer unschuldig schlummernden Kindheit die Qualen einer verdammten Seele. Fromme Nonnen, die geheimen Seufzer ihrer Herzen unterdrückend, bieten am Altar der heiligen Dreieinigkeit den reinen Lilienzweig dar, und zwischen diesen ernsthaften oder strengen Figuren findet man vergleichbar einem Tanz der Satyre auf den Grabstätten der Vorfahren – das beschwingte Drehen eines Jahrmarktes und Orgien von Rauchern und Trinkern im Wirtshaus. Und damit dieser buntscheckigen Karte auch kein Stoffmuster, kein Modell fehlt, erblicken wir unweit der Mauer einen Schüler damit beschäftigt, den Karton für eine Schlacht bei Ikonium anzufertigen, die als Fresko ausgeführt werden soll, in der gegenüberliegenden Ecke nahe des Fensters einen anderen, der sich interessanterweise darauf konzentriert, einen vor ihn plazierten Blumenstrauß mit all seinen Insekten und Wassertropfen getreulich wiederzugeben oder auch darauf, alle zufälligen Lichtbrechungen eines Glases Rheinweines zusammen mit Austern, einer Zitrone, einem Salzstreuer und einem Messer zu einem beeindruckenden Stilleben zu vereinen. Im Grunde genommen findet man hier eine Enzyklopädie der Kunst, eine spirituelle Zusammenfassung aller Willenskräfte, die die verschiedenen Tendenzen ausgedrückt haben. Und wenn wir dann die Schüler fragen, wer ihr Lehrer, ihr Meister sei, so antworten alle mit dem gleichen Namen: Wilhelm Schadow. Fast scheint es, als ob die Geschichte von Proteus Wahrheit geworden sei, Proteus, der alle Gestalten seiner Wahl annehmen konnte, aber mit dem Unterschied, daß dieser mythologische Zauberer gefesselt werden mußte, um seine Geheimnisse zu verraten, während der KünstlerProteus alle Geheimnisse seiner Weisheit gerade deshalb offenbart, weil er nicht durch irgendeine engstirnige Idee geknebelt ist. Die Düsseldorfer Schule ist weder eine Schule im akademischen Sinn noch eine im alten Sinn des 15. Jahrhunderts, aber sie ist in diesem Moment vielleicht die einzige, die ein Leben in ganzer Fülle hervorzubringen vermag, eben weil sie keine Schule im üblichen Sinn des Wortes ist. Sie baut einzig und allein auf Schadows Persönlichkeit auf und muß unwiederbringlich untergehen, wenn er stirbt oder wenn man ihn unvorsichtigerweise jener Bedingungen beraubt, die einzig ihre Gründung ermöglicht hatten.

Bisher haben wir die Schule in ihrer gegenwärtigen Lebendigkeit vorgestellt, jetzt ist es an der Zeit, auf ihre Geschichte einzugehen. Anfangs müssen wir jedoch noch einmal auf die Persönlichkeit des Meisters zurückkommen, diese bietet fürwahr die einzige Erklärung des Zusammenhangs. Schadows Werke haben wir schon beschrieben. Er widmet sich mit Vorliebe religiösen Themen, seine Wahl fällt vor allem auf Szenen, die sich durch Zartheit und Empfindsamkeit auszeichnen, und ihm liegt eher das Kolorit als die Zeichnung. Aber zu diesen Qualitäten gesellt sich eine selten anzutreffende Gabe, die ihn notwendigerweise an die Spitze einer Schule ruft, einer Schule, wie sie den modernen Zeiten gemäß ist: es ist das Talent, die schöpferische Kraft anderer anregen zu können, welches auch immer ihr Genre sei. Wir haben nie einen Künstler gesehen, der in der Lage gewesen wäre, sich mit solcher Leichtigkeit und Hingabe den unterschiedlichsten Stilen und schöpferischen Fähigkeiten zuzuwenden. Man kann sagen, daß er wirklich groß ist als ein Genie an Sensibilität und Emotion, die ihm in ihren mannigfaltigsten Ausprägungen zugänglich sind. Diese Begabung macht ihn in Bezug auf das unter seinen Augen entstehende Werk fast zu einer Art prophetischen Wahrsagers, er kann anhand eines Striches die Gestalt voraussagen, anhand der Vorbereitungen die ganze Farbgebung des späteren Bildes, er erkennt im Embryostadium eines Werkes alle Schönheiten der zukünftigen Vollendung, und er sieht die Irrtümer voraus, denen die Schüler verfallen könnten. Einmal hörten wir ihm mit Erstaunen und Bewunderung zu, als er beim Betrachten des Entwurfes einer Gruppe von Fischern auf der Insel Rügen, auf dem bisher nur der Ärmel des alten Fischers gemalt war, die komplette Farbgebung des gesamten Gemäldes voraussagte. Seine Prognose wurde durch die Vollendung des Werkes gänzlich bestätigt.

Wenn man außerdem berücksichtigt, daß Schadow ein im umfassenden Sinn des Wortes gebildeter Künstler ist, dem alle Kenntnisse, alle Vorgehensweisen und praktischen Grundsätze seiner Kunst vertraut sind, und wenn man zudem weiß, daß die Gabe der künstlerischen Voraussage vor allem aus einer menschlichen Grundhaltung, und zwar einer ausgesprochen philanthropischen geboren wird, und daß diese sich mit liebenswürdiger Fröhlichkeit, weltgewandter Weisheit und dem Verlangen verbindet, aufs beste im Kontakt mit einer möglichst großen Anzahl von Menschen zu leben, so kann man umgehend einschätzen, wie außerordentlich die Tragweite des Einflusses sein muß, der durch eine solche Verbindung von Qualitäten auf die Jugend ausgeübt wird. Diese Jugend hat erkannt, daß sie sich an der Seite Schadows schnell und glücklich zu entwickeln vermag, auch ohne erfahrene Hände und ohne den Zwang befohlener Anstrengungen, sie hat in ihm einen Freund mit den Qualitäten eines aufmerksamen Vaters gefunden, einen Ratgeber in kritischen Situationen und in seinem Haus den Mittelpunkt einer aufrichtigen Fröhlichkeit. Die mühsamen und ernsten Arbeiten verstekken sich unter den Blumen gemeinsam unternommener Reisen oder origineller Maskeraden, ganz im Sinn der fröhlichen Belustigungen, die Benvenuto Cellini uns mit sehr viel Charme beschreibt. Wie also sich wundern, daß diese Schule, die ganz klein angefangen hat, innerhalb von sechs Jahren zu höchstem Ruhm in ganz Deutschland gelangte, daß eine große Anzahl von Schülern, die bei anderen Meistern studierten, diese verließen, um sich der Düsseldorfer Schule anzuschließen und daß die Räume den immer größer werdenden Zustrom von Schülern nicht mehr zu fassen vermögen?

Schadow übernahm im Jahre 1826 die Leitung der Düsseldorfer Akademie. Einige seiner besten Schüler, Hübner, Lessing, Hildebrandt und Sohn, folgten ihm nach Düsseldorf, was für ihn ein Glücksumstand war, denn bei seiner Ankunft stand er nicht vor viel mehr als dem Nichts: keine reichen Mäzene, keine großen Sammlungen und keine üppigen finanziellen Mittel, die die junge Schule begünstigt hätten. Trotzdem war es eine glückliche Idee der Regierung, genau in diese Gegend den Keim zu einem neuen künstlerischen Leben zu setzen: In Düsseldorf hielten sich noch vage Erinnerungen an die Zeiten der berühmten Galerie, die Einwohner waren im großen und ganzen der bildenden Kunst sehr gewogen, und deshalb war es möglich, jene Atmosphäre des Wohlwollens entstehen zu lassen, die den schöpferischen Kräften zu ihrem Erfolg so notwendig ist. Die niederländischen Kunstschätze und die alten Kirchengemälde an den Ufern des Rheins waren nur eine Tagesreise zu Fuß entfernt, und die Mühen, die diese Pilgerreisen mit sich brachten, empfahlen diese Werke vielleicht nachdrücklicher der Aufmerksamkeit der jungen Maler, als wenn ihnen eine jederzeit zugängliche reiche Kunstsammlung zur Verfügung gestanden hätte. Zu diesem Material gesellte sich noch der ständige Anblick eines fröhlichen und bewegten Volkslebens und die wichtigen Monumente, die von der alten Architektur noch vorhanden waren, es fehlte also an nichts, was den Geist eines Künstlers auf sanfte Art anregen könnte, ohne daß es jene leidenschaftlichen und stürmischen Elemente gab, die immer und überall anstatt harmonisch vollendeter Werke nur eine Art von Ergriffenheit hervorbringen.

Die Schule nahm ihre Arbeit in aller Stille auf, und es vergingen mehr als zwei Jahre, bevor man von ihr auch in etwas ausgedehnteren Kreisen sprach. Die ersten Gemälde hatten noch etwas Unbestimmtes, Gezwungenes, die meisten von ihnen hatten zu weiche Farben. In dieser Zeit wurden die ersten Werke dieser Schule, die trotz ihrer Fehler vielversprechend waren, zur Ausstellung nach Berlin geschickt, und sofort nach ihrer Betrachtung durch ein zahlreiches Publikum, das sich über alles hitzig austauscht, war der gute Ruf der Schule entschieden. Danach hat sie von Jahr zu Jahr ohne Unterbrechung ihre Freiheit, ihren Charakter und Stil ausgebildet. Man bewundert in den Werken dieser Künstler die Frische und Sensibilität, ein Naturell, das durch kein Dogma eingezwängt wird, und den Abwechslungsreichtum der Themen. Man ist erstaunt zu erfahren, daß viele der herausragendsten Arbeiten von sehr jungen Leuten stammen, die kaum ihr zwanzigstes Jahr vollendet haben.

Im folgenden werden wir einige der besten Schüler Schadows sowie ihre Werke charakterisieren. Wir beschränken uns darauf zu registrieren, und zwar im engsten Sinn des Wortes, und geben nur einige Beispiele von dem, was wir aufs beste kennen, da eine vollständige Aufzählung unvereinbar mit der Natur dieser Artikel wäre. Die derzeitig besten Schüler von Schadow sind Lessing, Sohn, Hildebrandt, Hübner, Bendemann, Mücke, Schirmer, Scheuren, Sonderland und Deger. Die Historienmaler zeigen eine Vorliebe für die Mythologie und für die Helden der Sagas und der romantischen Poesie, weniger beliebt sind das Alte und Neue Testament, wovon bisher nur Bendemann und Deger zu wichtigen Werken inspiriert wurden. Vom letzteren kennen wir das Gemälde Christus trägt sein Kreuz, in dem der Blick und die Gesichtszüge auf herzzerreißende Weise das schreckliche Leiden zum Ausdruck bringen. Auf einem anderen Gemälde von Deger sieht man Maria mit ihrem göttlichen Sohn auf dem Lande. Ihre Augen sind respektvoll niedergeschlagen. Das Kind hat rüstig einen Stock ergriffen und läuft vor der Mutter her, um sie zu führen. Man fühlt, daß es nicht geboren ist, um gelenkt zu werden. Trotz der Sanftheit seiner Züge erkennt man schon die Ernsthaftigkeit des zukünftigen Richters der Welten.

Carl Lessing aus Schlesien, ein Großneffe des berühmten Schriftstellers, verhilft aufs Neue diesem Namen zu Ruhm und Glanz. In diesem jungen Mann lebt der durchdringende, strenge und mächtige Geist des Dichters, der den Nathan schuf, wieder auf; eine gewisse Familienähnlichkeit läßt sich in den Gedichten des Onkels und den Gemälden des Neffen erblicken. Lessing, von strenger und nüchterner Natur, wählt mit Vorliebe Szenen der Gewalt, des Kampfes, des Todes und der Zerstörung und bildet sie durch gewagteste Zeichnungen ab, die äußerst bestimmt und korrekt angefertigt sind. Er läßt sich ausschließlich von übermenschlichen, gigantischen Themen inspirieren. Diese deutliche thematische Neigung verbunden mit einem ausgesprochen plastischen Talent sind die charakteristischen Elemente seiner Fähigkeiten. Anmut und Zartheit gelingen ihm nicht, und seine Farbgebung ist schwach. Es fehlt seinen Werken insbesondere etwas, das wir in Deutschland die musikalische Wirkung eines Gemäldes nennen. Erst in der Freskomalerei wird Lessing sein Talent ganz zur Geltung bringen können. Er ist dazu berufen, Krieger, Helden und Götter in großen und weiten Räumen darzustellen.

Bis zum Jahre 1830 hatte er fast ausschließlich Landschaften gemalt, als er plötzlich mit dem überdimensionalen historischen Gemälde Das trauernde Königspaar bekannt wurde. Die erste Anregung für dieses Bild erhielt er durch eine Romanze des beliebten Dichters Uhland, die den Titel Das Schloß am Meer trägt, und die auf ergreifende Weise die Trauer im königlichen Schloß nach dem Tod der Königstochter schildert. Hier sind die letzten Strophen dieses schönen Gedichts:

Sahest du oben gehen,
Den König und sein Gemahl?
Der roten Mäntel Wehen?
Der goldenen Kronen Strahl?

Führten sie nicht mit Wonne
Eine schöne Jungfrau dar
Herrlich wie eine Sonne
Strahlend im goldnen Haar?

-„Wohl sah ich die Eltern beide,
Ohne der Kronen Licht,
Im schwarzen Trauerkleide;
Die Jungfrau sah ich nicht.“

Das sind die Gedanken, die der Maler mit seinen künstlerischen Mitteln ausgedrückt hat.
Das königliche Paar sitzt in Trauer versunken in einem Raum von streng lastender Architektur. Der alte König mit langem Bart starrt bewegungslos vor sich hin. Sein weißer Mantel aus schwerem Wollstoff fällt massig über sein violettes Gewand, die Hände sind über den Knien gefaltet. Die dunkel gekleidete Königin hat den Blick auf den Boden geheftet. Sie stützt ihren Kopf in die rechte Hand, während die linke auf dem Arm des Königs ruht. Es gibt keine Heftigkeit, keine krampfhaften Gebärden. Diese Starre, die allen Schmerz verschlingt, reicht an die Würde des neben ihr sitzenden alten Königs. Neben dem Paar steht der Sarg ihrer Tochter, er ist verkürzt dargestellt. Durch das Fenster sieht man die untergehende Sonne und das Meer. Dieses Gemälde hinterläßt einen großen, unbeschreiblich betrübenden Eindruck, die Trauer hat in die majestätischen Königshäupter die Spuren des unermeßlich tiefen Schmerzes gegraben. Die Figuren, die Haltungen und der Faltenwurf erinnern an eine heroische Zeit, an ein größere Welt, die längst vergangen ist. Man fühlt etwas von der Versteinerung der Niobe. Die einzige Blume, die in den hohen kalten Alpen erblühte, ist verwelkt, und wir sehen in den Gesichtern der betrübten Eltern, wie die Felsen sich verhärten.

Neben diesem großen Werk müssen wir auch ein ganz kleines Gemälde, Der Räuber und sein Kind, erwähnen, das Lessing im Jahre 1832 beendete.

Auf dem Gipfel eines hohen Gebirges, im strahlendsten Licht der Sonne, sitzt der Räuber, eine robuste, durch Anstrengungen und Kämpfe geprüfte und gehärtete Gestalt. Die tödliche Waffe ruht in seinem Arm, er stützt den Kopf in die Hand und scheint von bittersten Gedanken über sein elendes Dasein niedergedrückt. Auf seinen Knien schläft das Kind den Schlaf der Unschuldigen, der Arm des Vaters liegt nachlässig, doch mit schützender Aufmerksamkeit über ihm. In der Ferne sieht man die Ebene, einen Fluß, eine Stadt und reiche, gut bestellte Felder. Die Figuren dieses kleinen Gemäldes sind etwa neun Zoll hoch, doch in diesem eingeschränkten Raum findet man eine ganze Welt voller Kontraste. Wir sehen die Unschuld und das Verbrechen, das Leben ohne Ordnung und Gesetz in einer friedlichen Umgebung, Himmel und Erde nebeneinander, und all dies wird durch einfachste, natürliche Symbole dargestellt!

Carl Sohn aus Berlin ist mit seinen Veranlagungen und mit der Gesamtheit seiner künstlerischen Fähigkeiten das ganze Gegenteil von Lessing. Seine wollüstige, zärtliche und gefühlsbetonte Phantasie verlangt nach Szenen der Liebe und der Freude und nach Sujets, in denen die Ausschweifungen des Daseins überschäumen. Am auffälligsten ist sein Talent der Farbgebung, in bezug auf die Zeichnung ist er schwächer. Fast würde man meinen, daß diese beiden wesentlichen Hauptbedingungen sich niemals in gleichem Maße vereinigen lassen. Seinen natürlichen Veranlagungen folgend malt Sohn mit Vorliebe Szenen aus der Mythologie, die er als liebenswürdige und unterhaltsame Geschichten auffaßt. An dieser Stelle wollen wir eine allgemeine Beobachtung einfügen.

Es ist auffallend, daß ein Aspekt der klassischen Antike, nämlich ihre Farbenpracht und fröhliche Sinnlichkeit, in der Malerei erst durch die neuzeitlichen Künstler veranschaulicht wurde. Die Skulptur ist die spezielle Ausdrucksform der Antike, ihre Kunst par excellence: trotz der schönen Geschichten von Zeuxis, Parrhasios und Apelles können wir kaum von einem großen Glanz der Malerei dieser Epoche sprechen, selbst diese Geschichten zeugen zugunsten unserer Meinung. Die Skulptur aber ist von ihrem Wesen her streng und bedächtig. Sie bildet die reine Form und damit das System der wahrnehmbaren Welt, aber diese Welt selbst stellt sie nicht dar.

Erst lange nach dem Untergang des Götterreiches auf dieser Welt wurde unter dem Pinsel von Raffael, Correggio und Tizian der Grundstein gelegt, um dieses Reich auf andere Weise wieder aufzubauen. Man könnte fast sagen, daß das Schicksal Reue zeigte, und daß es diesem herrlichen, entwurzelten Geschlecht eine Art Entschädigung anbieten wollte.

Von Sohn werden wir nur ein Gemälde beschreiben, und zwar Hylas und die Nymphen, das im Jahre 1830 ausgestellt wurde. Es ist ein rundes Bild mit lebensgroßen Figuren. Die Nymphen wollen den schönen Knaben Hylas, den Liebling des Herkules, in die Fluten ziehen. Hylas sitzt auf einem Abhang am Ufer, ein Bein gebeugt, mit aufgestelltem Knie, das andere Bein gleitet den Abhang hinunter. In der rechten Hand hält er das Gefäß zum Wasserholen, mit der linken stützt er sich auf dem Boden ab. Die schönen Verführerinnen entsteigen dem Wasser, dessen gläserne Klarheit ihre weißen Glieder durchschimmern läßt. Eine Nymphe betrachtet den Knaben mit zärtlichem Verlangen und umschlingt seinen Körper mit dem rechten Arm, während sie mit der linken Hand ihr blondes Haar zusammenhält, das sie in anmutiger Weichheit umfließt. Auf der anderen Seite sieht man eine zweite Nymphe, mit schwarzem lockigen Haar, die mit sinnlichen Blicken und Gesten ihre Arme nach Hylas ausstreckt. Eine dritte, von der man nur den Rücken sieht, ergreift das den Abhang hinabgleitende Bein. In der Gestalt des jungen Mannes drückt sich ein keuscher Schrecken aus, er scheint nur schwerlich das Begehren der Nymphen zu begreifen. Alle diese Figuren sind vollständig unbekleidet, außer Hylas, dessen Hüften von einem leichten Gürteltuch umschlungen werden. Solch ein Thema beschwört wollüstige Vorstellungen herauf, und die Ausführung hätte sich leicht ins Anstößige verirren können. Der Genius hat den Künstler vor dieser Klippe bewahrt. Es ist nicht zu leugnen, daß Sohn die Lebendigkeit des Fleisches gut getroffen hat, daß die Adern pulsieren, die Brüste wogen und die Körper vor Verlangen beben, aber es ist eine frische Sinnlichkeit voller Unschuld, die aus dem Überfluß der natürlichen Kräfte erwächst und die dem Gebot einer hohen und strengen Schönheit treu bleibt.

Theodor Hildebrandt aus Stettin hat sich vor allem in dem Genre versucht, das wir eingangs schon erwähnt haben, nämlich in der romantischen Genremalerei. Diese ist vielleicht das einzig wirklich eigene Produkt der modernen Zeit. Früher entnahm der Genremaler sein Sujet dem realen Leben. Die Bauernkaten, die Szenen aus Herbergen und Wirtshäusern, die Bilder des häuslichen Lebens – was sind sie, wenn nicht die Darstellung dessen, was sich alle Tage vor unseren Augen abspielt? Wir wollen nicht behaupten, daß diese Quelle gänzlich versiegt sei, aber ihre Fließkraft ist schwächer geworden, und neben ihr hat sich eine zweite Quelle den Weg gebahnt, die auf besondere Weise den heutigen Künstlern genehm ist. Wir wollen von der romantischen Poesie sprechen. Diese Poesie, mit all ihren Abwandlungen, mit den tausend Gefühlen und Situationen, die sie geschaffen hat, ist in gewisser Weise zu einer zweiten Natur für den Künstler geworden. Die Ausgelassenheit der fröhlichen, farbenfrohen Feste, wo der Troubadour seine Verse vor einer in Saus und Braus lebenden ritterlichen Gesellschaft singt, die schöne Verlassene, deren Klagen von den Felswänden widerhallen, der König im Festsaal, umgeben von seinem Gefolge, seinen Prinzen und Baronen, die Heimkehr des erschöpften Pilgers, der sterbende Ritter, die schöne Jägerin in ihrem hell erleuchtetem Zelt, das vorsichtige Rotkäppchen aus dem köstlich absurden Märchen, der Schrecken eines mitternächtlichen Friedhofes, alle diese Motive der Poesie und hundert weitere haben sich unsere jungen Künstler schon zunutze gemacht, wenn ihre Neigung sie nicht zur Bibel oder zur Geschichte lenkte. Diese Neuausrichtung ist nur allzu verständlich. Das Volksleben hat an Form und Farbe verloren, die Tendenz zu einer uniformen Gesellschaft hat alle Klassen eingeebnet. Zwischen den Menschen gibt es kaum noch andere Unterschiede als die geistigen. Höchst selten erspäht der Künstler noch im Volksgemenge charakteristische Gruppen. Auch wenn diese Entwicklung in anderer Hinsicht zu begrüßen ist, so ist es doch für den Pinsel des Künstlers eine traurige Angelegenheit, wenn alle Welt den gleichen Frack trägt. Die Maler waren gezwungen, eine neue und unverbrauchte Quelle zu suchen, und haben sie in der Poesie gefunden. Auch Lessing gehört bis zum heutigen Tage zu den romantischen Genremalern. Im Zusammenhang mit dem Letztgesagten müssen wir noch einmal auf Hildebrandt zurückkommen. Er hat sich zu entzückenden Arbeiten aus dieser Quelle inspirieren lassen. Auf einem seiner kleinen Bilder schwimmt ein Boot mit zwei Kindern in einem von Blumen und Schilf umgebenen Teich. Das kleine Mädchen beugt sich aus dem Boot, um eine Wasserlilie zu pflücken. Der Knabe hält es beunruhigt am Gürtel fest und scheint mit zu Vorsicht gemahnender Geste zu sagen: Paß auf, die Blume gehört [der Nymphe] Nipes. Auf einem anderen Gemälde erzählt eine alte Großmutter ihren Enkeln die schönen Geschichten vom Vogel Greif, dem Gebirge der Liebenden und der verwünschten Prinzessin. Einer der kleinen Jungen hat sich, vom Vergnügen an der Erzählung hingerissen, auf einen Schemel vor die Großmutter gekniet, der andere schmiegt sich an sie an, und der flackernde Schein des Herdes beleuchtet die ganze Gruppe. Alle häuslichen Gegenstände sind um diese Gruppe verteilt und scheinen versteinert wie in dem Märchen. An diesen Beispielen sieht man, daß unser Künstler nicht immer bestimmte Szenen eines bekannten Gesanges abbildet, sondern daß er sich oft darauf beschränkt, dem allgemeinen Geist dieser Poesie Anregungen zu entnehmen, um zum eigenwilligen Echo ihrer Klänge zu werden. In Wahrheit ist dies die glücklichste Art, Anleihen zu machen, denn wenn der Künstler sich dazu zwingt, eine gegebene Szene nachzubilden, so ist das fast immer zu seinem Nachteil. Ein Beispiel soll uns hier genügen. Im Jahre 1829 hatte der in Schlesien geborene Julius Hübner sich vorgenommen, Goethes Fischer darzustellen. Die Ausführung des Gemäldes war von ausgezeichneter Qualität, aber die Idee des Künstlers blieb weit hinter der des Dichters zurück. Der Maler hatte die Szene in einem dichten Wald angesiedelt, in dessen Mitte ein kleines Rinnsal floß. Daher ging die Macht der Weite verloren, von der das Gefühl im Gedicht so tief beeindruckt wird. Letztendlich ist dieses Genre nicht ohne Gefahren, es ist sehr leicht, ins Nebulöse oder Monströse zu verfallen. Aber auch in dieser Hinsicht wurde den jungen Malern der Düsseldorfer Schule durch das Wissen, die Bildung, die Erfahrung und die soliden Methoden ihres Meisters ausreichender Schutz und Sicherheit geboten.

Eduard Bendemann aus Berlin hat im Jahre 1832 auf der Ausstellung alle Kunstfreunde durch sein Bild Die Juden im Exil überrascht. Der Vers des Propheten: Super flumina Babylonis stetimus et flevimus dum recordaremur Sion hat den Künstler inspiriert, den tausendjährigen Schmerz des über die ganze Welt verteilten Volkes wiederzugeben. In orientalischer Umgebung sitzt eine Familie der Vertriebenen unter einer Palme. Ein majestätischer Alter ist die zentrale Figur. Die Harfe ist aus seinen Händen geglitten. Neben ihm sieht man eine junge Frau, die krampfhaft ihr nacktes Kind an die Brust preßt, auf der anderen Seite ein junges Mädchen, das traurig den Kopf in die Hände stützt. Das jüngste Mädchen liegt vor dem Alten und versteckt den Kopf an seiner Brust. Der Euphrat fließt zu ihren Füßen und in der Ferne erheben sich die bläulichen Massen der zahlreichen Türme von Babylon. Dieses Bild ist voll Schmerz und Verzicht, man kann es nicht genug loben hinsichtlich des Ausdrucks, der höchsten Auffassungsgabe, der Großartigkeit der Formen und der Reinheit, Klarheit und Bescheidenheit der Farben. Es verdeutlicht wahrhaft das Jetzt ohne Zukunft, eine Erde ohne Himmel, den erhabenen, gleichgültigen Blick der Verzweiflung inmitten des täglich wachsenden Leides. Ohne Zögern können wir behaupten, daß diese Leinwand als der Höhepunkt des bisher in der Düsseldorfer Schule Geschaffenen zu betrachten ist. Die Qualitäten dieses Bildes sind so offensichtlich, daß sie sogar die Gleichgültigkeit unserer Landsleute zu besiegen vermochten, die sonst eher selten zu spontaner Bewunderung neigen. Dieses Bild hat einen wahren Enthusiasmus in großen Teilen Deutschlands ausgelöst, es wurde schon in Kupfer gestochen, und ein Platz in allen Schaufenstern ist ihm sicher. Wir werden später noch davon berichten.

KARL IMMERMANN.

(Der Schluß erscheint in Kürze.)