Wenn im folgenden Zusammenhang von »Handlungsfeldern« und »didaktischem Han- deln« die Rede ist, so ist darunter nicht nur die Durchführung von Lehrveranstaltungen in Klassenräumen zu verstehen. Didaktisches Handeln kann auch auf der Systemebene (z. B. als Mitarbeit in Planungsabteilungen von Betrieben und Behörden), auf der Programmebene (z. B. in der Curriculumentwicklung) oder in Einrichtungen stattfinden, die der Aus- und Weiterbildung von Lehrern, Ausbildern, Dozenten und Trainern dienen, ferner in Einrichtungen, die mit der Produktion von Medien (z. B. Bildungsfernsehen) und Lehrbüchern (z. B. Verlage) befaßt sind. Didaktisches Handeln außerhalb von Klassenräumen ist für den Bereich der interkulturellen Didaktik insofern typisch, als die im folgenden skizzierten Handlungsfelder sehr häufig gerade »Experten«, »Berater«, »Gutachter« und »Organisatoren« verlangen, die eher mittelbar als unmittelbar mit Lehre beschäftigt sind. Außerdem spielt in interkulturellen Zusammenhängen auch nicht-formelle (non-formale) Bildung eine Rolle, die außerschulische Lernorte und selbstorganisiertes Lernen bevorzugt.
Gegenstand interkultureller Didaktik im weiteren Sinne ist somit didaktisches Handeln in interkulturellen Kontexten oder die Vorbereitung auf solches Handeln. Es geht dabei um didaktisches Handeln im Kontext von globalem Lernen sowie Lernen und Lehren in Übergangsgesellschaften, in multikulturellen Gesellschaften, in Bereichen des Kulturaustauschs, in internationalen Organisationen, in der Privatwirtschaft und in Projekten interkultureller Bildungsforschung.
Eine weiter gehende systematische Ausdifferenzierung dessen, was sich als »interkultureller Kontext« bezeichnen läßt, findet sich bei Bochner (1982).
In diesem größeren Rahmen haben sich spezifische Kontexte herausgebildet, in denen interkulturelles Lernen und somit auch interkulturell-didaktisches Handeln stattfindet. Dabei lassen sich sechs Handlungsfelder erkennen.
Seit den 80er Jahren wurden unter der Bezeichnung »globales Lernen« bzw. »Lernen für die eine Welt« von verschiedenen Organisationen und Projektgruppen Bildungsangebote vor allem für Kinder und Jugendliche entwickelt. Zu erwähnen sind hier der Bericht der Pädagogischen Kommission des Forums »Schule für eine Welt« (1996), die UNICEF-Programme »Education für Development: A Framework for Global Citizenship« und »Voices of Youth« (Godwin 1992). Die Schulberatungsstelle »Globales Lernen/Eine Welt« bietet unter der Homepage »http://www.matin-geisz.purespace.de« Zugang zu wichtigen Internet-Seiten zu diesem Thema. Der Verein für Friedenspädagogik erschließt über seine Homepage »http://www.friedenspaedagogik.de« Dokumente nationaler und internationaler Organisationen, u. a. die von der »Ständigen Konferenz der Kultusminister der Länder in der Bundesrepublik Deutschland« vorgelegten »Empfehlungen zum Unterricht über die Eine Welt/Dritte Welt« (KMK 1997).
Was die unterrichtspraktische Umsetzung des Konzepts anbelangt, so bietet Hammond (1991) einen Prinzipienkatalog für ein »globales Curriculum«. Informationen über Unterrichtsbeispiele finden sich bei Schernikau (1991) sowie Marcus u. a. (1995).
In der Bundesrepublik existieren verschiedene Arbeitskreise und Organisationen, die Kulturaustausch in diesem weiten Sinn organisieren. Erwähnung verdienen hier der »Deutsche Akademische Austauschdienst« (DAAD), der Träger für den Studenten- und Wissenschaftleraustausch ist, sowie die »Goethe-Institute«, die primär für die Außendarstellung der Kultur der Bundesrepublik Deutschland zuständig sind. Eine längere Tradition haben auch die vom »Deutsch-Französischen Jugendwerk« organisierten Aktivi- täten, das inzwischen auch zum Vorbild für Jugendaustausch mit anderen Nachbarländern (Polen, Tschechien) wurde. Einen guten Überblick über dieses wie auch über die anderen o. a. Handlungsfelder liefert das von der Vereinigung für Internationale Zusammenarbeit herausgegebene »Handbuch für Internationale Zusammenarbeit« (1959 ff.). Die vom »Institut für Auslandsbeziehungen e. V.« herausgegebene »Zeitschrift für Kulturaustausch« informiert über aktuelle Entwicklungen.
Wenn in diesem Zusammenhang von handlungsrelevantem Wissen die Rede ist, so bezieht sich dies nicht nur auf Handlungs- und Problemlösungswissen (»knowhow«), also auf Techniken, Fertigkeiten, Verfahren und Strategien der jeweiligen Handlungsträger (einschließlich der Lerner selbst). Deutungs- und Bewertungswissen (»knowwhy«) ist von gleichem Gewicht, also Wissen über Positionen, Wertvorstellungen, Motive, Begründungen sowie Deutungs- und Erklärungsmuster.
Das für interkulturell-didaktisches Handeln relevante Handlungs- und Problemlösungswissen beinhaltet außer gründlichen Kenntnissen auf dem Gebiet der Allgemeinen Didaktik im besonderen Sensibilität für kulturelle Kontexte, landeskundliche Kenntnisse sowie Wissen über spezifische Lernbedingungen und Lernvoraussetzungen der Zielgruppen. Es umfaßt außer Sprachkenntnissen auch Wissen über kulturspezifische Lern- und Kommunikationsformen sowie über zentrale Wertvorstellungen, Zeit- und Raumvorstellungen sowie Autoritätsstrukturen der jeweiligen Partnerkulturen. Deutungs- und Bewertungswissen bezieht sich demgegenüber vorwiegend auf einen aufgeklärten Umgang mit den eigenen Wertvorstellungen, aus denen die handlungsleitenden Motive erwachsen, so etwa die Klärung der eigenen Position zwischen universalistischen und kulturrelativistischen Optionen, zwischen Anpassung und Wahrung kultureller Identität sowie zwischen interkultureller und transkultureller Orientierung. Wichtige Hinweise hierzu liefert Schöfthaler (1984).
Im folgenden wird eine exemplarische Auswahl von Beiträgen vorgestellt, in denen handlungsrelevantes Wissen auf dem Gebiet interkultureller Didaktik erzeugt, geprüft und angewendet wurde.
Ein klassisches Beispiel hierfür ist die Einführung der »Neuen Mathematik« in Schulen Liberias in den 70er Jahren. Die dabei auftretenden Probleme (z. B. Lernschwierigkei- ten) wurden in einer ausführlichen Studie von Gay/Cole (1967) untersucht, die zu den »Klassikern« interkultureller Didaktik zählen. Dabei ist hervorzuheben, daß die Gestaltung der Praxis ebenso wie die Studie selbst in der Kooperation von afrikanischen mit euro-amerikanischen Praktikern und Wissenschaftlern erfolgte.
Die Zeitschriften »Anthropology & Education Quarterly« (1969 ff.) und »Journal of Cross-Cultural Psychology« (1969 ff.) widmen dem Problem der kulturellen Bedingtheit von Lehr- und Lernstilen mit zahlreichen Beiträgen große Aufmerksamkeit.
Erst die Bürgerrechtsbewegung der 60er Jahre und mit ihr die Idee der »kompensatorischen« Erziehung brachten hier einen Wandel mit sich. Dabei stand zunächst vor allem der Aspekt der sozialschicht-bedingten Unterschiede hinsichtlich Sprache und Kommunikationsstil im Mittelpunkt (Bernstein 1972). Wegen der Überlappung von Sozialschicht und kultureller Herkunft wurde damit teilweise auch die Forderung nach dem Abbau von Bildungsbarrieren für Kinder der kulturellen Minderheiten abgedeckt.
Eine neue Qualität erhielt dann die Forschung über die Erziehung von Kindern kultureller Minderheiten in multikulturellen Gesellschaften durch die Arbeit von Ramirez/ Castaneda (1974). Zielgruppe waren Kinder mexikanischer Einwanderer im Westen der USA. Auf der Grundlage empirischer Untersuchungen sowie eigener didaktischer Experimente entwickelten die Autoren ein neues Erziehungskonzept, das nicht auf Assimilation, sondern auf »kulturelle Demokratie« gerichtet war. Sie bezogen nicht nur die Verwendung der Muttersprache im Unterricht und die Berücksichtigung der besonderen kulturellen Wertvorstellungen ihrer Zielgruppe in ihre Untersuchung ein, sondern versuchten, deren »biokognitive Entwicklung« durch Berücksichtigung ihrer kognitiven Stile und ihrer Lernstile zu fördern, und zwar durch entsprechend gestaltete Lernumwelten und Lehrverfahren. Das 1995 erschienene »Handbook of Research on Multicultural Education« (Banks/Banks 1995) ist die derzeit wohl umfangreichste Darstellung der bisherigen Erkenntnisse zum Thema Erziehung in multikulturellen Gesellschaften.
Seitdem haben sich auch die westeuropäischen Länder in Richtung auf multikulturelle Gesellschaften weiterentwickelt, so daß auch hier die Frage nach der schulischen Erziehung kultureller Minderheiten breiteres Interesse erhielt. Die umfangreiche Studie von Taylor/Hegarty (1985), die in Großbritannien lebende kulturelle Minderheiten aus dem südasiatischen Raum als Zielgruppe hat, bringt einen neuen Aspekt zur Geltung: Multikulturelle Erziehung kann sich nicht nur auf Minderheiten beziehen, sondern muß auch die Mehrheit mit einbeziehen.
In der Bundesrepublik verstärkte die Entwicklung neuer Minderheiten seit Mitte der 70er Jahre Beiträge zum Thema »Ausländerpädagogik« und »interkulturelles Lernen«. Zu den frühen empirischen Untersuchungen gehört die Arbeit von Akpinar u. a. (1977). Überblicksdarstellungen finden sich bei Auernheimer (1990), Niekrawitz (1991), Hoff (1995) und Böhm (1999). Demnach lassen sich gegenwärtig acht Grundkonzepte für didaktisches Handeln in multikulturellen Gesellschaften aufweisen:
Obwohl es in vielen Ländern bereits früher Formen systematischer Vorbereitung von bestimmten Zielgruppen (Missionaren, Diplomaten etc.) gab, entwickelten sich didaktisch differenzierte Konzepte interkulturellen Training in den USA erst seit den 50er Jahren des 19. Jahrhunderts. Diese standen zunächst im Zusammenhang der Vorbereitung von Militärangehörigen auf Auslandseinsätze und von Orientierungsmaßnahmen für den Kulturaustausch, im besonderen von Studenten. Mit der Gründung des Peace-Corps (1961) waren dann Entwicklungshelfer, mit zunehmender Globalisierung der Wirtschaftsbeziehungen auch Manager, eine wichtige Zielgruppe für interkulturelle Trainings.
Von der sehr umfangreichen Literatur aus den USA seien erwähnt die Überblicksdarstellungen von Kohls/Knight (1994), Fowler/Mumford (1995) sowie Landis/Bhagat (1996). Deutsche Beiträge liefern Thomas/Hagemann (1992), Krewer (1994) und Flechsig (1999). Das »International Journal of Intercultural Relations« enthält wichtige aktuelle Beiträge zu Themen interkulturellen Trainings.
Kern der so entstehenden »Didaktik interkulturellen Lernens und interkultureller Kommunikation«, die zur Vorbereitung auf Kulturkontakte der verschiedensten Art in professioneller Weise betrieben wird, sind außer sprachlichen und länder- bzw. kulturkund- lichen Komponenten (»area studies«) vor allem Simulationen (Rollenspiele etc.), Fallstudien (»cultural assimilators«, »critical incidents«), in denen reale Kulturkontakte von Per- sonen anglo-europäischer Herkunft mit Menschen aus Asien, Afrika und Lateinamerika analysiert und interpretiert werden, sowie verschiedene gruppendynamische Methoden, die in organisierten Begegnungen von Lernern unterschiedlicher kultureller Herkunft (»intercultural workshops«) angewendet werden.
In diesem Zusammenhang stellt sich auch die Frage, ob sich beim Aufbau interkultureller Kompetenz Entwicklungsstufen erkennen lassen, die vergleichbar sind mit Stufen kognitiver und moralischer Entwicklung, oder die mit ihnen sogar in Zusammenhang stehen (Hoopes 1979).
Dieser Mangel an Bewußtsein für die kulturelle Relativität wissenschaftlichen Wissens kommt in den Erziehungs- und Sozialwissenschaften auf mehreren Ebenen zum Ausdruck und beeinflußt die Beziehungen zwischen Bildungsforschern und ihren Partnern (Zielgruppen, Versuchspersonen, Praktikern etc.) auf verschiedene Weise:
Auf der Ebene des Grundverständnisses von Wissenschaft stehen universalistische kulturrelativistischen Positionen gegenüber. Forscher, die in der anglo-europäischen Tradition stehen, gehen oft von weltanschaulichen Grundoptionen aus, die andere Kulturen so nicht teilen; z. B. die Trennung von Geist und Materie, von Erkennen und Handeln, von Subjekt und Objekt, von Analyse und Synthese (Horton 1971).
Auf der Ebene der methodologischen Grundentscheidungen werden »etische« Ansätze bevorzugt, bei denen der Forscher seinen Erkenntnisgegenstand »von außen« betrachtet, gegenüber »emischen« Ansätzen, bei denen er mit den seiner Zielgruppe immanenten kulturellen Kategorien arbeitet (Berry 1980; Lonner/Berry 1986). Diese Einseitigkeit wird jedoch zunehmend unter dem Einfluß der Erziehungsethnologie überwunden.
Schließlich schlägt sich anglo-europäischer Ethnozentrismus auch in den Verfahren und Instrumenten der Datenerhebung nieder. Dies gilt für das »setting«, die ökologischen, sozialen und kommunikativen Kontexte, in denen Daten erhoben werden. Es gilt für die Verwendung solcher Tests in außereuropäischen Kulturen, die ursprünglich für anglo-europäische Zielgruppen entwickelt worden waren, was zum Vorwurf mangelnder »kultureller Fairneß« führte. Es gilt aber auch für die Kommunikations- und Interaktionsstile, die Forscher oft wie selbstverständlich bei der Datenerhebung praktizieren, ohne sensibel zu sein für die Verstöße gegen den »guten Ton«, die sie in anderen kulturellen Kontexten damit begehen (Hui/Triandis 1985).
Forschung auf dem Gebiet interkultureller Didaktik muß sich nicht nur dieses Problems der kulturellen Voreingenommenheit des Forschers bewußt sein. Sie muß auch in der Entwicklung ihrer Methoden und in der Ausbildung ihres Nachwuchses besonderen Wert auf »interkulturelle Sensibilität« legen. Somit könnte sie auch einen Beitrag für die »intrakulturelle« Unterrichts- und Bildungsforschung bzw. für die Allgemeine Didaktik leisten, indem sie dazu anregt, auch in der wissenschaftlichen Beschäftigung mit unterschiedlichen Kulturen (Lebensstilen, Milieus) im eigenen Land interkulturelle Sensibilität zu entwickeln (Schwenk 1996).
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Ferner bietet die Homepage des Autors vielfältige Informationen zum Themenbereich "Interkulturelle Didaktik": http://www.gwdg.de/~kflechs.