Dieser Vortrag
wurde im Rahmen des von der Stiftung Entwicklung und Frieden veranstalteten
Workshops "Neue Medien und globale Kommunikation - Die Zukunft der Informationsgesellschaft
demokratisch mitgestalten vom 7. - 8. Oktober 1996 - gehalten.
Pädagogische Konzepte für globales Lernen
- Informationsgesellschaft und neue Medien als Herausforderung an die politische
Bildung -
Inhalt:
Meine Damen und Herren,
als ich diesen Vortrag vorbereitete, habe ich verständlicherweise
auch den von der "Stiftung Entwicklung und Frieden" herausgegebenen Bericht
der Kommission für Weltordnungspolitik konsultiert, der den Titel
trägt "Nachbarn in einer Welt" (1). Und dabei fiel mir auf, daß
zwar alle wichtigen Aspekte des Globalisierungsprozesses ange-sprochen
sind und daß auch umfangreiche Handlungsempfehlungen zur Einflußnahme
darauf unterbreitet werden. An keiner Stelle ist jedoch erwähnt, wie
die Menschen das lernen können oder lernen sollen, was sie zu diesem
Handeln befähigt. Der Aspekt globalen Lernens fehlt.
Nun erhebe ich keineswegs den Anspruch, mit meinem Beitrag das hier
fehlende Kapitel nachzuliefern. Vielleicht aber kann ich einen kleinen
Anstoß in diese Richtung geben, indem ich auf wichtige Beiträge
hinweise, die es aufzuarbeiten gilt.
Es gibt Erkenntnisse, deren Bedeutung man erst längere Zeit nach ihrer
ersten Veröffentlichung einschätzen kann. Zu Ihnen gehört
der Bildungsbericht an den "Club of Rome", der 1979 unter dem Titel
"Das menschliche Dilemma - Zukunft und Lernen" erschienen ist (2). In dieser
Publikation, an der mehr als 100 Personen aus vielen Ländern mitgewirkt
haben, werden Konsequenzen aus dem 7 Jahre vorher erschienenen MEADOWS-Report
über die "Grenzen des Wachstums" gezogen, der ebenfalls vom Club of
Rome unterstützt worden war, und zwar Konsequenzen für neue Formen
menschlichen Lernens (3). Während jedoch im MEADOWS - Report vor allem
ökologische Krisen und Katastrophen im Mittelpunkt stehen, die durch
unbegrenzte Wachs- tumsprozesse eintreten, geht es im Bildungsbericht um
Kulturkrisen und Kulturkatastrophen. Zu diesen gehören im besonderen
die Entwicklung einer globalen Monokultur beruhend auf der "aggressiven
Ethnozentrik" von Ländern des Nordens, die verbunden ist mit kulturellem
Artensterben. Dazu gehört aber ebenso auch der Zerfall in eine Vielzahl
subkultureller Gebilde mit oft auch fundamentalistischem Charakter, die
permanent Konfliktstrukturen und Konfliktsituationen produzieren.
In unserem Zusammenhang gewinnt dieser Bericht seine Bedeutung dadurch,
daß in ihm alle wichtigen Prinzipien globalen Lernens zum Thema wurden:
-
Globales Lernen muß den Umgang mit Komplexität und Interdependenz
des globalen Systems vermitteln.
-
Globales Lernen muß durch Thematisierung von Wertvorstellungen und
Interessen die Sinnbezüge erweitern, in denen Lerntätigkeit steht,
muß somit Abschied nehmen vom Konzept wertfreier Information.
-
Globales Lernen muß innovativ sein, indem es die Prinzipien von Vorwegnahme
("Antizipation") und Teilhabe ("Partizipation") in den Mittelpunkt stellt,
muß also die Einseitigkeit eines bloß überliefernden Lehrens
überwinden.
-
Globales Lernen muß einen Beitrag zum Gleichgewicht und zur gleichzeitigen
Sicherung und Entwicklung von kultureller Autonomie und kultureller Integration,
von kultureller Identität und kultureller Vielfalt, von Lokalkultur
und Weltkultur leisten.
-
Mit globalem Lernen muß deshalb gleichzeitig auch sein Komplement,
das lokale Lernen entwickelt werden.
-
Globales Lernen muß die Möglichkeiten der Telekommunikation
nutzen, gleichzeitig aber vermitteln, wie man deren Mißbrauch verhindert.
Daß die Umsetzung dieser Prinzipien in die Praxis bildungsorganisatorische
und didaktische Maßnahmen verlangt, ist den Autoren des Bildungsberichts
bewußt und deshalb haben sie auch dazu ausführlich Stellung
genommen. Zu diesen Maßnahmen gehören im besonderen
-
die Veränderung der Organisationsstruktur in Richtung auf größere
Durchlässigkeit und engere Verbindung zur lokalen Umwelt,
-
die Überwindung der Idee "abgeschlossener" Bildung zugunsten "lebenslangen
Lernens", das verbunden ist mit einer entsprechenden Angebotsstruktur für
Erwachsene und Maßnahmen, die geeignet sind, das Lernen zu lernen.
-
Die Betonung von Prozessen, Methoden und Strategien der Erkenntnisgewinnung
und der Erkenntnisbewertung gegenüber der bloßen Vermittlung
und Aneignung ihrer Resultate.
-
Die Betonung fächerübergreifender Lerneinheiten mit problemlösendem
und aufgabenbearbeitenden Charakter gegenüber fächergebundener
Stoffaneignung mit überwiegend aussagenreproduzierendem Charakter.
-
Die Betonung aktiven und selbsttätigen Lernens von Individuen und
Lerngemeinschaften, das sich durch neue Formen aktiven Erkundens, des strukturierten
Diskutierens und der kooperativen Projektarbeit auszeichnet und das auch
die Nutzung neuer Medien einbezieht.
Nun könnten Sie den Einwand erheben, daß damit so ziemlich alle
Forderungen von Bildungsreformen der vergangenen 100 Jahre in einer neuen
Formel zusammengefaßt und mit dem neuen Etikett "globales Lernen"
versehen werde. Daß dem nicht so ist, werden Sie rasch feststellen,
wenn Sie die Begründungszusammenhänge analysieren, die der Bericht
zwischen den bereits erwähnten ökologischen, kulturellen und
politischen Herausforderungen der Menschheit auf der einen und diesen Anforderungen
an Bildungssysteme auf der anderen Seite herstellt.
Mit dieser Erinnerung an den vor nunmehr 17 Jahren erschienenen "Bildungsbericht
an den Club of Rome" hoffe ich, die wichtigen gedanklichen Bausteine benannt
zu haben, mit denen ich meine folgenden Überlegungen weiter gestalten
möchte. Diese Konzentration auf eine Quelle, die nun schon Zeitgeschichte
geworden ist, bedeutet keine Geringschätzung der mannigfachen pädagogischen
Bewegungen, die in unserem Jahrhundert vielfältige Ideen zum globalen
Lernen beigetragen haben. Zu erwähnen sind hier im besonderen Konzepte,
die in Deutschland im Rahmen verschiedener pädagogischer Richtungen
entstanden,
-
der Völkerverständigungs-Pädagogik nach den beiden Weltkriegen,
-
der Friedenspädagogik,
-
der Dritte-Welt-Pädagogik,
-
der Ausländer-Pädagogik,
-
der interkulturellen Pädagogik,
-
der Eine-Welt-Pädagogik und
-
der "Entwicklungspädagogik".
Ich kann auf diese Vorläufer von pädagogischen Konzepten globalen
Lernens im hier und heute gegebenen Rahmen nicht weiter eingehen. Deshalb
möchte ich auf die ausgezeichnete Darstellung von Klaus Seitz verweisen,
die er vor drei Jahren unter dem Titel "Von der Dritte-Welt-Pädagogik
zum Globalen Lernen - Zur Geschichte der entwicklungspädagogischen
Theoriediskussion" veröffentlicht hat (4). Er zeichnet hier die wichtigen
Stationen eines Prozesses nach, der in Deutschland während der vergangenen
50 Jahre stattfand und in ca. 2000 deutschsprachigen Publikationen seinen
Niederschlag gefunden hat. Dabei unterscheidet Seitz fünf Phasen:
-
Die Entwicklung der 50er Jahre faßt er unter der Überschrift
"Erziehung zur internationalen Verständigung im Horizont der Einen
Welt" zusammen.
-
Die 60er Jahre kennzeichnet er als "Pädagogik der Entwicklungshilfe
und die Didaktik eines neuen Bildungsgutes".
-
Die dritte Phase von 1970 - 1975 benennt er "Curriculare Innovationen,
Ideologiekritik und emanzipatorisches Lernen am Beispiel internationaler
Abhängigkeitsstrukturen".
-
Die vierte Phase, die nach Seitz von 1975 bis in die 80er Jahre reicht,
trägt den Titel "Die Alltagswende im Schatten der Entwicklungskrise".
-
Die fünfte Phase schließlich kennzeichnt er als "Interkulturelles
und globales Lernen in der Weltgesellschaft".
Ich werde nun gleich in diese fünfte Phase hineinspringen und auf
drei pädagogische Konzepte verweisen, die für diese Phase charakteristisch
sind.
Bereits zu Beginn der nach Seitz 5. Phase, im Jahr 1982, veröffentlichte
Robert G. Hanvey einen längeren Essay, der den Titel trägt "An
Attainable Global Perspektive" (5). Darin nennt er 5 Leitideen - Hanvey
spricht von "dimensions" - an denen sich pädagogische Konzepte globalen
Lernens orientieren sollten:
-
Kulturperspektiven-Bewußtsein und kulturelle Selbstreflexion,
-
Weltzustands-Bewußtsein,
-
interkulturelles Bewußtsein,
-
Kenntnis der Dynamik des globalen Systems und
-
Bewußtsein für menschlichen Entscheidungsbedarf.
Unter "Kulturperspektiven-Bewußtsein und kultureller Selbstreflexion"
("perspective consciousness") versteht Hanvey "das Bewußtsein eines
Individuums davon, daß er oder sie ein Weltbild hat, das nicht von
allen Menschen geteilt wird und daß dieses Weltbild durch Einflüsse
erzeugt wurde und weiterhin erzeugt wird, die sich der bewußten Wahrnehmng
entziehen, und daß es andere Menschen mit anderen Weltbildern gibt,
die sich deutlich vom eigenen Weltbild unterscheiden" (a. a. O., S. 4).
Unter "Weltzustands-Bewußtsein" ("state of the planet awareness")
versteht Hanvey "das Bewußtsein von den weltweit vorherrschenden
Bedingungen und Tendenzen, z.B. von Bevölkerungswachstum, Migration,
ökonomischen Verhältnissen und Umweltverhältnissen, von
Entwicklungen in Wissenschaft und Technologie, im Rechts- und Gesundheitswesen
sowie von internationalen und intranationalen Konflikten etc." (a. a. O.,
S. 6).
Als dritte Dimension globalen Lernens nennt Hanvey "interkulturelles
Bewußtsein" ("cross-cultural awareness"). Darunter versteht er "das
Bewußtsein von der Vielfalt der Ideen und Praktiken, die sich in
menschlichen Gesellschaften weltweit finden lassen, von der Art und Weise,
wie man diese vergleichen kann und davon, wie die Ideen und Praktiken der
eigenen Kultur aus der Perspektive der jeweils anderen erscheinen"
(a. a. O., S. 8).
Die vierte Dimension ist "Kenntnis der Dynamik des globalen Systems"
("knowledge of global dynamics"). Dies ist "ein bescheidenes Verständnis
von den Grundzügen und Mechanismen des Weltsystems, wobei Theorien
und Konzepte im Mittelpunkt stehen, die ein intelligentes Bewußtsein
des globalen Wandels erhöhen"(a. a. O., S. 13).
"Bewußtsein für menschlichen Entscheidungsbedarf" ("awareness
of human choices") ist die fünfte Dimension. Für Hanvey ist dies
das "Bewußtsein von notwendigen Entscheidungen, die Individuen, Nationen
und die Menschheit in dem Maße fällen müssen, in dem sich
Bewußtsein vom und Wissen über das globale System erweitern"
(a. a. O., S. 22).
An diesem Essay sind in unserem Zusammenhang - abgesehen von den sehr
ausführlichen Erläuterungen und Begründungen dieser 5 Dimensionen
- vor allem zwei Punkte von Bedeutung. Zum einen ist dies die Betonung
des "kulturellen Faktors", der den Kern globalen Lernens ausmacht. Und
zum anderen ist dies die Einschätzung, die Hanvey vom Einfluß
der Massenmedien - vor allem des Fernsehens - auf diesen Prozeß vermittelt:
Er beschreibt ausführlich, daß und wie Massenmedien aus Eigeninteresse
oder auf Grund von Interessen ihrer Beherrscher und Auftraggeber verzerrte
Welt- und Menschenbilder vermitteln und damit zur Erzeugung eines - im
Sinne der genannten 5 Dimensionen - falschen globalen Bewußtseins
beitragen. Für Hanvey müssen deshalb pädagogische Konzepte
globalen Lernens immer auch Kritik und Gegenwirkung gegen diese falsche
Bewußtseinsbildung enthalten.
Ein Sprung über den Atlantik führt uns zu unserem zweiten Beispiel
in die Schweiz. Dort wurde zu Beginn der 80er Jahre unter der Bezeichnung
"Forum Schulen für eine Welt" ein Dachverband entwicklungspädagogisch
tätiger Organisationen gegründet. Er erstellte zunächst
einen sehr ins Detail gehenden Lernzielkatalog für die entwicklungspädagogische
Arbeit an Schweizer Schulen und koordinierte die daraufhin in der Praxis
entstehenden Projekte und Ansätze. Vor einem Jahr nun legte das Forum
einen Bericht vor, der die Erfahrungen aus zehn Jahren zusammenfaßt
und neue Perspektiven aufweist. Er trägt den Titel "Globales Lernen.
Anstöße für die Bildung in einer vernetzten Welt" (6).
Obwohl die Autoren nicht beanspruchen, ein neues und abgeschlossenes
Bildungskonzept vorzulegen handelt es sich meinem Urteil nach um einen
Bezugsrahmen, der hervorragend geeignet ist, konkrete Projekte zu entwickeln
und zu beurteilen. Der Bericht beginnt mit einer knappen Beschreibung der
wichtigsten Aspekte des Globalisierungs- prozesses: Ökonomie, Kultur
& Kommunikation, Politik sowie Ökologie und verweist dann auf
die Folgen der Globalisierung. Sodann zeichnet er den gedanklichen Prozeß
von der "Dritten-Welt-Pädagogik" zur "Einen-Welt-Pädagogik" nach
und nennt dann Zukunftsaufgaben, wobei er "Zukunftsfähigkeit" in den
Kategorien von Nachhaltigkeit, Partizipation, Gestaltung von Lokalkultur,
Verteilungsgerechtigkeit sowie als Gleichgewicht von Ordnung und Freiheit
faßt.
Die vier vom Forum formulierten Leitideen globalen Lernens decken sich
teilweise mit Prinzipien, die im "Lernbericht" und bei Hanvey beschrieben
sind:
-
Bildungshorizont erweitern,
-
Identität reflektieren,
-
Lebensstil überdenken und
-
Verbindung von lokal und global - Leben handelnd gestalten.
Welche Kompetenzen dies beim einzelnen erfordert, wird in Art eines Katalogs
von 10 Punkten aufgeführt, und es werden methodisch-didaktische Grundsätze
für die Gestaltung von Projekten bzw. Unterricht genannt. Dies sind:
-
Denken in Zusammenhängen,
-
Lernen von der Zukunft (vor ?),
-
soziales, teilhabendes Lernen,
-
personenzentriertes Lernen,
-
Lernen in konkreten Situationen,
-
ganzheitliches Lernen und
-
interkulturelles Lernen.
Schließlich bietet das Forum "Anstöße zur Umsetzung",
die auf nicht mehr und nicht weniger als auf eine Umgestaltung unseres
Bildungssystems auf allen Ebenen hinauslaufen, als deren wichtigste Punkte
zu nennen sind
-
die Erhöhung der Autonomie der einzelnen Bildungseinrichtungen, so
daß größere Handlungsspielräume für globales
Lernen entstehen,
-
die Öffnung der Bildungseinrichtungen hin zur Gemeinde und zur Region,
-
die Strukturierung der Lehrpläne nach Themen und Problemen, weniger
nach Fächern und Fachgebieten,
-
die Verstärkung von Lernprojekten,
-
die Vorbereitung auf "lebenslanges Lernen",
-
die Berücksichtigung von Problemen und Themen, die sich auf Welt-
und Menschenbilder beziehen, auf kulturelle Bedingtheit und kulturelle
Selbstreflexion, auf Zukunftsorientierung und aktuelle Handlungsmöglichkeiten,
-
die Einbeziehung neuer Lernorte und die Umgestaltung von Schulen, so daß
sie mehr Raum bieten für globales Lernen und zu Erfahrungsräumen
werden
-
sowie Entwicklung und Einsatz bekannter und neuer Unterrichtsmedien.
Weite des Horizonts, Sorgfalt im Detail und Pragmatik, die diesen Bericht
auszeichnen, machen ihn somit zur Pflichtlektüre für jeden, der
sich mit der Entwicklung und Umsetzung von Konzepten globalen Lernens befaßt
(7).
Als dritten Beitrag, der einen umfassenden Bezugsrahmen für unsere
Thematik liefert, sei das pädagogische Konzept erwähnet, das
seit 1992 als Projekt von UNICEF unter dem Titel "Education for Development:
A Framework for Learning for Global Citizenship" läuft und 1995 mit
einer Buchveröffentlichung unter diesem Titel einem breiteren Publikum
bekanntgemacht wurde (8).
Dieses Konzept gründet sich auf zwei Ansätze,
-
in den Industrieländern auf das, was wir in Deutschland "Dritte-Welt-Pädagogik"
nennen, ein Ansatz der vor allem von den Nicht-Regierungsorganisationen
getragen wurde;
-
und in den Ländern der Dritten Welt die von Basisorganisationen entwickelten
Ansätze der Selbsthilfe wie sie dann - nicht zuletzt - auch von prominenten
Fürsprechern wie Freire und Nyerere weltweit verbreitet wurden.
Dieses Konzept von UNICEF deckt sich teilweise mit dem des Schweizer Forums
- letzteres beruft sich übrigens auch auf UNICEF -, teilweise setzt
es unterschiedliche Akzente. Seine Leitideen sind:
-
Interdependenz, d. h. zu lernen, daß und wie die Ereignisse in der
Welt Teil eines zusammenhängenden und in sensiblem Gleichgewicht sich
befindlichen Systems sind, sowie zu lernen, lokales Handeln auf globale
Kontexte zu beziehen. kulturelle Vielfalt, d.h. Fremdes im eigenen Land
und im Ausland kennenzulernen, zu lernen daß eigene Sichtweisen und
Lebensweisen nicht die einzig möglichen sind, zu lernen, daß
Fremdes nicht bedrohlich sein muß.
-
soziale Gerechtigkeit, d.h. zu lernen, wie Menschenrechte durch soziale,
politische, ökonomische und kulturelle Faktoren verweigert oder
gesichert werden können, zu lernen, dies auf das eigene Leben und
die eigenen Handlungen anzuwenden.
-
Konfliktbewußtsein und Konfliktlösungs-Kompetenz, d.h. zu lernen,
wie Konflikte entstehen können und wie man sie gewaltfrei und friedlich
lösen kann.
-
historisches und Entwicklungs-Bewußtsein, d.h. zu lernen, daß
und wie frühere Entscheidungen die aktuelle Situation beeinflußt
haben und wie gegenwärtige Entscheidungen die Zukunft beeinflussen.
Ich möchte mich mit diesem Konzept von UNICEF noch etwas näher
beschäftigen, weil es drei in unserem Zusammenhang wichtige Gesichtspunkte
besonders betont:
-
den Gesichtspunkt des Politischen und der politischen Bildung,
-
den Gesichtspunkt der Erfahrungsbildung und
-
den Gesichtspunkt der neuen Kommunikationstechnologien.
Wie die langjährige Diskussion um politische Bildung in unserem Lande
gezeigt hat, darf diese weder auf Institutionenkunde oder Ethik, noch auf
Politologie, Jurisprudenz, Geschichte oder Geographie reduziert werden,
übrigens auch nicht auf Ökonomie und Ökologie. Sie muß
vielmehr immer auch auf den Umgang mit Sachverhalten von Macht und Herrschaft,
von Interessen und Verteilungsgerechtigkeit, von Abhängigkeit und
Autonomie, ja auch von Gewalt, Lüge und Korruption vorbereiten. Wer
die garstige Seite des politischen Lieds aus der politischen Bildung fernhalten
möchte, trägt bei zu Enttäuschungen und Politikverdrossenheit,
zu Zynismus und Radikalismus.
Der zweite Gesichtspunkt, der im UNICEF-Konzept klar herausgearbeitet
wird, bezieht sich auf den Prozeß der Lerntätigkeit und der
Erfahrungsbildung selbst. Es betont - und geht damit einher mit Erkenntnissen
der Lernforschung - daß Lehren und Lernen sich nicht darin erschöpfen,
Wissen so zu vermitteln und so anzueignen, daß es in Form von Aussagen
bei Prüfungen und anderen Gelegenheiten reproduziert werden kann.
Vollständige Lerntätigkeit und Erfahrungsbildung durchlaufen
vielmehr drei Stufen von der Erkundung ("exploring") über Diskussion
und Verarbeitung ("discussion and responding") hin zum Handeln ("taking
action"). Lehrtätigkeiten sollten sich diesen Lerntätig- keiten
anpassen, indem sie geeignete Bedingungen und Hilfen bereitstellen.
Der dritte Gesichtspunkt, der im UNICEF-Konzept nicht nur betont, sondern
sogar realisiert wird, ist die Einbeziehung der neuen Kommunikationstechnologien
in das Konzept globalen Lernens. UNICEF hat ein Netzwerk für
globales Lernen eingerichtet, das unter dem Name "Voices
of Youth - the UNICEF World Wide Web Online Electronic Forum for
Young People" in thematisch und kommunikationsbezogen strukturierter Weise
vielseitige Möglichkeiten der Mitwirkung bietet. Die Autoren charakterisieren
die Ziele des Netzwerks wie folgt:
-
es soll Jugendlichen Gelegenheiten zu bieten, etwas über Aufgaben
globaler Entwicklung, Frieden und Gerechtigkeit zu lernen, vor allem über
solche Aufgaben, die das Leben von Kindern betreffen;
-
es soll jungen Menschen in aller Welt ein Forum bieten, auf dem sie ihre
Meinungen kundtun können, wo sie gehört werden und wo sie die
Ideen anderer kennenlernen und darauf reagieren können;
-
es soll die Prinzipien des globalen Lernens und der Entwicklungspädagogik
mit Hilfe des Mediums elektronischer Online-Kommunikation umsetzen, vor
allem Prinzipien wie globale Wechselbeziehung, kooperatives Problemlösen,
Lernen durch eigene Erfahrung und das Prinzip, globale Probleme auf lokale
Aktionen zu beziehen.
Das Netzwerk gliedert sich in vier Abteilungen, den Treffpunkt ("Meeting
Place"), den Lernort ("Learning Place"), das Forum für Forschung und
Entwicklung ("Research Forum") und als wohl neues Element, eine Bibliothek
("Library"), die von den Autoren wie folgt beschrieben werden:
1. "Der Treffpunkt" ist das Hauptforum für 'Voices of Youth';
er ist offen für alle, für Zaungäste ebenso wie für
Lerner. Er ist nach thematischen Schwerpunkten gegliedert, die sich auf
die Situation von Kindern in der heutigen Welt beziehen. Dies sind:
-
Umwelt
-
Menschenrechte
-
Bevölkerungsprobleme
-
der Komplex "Armut, Arbeitswelt, Konflikte"
-
der Komplex "Frauen, Mädchen, Gesundheit, Gleichberechtigung",
-
Jugendliche, Kinder, Erziehung
-
Sonstiges
Die Nutzer werden in jeden Themenschwerpunkt mit Farbbildern und Farbphotos
sowie einfache Informationsblöcke eingeführt. Detailliertere
Information erhält man durch Kontakte mit anderen Ansprechpartnern
im Internet.
Junge Menschen können ihre Ansichten und Ideen zu jedem Schwerpunkt
eingeben, wobei sie von 2 oder 3 Leitfragen angeleitet werden. Sie können
sodann erkunden, wie sie diese Ideen auf Projekte in ihren eigenen Gemeinden
bzw. Gemeinschaften anwenden können. Der Treffpunkt ist so beschaffen,
daß alle Nutzer die Ideen aller anderen Nutzer lesen und darauf reagieren
können.
2. Der Lernort bietet Nutzern interaktive Spiele, Rätsel
und Aufgaben. Er ist gedacht für Jugendliche, die in Gruppen arbeiten,
z.B. in einer Schule oder einer Jugendgruppe mit einem Lehrer oder einem
Betreuer. Am Lernort arbeiten Gruppen mit anderen Gruppen in aller Welt
zusammen. Die zu bearbeitenden Aufgaben beziehen sich auf die Wahrnehmung
von globaler Interdependenz, auf Konfliktlösungen, auf kulturellen
Wandel und auf andere Konzepte der Entwicklungspädagogik.
3. Das Forum für Forschung und Entwicklung ist für
Lehrer, Erzieher, Forscher und Leute jeden Alters gedacht, die sich für
Online-Netzwerke zum globalen Lernen interessieren. Es enthält Informationen,
Forschungsergebnisse und Erfahrungsaus- tausch und lädt all diejenigen
zur Teilnahme ein, die auf diesem neuen Gebiet etwas tun möchten.
4. Die Bibliothek sammelt ausgewählte Dokumente früherer
Diskussionen und Projekte. So enthält sie beispielsweise über
3000 Beiträge Jugendlicher aus 81 Ländern, die diese aus Anlaß
des Welt-Sozialgipfels eingebracht haben, der 1995 in Kopenhagen stattfand.
Mein persönlicher Eindruck, den ich durch "browsing", also durch
"Herumschmökern" in den Internet-Seiten von "Voices of Youth" gewonnen
habe, ist im wesentlichen positiv. Was die deutschen Teilnehmer anbelangt,
so sind beispielsweise Schüler einer Grundschule in Kreuznach, einer
Berufsschule in Würzburg, von Gymnasien in Gauting und Kaiserslautern,
sowie Studenten der Universitäten Bremen, Bamberg, München, Hamburg,
Marburg und ca. 50 weitere Einzelpersonen im Netzwerk aktiv. Die meisten
Beiträge haben - so scheint es - allerdings überwiegend den Charakter
von Smalltalk oder von Kurzkommentaren des Typs "you did a great job".
Daneben finden sich aber auch ausführliche Beiträge, so z.B.
ein dreiseitiger Bericht eines Teilnehmers über die Habitat II-Konferenz
in Istanbul.
Voices of Youth ist jedoch nicht das einzige Netzwerk für globales
Lernen, das sich der Telekommunikation im Internet bedient. Drei weitere
Netzwerke verdienen in unserem Zusammenhang Erwähnung: "World
Week", das "Global Schoolnet"
und "Globe".
World Week
wurde von dem Journalisten und Medienproduzenten Chris Redner eingerichtet.
Er wollte seine Erfahrungen, die er weltweit als Journalist mit Menschheits-
problemen und Katastrophen machte, nicht einfach als Medienereignis und
Medienkonsumartikel stehenlassen, sondern auf seine Erfahrungen aufbauend
Impulse zur intensiveren Bearbeitung solcher Probleme liefern. Dabei konzentriert
er sich überwiegend auf die Erzeugung und Vermittlung von didaktischen
Materialien, die zu Erkundungen, Simulationen und anderen lokalen Aktivitäten
Anlaß geben. So bietet World Week derzeit Materialien und Anleitungen
zu
-
7 Aktivitäten zum Thema "Gesundheit" (z.B. Wasserholen oder Aids-Waisen
versorgen)
-
4 Aktivitäten zum Thema "Gerechtigkeit" (z.B. Behinderung freier Rede
oder Kastenwesen),
-
3 Aktivitäten zum Thema "Frieden" (z.B. Ethnische Säuberung oder
Kriegszonen),
-
2 Aktivitäten zum Thema "Bildung & Erziehung" (z.B. Alphabetisierung
und Wahlrecht),
-
2 Aktivitäten zum Thema "Umwelt" (z.B. Bäumezählen).
Diese Aktivitäten sollen im Zusammenhang von Projektwochen - daher
der Name "World Week" - in einzelnen Ländern ein- oder zweimal pro
Jahr stattfinden. Hierfür können über das Netzwerk folgende
Unterlagen bezogen werden:
-
Vorschläge zur Organisation einer solchen Projektwoche,
-
Leitfaden für Koordinatoren,
-
Arbeitsunterlagen für Teilnehmer,
-
Unterlagen für die Öffentlichkeitsarbeit (z.B. über Aushang,
Presse oder Radio),
-
Adressen kompetenter Referenten.
Für die Mitarbeit im Netzwerk werden mehrere Alternativen angeboten:
-
Man kann selbst eine World Week durchführen,
-
man kann sich erkundigen, wo und wann World Weeks in der Nähe stattfinden,
an denen man teilnehmen kann,
-
man kann für World Week werben,
-
man kann World Week als Sponsor unterstützen und
-
man kann Ideen und Materialien der verschiedensten Art beisteuern.
Da World Week erst in diesem Jahr entstanden ist, bedarf es noch einiger
Zeit, bevor man Aussagen über erste Erfahrungen machen kann. Das Konzept
ist jedoch aus drei Gründen sehr interessant:
-
Es konzentriert sich auf thematische Schwerpunkte mit globalem Krisencharakter,
-
es stellt Verbindungen zu den Angeboten der Massenmedien her,
-
es bietet vielseitige "Rollen" für eine Beteiligung an,
-
es beschreibt konkrete Kontexte für Projektrealisierungen,
-
es liefert umfangreiche Unterstützung von Projekten mit didaktischen
Materialien,
-
es organisiert Erfahrungsaustausch und
-
es bietet eine Strategie der Netzwerk-Weiterentwicklung.
Das Global School Net hat einen
wesentlich anderen Charakter als die beiden bisher erwähnten Netzwerke.
Es zeichnet sich zunächst dadurch aus, daß es von großen
Firmen der Kommunikationsindustrie getragen wird, darunter Microsoft, NBC,
Pacific Bell und ABC, die im übrigen im GSN auch ihre Werbung unterbringen.
Ziel dieses Netzwerks ist der Aufbau eines weltweiten Instituts für
Fernunterricht, eines "globalen Schulhauses", in dem Individuen - ob kostenlos
oder gegen Bezahlung konnte ich nicht erkennen - alles lernen können,
was Schulen so bieten und manches mehr. Es umfaßt bereits jetzt 15
umfangreiche Elemente bzw. Aktivitätsbereiche, darunter
-
eine "CyberFair" genannte Börse internationaler Schulen,
-
Preisausschreiben für gute Denker,
-
ein Video-Konferenz-Zentrum,
-
Unterrichtsmaterial für die High School,
-
ein World Wide Web Tutorium,
-
Berichte eines Weltenbummlers ("Where on the World is Roger?"),
-
ein Newsgroup-Zentrum für Schulklassen,
-
und Schüler als INTERNET-Botschafter ("student ambassador").
Interessant ist in unserem Zusammenhang die Beschreibung dessen, was GSN
von Schülern, die Internet-Botschafter sein wollen, erwartet:
-
Sie sollen entdecken und beschreiben, wie man mit Hilfe von Internet Lernumgebungen
verbessern kann;
-
sie sollen anderen Schülern, Lehrern, Eltern und Gemeinden dabei helfen,
etwas über das Internet zu lernen;
-
sie sollen eine positive "Netzwerk-Moral" ("netiquette") zeigen, indem
sie etwas über andere Kulturen lernen und diese respektieren;
-
sie sollen Potentiale der Zusammenarbeit und Teambildung mit Hilfe von
Technologie demonstrieren,
-
sie sollen dabei helfen, neue Software und neue Wissenswerkzeuge daraufhin
testen, wie weit sie geeignet sind, pädagogische und soziale Ziele
zu erreichen;
-
sie sollen helfen, Lösungen für Herausforderungen zu entdecken,
-
sie sollen ihre Erfahrungen den Medien und der Öffentlichkeit mitteilen,
-
sie sollen an Internet-Vorführungen in Workshops und Videokonferenzen
teilnehmen
-
und sie sollen Informationen über das World Wide Web weitergeben.
Belohnt werden sie dafür materiell mit bedruckten Mützen und
T-Shirts, oder auch mit Software und Modems. Als ideelle Belohnungen werden
der Erwerb arbeitsmarktfähiger Fähigkeiten und Ruhm als Internet-Pionier
in Aussicht gestellt.
Prinzipiell lassen sich selbstverständlich unter anderem auch Themen
und Projekte über das GSN transportieren, die von den beiden anderen
bereits erwähnten Netzwerken ebenfalls angeboten werden. Es ist jedoch
anzunehmen, daß vom Interesse und von den Unternehmensideologien
der kommerziellen Träger her eine mehr oder weniger subtile Art der
Einflußnahme erfolgt. Erwünscht dürfte all das sein, was
dem Ausbau der Medienlandschaft und des Internet und dem Vertrieb des entsprechenden
Zubehörs förderlich ist. Unerwünscht hingegen dürften
kritische Beiträge zum Thema des globalen Me- dien- und Kulturimperialismus
sein.
Ein drittes Projekt im Internet, das als Beispiel für globales
Lernen gelten kann, heißt "GLOBE".
Es wurde am 22.4.1994, dem Earth Day von Al Gore, dem Vizepräsidenten
der USA ins Leben gerufen, nachdem er einen Monat vorher in Buenos Aires
seine bekannte Rede zum Ausbau der Telekommunikation gehalten hatte. Das
GLOBE-Projekt verknüpft Schulen in aller Welt, die Aktivitäten
im Umweltbereich durchführen. Das Projekt soll nach dem Willen seiner
Gründer "
-
Umweltbewußtsein von Menschen in aller Welt zu fördern,
-
Schüler befähigen, Umweltuntersuchungen durchzuführen, die
dazu beitragen, die Gesundheit des Planeten Erde zu verbessern,
-
Schülern Gelegenheiten zu bieten, mit Spitzenwissenschaftlern aus
aller Welt in einem weltweiten Netzwerk zusammenzuarbeiten,
-
Schüler, Lehrer und Wissenschaftler zusammenzuschließen, um
Daten über den ökologischen Zustand der Erde gemeinsam zu erzeugen
und zu nutzen,
-
die aktuellen Lehrpläne für Naturwissenschaften und Mathematik
in den Schulen anzureichern und zu ergänzen sowie
-
allen Schülern zu helfen, höhere Leistungen in Naturwissenschaften
und Mathematik zu erzielen."
Um am Projekt teilzunehmen müssen sich Schulen verpflichten,
-
die entsprechenden Ressourcen (Meßinstrumente, Computer, Internet-Zugang
etc.) bereitzustellen,
-
mindestens einen Lehrer zu einer dreitägigen Weiterbildungsveranstaltung
zu entsenden,
-
den Schülern Zeit zur Verfügung zu stellen, in der sie aktiv
Daten erheben, übermitteln und die im Netz gesammelten Daten zu Kenntnis
nehmen sowie
-
die von GLOBE bereitgestellten Unterrichtsmaterialien zu nutzen.
Das GLOBE-Projekt unterstützt Schulen auf verschiedene Weise bei der
Verwirklichung dieser Ziele, unter anderem
-
durch die Bereitstellung von Unterrichtsmaterialien und Software,
-
durch kostenlosen Zugang zum Internet und
-
durch Weiterbildungsmaßnahmen für Lehrer.
GLOBE ist als gigantisches Projekt konzipiert, das im Jahr 2000 weltweit
eine Million Schulen beteiligen möchte. Derzeit sind allerdings erst
1500 Schulen in 30 Ländern angeschlossen.
Im gleichen Jahr 1994, in dem das Projekt in den USA anlief, sagten
der deutsche Bundeskanzler und sein Außenminister eine Teilnahme
Deutschlands zu und beauftragten die KMK mit der Umsetzung. Diese wiederum
beauftragte aus Gründen, die nicht genannt werden, die DLR (Deutsche
Gesellschaft für Luft- und Raumfahrt) mit der Koordination eines Modellversuchs,
der an 30 deutschen Schulen durchgeführt werdem soll.
Angesichts der Tatsache, daß es in Kiel ein bundesweit operierendes
"Institut für die Pädagogik der Naturwissenschaften" gibt, das
sich seit mehr als 10 Jahren eine hohe Kompetenz auch auf dem Gebiet der
Umwelterziehung erworben hat, kann ich diese Entscheidung zugunsten einer
Institution des bürokratisch-wissenschaftlich-industriel- len Komplexes
nur schwer verstehen. Die Befürchtung ist deshalb nicht ganz auszuschließen,
daß es nicht nur in Deutschland zu einer Interessenverlagerung kommt,
bei der nicht mehr pädagogische Interessen, sondern Interessen von
Wissenschaftlern und Unternehmen dominieren, so daß Kinder und Jugendliche
als Datenbeschaffer zum Nulltarif eingesetzt werden. Und es ist nicht auszuschließen,
daß Kinder und Jugend- liche als kostenlose Versuchspersonen zur
Durchsetzung kommerzieller Telekommuni- kations-Projekte dienen. Es dürfte
daher auch zu den pädagogischen Konzepten globalen Lernens und zu
den Aufgaben politischer Bildung gehören, Entscheidungen über
Projektträger und deren Interessen in diesem Bereich zu thematisieren
und aufzuklären.
Angesichts der Komplexität meines Themas, muß eine Zusammenfassung
notwendigerweise lückenhaft bleiben. Ich werde versuchen, sie in der
Weise zu gestalten, daß ich zunächst einen zusammenfassenden
Vorschlag für einen Begriff des "globalen Lernens" unterbreite, sodann
die Orientierungen und Kompetenzen - andere sprechen von Lernzielen - nenne,
um deren Entwicklung sich pädagogische Konzepte globalen Lernens innerhalb
und außerhalb des Rahmens von politischer Bildung bemühen sollten.
Und abschließend werde ich einige Konsequenzen für die
Lernorganisation skizzieren, mit der diese Kompetenzen zu vermitteln sind,
wobei ich den Aspekt der neuen Medien betonen werde.
Zunächst zum Begriffsvorschlag: Nur solche Konzepte sollten
als "pädagogisch" bezeichnet werden, die alle vier der folgenden Merkmale
wenigstens im Ansatz aufweisen:
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Einbindung in globale und lokale Lerngemeinschaften,
-
Thematisierung von global und lokal bedeutsamen Sachverhalten,
-
Verknüpfung mit komplexen Aufgabenstellungen, die neben Orientierungen
auch Handlungskompetenzen vermitteln sowie
-
Erörterung und Gestaltung kultureller, interkultureller und transkultureller
Bezüge.
Abgrenzen möchte ich daher pädagogische Konzepte globalen Lernen
gegenüber
-
globaler Fachkommunikation,
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globalem Fernunterricht,
-
globalem Entertainment und
-
globalem "Smalltalk".
Was die Orientierungen und Kompetenzen anbelangt, so geht es
-
um Weltzustands-Bewußtsein und um Orientierungen und Kompetenzen,
mit deren Hilfe sich Wissen über den Weltzustand beschaffen und nutzen
läßt,
-
um Orientierungen und Kompetenzen in bezug auf Erkennen und Entwickeln
kultureller Alternativen, im besonderen von solchen, welche sich auf das
Verhältnis von Weltkultur und Lokalkulturen beziehen,
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um interkulturelle und transkulturelle Orientierungen und Kompetenzen,
-
um Orientierungen und Kompetenzen zum Umgang mit Komplexität und Interdependenz,
-
um Orientierungen und Kompetenzen der kulturellen Selbstreflexion,
-
um Orientierungen und Kompetenzen zur Mitwirkung an lokaler Kulturentwicklung,
-
um Orientierungen und Kompetenzen zum Umgang mit neuen Medien und mit Telekommunikation
Hinsichtlich der Lernorganisation geht es zum einen um bildungsorganisatorische,
zum anderen um didaktisch-methodische Aspekte. Hierzu gehören im besonderen
-
die Stärkung der Autonomie der einzelnen Bildungseinrichtungen, so
daß Initiativen globalen Lernens unabhängig von administrativen
Vorgaben entstehen können;
-
die Erweiterung der Zusammenarbeit von Bildungseinrichtungen - und damit
meine ich nicht nur allgemeinbildende und berufsbildende Schulen, sondern
auch Hochschulen und Akademien und Volkshochschulen - mit anderen Institutionen
und Gruppen auf lokaler Ebene, so daß diese Bildungseinrichtungen
zu Zentren lokaler Lerngemeinschaften werden können;
-
eine Verbesserung und Vernetzung von Maßnahmen des Kulturaustauschs
und internationaler Partnerschaft, mit langfristigen und über bloßen
Honoratiorentourismus hinausreichenden Maßnahmen,
-
die Schaffung und Nutzung curricularer Spielräume zur Gestaltung fächerübergrei-
fender Projekte,
-
die Mitwirkung an der Gestaltung telekommunikativer globaler Netzwerke
wechselseitigen Lernens,
-
die Nutzung des gesamten Spektrums aktiver Lehr-Lernformen
-
und nicht zuletzt die Umgestaltung von Lernerfolgskontrollen und Prüfungen,
so daß sie diese Prozesse fördern und nicht behindern.
Vielleicht werden Sie sich jetzt fragen, wo denn meine Stellungnahme zu
Fragen der politischen Bildung bleibt. Ich glaube, ich habe bereits Stellung
genommen. Ich hoffe, ich habe deutlich gemacht, daß für mich
globales Lernen ein wichtiges Schlüsselkonzept politischer Bildung
ist, indem es deren bisher überwiegend nationale Ausrichtung in
Richtung globale und lokale Aspekte erweitert, indem es deren überwiegend
auf den Staat und die Administration bezogene Ausrichtung um nicht-staatliche,
"zivilgesellschaftliche" Strukturen erweitert und indem es Vergangenheitsbezug
und Gegenwartsbezug um Zukunftsbezug erweitert.
Auch die Forderung nach mehr fächerübergreifenden und projektartigen
Lernformen enthält Aussagen zur politischen Bildung, indem sie darauf
hinweist, daß politische Bildung zwar nach wie vor auf politologisches,
soziologisches, geographisches, historisches und biologisches Wissen zurückgreifen
muß, daß sie dieses Wissen jedoch in übergreifende Sinnbezüge
einbringen muß, indem sie Bezüge zu den großen Themen
des Globalisierungs- und Partikularisierungsprozesses herstellt und dies
nicht nur abstrakt, sondern möglichst konkret.
Auch enthält der kritische und aktiv-gestaltende Umgang mit Medien
und Telekommunikation Optionen in bezug auf politische Bildung, indem dieser
die Aufgabe zugewiesen wird, Menschen Kompetenzen zu vermitteln, die sie
zu deren Mitgestaltern und mündigen Nutzern werden lassen.
Und schließlich dürfte unbestritten sein, daß es sich
bei den großen Themen globalen Lernens, wie wir sie in prägnanter
Weise im Konzept von UNICEF kennengelernt haben, um zentrale Aufgaben der
Politik und damit auch um Themen politischer Bildung handelt: Sicherung
von Lebensgrundlagen und friedlichen Verhältnissen für alle,
Herstellung von Verteilungsgerechtigkeit, Kontrolle von Macht und Herrschaft,
Mitwirkung an öffentlichen Entscheidungen.
Erlauben Sie mir zum Schluß, daß ich Ihnen meine persönliche
Vision von globalem Lernen vorstelle. Diese geht dahin, daß es zu
verstärkter Bildung globaler Lerngemeinschaften kommt, was ganz sicher
auch mit der Entwicklung dessen zusammenhängen dürfte, was wir
als "Zivilgesellschaft" bezeichnen (9). Diese globalen Lerngemeinschaften
zeichnen sich dadurch aus, daß sie aus lokal tätigen Zellen
bestehen, die vor Ort gut definierte Probleme bearbeiten und über
ihre Problemlösungsversuche und die dabei gewonnenen Erfahrungen mit
den jeweils anderen Mitgliedern der Lerngemeinschaft kommunizieren. Die
dabei verwendeten Medien bleiben stets Mittel zum Zweck, seien es nun klassische
Medien wie Korrespondenz, Telefonate, Kurzwellensender oder Postversand
von audio-visuellen Dokumenten, seien es neue Medien wie Fax, Internet
oder CD-ROM.
Die Entwicklung von Lokalkultur und von Weltkultur sollten dabei als
komplementäre, nicht jedoch als einander widersprechende Zielsetzung
betrachtet werden. Neville Alexander hat dafür eine gute
Metapher gefunden. Er vergleicht Lokalkulturen als Quellflüsse, aus
denen der große Strom "Weltkultur" gespeist wird. Versiegen die Quellströme,
versiegt auch der große Strom. Fließt der große Strom
nicht, kommen die Quellflüsse zum Stehen. Die Verwirklichung dieser
Vision ist jedoch an einige Bedingungen gebunden.
Da ist zunächst das Sprachproblem. Es mag zwar effektiv
und bequem sein, sich innerhalb der globalen Lerngemeinschaften allein
der englischen Sprache zu bedienen, um Erfahrungen auszutauschen. Dies
kann sich jedoch kontraproduktiv sowohl auf die Darstellung dieser Erfahrungen
selbst als auch auf das Verständnis davon beziehen. Ich schlage deshalb
das Prinzip der "Zweisprachigkeit" vor, d.h. alle Nachrichten werden sowohl
in der Muttersprache als auch in einer Weltsprache - etwa Englisch - formuliert,
wobei kulturelle Schlüsselbegriffe in der Originalsprache verwendet
und jeweils ausführlich kommentiert werden sollten.
Da ist sodann das Relevanzproblem. Hier geht es darum, daß
die lokalen Zellen Probleme von erheblicher sozialer, kultureller, ökologischer
oder ökonomischer Bedeutung bearbeiten, nicht jedoch Pseudoprobleme
der Art, wie man Barbie-Puppen anziehen oder auf die Scheidung von Charles
und Lady Di reagieren sollte. Auch private und rein technische Dinge, etwa
wie man sein Meerschweinchen füttert oder seinen Computer aufrüstet,
erscheinen hierfür ungeeignet. "Lokaler Umgang mit der Ressource Wasser",
"Verteilung von Armut und Reichtum in unserer Stadt" oder "Städteplanung"
sind demgegenüber Themen, deren Bedeutung sowohl für die Qualität
lokaler Kultur und - wie die entsprechenden Weltgipfel-Konferenzen gezeigt
haben - für Weltkultur offenkundig ist.
Eng damit verbunden ist das Machbarkeitsproblem. Lerngemeinschaften
sollten sich auf Probleme mittlerer Reichweite konzentrieren, die sie realistischerweise
auf lokaler Ebene bearbeiten können und nicht versuchen, Großprobleme
wie "Arbeitslosigkeit", "Weltfrieden" oder "Regenwald-Schonung" zum Zentrum
ihrer Lerntätigkeit zu machen, was nicht heißen soll, daß
entsprechendes Hintergrundwissen ausgeblendet werden sollte. Im Gegenteil,
es ist wichtig, um eine erweiterte Sinngebung für die Projekte mittlerer
Ebene zu ermöglichen, aber eben als Hintergrundwissen und nicht als
eigene Aufgabenstellung. Eine Konzentration auf Probleme und Projekte der
mittleren Ebene dient vor allem dazu, die Chancen für Lernerfolg zu
erhöhen und Frustrationen angesichts unrealistischer Erwartungen zu
vermeiden.
Sodann ist das Symmetrieproblem zu erwähnen. Hier geht es
zum einen darum, den Zugang aller lokalen Gruppen zu einer globalen Lerngemeinschaft
zu ermöglichen, zum anderen darum, Geben und Nehmen im Gleichgewicht
zu halten sowie Einseitigkeit des Wissenstransfers zu verhindern. Im Einzelfalle
kann dies dadurch geschehen, daß wohlhabendere und erfahrenere Lokalgruppen
ärmere oder neu hinzukommende Gruppen patenschaftlich - gegebenenfalls
auch materiell - auf Zeit unterstützen. Vor allem geht es auch darum,
den jeweiligen Partnern das Gefühl zu vermitteln, daß ihre Erfahrungen
wichtig sind, und damit ihr Selbstbewußtsein zu stärken. Und
es geht dar- um, Dominanzbestrebungen, die in der eigenen Kultur angelegt
sind, zu erkennen und ihnen entgegenzuwirken.
Schließlich verdient das Generationenproblem Aufmerksamkeit.
Auch wenn wir der Meinung sind, daß globales Lernen vor allem eine
Aufgabe der jüngeren Generation ist, sollten wir nicht vergessen,
was uns in Konzepten lebenslangen Lernens, wie sie vor allem auch von UNESCO
und EUROPARAT entwickelt wurden, überliefert wurde. Zu meiner Vision
von globalem Lernen gehören deshalb auch generationsübergreifende
Lerngemeinschaften, wie wir sie von Vereinen oder offenen Bildungseinrichtungen
her kennen. Sie sind nicht zuletzt auch ein Beitrag zur kulturellen Selbstreflexion,
indem sie bewußt machen, daß auch auf lokaler Ebene bereits
eine generationsbedingte Vielfalt der Wertvorstellungen vorhanden sein
kann.
Literatur
Stiftung "Entwicklung und Frieden". Nachbarn in einer Welt. Bonn 1995.
Botkin, James W., Elmandjra/Mahdi, Malitza/Mircea, Das menschliche Dilemma,
Zukunft und Lernen [mit dem Vorwort von Aurelio Peccei], Wien u. a. (Verlag
Fritz Molden), 1979, 1981.
Meadows, Dennis L. (Club of Rome), Die Grenzen des Wachstums. Bericht
des Club of Rome zur Lage der Menschheit. In: DVA informativ, Stuttgart
(DVA), 1972.
Seitz, K., Von der Dritte-Welt-Politik zum Globalen Lernen. In: Treml,
A. und Scheunpflug, A. (Hrsg.), Entwicklungspolitische Bildung, Tübingen
1993, S. 39-77.
Hanvey, Robert G., An Attainable Global Perspective, New York (Global
Perspectives in Education, Inc.), 1982.
Forum "Schule für eine Welt", Gobales Lernen. Anstöße
für die Bildung in einer vernetzten Welt. Jona (CH) 1996.
Bühler, H., Perspektivenwechsel? - Unterwegs zu "globalem Lernen",
Frankfurt 1996.
Fountain, S., Education for Development. A Teacher's Resource for Global
Learning, London 1995.
Anhelm, F. E., Civil Society - mehr als eine Mode? In: epd Entwicklungspolitik
10/11/1996, S. 15-20.