Um diesen Zusammenhang zu erhellen, geht es in den hier vorgetragenen Überlegungen darum,
Eine solche Begriffsbestimmung und eine daraus abgeleitete Problemdefinition ist auch das Ziel der folgenden Überlegungen. Denn obwohl wir uns in einer Internationalen Gesellschaft für Wissensorganisation befinden, sprechen wir durchaus von unterschiedlichen Dingen, wenn wir von "Wissen", "Organisation", "Kultur" und "Kulturbedingtheit" sprechen. Ich möchte zunächst diese Begriffe kurz charaktersieren, um Ihnen dann an einem Beispiel die Möglichkeit eines zusammenfassenden Rahmeszu präsentieren, der als Raster dienen kann, wenn man sich mit den Einflüssen kultureller Faktoren auf wissensorganisatorische Tätigkeit beschäftigt.
Neben diesem individuellen Bereich finden wir implizites Wissen in der kulturellen Sphäre. Ich möchte dies an der in Ethnologie und Anthropolgie poulären Unterscheidung von "low context cultures" and "high context cultures" (17a) deutlich machen. In "low context cultures" wird Wissen in der Interaktion explizit gemacht. Fremden fällt es leichter, sich in "low context cultures" zu bewegen als in high "context cultures", weil vieles, was ich wissen muß, um erfolgreich zu handeln, in der Kommunikation verbalisiert wird. In "high context cultures" wird wenig Wissen in der Kommunikation verbalisiert, weil die interagierenden Personen Wissen über den Kontext, in dem sie agieren, "in ihrem Kopf" haben. Typisch für "high context cultures" sind mediterrane oder arabische Kulturen, in denen es aufgrund enger Beziehungsnetze in Familien-, Freundes- oder Kollegenkreisen häufig nicht nötig ist, Wissen zu verbalisieren. Das nicht verbalisierte Wissen ist zumindest teilweise ähnlich dem Expertenwissen nicht bewußt. Es bleibt im Hintergrund, beeinflußt aber, wenn es aktiviert wird, Handlungen, Interaktionen und Interpretationen. In den USA z.B., einer typischen "low context culture", mit weniger engen persönlichen Beziehungsnetzen, einem größeren "Einzelkämpfertum", ist es in der Interaktion notwendig, mehr zu verbalisieren als es in "high context cultures" der Fall wäre.
In "high context cultures" haben wir es somit ebenfalls mit implizitem Wissen zu tun, Wissen, das denjenigen, die es anwenden, nicht unbedingt bewußt ist, aber trotzdem als Basis für komplexe Handlungen dient.
Als erstes Zwischenergebnis ergibt sich: Wenn Kultur in irgendeiner Weise Wissen und seine Organisation bedingt, gilt es, die Ebene expliziten und impliziten Wissens zu berücksichtigen. Um zu bestimmen, wie Kultur möglicherweise den Umgang mit Wissen bedingt, ist es notwendig,
Dieser Zusammenhang, in dem Wissen zum Werkzeug gemacht wird, beschränkt sich nicht einfach nur auf das Repräsentieren von Wissen und das Ordnen und Strukturieren. Er schließt die Prozesse des Aneignens, Kommunizierens, Anwendens und das häufig vergessene Evaluieren ein. D. h. das zu organisierende Wissen ist nicht einfach da, es muß angeeignet werden. Erst dann, damit es nicht verloren geht, wird es repräsentiert in bestimmten Formen, in bestimmten Medien, gemäß bestimmten Ordnungen. Das so aufbereitete Wissen soll in der Anwendung zur Lösung von Problemen beitragen. Die Anwendung schließlich bedarf der Evaluation, der Überprüfung, ob das genutzte Wissen oder die Form der Nutzbarmachung erfolgreich war. Auf all diesen Ebenen wird über Wissen kommuniziert.
Hieraus folgt als zweites Zwischenergebnis, daß, wenn Kultur Wissenorganisation bedingt, sich dieser Einfluß nicht nur auf das Ordnen und Strukturieren beschränkt, sondern auf alle der eben genannten organisierenden Tätigkeiten: Auf das Aneignen, Repräsentieren, Ordnen/Strukturieren, Anwenden und Kommunizieren.
Kultur besteht aus expliziten oder impliziten Mustern von Verhalten und Mustern für Verhalten, die durch Symbole erworben und überliefert werden, welche die jeweils besonderen Leistungen einer Gruppe von Men-schen ausmachen wie auch deren Verkörperungen in Produkten. Der wesentliche Kern von Kultur besteht aus traditonalen (d.h. historisch überlieferten und ausgewählten) Ideen und ganz besonders den mit diesen Ideen verknüpften Werten. Kultursysteme können somit einerseits betrachtet werden als Produkte früherer menschlicher Tätigkeit, andererseits als bedingende Faktoren künftiger Tätigkeit. (26, Heraushebung von E.K.)
Diese Definition verdeutlicht: Kultur hat sehr viel mit Wissen zu tun - mit explizitem und implizitem Wissen. Mit diesem Wissen sind Werte verknüpft und beides zusammen - Wissen und Werte - führen zu bestimmten Erwartungen und Erwartungserwartungen im Hinblick auf das Verhalten der in der Kultur agierenden Personen. Man kann Kultur als Pool von Wissen und Werten bezeichnen (10, 30), welcher Individuen und Gruppen befähigt, innerhalb ihrer Kultur erfolgreich Handlungen auszuführen und und gleichzeitig die Handlungen und Symbole dieser Kultur zu verstehen. Kulturelles Wissen vermittelt Vertrautheit, indem es intersubjektive Orientierung vermittelt und reduziert Unsicherheit. Diese Leistung kulturellen Wissens wird dadurch sichergestellt, daß eine Generation Wissen und Werthaltungen an die folgende Generation weitergibt (11, 36). Dabei dient diese Weitergabe dem Zweck, Personen für die eigene Kultur zu rekrutieren und die eigene Kultur zu sichern. Vertrautheit, Orientierung und die Reduktion von Unsicherheit, die kulturelles Wissen gewährleistet, machen kulturelles Wissen zu einem mächtigen Faktor, der sowohl menschliche Wahrnehmung und Denken als auch das menschliche Verhalten beeinflußt. Die Stärke dieses Einflusses ist jedoch nur schwer zu ermitteln, da kulturelles Wissen häufig implizites Wissen ist.
Es gibt mindestens zwei große Bereiche der kulturvergleichenden Forschung, die sich mit der Untersuchung solcher Einflußfaktoren befassen. Das ist zum einen der Bereich, der sich mit den analytischen Fähigkeiten des Menschen beschäftigt. Dazu gehören u. a. die Wahrnehmungs- und Kognitionsforschung, die sich vor allem mit Fragen der kulturbedingten Denkprozessse (insbesondere der Kategoriserung) und Wahrnehmungsunterschieden in verschiedenen Kulturen beschäftigten (Vgl. die Überblicke bei; 29, 37, 6). Dabei geht es zum Beispiel um die in verschiedenen Kulturen unterschiedlich ausgeprägte Fähigkeit, Volumina einzuschätzen, dreidimensionale Darstellungen zu interpretieren oder hypothetisch zu denken. Eng verküpft mit diesem Bereich ist die kulturvergleichende entwicklungspsychologische Forschung (2, 38a).
Neben diesen auf analytische Fähigkeiten gerichteten Untersuchnungen gibt es noch eine andere Forschungsrichtung, die sich mit dem Einfluß kulturellen Wissens und kultureller Werte auf konstruktives Handeln beschäftigen. Hierzu gehört die kulturvergleichende Persönlichkeitsforschung (6) und hierauf aufbauend Forschungen, die sich mit dem Verhalten von Menschen in Organisationen beschäftigen (22, 23, 24). Dies sind z. B. Untersuchungen, die den Einfluß konfuzianischen Denkens auf Interaktionen in Organisationen betrachten oder auch der große Bereich von Untersuchungen, deren Ergebnisse dazu dienen sollen, Manager durch spezielle Trainingsprogramme auf andere Kulturen vorzubereiten.
Aufgrund der großen methodischen Probleme (Vgl. 21) ist ein breiter
Konsens in vielen Fragen bisher ausgeblieben. Dennoch ist die Grundtendenz
eindeutig und ich möchte sie als drittes Zwischenergebnis festhalten:
Es besteht in der kulturvergleichenden Forschung ein breiter
Konsens darin, daß kontextspezifische Erfahrungen in einer Kultur
fundamentale und häufig als universal gedachte Prozesse des Denkens,
der Wahrnehmung und Interaktion beeinflussen (29). Wesentliche Argu- mente
für die Stärke dieses Einflusses sind zum einen die empirischen
Befunde, gewonnen aus vielen Tests, und zum anderen die theoretische
Annahme, daß kulturelle Muster adaptive Vorteile in der entsprechenden
Kultur bieten.
Hofstede kommt aufgrund korrelationsstatistischer und faktorenanalytischer Auswertungen seiner Interviews zu 5 Dimensionen, die seiner Meinung nach wesentliche kulturelle Einflußfaktoren auf das Arbeitsverhalten darstellen1:
Machtdistanz: Das ist das Außmaß, in der die Mitglieder einer Gesellschaft die ungleiche Verteilung von Macht akzeptieren. In Gesellschaften, in denen sich starke hierarchische Strukturen finden, ist die Machtdistanz besonders hoch, während in eher egalitären Gesellschaften die Machtdistanz gering ist.
Personale Orientierung: Es wird unterschieden zwischen einer individuellen und kollektiven Orientierung. Bei der kollektiven Orientierung stellt das Individuum seine Interessen zurück hinter die eines Kollektives, seiner Familie, seines Clans, seiner Arbeitsgruppe etc., weil sich das Individuum vor allem als Teil eines sozialen Netzwerks sieht. Bei Indiviualismus steht die Sorge um sich selbst im Vordergrund.
Geschlechtsspezifität: In sogenannten maskulinen Gesellschaften gibt es eine klare geschlechtsspezifische Rollendifferenzierung. Maskuline Werte sind Leistungsstreben, Durchsetzungsvermögen, Sympathie für das Zeigen von Stärke. In femininen Gesellschaften überlappen sich geschlechtsspezifische Rollen in vielen Bereichen und ein Streben nach Lebensqualität, Konsens, Sorge für die Schwachen etc. stehen im Vordergrund.
Sicherheitsdenken: Hier gib es einerseits den Pol, daß Unsicherheit auf jeden Fall vermieden werden soll. Unsichere offene Situationen führen zu Angst, Stress, die Sorge um Sicherheit steht im Vordergrund, Konformität wird häufig als Garant für Sicherheit betrachtet. Anderseits gibt es den Pol, gemäß dem offene Situationen geschätzt werden, es herrscht größere Risikobereitschaft.
Zeitliche Orientierung: Hier wird unterschieden zwischen Gesellschaften, in denen die Mitglieder es vorziehen, in ihrem Planungsverhalten sich nur kurzfristig zeitlich zu orientieren, oder in denen eine langfristige zeitliche Orientierung bevorzugt wird. Diese Dimension hat Hofstede erst in neuster Zeit neu eingeführt.2
Verknüpft man Hofstedes Dimensionen mit den grundsätzlichen
Tätigkeiten des Organisierens von Wissen, so ergibt sich folgende
Matrix:
Kult. Dimension
WO-Tätigkeit |
Machtdistanz: groß | Personale Orientierung: Kollektivismus | Sicherheitsdenken: Unsicherheit vermeiden |
Aneignen | Schwierigkeiten der Aneignung über Hierarchiestufen hinweg | Aneignung in und für Gruppen | Tendenz zur Aneignung von viel Wissen, Sorge, ob es das richtige Wissen ist |
Ordnen/Strukturieren | Ordnung gemäß strikten Zugangsregeln | Flexible Ordnungen für viele unterschiedliche Menschen | Tendenz zu starker Ordnung und Strukturierung |
Anwenden | Entscheidung über Anwendung kommt von oben | Entscheidung vor allem im Kollektiv | Anwendung nur wenn Erfolg absolut sicher scheint |
Evaluieren | Ergebnisse von Evaluationen werden nicht verbreitet | Verbreitung Evaluationsergebnisse | Evaluation als Sicherheits-
unterstützung |
Kommunizieren | Eingeschränkt, Wissen wird nicht nach unten weitergegeben | Möglichst wenig Beschränkung der Kommunikations-
möglichkeiten |
Kommunikation ist Vergewisserungs-
möglichkeit oder Unsicherheitserzeuger |
Repräsentieren | Wissen bleibt in den Köpfen, wenig Kodifikation | Materielle Repräsentation als Mittel der Verbreitung von Wissen | Tendenz zu starker Kodifikation |
Auf der horizontalen Ebene sind die Kategorien Hofstedes aufgeführt, auf der vertikalen die von mir skizzierten grundsätzlichen Tätigkeiten der Organisation von Wissen. In den sich hier ergebenden Feldern sind in den Spalten "Machtdistanz, groß"; "Personale Orientierung, Kollektivismus" und "Sicherheitsdenken, Unsicherheit vermeiden" Beispiele vermerkt, die andeuten sollen, welchen Einfluß die Dimension auf die entsprechende Tätigkeit haben kann. Ich beschränke mich hier im Vortrag einerseits aus Zeitgründen auf die Erörterung dieser drei Spalten, andererseits gibt ihnen diese Beschränkung Gelegenheit, die Plausibilität meiner Überlegungen zu überprüfen, indem sie einmal versuchen, einige dieser Spalten auszufüllen. Ich möchte diese drei Spalten nun der Reihe nach betrachten:
"Machtdistanz groß": Die Beispiele in dieser Spalte habe ich aus den Studien von Boisot (7) und Hebel (20a) extrahiert, die sich in besonderm Maße mit dem Umgang von Wissen in chinesischen Betriebsorganisationen beschäftigen. Beide Autoren benutzen zwar nicht die hier verwendeten Kategorien, aber ihre Ergebnisse lassen sich problemlos in diese Kategorien übertragen.
Kennzeichnend für chinesische betriebliche Organisationen ist die große Machtdistanz.3 Wissen, so sagt Boisot, wird als Statusobjekt betrachtet. Demzufolge ist die Aneignung in einem Betrieb über Hierarchieebenen hinweg extrem schwierig. Wenn angeeignetes Wissen geordnet und strukturiert wird, geschieht dies gemäß strikten Zugangsregeln.4 Die Entscheidung für die Anwendung von Wissen, um bestimmte Probleme zu lösen, erfolgt von "oben". Die Verbreitung der Ergebnisse von Evaluationen ist selten, da negative Ergebnisse den Status gefährden. Wenn überhaupt Evaluationsergebnisse verbreitet werden, dann überwiegend positive unter bewußter Ausschaltung des Negativen. Kennzeichnend für die Kommunikation von Wissen ist, daß man es quasi als "Lehen" vergibt. D.h. der Besitz von Wissen etabliert oder ist Ausdruck einer Hierarchie, in der der Wissende sein Wissen nur weitergibt für eine Gegenleistung. In diesem Zusammenhang ist auch die Repräsentation von Wissen zu sehen. Damit Wissen einen Status garantiert, wird es möglichst wenig kodifiziert, d.h. die Repräsen- tation des Wissens findet vorwiegend in den Köpfen der Menschen statt. Aus diesem Reprä- sentationsverhalten ergibt sich, daß Ordnungs- und Strukturierungsprozesse oder Evaluationen nur eine untergeordnete Rolle spielen.
Personale Orientierung, Kollektivismus: Ein interessantes Beispiel für kollektive Orientierungen, welche die Organisation von Wissen beeinflussen können, ist zum großen Teil in japanischen Unternehmungsführungsphilosophien enthalten, die vor allem jetzt in der deutschen Automobilindustrie in verschiedensten Variationen mehr und mehr fröhliche Urständ feiern. Ich möchte hier an das Qualitätszirkelkonzept erinnern, das Ende der 50iger und Anfang der 60iger Jahre in Japan entwickelt wurde. Dieses Konzept ist typisch für eine kollektive Orientierung. Ziel dieses Ansatzes ist eine Steigerung der Unternehmenseffektivität, indem die Mitglieder einer Organisation an der Organisationsentwicklung beteiligt werden (4, 27). Bei der Zirkelarbeit geht es um:
Die Entscheidungen darüber, wie erarbeitetes Wissen Anwendung findet, etwa um Schwachstellen auszuschalten, wird einerseits im Kollektiv gefaßt, anderseits Entscheidungsträgern vorgetragen. Eine besondere Bedeutung kommt der Evaluation und der Verbreitung der Evaluationsergebnisse zu. Denn gerade dies bildet den Anlaß für die Zirkel, sich zu treffen und über Probleme zu beraten.
Dabei kommt der Kommunikation und ihrer effektiven Organisation in Gruppen eine andere wichtige Rolle zu. Die Kommunikationsmöglichkeiten sind idealerweise nicht beschränkt und werden durch geschulte Moderatoren kanalisiert. Die ma-terielle Repräsentation von Wissen ist als Basis für die Kommunkation und Evaluation unumgänglich.
Unsicherheit vermeiden: Grundlage für die Überlegungen zu dieser Spalte sind Erfahrungen, die ich in einer Weiterbildungsmaßnahme in Halle gemacht habe, wo arbeitslose oder von Arbeitslosigkeit bedrohte Geisteswissenschaftler und Chemieingenieure 8 Monate im Bereich Wissensorganisation ausgebildet wurden, um in betrieblichen Dokumentationsabteilungen, bei Touristikunternehmen oder ähnlichen Bereichen Arbeit zu finden. Kennzeichnend für alle Teilnehmer war die extrem ausgeprägte Tendenz, Unsicherheit zu vermeiden. Dies zeigte sich einerseits in den wöchentlichen Protokollen der Dozenten, die am Ende der Woche jeweils eine moderierte Reflexion des Wochengeschehens veranstalteten, anderseits zeigte sich dies in zwei Tagesworkshops, die ich selbst dort durchgeführt habe.
Alle Teilnehmer bemühten sich, möglichst viel Wissen anzueignen, waren aber immer in Sorge, ob es sich um das richtige Wissen handelt. Dieser Zweifel führte bei einigen sogar zu einem gegenteiligen Effekt. Sie waren so gelähmt, daß sie sich gar nichts mehr aneignen mochten. Aus dem Wunsch, Unsicherheit zu vermeiden, ergibt sich auch eine Präferenz für strikte Ordnungen und Strukturierungen. Anwendungen von Wissen fanden im allgemeinen nicht unter Risiko statt. Evaluiernde Maßnahmen wurden einerseits als Mittel betrachtet, durch das sich mehr Sicherheit ergeben kann, andererseits wurde Evaluation auch gefürchtet, weil das Ergebnis der Evaluation verunsichern kann. Ähnlich verhielt es sich auch mit der Einstellung zur Kommunikation, die sowohl als Mittel betrachtet wurde, Unsicherheit zu vermeiden, als auch als Mittel, das Unsicherheit erzeugt. Eine materielle Repräsentation und Kodifikation erschien vor diesem Hintergrund als Möglichkeit, Sicherheit zu gewährleisten.
Hieraus ergibt sich eine Loslösung von der universalistischen Perspektive, Wissenorganisation als etwas zu betrachten, das sich nur nach den Prinzipien westlicher Zweckrationalität und ökonomischer Effektivität zu richten habe und die entwickelten Lösungen für alle Menschen gleich gut "funktionieren" sollten. Auch die theoretische Position, daß es so etwas wie eine ontologische Letztfundierung für wissensorganisatorische Konzepte und Klassifikationen gäbe, die, wenn man sie aufgefunden hat, Probleme von Wissensorganisation in anderen Kulturen lösen kann, scheint mir zweifelhaft. Denn Kultur beeinflußt den Umgang mit und die Wahrnehmung von Wissen. Die moderne Lernpsychologie geht sogar noch weiter, wenn sie darauf hinweist, daß das, was ich hier für Kultur behaupte, auch für individuelle Lernstile gilt (Vgl.z.B. 25, 33 und den Überblick in 18). Der Umgang mit Wissen, vom Aneignen über das Ordnen/Strukturieren, Anwenden, Evaluieren Kommunizieren und Repräsentieren ist eine Konstruktion des Individuums in Interaktion mit der Kultur und Lebenswelt, in der es lebt.
Ich will hier jedoch nicht eine rein relativistische Position ergreifen,
welche die Entwicklung kulturübergreifender Konzepte ablehnt. Denn
Kernerfahrung des heutigen Menschen ist es, einerseits mit einer anglophon
geprägten Weltkultur konfrontiert zu sein. Gerade in der wissenschaftlichen
Welt ergeben sich hierdurch Normierungen nicht nur im Bereich der Sprache,
in der publiziert wird, sondern auch im Bereich der Art und Weise wie Material
aufbereitet, dargestellt und interpretiert wird. Auf der anderen Seite
sind wir von unseren lokalen Kulturen geprägt. Die Gattung Homo
Sapiens scheint jedoch wohl in der Lage zu sein, zumindest zum Teil in
zwei Rollen zu schlüpfen (12), die seiner lokalen Kultur und
die der sich ausbreitenden anglophonen Weltkultur. Uns westlich geprägten
Menschen fällt dies allerdings leichter als vielen anderen z.B. aus
der dritten Welt.
Vor diesem Hintergrund scheint mir die Konstruktion von universal angelegten
Systemen zur Lösung wissensorganisatorischer Probleme legitim zu sein,
sie kann zum festen Punkt der positiven Auseinandersetzung mit der Sicht
anderer Kulturen werden. Sie muß jedoch immer
Dies ist die Botschaft, die ich hier vermitteln will.
2. Ashton, P.T.: Kulturvergleichende Piagetforschung: Eine empirische Perspektive, in: Schöfthaler, T. (Hg.): Soziale Struktur und Vernunft, Frankfurt 1984, S. 75-95.
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2 Die Existenz dieser oder ähnlicher Dimensionen als Einflußfaktoren ist in einer Reihe vergleichender Studien bestätigt worden. Kritisiert wird jedoch bei Hofstede die Auswahl seines Samples, denn die Erhebung wurde ausschließlich an Mitarbeitern der Firma IBM vorgenommen.
3 Diese Aussagen betreffen vor allem ein China vor dem großen Reformschub 1984. Gerade hierarchische Strukturen und ihre Funktionen sind zur Zeit in China einem großen Wandel unterworfen. Persönliche Kommunikation J. Hebel.
4 Ein unser näher liegendes Beispiel für strikte Zugangsregeln aufgrund großer Machtdistanz ist der Umgang mit wissenschaftlicher Literatur in den Bibliotheken der DDR, an denen es große Bestände von sogenannten "Giftschränken" gab, zu denen nur betimmte Personen nach einem meist abgestuften System Zugang hatten.