Zeichnungen von Meisterhand
Die Kunstsammlung der Universität stellt einhundert Werke von Botticelli bis Rembrandt aus
 
 

Schon lange gilt die Zeichenkunst als die edelste Kunstgattung, die Kenner und Sammler in ihren Bann zog und zieht. Die Besonderheit des Mediums Zeichnung begründet sich in der Unmittelbarkeit des Ausdrucks: Bei keiner Kunstform ist der Betrachter näher am kreativen Prozess, bei keiner Kunstform treten die individuellen Züge des Künstlers deutlicher zu Tage.
Während der EXPO bietet sich in Göttingen die Gelegenheit, an der Faszination der Zeichenkunst teil zu haben. Die Kunstsammlung der Universität präsentiert zum ersten Mal seit über drei Jahrzehnten in einer Ausstellung einhundert ausgewählte Meisterzeichnungen und macht damit einen Teil ihrer kleinen, aber bedeutenden Sammlung der Öffentlichkeit zugänglich.
 

Die Sammlung Uffenbach

Die Entstehung der Göttinger Zeichnungssammlung reicht bis in die Gründungszeit der Universität zurück. 1736 vermachte der Frankfurter Patrizier und Sammler Johann Friedrich Armand von Uffenbach (1687-1769) seine bedeutende Sammlung an Büchern, Zeichnungen, Druckgraphik und wissenschaftlichen Instrumenten der Georgia Augusta. Uffenbach sollte in seiner Heimatstadt Frankfurt am Main die Aufsicht über alles civil- und militairbauwesen übernehmen. Um sich dieser unbezahlten und lebenslangen Pflicht zu entziehen, schloss er mit der Regierung in Hannover eine Vereinbarung: Er verpflichtete sich vertraglich, seine Sammlung der Georg-August-Universität zu hinterlassen. Im Gegenzug erhielt er den mit keinerlei Verpflichtungen verbundenen Titel eines Königlich Großbritannischen Churfürstlich Braunschweigisch Lüneburgischen Artillerieobristlieutenants. Da er somit in militärischen Diensten eines anderen Landes stand, war er in Frankfurt von seinen zeitraubenden Ehrenämtern befreit und konnte sich ganz auf seine Sammelleidenschaft konzentrieren. 1770, ein Jahr nach Uffenbachs Tod, wurde das Legat vom Main an die Leine überführt. Neben Büchern und rund 10.000 Holzschnitten und Kupferstichen kamen auch knapp 1.000 Zeichnungen nach Göttingen. Sie bilden den Grundstock der graphischen Sammlung, die durch weitere Stiftungen und Ankäufe heute auf gut das Doppelte angewachsen ist.
 

Zeichnungen von Meisterhand

Die Ausstellung zeigt einhundert Zeichnungen, die mit wenigen Ausnahmen aus dem Besitz Uffenbachs stammen. Sie belegen seinen enzyklopädischen Anspruch, in der Sammlung alle Techniken und Aufgaben der Zeichenkunst zu dokumentieren. Uffenbach gelang es, große Namen von den Anfängen der Zeichenkunst bis hin zu seinen Zeitgenossen aus allen bedeutenden europäischen Kunstlandschaften zu versammeln. Auch unterschiedlichste Themen finden sich: Christliche, mythologische und allegorische Darstellungen stehen neben Landschaften und Porträts. Die Ausstellung zeigt filigrane Zeichnungen mit dem Silberstift ebenso wie Kreide- und Federzeichnungen, mit dem Pinsel aquarellierte und lavierte Blätter sowie Ölstudien.
Der Beginn der Zeichenkunst wird um 1400 angesetzt, als Papiermühlen den Künstlern ein Material zur Verfügung stellten, das weitaus billiger war als das bisher als Schreib- und Zeichenstoff verwendete Pergament. Uffenbach trug immerhin elf Blätter zusammen, die aus dem 15. Jahrhundert stammen. Zu diesen frühen Zeichnungen zählen Werke aus der Schule Rogier van der Weydens und Dierick Bouts' sowie eine “Krönung Mariens” von Sandro Botticelli. Aus dem frühen 16. Jahrhundert sind ausdrucksstarke Porträtzeichnungen von altdeutschen Künstlern wie Hans Süss von Kulmbach oder Hans Burgkmair vertreten. An der Wende zum 17. Jahrhundert prägte die Kunst am Prager Hof Kaiser Rudolfs II. die Kunst in ganz Europa. Zeichner wie Bartholomäus Spranger und Hans von Aachen repräsentieren diese Epoche.

Einen Schwerpunkt der Ausstellung bilden Landschaftsdarstellungen. In der Mitte des 16. Jahrhunderts wurde die Landschaft besonders in den Niederlanden ein sehr gebräuchliches Thema der Malerei und Graphik. Diente die Landschaft bisher nur zur Ausgestaltung von Hintergründen und Freiflächen, so wurde daraus nun eine selbständige Kunstform. Zu den ersten Künstlern, deren Spezialität die Landschaft war, gehört zu Beginn des 16. Jahrhunderts Wolfgang Huber, der neben Albrecht Altdorfer zu den bedeutendsten Vertretern der “Donauschule” gehört. Niederländische Landschaftsdarstellungen sind u. a. durch Anthonie van Borssoms “Ansicht eines Dorfes mit Windmühle”  und durch Werke von Jan van Goyen, dem bedeutendsten Landschaftsmaler und -zeichner dieser Zeit, repräsentiert.
Reich vertreten ist das “Gouden Eeuw”, das holländische 17. Jahrhundert. In dieser Epoche hatte die Wirtschaft in den sieben vereinigten niederländischen Provinzen ihre Blütezeit. Neben Wissenschaft, Literatur und Musik erlebten in diesem prosperierenden Umfeld insbesondere die bildenden Künste einen Höhepunkt, deren wichtigster Vertreter Rembrandt ist. Einige Strahlen dieses “Goldenen Jahrhundert” scheinen auch die Göttinger Zeichnungssammlung: Neben einem Blatt Rembrandts sind zahlreiche Werke aus seinem Umkreis zu bewundern.

In der Ausstellung werden auch die unterschiedlichen Funktionen der Zeichenkunst beleuchtet. Neben autonomen Werken, die als Gemäldeersatz dienten oder direkt für den Verkauf bestimmt waren, werden Blätter gezeigt, die in Beziehungen zu anderen Kunstwerken stehen - sei es als Nachzeichnung nach Werken anderer Meister, sei es als Vorzeichnung für eigene Werke.  Uffenbach legte auf diese Blätter besonderes Augenmerk. In seinem Sammelalbum bezeichnete er die Zeichenkunst als “Vorschule der Malerei und graphischen Künste”. So war das Abzeichnen fremder Werke ein wichtiger Teil der Ausbildung zum Künstler. Diese Aufgabe ist in der Ausstellung mit Kopien nach bedeutenden Skulpturen dokumentiert: nach der antiken Laokoon-Gruppe oder nach dem “Raub einer Sabinerin” von Giambologna in Florenz. Gezeigt sind auch Entwürfe für andere künstlerischen Gattungen: für Skulpturen, für Holzschnitte und Kupferstiche, für Glasfenster, für Buchillustrationen wie für Gemälde. So diente Botticellis Marienkrönung als Vorzeichnung für die Ausmalung der Kapelle in San Marco zu Florenz. Uffenbach erwarb auch Entwürfe des bedeutenden Hofmalers Johann Jacob Walther. Diese Blätter bereiteten die Ausmalung des Schlosses Idstein vor, das im Taunus und damit in Uffenbachs näherer Umgebung liegt.
Das Studium der Natur und das Festhalten des Gesehenen, z.B. in Skizzenbüchern, ist eine der wichtigsten Aufgaben der Zeichnung. Seit ungefähr 1530 findet sich hierfür die niederländische Wendung “naer het leven” auf zahlreichen Kunstwerken, wie auch auf der ausgestellten Figurenstudie von Roeland Savery. Weitere Beispiele sind Studien einer Eidechse und eines Jagdhundes, der in lockerem Gestus von dem Tiermaler Johann Melchior Roos skizziert wurde.
Zu den Zeichnungen sind weitere Werke aus der Kunstsammlung und aus den Beständen des Niedersächsischen Staats- und Universitätsbibliothek gesellt. So kann Matthäus Merians gezeichneter Titelblattentwurf mit dem gedruckten Buchtitel seiner “Topographia Germaniae” verglichen werden. Gemälde und Drucke aus den Beständen der Kunstsammlung von in der Ausstellung vertretenen Meistern ermöglichen Vergleiche zwischen den verschiedenen künstlerischen Gattungen.
Besucher, die zu einem frühen Zeitpunkt die Ausstellung besuchen, können noch eine Zeichnung Georg Lembergers bewundern. Sie wird an das John Paul Getty Museum in Los Angeles für dessen Ausstellung “Painting on Light” ausgeliehen und danach in St. Louis Museum zu sehen sein.
 

Meisterzeichnungen auf Papier, CD-ROM und im Netz

Die Ausstellung “Zeichnungen von Meisterhand” wird von einem klassischen gedruckten Katalog begleitet, aber auch von Präsentationen in den neuen Medien. Der bei Vandenhoeck & Ruprecht erschienene Katalog (hg. von Gerd Unverfehrt) umfasst rund 270 Seiten. Er bildet alle 100 ausgestellten Werke ganzseitig und in Farbe ab und zeigt rund 100 schwarz-weiße Vergleichsabbildungen. In der Ausstellung ist auch der im Saur-Verlag München erschienene elektronische Bestandskatalog aller Zeichnungen der Göttinger Kunstsammlung erhältlich. Diese CD-ROM umfasst farbige Abbildungen der 2.200 Blätter sowie detaillierte Informationen zu Künstler, Technik, Ikonographie oder Beziehung zu anderen Kunstwerken (siehe Spektrum 3/99, S. 23f.). Neben der realen Ausstellung wurde eine virtuelle Fassung erarbeitet, die im Internet unter der Adresse http://www.Meisterzeichnungen.de besucht werden kann. Als Anregung für den wirklichen Ausstellungsbesuch können virtuelle Museumsräume durchwandert und die Zeichnungen mit knappen Informationen betrachtet werden.
 
 

Die Ausstellung läuft vom 25. Juni bis zum 20. August in der Kunstsammlung der Universität im Auditorium,
Weender Landstraße 2, sie ist dienstags bis sonntags 11-17 Uhr, donnerstags 11-20 Uhr geöffnet.

In der Ausstellung kostet der Katalog DM 44.- (Buchhandelsausgabe DM 78,-). Der Bestandskatalog auf CD-ROM ist für DM 88.- erhältlich. Weitere Informationen und Vereinbarung von Führungen: Dr. Gerd Unverfehrt, Seminar für Kunstgeschichte, Nikolausberger 15, 37073 Göttingen, 39-5092/93.


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Tobias Möller & Matthias Ohm