Methoden interkulturellen Trainings

Inhalt:

Neues Verständnis von "Kultur" und "interkulturell"
Impulse zur Entwicklung von Methoden interkulturellen Trainings
Maßnahmen interkultureller Bildung
Orientierungsmaßnahmen und Trainingsmaßnahmen
Methoden interkulturellen Trainings
Fallmethode
Variante 1: Analyse kritischer Ereignisse
Variante 2: Kulturassimilatormethode
Simulationen
Lokale Kultur-Erkundungen im Inland
Interkulturelle und transkulturelle Lernprojekte
"Übungen"
Von länder-unspezifischen zu länder-spezifischen Trainings
Kontextualität und Komplexität interkultureller Bildungsmaßnahmen
Literatur
 

Neues Verständnis von "Kultur" und "interkulturell"

Wer den Sprachgebrauch - nicht nur in Deutschland - verfolgt, wird festgestellt haben, daß der Begriff "interkulturell" zunehmend den Platz einnimmt, den vorher der Begriff "international" besetzt hatte (Kurtz 1997). In dieser Entwicklung des Sprachgebrauchs findet ein Prozeß seinen Niederschlag, der wichtige historische, politische und gesellschaftliche Entwicklungen widerspiegelt. So war noch bis in die Mitte unseres Jahrhunderts der Gedanke vorherrschend, daß sich die Menschheit nach Völkern bzw. Nationen gliedert oder zu gliedern habe, die zugleich auch als Kultureinheiten verstanden wurden. Dabei war bereits bei der Gründung der "Vereinten Nationen" im Jahr 1945 deutlich, daß es sich um "Staaten", und nicht um Nationen oder Völker handelte, die da ein neues Bündnis schlossen. Schon damals nämlich waren viele dieser Staaten Gebilde, die mehrere Kulturen und Ethnien umfaßten - man denke beispielsweise an die Nationen der Sowjetunion, man denke auch an die neu gebildeten Staaten Afrikas, deren Grenzen der kolonialen Vergangenheit entstammten, Grenzen, die ganze Völker und Stämme trennten. Die Vorstellung, daß die Grenzen von Staat, Territorium, Kultur, Ethnizität, Sprache, Ökonomie und Währung, nach Möglichkeit auch von Staatsbürgerschaft, Religionszugehörigkeit und Mentalität übereinstimmen müßten und unter der Kategorie "Nation" zur Deckung gebracht werden sollten, ist aber auch heute noch lebendig und dient als ideologische Begründung von nicht wenigen Bürgerkriegen. Die gesellschaftlichen Realitäten zeigen jedoch weltweit ein anderes Bild.

Daß sich staatliche Einheiten und kulturelle Einheiten weitgehend decken, ist weltweit gesehen eher die Ausnahme. "Globalisierung" und "Multikulturalisierung" von Gesellschaften bestimmen das Verhältnis von staatlichen und kulturellen Einheiten neu. Oberhalb nationalstaatlicher Organisation entwickeln sich neue Formen von "Weltkultur" durch politische, massenkommunikative, ökonomische und ökologische Vernetzungen, die das Bewußtsein von Menschen in aller Welt mehr oder weniger prägen (Featherstone & Lash 1995). Und auch die Entwicklung supranationaler Zusammenschlüsse nimmt weltweit zu, man denke im Falle von Europa an die EG. Unterhalb der nationalstaatlichen Ebene entwickelt sich in allen modernen Gesellschaften zunehmend kulturelle Vielfalt. Soziologen weisen darauf hin, daß Sozialstrukturen moderner Gesellschaften, die sich traditionellerweise nach Klassen oder Schichten gliederten, sich zunehmend nach kulturellen Merkmalen ausdifferenzieren. Und dies nicht nur als Folge von Immigration kulturverschiedener Gruppen, die von außen kommen, sondern vor allem auch durch zunehmende Binnendifferenzierung moderner Gesellschaften nach Regionen, nach Generationen, nach Professionen und Konfessionen, nach Lebensstilen und nach "Milieus". "Multikulturalität" wird so zum Merkmal aller modernen Gesellschaften (siehe hierzu die Beiträge in Schwenk 1996). Dabei sind Globalisierung und Multikulturalisierung/ Partikularisierung keineswegs als Widerspruchsverhältnis zu interpretieren, sondern - wie z. B. Sieferle (1994) und Friedmann (1994) nachweisen - durchaus als komplementäre Prozesse zu sehen.

Für die Individuen, die in modernen oder sich modernisierenden Gesellschaften leben, ergibt sich hieraus angesichts dieser Vielfalt kultureller Bezugssysteme das Problem, die eigene kulturelle Identität neu zu bestimmen. So kann z. B. eine Person den kulturellen und sozialen Bezugssystemen "Menschheit", "Europa", "Bundesrepublik Deutschland", "Bayern", "Christenheit", "Wissenschaft" oder "Akademiker" nicht nur zugleich zugehören, sondern sie kann in erheblichem Maße selbst bestimmen, welchem dieser Bezugssysteme sie besondere Bedeutung beimißt, mit welchem dieser Bezugssysteme sie sich stärker identifiziert. Moderne Individuen können sich so in erster Linie als Weltbürger, als Europäer, als Katholik, als Bayer oder als Künstler verstehen, in zweiter Linie als Deutscher, als Bildungsbürger oder als Vegetarier - oder auch umgekehrt. Je nachdem, welchem dieser kulturellen Bezugssysteme - in der Regel sind es mehrere - sich eine Person zuordnet, wird ihre kulturelle Identität komplex sein, kann also nicht mehr eindimensional der im Reisepaß angegebenen Nationalität zugeordnet werden.

Wir müssen also erkennen, daß "Kultur" nicht mehr im Sinne von "Nationalkultur" verstanden werden kann, "interkulturell" nicht mehr im Sinne von "international". Die Vorstellung, daß sich die Bürger eines Staates, die Bewohner seines Territoriums durch einen Komplex gemeinsamer Eigenschaften auszeichnen, durch die sie sich von Bürgern anderer Staaten bzw. von Bewohnern anderer Territorien unterscheiden, und zwar mehr als sie sich untereinander unterscheiden, muß ins Reich der Mythen verwiesen werden. Demgegenüber zeichnet sich unsere Gegenwart dadurch aus, daß Menschen über Grenzen der Staaten hinweg Kulturgemeinschaften bilden können, und daß andererseits innerhalb der Staaten kulturelle Unterschiede zwischen Menschen bestehen und wohl sogar zunehmen, die eine Vielfalt von Kulturgemeinschaften zur Folge haben.

Halten wir fest: "Kultur" ist nicht mehr gleichzusetzen mit "Nationalkultur", da alle modernen Gesellschaften grundsätzlich multikulturell im weiteren Sinne geworden sind (möglicherweise es auch immer schon waren). Menschen können sich mehr als nur einer Kulturgemeinschaft zugehörig fühlen. Kulturgemeinschaften reichen über die Grenzen von Staaten hinaus und ihre Vielfalt reicht in die Staaten hinein. Angesichts dieser Realität wird interkulturelle Kompetenz zu einer Schlüsselqualifikation für alle, nicht nur für diejenigen, die ins Ausland gehen oder die mit Ausländern im Inland verkehren.

Impulse zur Entwicklung von Methoden interkulturellen Trainings

Wie bereits erwähnt, war auch das weitgehende Fehlen von Methoden interkulturellen Trainings ein Grund dafür, daß der Entwicklung interkultureller Kompetenz nur geringe Beachtung geschenkt wurde. Bis in die Mitte unseres Jahrhunderts wurden nur wenige Menschen auf das Leben mit Menschen anderer Kulturgemeinschaften in methodischer Weise vorbereitet. Zumeist waren dies Missionare und Diplomaten. Alle anderen wurden - wie man so sagt - "ins kalte Wasser geworfen", mußten sich entweder selbständig interkulturelle Kompetenz aneignen oder aber ohne sie im Ausland überleben. Diese Situation änderte sich jedoch seit den fünfziger Jahren. Vor allem in den USA waren die Zunahme von Kulturaustausch und der Aufbau des Peace Corps für Entwicklungshilfe-Projekte Anlässe dafür, vor allem jüngere Leute auf das Leben in einem anderen Land in methodischer Weise vorzubereiten. Später waren in den USA dann auch die Einwanderung von Menschen aus Mexiko ebenso wie der Kampf um kulturelle Identität in der schwarzen Bevölkerung Impulse für die Weiterentwicklung von Methoden interkulturellen Trainings. In Europa gab es dann etwa von 1960 an ähnliche Entwicklungen, wenn auch in bescheideneren Umfang. In den letzten 10 Jahren sind nun weitere Motive für die Verbreitung und Intensivierung der Methoden interkulturellen Trainings hinzugekommen. Dazu gehören:

Maßnahmen interkultureller Bildung

Aus den genannten Gründen haben nicht nur Maßnahmen interkultureller Bildung weltweit zunehmende Verbreitung erfahren; auch die Literatur, in der solche Maßnahmen beschrieben sind, hat einen erheblichen Umfang erreicht. Entsprechend wuchs auch das Bemühen, eine Übersicht über die Vielzahl solcher Bildungsmaßnahmen zu gewinnen und Strukturierungen solcher Angebote vorzunehmen. Die dabei entstandenen Klassifikationsvorschläge betonen jeweils unterschiedliche Aspekte, unter denen Maßnahmen interkultureller Bildung betrachtet werden können.

So leitet Gaston (1984) seine Klassifikation solcher Bildungsmaßnahmen von einem Stadienmodell interkultureller Kompetenzentwicklung ab, wenn er auf "vorurteilsfreie Beobachtung, Umgang mit Mehrdeutigkeit, Empathie und Transzendenz" verweist. Andere Autoren (Krewer 1994; Fowler & Mumford 1995) unterscheiden demgegenüber didaktische Modelle und Methoden (Selbsterfahrungs-Übungen, Kontrastkultur-Übungen, Rollenspiele, Fallstudien, Kulturassimilator etc.). Kohls & Knight (1994) wiederum orientieren sich bei ihrer Klassifikation an einer Trainingssequenz bzw. einem idealtypischen Workshop (Eisbrecher, Vorstellung, Teambildung, eigene & fremde Werte, Kulturkontraste & Interaktionen, Simulationen, Fallstudien, Evaluierung). V. Helmolt und Müller (1991) weisen mit dem von ihnen entwickelten Trainingstyp „Linguistic-Awareness-of-culture-Training (LAC)" auf spezifische Kombinatio-nen von interkultureller Bildung und Fremdsprachenunterricht hin.

Da sich der von mir im folgenden Abschnitt näher erläuterte Ansatz an einen Klassifikationsvorschlag anschließt, den Gudykunst & Hammer (1983) unterbreitet haben, sei auch dieser kurz umrissen. Wie das folgende Schema zeigt, unterscheiden die Autoren 4 Grundtypen, die sich aus der Kreuzung von zwei Aspekten ableiten: "didactic" gegenüber "experiential" und "culture-specific" gegenüber "culture-general":
 
culture-specific  culture-general 
didactic (Typ 1) (Typ 2)
experiential  (Typ 3) (Typ 4)
"Didactic" bezieht sich dabei auf Maßnahen, bei denen in der Art und Weise klassischer Lehrveranstaltungen bzw. Schulunterrichts Wissen über bestimmte Dinge vermittelt wird. "Experiential" bezieht sich hingegen auf solche Maßnahmen, die auf Kompetenzentwicklung und Verhaltensänderung gerichtet sind. "Culture-specific" bezieht sich auf Maßnahmen, die sich auf eine einzelne Kultur bzw. ein bestimmtes Land beziehen; "culture-unspecific" sind demgegenüber Bildungsmaßnahmen, deren Gegenstand übergreifende kulturelle und interkulturelle Sachverhalte sind, sowie Beziehungen zwischen eigenen und fremden Kulturen überhaupt.

Orientierungsmaßnahmen und Trainingsmaßnahmen

Dieser Klassifikationsvorschlag hat zum einen den Vorteil, daß er auch von Nichtexperten leicht einzusehen ist, zum anderen liefert er mit den Begriffen "didactic" / "experiential" eine unter didaktischen und wissenstheoretischen Gesichtspunkten wichtige Unterscheidung, die es erlaubt, Maßnahmen zu unterscheiden, die primär Orientierungswissen vermitteln ("Orientierungsmaßnahmen") von solchen, die Handlungswissen vermitteln ("Trainingsmaßnahmen").

Mein eigener Klassifikationsvorschlag schließt sich an das von Gudykunst & Hammer vorgestellte Grundschema an, wobei allerdings - nicht nur aus sprachlichen Gründen - andere Begriffe verwendet werden.

 

Maßnahmen interkultureller Bildung (Flechsig 1998)

länderspezifisch länder-unspezifisch
thematisierend 

(Orientierung)

Landes-"Kunde" Kulturverständnis 

Kulturbegriffe 

Kulturtheorien

erfahrungsbildend 

(Training)

(länderspezifisches) interkulturelles Training (länder-unspezifisches, allgemeines interkulturelles Training
An Stelle von "didactic" und "experiential" verwende ich die Begriffe "thematisierend" und "erfahrungsbildend". "Thematisierend" sind dabei solche Maßnahmen, bei denen primär Orientierungswissen vermittelt wird, indem kulturelle Sachverhalte dargestellt, beschrieben, besprochen und diskutiert werden, wie wir dies im besonderen von den älteren und neueren Formen der Landeskunde her kennen. Dabei kann Thematisierung z.B. durch Vorträge und Lektüre aber auch mit Hilfe von audio-visuellen Medien geschehen. Durch Thematisierung kann aber auch kulturallgemeines Orientierungswissen vermittelt werden, im besonderen Wissen über Kulturtheorien und kulturübergreifende Sachverhalte.

Als "erfahrungsbildend" bezeichne ich demgegenüber Bildungsmaßnahmen, bei denen die Lernenden sich primär Handlungswissen aneignen, d.h. interkulturelle, transkulturelle und kulturelle Kompetenzen. Sie lernen, mit eigenen und fremden Verhaltensweisen und Einstellungen umzugehen, und zwar mit Hilfe von Begegnungen, Interaktionen und Übungen, die mit Interpretationen unmittelbarer oder simulierter Realität sowie mit Handlungs- und Kommunikationsversuchen verbunden sind. Solche Bildungsmaßnahmen können ebenfalls länderspezifisch angelegt sein, also Begegnungen mit Bewohnern eines bestimmten anderen Landes zum Inhalt haben, oder aber länder-unspezifisch bzw. allgemein, d.h. mit Interaktionen, die in einem eher unbestimmten Sinn als "fremd" anzusehen sind.

Daß ich an Stelle von "culture-specific" bzw. culture-unspecific" die Bezeichnungen "länder-spezifisch" und "länder-unspezifisch" bevorzuge, hat seinen Grund in einer Entwicklung, auf die ich bereits an früherer Stelle hingewiesen habe: es gilt den Eindruck zu vermeiden, daß die Grenzen von Kulturen mit den Grenzen von Ländern identisch sind und daß alle Menschen, die in einem Land leben, nur einer oder gar der gleichen Kulturgemeinschaft angehören.

Länder-unspezifisches interkulturelles Training

Im folgenden werde ich mich auf länder-unspezifisches, allgemeines interkulturelles Training beschränken, ohne deshalb den Sinn der anderen drei Formen in Frage zu stellen. Für mich sind es vor allem folgende Gründe, dem länder-unspezifischen allgemeinen interkulturellen Training stärkere Aufmerksamkeit zu schenken.

1. Es ergeben sich im Zusammenhang von Globalisierungsprozessen zunehmend für viele Menschen Gelegenheiten für kurzfristige Auslandsaufenthalte, ohne daß schon voraus- zusehen ist, um welche Länder es sich handeln wird;

2. Es entsteht im Zusammenhang von Multikulturalisierungsprozessen in vielen Ländern die Notwendigkeit, Antworten auf die kulturelle Binnendifferenzierung der Gesellschaften zu finden, die ja viele Subkulturen entstehen läßt und nicht nur eine; in den USA entstand so eine Praxis des "diversity training", die im wesentlichen als allgemeines interkulturelles Training gestaltet wird;

3. Allgemeines interkulturelles Training vermittelt Grundlagen interkultureller Kompetenz, auf die dann länder-spezifisches Training für eine Vielzahl von Ländern aufbauen kann.

Daß und in welcher Weise interkulturelles Training mit den anderen drei Arten kultureller und interkultureller Bildungsmaßnahmen in Beziehung gesetzt werden kann und sollte, möchte ich ausdrücklich betonen. Zum Schluß werde ich auf diesen Punkt noch einmal eingehen. Zunächst aber möchte ich Ihnen fünf methodische Grundformen allgemeinen interkulturellen Trainings vorstellen, von denen jede in einer Vielzahl von Varianten vorkommt:

Methoden interkulturellen Trainings

In der Literatur zum interkulturellen Training - außer den oben bereits erwähnten Autoren sei hier vor allem auf Landis & Bhagat (1996), Dadder (1987), Casse (1981), Cushner & Brislin (1996), Brislin & Yoshida (1994) hingewiesen - herrscht Übereinstimmung darüber, daß vier Grundmodelle didaktischen Handelns (vgl. Flechsig 1995) besonders geeignet sind, interkulturelle Kompetenz und interkulturelles Handlungswissen zu vermitteln: Fallmethode, Simulation, Erkundung und Lernprojekt. Für jedes dieser Grundmodelle wurden zudem zahlreiche Varianten entwickelt, an die die besonderen Bedingungen interkulturellen Trainings angepaßt sind.

Daneben findet man vor allem in der großen Vielzahl von Publikationen, deren Gegenstand sehr konkrete Handlungsempfehlungen sind, eine Reihe von sehr unterschiedlichen methodischen Elementen, die zumeist nur geringen Zeitaufwand beanspruchen. Sie werden im folgenden unter dem Begriff "Übungen" zusammengefaßt.

Bevor diese Grundmodelle, Varianten und Übungen im einzelnen an Beispielen erläutert werden, sollen sie zunächst in Form eines tabellarischen Überblicks vorgestellt werden, der allerdings nicht mit dem Anspruch auf Vollständigkeit verbunden ist.
 
Methode 
(Grundform)
 Varianten  Beispiele
Fallmethode Analyse kritischer Ereignisse 
Einzelfall-Analysen 
"Kulturassimilator" 
Mehrperspektivische Fallanalysen
"US-amerikanischer Student an deutscher Hochschule"
Simulation Rollenspiele 
Interaktionsspiele 
Komplexe Simulationen 
Internet-Simulationen
"Fünf-Kulturen-Spiel"
Erkundung Lokale Erkundungen vor Ort 
Medien-Erkundungen 
Selbst-Erkundungen mit 
Kulturfragebogen
"Kulturgemeinschaften in Dresden"
Lernprojekt interkulturelle Lernprojekte vor Ort 
transkulturelle Lernprojekte vor Ort 
interkulturelle & transkulturelle Lernprojekte im Internet
"Voices of Youth"
"Übungen"  Wahrnehmungsübungen 
Ausdrucksübungen 
Interaktionsübungen 
Selbsterfahrungs-Übungen 
Bewertungs-Übungen 
Aufgaben-Bearbeitungen 
Exotische Rituale 
Verfremdungs-Übungen 
Antipoden-Übungen
"Exotischer Seminar-Auftakt"
 

Fallmethode

Beginnen wir mit einem Beispiel, das Robert Kohls (a. a. O., S. 40 f.) beschrieben hat, und das ich ein wenig abgewandelt habe:

"Der Entwicklungshelfer Peter kam in das arme Land Parania. Dort wußte der Leiter der Einrichtung, der er zugewiesen worden war, nichts mit ihm anzufangen. Er teilt Peter indirekt mit, daß es am besten sei, die beiden Jahre im Büro zu verbringen, Tee zu trinken und sich mit den anderen zu unterhalten. Peter wollte ein Projekt beginnen, aber der Leiter versuchte, ihm dies auszureden. Dann wurde der Leiter versetzt.

Die Kollegen im Büro fragten Peter häufig, was er hier verdiene. Wahrheitsgemäß sagte er, etwa 100 DM. Sie fragten dann, was er denn zu Hause verdient habe. Seine Antwort - zweitausend. Und weshalb bist Du dann hierher gekommen, fragten sie. Weil ich Entwicklungshelfer sein wollte. Daraufhin schauten ihn die Kollegen im Büro fragend an.

Peter hatte den Eindruck, daß sie vermuteten, er habe andere Motive dafür, daß er nach Parania gekommen war, und daß sie ihm nun mit Mißtrauen begegneten."

Wie dieses kleine Beispiel zeigt, sind „Fälle" im Zusammenhang interkulturellen Trainings zeitlich und räumlich zumeist eng begrenzte Ereignisse, an denen zwei oder mehrere Personen aus mindestens zwei verschiedenen Ländern beteiligt sind oder die mindestens zwei unterschiedlichen Kulturgemeinschaften angehören. Es kann sich um problematische, konflikthafte oder auch erfreuliche Ereignisse handeln. Sie können in der Öffentlichkeit oder im privaten Bereich angesiedelt sein, in beruflichen oder touristischen Kontexten, sie können offiziellen und inoffiziellen Charakter haben. Sie sollten jedoch wichtige Lernerfahrungen der Autoren oder der am Fall beteiligten Personen widerspiegeln

Interkulturelles Training mit Hilfe der Fallmethode verlangt sorgfältig ausgearbeitete Trainingsunterlagen, die allen Teilnehmern zur Verfügung stehen sollten. Sie beruhen auf tatsächlichen Erfahrungen von Personen, die in den betreffenden interkulturellen Kontexten tätig waren.

Zu den Unterlagen gehört die Beschreibung von Szenarien und Kontexten, d. h. die bei der Fallmethode behandelten Ereignisse sollten in ein Szenario eingebettet sein, das knapp beschrieben wird und z.B. Zeit, Ort, soziale Rollen, Beziehungen und Interessen beschreibt.

Kern der Fallmethode sind sodann gute Fallbeschreibungen. Diese sollten sich auf Ereignisse beziehen, die tatsächlich stattgefunden haben. Sie sollten typische und häufiger wiederkehrende Situationen zum Inhalt haben. Und sie sollten sich um Objektivität, d.h. um eine möglichst genaue Rekonstruktion des betreffenden Ereignisses bemühen. Autoren von Fallbeschreibungen können hierzu auf Checklisten oder auch Formulare zurückgreifen, die in der Literatur angeboten werden.

Zu den Unterlagen gehören ferner Fragen, Problemstellungen oder Aufgaben, die dazu auffordern, Hypothesen zum Fall zu entwickeln.

Zumeist haben solche Fälle oder Ereignisse eine Vorgeschichte. Diese kann auf biographischen Erfahrungen der beteiligten Personen beruhen oder auf ihren bisherigen Beziehungen. Sie kann auf Unterschieden oder Gemeinsamkeiten in den politischen und weltanschaulichen Überzeugungen der beteiligten Personen beruhen. Sie kann aber auch auf geschichtlichen Beziehungen der Länder beruhen, aus denen die beteiligten Personen kommen.

Da die in der Fallbeschreibung rekonstruierten Ereignisse häufig auch eine Nachgeschichte haben, die sich insbesondere auf Anwendungen der gewonnenen Erfahrungen bezieht, ist es sinnvoll, auch auf diese einzugehen.

Beim Verfahren der Fallmethode lassen sich - wenn die Fallbeschreibungen bereits vorliegen - in der Regel vier Phasen unterscheiden:
 
Phase 1:  
Gründliche Lektüre der Fallbeschreibung
Die Teilnehmer lesen das Szenario und die Fallbeschreibung individuell und machen sich Notizen in bezug auf mögliche Interpretationen oder Hypothesen. 
Phase 2: 
Hypothesenbildung und Interpretation:
Die Teilnehmer bilden sich zunächst individuell oder in kleinen Gruppen Hypothesen in bezug auf die Wahrnehmungen, Interessen und Absichten der am Ereignis beteiligten Personen sowie in bezug auf Entstehung und Verlauf des Ereignisses selbst.
Phase 3:  
Hypothesenprüfung und Diskussion: 
Im Plenum tragen dann Individuen oder Kleingruppen ihre Hypothesen mit Erläuterungen und Begründungen vor, beantworten ggf. Rückfragen und diskutieren diese.
Phase 4:  
Hypothesenbewertung und vorläufige Beurteilung:
In dieser Phase versuchen die Teilnehmer festzustellen, welche Hypothesen am wahrscheinlichsten zutreffen und welche am wenigsten wahrscheinlich sind
Die verschiedenen Varianten der Fallmethode folgen im wesentlichen dieser Phasengliederung, unterscheiden sich jedoch zum einen hinsichtlich Art und Umfang der Fallbeschreibung sowie hinsichtlich der Ausgestaltung der einzelnen Phasen.

Variante 1: Analyse kritischer Ereignisse (critical incident method)

Diese Variante der Fallmethode geht davon aus, daß Erwachsene und ältere Jugendliche immer schon irgendwelche Erlebnisse und Erfahrungen bei Auslandsaufenthalten oder bei Begegnungen mit Ausländern im Inland gemacht haben (Wight 1995). Die Analyse beginnt damit, daß die Teilnehmer des Trainings zunächst ein solches Ereignis auswählen, das für sie "kritisch" war, z.B. weil es sich um einen Konflikt handelte, weil sie dabei etwas besonderes gelernt haben, oder weil sie sich oft daran erinnern.

Alle Teilnehmer am Training beschreiben ein solches Ereignis in schriftlicher Form, wobei ihnen bestimmte Anhaltspunkte für die Beschreibung vom Moderator vorgegeben werden, z.B. mit Hilfe eines Formulars oder einer Checkliste. Wichtig ist, daß sie bei der Beschreibung auf interpretierende und bewertende Aussagen über die anderen an diesem Ereignis beteiligten Personen verzichten und sich um bloße Beschreibung bemühen. Beispielsweise würde an Stelle einer Aussage "er war wütend" die Aussage treten: "ich hatte den Eindruck, daß er wütend war".

Diese Beschreibungen werden dann vom Moderator vorgetragen, wobei die Autoren nicht genannt werden. Im Verlauf der Analyse können sie jedoch aus der Anonymität hervortreten, falls sie dies möchten, und ggf. weitere Informationen über das Ereignis hinzufügen.

Im nächsten Schritt werden dann von den jeweils anderen Mitgliedern der Gruppe mögliche Interpretationen - sozusagen als Hypothesen - entwickelt, wobei Gründe anzugeben sind, welche die Hypothese stützen.

Sodann werden diese Hypothesen und Gründe diskutiert und geprüft. Anschließend versucht man dann, eine Art Rangordnung herzustellen, welche der Interpretationen mehr oder weniger wahrscheinlich ist.

Variante 2: Kulturassimilator-Methode

Eine Variante der Fallmethode ist in der Literatur zum interkulturellen Training unter dem Namen "Kulturassimilator" ("cultural assimilator") bekannt (Brislin 1995, Triandis 1995, Lange 1994). Sie unterscheidet sich von der Einzelfall-Beschreibung in zwei wesentlichen Punkten. Zum einen müssen die Lerner die Hypothesen zur Interpretation des Falles nicht selbst bilden, sondern diese werden ihnen vom Autor des Fallbeispiels vorgegeben. In der Regel sind dies vier mögliche Interpretationen, von denen die Lerner durch Diskussion mit Partnern oder in kleinen Gruppen diejenige Interpretation auswählen sollen, die ihnen als die wahrscheinlichste erscheint. Im Plenum werden dann die von den Kleingruppen ausgewählten Interpretationen von diesen vorgestellt und begründet.

Der zweite wesentliche Unterschied ist der, daß die Kleingruppen - nachdem sie ihre Entscheidungen im Plenum vorgestellt haben, Rückmeldung erhalten. Diese Rückmeldung besteht darin, daß ihnen die Interpretation genannt wird, die vom Autor des Fallbeispiels, der auch den Experten für den betreffenden interkulturellen Kontext vertritt, als die wahrscheinlichste bezeichnet wird, und daß ausführliche Begründungen dafür gegeben werden, warum eine Alternative wahrscheinlicher ist als andere.

Simulationen

Auch hier zunächst ein Beispiel:

"Zwei Gruppen von Menschen - nennen wir sie "Majoriten" und "Minoriten" - kommen zum Zweck einer Verhandlung über den Verkauf eines Grundstücks zusammen. Sie unterscheiden sich in bezug auf einige Merkmale, in bezug auf andere unterscheiden sie sich nicht. Ich beschränke mich auf fünf Merkmale:

Die Teilnehmer des Trainings werden in zwei Gruppen eingeteilt, die zunächst ihre Rollen erlernen, wobei keine der beiden Gruppen weiß, um wen es sich bei den jeweils anderen handelt. Sodann entwirft jede Gruppe eine Strategie, die einerseits der jeweiligen Kulturbeschreibung entspricht und die andererseits Handlungserfolg verspricht. Die simulierte Verhandlung dauert 20 - 30 Minuten. Anschließend findet eine Auswertung der Erfahrungen im Plenum statt."

So weit das Beispiel.

Simulationen als didaktisches Modell haben bekanntlich dann große Bedeutung, wenn die Lebenswirklichkeit, auf die sie vorbereiten, sehr komplex ist, wenn sie Gefährdungen für Lernende und andere mit sich bringt, wenn sie unzugänglich ist oder wenn mehrere dieser Gründe zusammenfallen, wie beispielsweise beim Pilotentraining. Auch auf interkulturelle Kontexte trifft mindestens einer dieser Gründe zu.

Zahlreiche Varianten der Simulation wurden bisher entwickelt, Spiele, deren Spieldauer von weniger als einer Stunde bis zu mehreren Tagen reicht. Bei interkulturellen Trainings hat das Grundmuster von Simulationen folgende Gestalt: Einzelpersonen oder kleine Gruppen aus verschiedenen Kulturgemeinschaften begegnen einander in einer typischen Situation. Die kulturspezifischen Verhaltensweisen der Personen oder der Gruppen sind mit Hilfe weniger zu beachtender Verhaltensvorschriften, sogenannter "kultureller Skripte", festgelegt. Auch das in der Situation zu lösende Problem bzw. der Kommunikationsanlaß, etwa ein Vertragsabschluß oder eine Planungsaufgabe, wird in wenigen Merkmalen rekonstruiert. Dabei ist stets darauf zu achten, daß die Komplexität einerseits hoch genug ist, um der Realität nahezukommen, daß sie aber noch so überschaubar bleibt, daß die Spielbarkeit gewahrt ist.

Auch bei der Methode der Simulation sind für interkulturelle Trainings sorgfältig ausgearbeitete und erprobte schriftliche (Spiel-)Unterlagen erforderlich (Sisk 1995). Dies gilt im besonderen für die Rollenbeschreibungen ("kulturellen Skripte"), die konsistent und plausibel sein müssen. Es gilt auf jeden Fall zu verhindern, daß Stegreifspiele stattfinden, bei denen Teilnehmer beliebige Vorstellungen (und leider auch Stereotype) von "Fremden" und fremden Kulturen erfinden und/oder verfestigen.

In der Regel verlangen komplexere Simulationsspiele auch eine Spielleitung. Diese sollte aus mindestens zwei Personen bestehen, die beide das Spiel bereits einmal in der Rolle eines Teilnehmers gespielt haben, und von denen eine Person bereits Erfahrungen mit dieser Spielleitung hatte (z.B. als Assisten/in).

Bei Simulationen in Rahmen interkultureller Trainings treten nicht selten unerwartete Krisen auf (individuell oder gruppendynamisch). Und in der wichtigen Auswertungsphase werden von der Spielleitung genaue Kenntnisse des kulturtheoretischen Hintergrunds des Spiels verlangt. Deshalb ist von noch so gut gemeintem Dilettantismus abzuraten, da er sich leicht als kontraproduktiv erweisen könnte.

Im übrigen lassen sich auch bei Simulationen bestimmte Phasen unterscheiden:
 
1. Phase Einführung der Teilnehmer in das Szenario und in die Aufgabenstellung, ggf. auch in die Methode der Simulation / des Spiels.
2. Phase Bildung von Kleingruppen, welche Kulturgemeinschaften repräsentieren, deren kulturelle Skripte durch Rollenkarten definiert sind. 
3. Phase Kleingruppenarbeit: Erlernen der kulturellen Skripte und Entwicklung einer (Spiel-)Strategie.
4. Phase Durchführung der Simulation / des Spiels - Interaktion der Kleingruppen entsprechend der Rollenkarten.
5. Phase Auswertung und Diskussion des Verlaufs der Simulation und der dabei gewonnenen Lernerfahrungen.
(Ggf.. 6 Phase) Vorbereitung einer weiteren Spielrunde.
Da komplexere Simulationen über mehrere Runden verlaufen können, sind diese Phasen entsprechend zu wiederholen (Interation).

Lokale Kultur-Erkundungen im Inland

Auch hier zunächst ein Beispiel: In einer Lehrveranstaltung mit Studenten der Technischen Universität Dresden führten Studentinnen und Studenten Kultur-Erkundungen vor Ort durch. Dabei haben sie sich in folgende ihnen bis dahin unbekannte Kontexte begeben, um Beobachtungen zu machen und einen Erkundungsbericht zu erstellen: Mit Hilfe eines Beobachtungsbogens sollten sie dabei Sachverhalte erfassen, die Indikatoren für kulturelle Spezifika sind. Der von ihnen verwendete Beobachtungsbogen umfaßte folgende Kategorien: Kultur-Erkundungen spielen im Rahmen länder-unspezifischer interkultureller Trainings eine eher bescheidenere Rolle, da sie in der Regel nur am Ort und im Inland stattfinden und nicht in einem fremden Land. Andererseits sind sie hervorragend geeignet, die kulturelle Vielfalt vor Ort kennenzulernen, deren sich die meisten Teilnehmer gar nicht bewußt sind.

Gelegenheiten für Kulturerkundungen bieten sich dann, wenn am Ort oder in der näheren Umgebung Kulturgemeinschaften gewissermaßen Enklaven bilden, die von Menschen, die nicht dieser Kulturgemeinschaft angehören, in der Regel nicht betreten werden.

Ziel solcher Kulturerkundungen ist es, den Blick für kulturelle Spezifika und kulturelle Gestaltungen zu schärfen und zu erkennen, daß Dinge und Verhaltensweisen, die für den Außenstehenden exotisch erscheinen, für Mitglieder dieser Kulturgemeinschaften selbstverständlich sind, woraus umgekehrt die Erkenntnis erwächst, daß Mitgliedern anderer Kulturgemeinschaften eigene Praktiken als ebenso exotisch anmuten können. Es versteht sich von selbst, daß solche Kulturerkundungen nur mit Zustimmung der betreffenden Gemeinschaften, nur mit besonderem Takt und nur mit sorgfältiger Vor- und Nachbereitung durchgeführt werden sollten.

Erwähnt werden sollte, daß solche Kulturerkundungen im Inland sehr gut geeignet sind, entsprechende Erkundungen im Zusammenhang von Auslandsaufenthalten vorzubereiten. Für solche Erkundungen im Ausland hat Robert Kohls, ein bekannter Autor von Arbeiten zum interkulturellen Training in den USA, eine ausführlichere Liste von 50 Fragen entwickelt, der man große Verbreitung wünschen kann (Kohls 1984, S. 46-49).

Kultur-Erkundungen lassen sich in folgende Phasen gliedern:
 
1. Phase Auswahl der Erkundungsfelder und -orte. Wahl eines Erkundungsortes durch jede/n Teilnehmer/in 
2. Phase Einführung in Ziele und Verfahren der Erkundung. Erläuterung des Erkundungs-Leitfadens. Ggf. Simulation zur Vorbereitung von Interviews
3. Phase Durchführung der Erkundung 
4. Phase Erstellung eines Erkundungsberichts
5. Phase Präsentation und Diskussion der Erkundungsergebnisse im Plenum
6. Phase Zusammenfassung von Ergebnissen und Folgerungen für künftige Erkundungen

Interkulturelle und transkulturelle Lernprojekte

Auch hier zunächst ein Beispiel:

Im Rahmen von UNICEF gibt es Bemühungen, um Kinder und Jugendliche aus vielen Ländern an gemeinsamen Projekten zu beteiligen. Dabei werden diese Projekte jeweils vor Ort durchgeführt und die dabei gewonnenen Erfahrungen werden im Internet publiziert, so daß alle lokalen Gruppen die weltweit durchgeführten Projekte kennenlernen und Erfahrungen austauschen können. Diese Projekte sind in ein Netzwerk eingebunden, das "Voices of Youth" heißt. Projektthemen beziehen sich auf die Lage von Kindern in aller Welt und heißen z.B. "the girl child", "cities and urbanization", "children and war" oder "children's rights" (Internet- Adresse: http://www.unicef.org/voy). Was die Ziele dieser Lernprojekte anbelangt, so sollen die beteiligten Kinder und Jugendlichen

Dies soll in einer Sequenz von drei methodischen Schritten geschehen: Bekanntlich handelt es sich bei Lernprojekten generell um umfangreichere und auch relativ zeitaufwendige Bildungsmaßnahmen, die darauf gerichtet sind, Lernen und soziales Handeln zu integrieren, indem aktuelle gesellschaftliche Probleme und Aufgaben bearbeitet werden. Interkulturell sind solche Projekte dann angelegt, wenn an ihnen Menschen in unterschiedlichen kulturellen Kontexten teilnehmen, um Aufgaben in ihrer jeweiligen lokalen Situation zu bearbeiten, deren Ergebnisse mit anderen Menschen ausgetauscht und diskutiert werden, die entsprechende Projekte in ihrem eigenen kulturellen und lokalen Kontext durchgeführt haben. Von transkulturell angelegten Projekten sollten wir dann sprechen, wenn die Lernprojekte darauf gerichtet sind, aus den bisherigen kulturellen Kontexten herauszutreten, um gemeinsam neue kulturelle Horizonte zu erschließen. Auch hierbei lassen sich entsprechende Phasen und methodische Schritte unterscheiden:
 
1. Phase Entwicklung einer Projektidee. Suche nach Partnern in anderen Ländern.
2. Phase Konkretisierung der Projektidee unter Beteiligung aller Projektgruppen aus allen beteiligten Ländern. 
3. Phase Projektplanung und Netzwerk-Organisation
4. Phase Projektdurchführung und Projektmanagement vor Ort bei gleichzeitiger intensiver Kommunikation mit Projektpartnern im Netzwerk
5. Phase Projektauswertung und Erstellung eines Projektberichts 
6. Phase Evtl. Planung von Anschlußprojekten

"Übungen"

Neben den bisher vorgestellten vier methodischen Grundformen interkulturellen Trainings, deren Dauer bei der Durchführung eher nach Stunden oder Tagen anzugeben ist, findet sich in der Literatur eine große Vielzahl von sehr unterschiedlichen methodischen Hilfen, für deren Durchführung Minuten ausreichen. Diese sollen zunächst unter der Sammelbezeichnung "Übungen" zusammengefapt werden. Drei solcher Übungen seien zum Schluß erwähnt: Exotische Rituale, Verfremdungs-Übungen und kulturelle Selbsterfahrungs-Übungen.

Ein exotisches Ritual kann z.B. darin bestehen, daß ein Dozent seine Veranstaltung beginnt, indem er die Teilnehmer umtanzt, mit einer Rassel Geräusche erzeugt und anschließend erklärt, daß er dies tue, um neidische Geister zu vertreiben, die den Teilnehmern das Wissen stehlen wollen. Die Teilnehmer, die einen anderen Stundenbeginn erwartet haben, erleben dabei einen kleinen Kulturschock, wobei sie auf dieses fremde und befremdliche Verhalten so reagieren, wie Menschen oft auf Fremdes reagieren: belustigt, ängstlich oder auch aggressiv - "was soll der Unsinn!". Dies ist dann Anlaß für eine Diskussion über Reagieren auf Fremdes oder über Kulturschock.

Eine beliebte Verfremdungs-Übung besteht darin, daß man Teilnehmer interkultureller Trai- nings auffordert, sich in die Rolle eines Marsmenschen zu begeben, der auf der Erde die religiöse Praxis der Erdenbewohner studieren soll und dabei in ein Bowling-Center, also eine Halle mit mehreren Kegelbahnen gerät. Die Marsmenschen werden dabei in den einzelnen Kegelbahnen Altäre, in den Kegeln Bilder von Dämonen, in den Kegelbahnen sakrale Räume, die nicht betreten werden dürfen, und in den Kegelwürfen schließlich sakrale Handlungen, die mit Hilfe des Guten die neun bösen Dämonen bekämpfen, die aber leider immer wieder auferstehen und aufs Neue bekämpft werden müssen. Bei der Auswertung dieser Verfremdungs-Übung werden die Teilnehmer dann erkennen, daß die Interpretation des fremden Geschehens mehr von ihren eigenen Mars-Vorstellungen abhängt als von dem, was die Dinge für die Erdenbewohner bedeuten (Kohls & Knight 1994, S. 63-66).

Als Beispiel für Selbsterfahrungs-Übungen möge das Ausfüllen eines Fragebogens zur "Selbst-Enthüllung" dienen. Dabei wird eine Liste von 15 "heiklen" Themen des eigenen Lebens vorgegeben, z.B. "finanzielle Schwierigkeiten", "berufliche Schwierigkeiten", "politische Meinung", "sexuelle Vorlieben" etc. Sodann wird erfragt, mit wem man über diese Themen sprechen würde, z.B. mit Eltern, Geschwistern, Geliebten, Freunden, Bekannten, fremden Leuten, unbekannten Ausländern, oder bekannten Ausländern. An die Auswertung der Antworten schließt sich dann eine Diskussion darüber an, bei welchen Themen und welchen Personen die Teilnehmer übereinstimmen, so daß man davon ausgehen kann, daß es sich um einen kollektiven und kulturspezifischen Sachverhalt handelt, und bei welchen Punkten es eher um individuelle Sachverhalte geht (vgl. Seelye S. 67).

Aus der Vielzahl von Publikationen, in denen solche Übungen beschrieben werden, seien stellvertretend Kohls & Knight (1994), Seelye (1996), Fowler & Mumford (1995) und Gaston (1984) genannt. Weitere Literaturangaben sind zu finden bei Kanther (1997) und DVV (1993).

Von länder-unspezifischen zu länder-spezifischen Trainings

Die bisherige Darstellung beschränkte sich im wesentlichen auf länder-unspezifische interkulturelle Trainings. Die fünf Grundformen bieten sich jedoch auch an, um länderspezifische interkulturelle Trainings zu entwickeln. Dabei ist jedoch größte Sorgfalt geboten, denn nur zu leicht läuft man hier Gefahr, Nationalstereotype zu verbreiten, Unterschiede zu betonen, Gemeinsamkeiten zu ignorieren und damit so ziemlich allen Zielen interkultureller Kompetenz-entwicklung in den Rücken zu fallen (McCaffery 1993).

Ich will die Frage nicht weiter verfolgen, warum es manche Menschen so reizt, ganzen Völkern Kollektiveigenschaften anzudichten. Wohl aber wundere ich mich immer wieder, warum selbst sogenannten Landes-Experten die Erkenntnis nur schwer zu vermitteln ist, daß es nie die Eigenschaften anderer Kollektive sind, sondern die Beziehungsverhältnisse, die zwischen mir und den anderen bestehen. Ebenso wie "Bruder" keine Eigenschaft eines Menschen ist, sondern ein Beziehungsverhältnis zwischen zwei Menschen, so weist auch die Wahrnehmung, daß etwas fremd oder befremdlich ist, auf ein Beziehungsverhältnis zwischen mir und den anderen hin.

Wie läßt sich dies vermeiden ? Ein Ansatz, den ich selbst gewählt habe, greift auf die Theorie kultureller Skripte zurück. Diese besagt, daß in bestimmten Ländern bzw. bestimmten Regionen dieser Länder bzw. bei bestimmten Personengruppen in diesen Ländern spezifische Handlungsmuster mit hoher Wahrscheinlichkeit beobachtet werden können, z.B. die Art, wie man sich begrüßt, welche Gesten tabu sind, oder wie man mit Gastgeschenken umgeht. Solche Skripte kann man beobachten und auch erlernen, ohne deshalb auf Vorstellungen von Nationalcharakter zurückgreifen zu müssen, ganz abgesehen davon, daß ich eine ganze Reihe von kulturellen Skripten nennen könnte, die in Norddeutschland stark, in Süddeutschland nur wenig verbreitet sind. Daß in Polen das kulturelle Skript "Handkuß" weiter verbreitet ist als in Deutschland, kann man feststellen und man kann lernen, damit umzugehen, ohne auf höchst spekulative Hypothesen über die Ursachen hierfür zurückgreifen zu müssen.

Die Ermittlung und Vermittlung genauerer Daten über die Verbreitung bestimmter kultureller Skripte in einzelnen Ländern und Regionen und bei einzelnen Populationen in diesen Ländern ist interessant genug und verlangt viel Zeit und Aufmerksamkeit von Seiten derer, die länderspezifische interkulturelle Trainings veranstalten. Sie sollte nicht durchkreuzt werden mit Behauptungen über Nationaleigenschaften, die aus der Mottenkiste der Stereotypen und Vorurteile stammen. Allenfalls sollten sie dorthin verbannt werden, wo sie hingehören, ins Reich des schwarzen Humors.

Kontextualität und Komplexität interkultureller Bildungsmaßnahmen

Zum Schluß sei auf zwei wesentliche Prinzipien hingewiesen, die in interkulturellen Bildungsmaßnahmen Berücksichtigung finden sollten: Kontextualität und Komplexität. Das Prinzip der Kontextualität soll auf drei Sachverhalte hinweisen. Erstens darauf, daß bei solchen Bildungsmaßnahmen überhaupt das Bewußtsein entwickelt werden soll, welche Rolle kulturelle Kon- texte für eigenes und fremdes menschliches Verhalten, für menschliche Kommunikation und damit für Handeln in interkulturellen Kontexten spielen. Zweitens darauf, daß die kulturellen Kontexte der an interkulturellen Begegnungen Beteiligten einer differenzierten Analyse bedürfen, um Stereotypenbildungen entgegenzuwirken. Dies gilt - wie bereits erwähnt - im besonderen in bezug auf die Behandlung von Nationalstereotypen, die geeignet sind, kontraproduktive Effekte in bezug auf interkulturelle Bildung zu erzeugen. Drittens aber sollte auch der Kontext der Trainingsmaßnahmen selbst reflektiert werden. In einer bemerkenswerten Analyse weisen Ridley u.a. (1994) darauf hin, daß Programm-Gestaltung, Lernziele, Lehr-Lernformen und Evaluierungsmaßnahmen stets auf dem Hintergrund der "Programm-Philosophie" zu sehen sind, im besonderen den Motiven, aus denen die Maßnahmen zustandekommen und den theoretischen Bezugssystemen, in die die Konzepte eingebettet sind.

Was den Aspekt der Komplexität anbelangt, so ist damit zum einen der Umfang des bei Maßnahmen interkultureller Bildung zu vermittelnden Wissens gemeint, zum anderen jedoch die Vielfalt der Wissensarten und deren Interdependenz. Maßnahmen interkultureller Bildung sollten daher langfristig angelegt und so weit wie möglich aufeinander bezogen sein.

Hierzu zwei Thesen:

1. Länder-allgemeine und länder-spezifische interkulturelle Trainings sollten ergänzt werden

2. Komplexere Bildungsmaßnahmen sollten Was die erste These anbelangt, so wurde bereits eingangs darauf hingewiesen, daß länder-unspezifische Trainings nicht isoliert gesehen, sondern Bestandteil umfassenderer Bildungsmaßnahmen sein sollten. Zu diesen Maßnahmen sollten landeskundliche und kulturkundliche Orientierungen gehören, die alle Bereiche der betreffenden Kulturgemeinschaft umfassen sollten, nicht nur die besonders exotischen Phänomene, nicht nur die als höhere Kultur verstandenen Bereiche der Kunst und nicht nur die Bereiche, mit denen sich Unterschiede zur eigenen Kulturgemeinschaft belegen lassen. Es sollten dazu gehören länderspezifische Trainings, die sich auf Länder und Kulturgemeinschaften beziehen, zu denen die jeweilige Zielgruppe des Bildungsprogramms eine besondere Beziehung hat oder haben wird. Es sollten ferner dazugehören direkte und medienvermittelte Kontakte zu Menschen aus anderen Kulturgemeinschaften. Und es sollten Veranstaltungen dazugehören, in denen Erkenntnisse wissenschaftlicher Disziplinen vermittelt werden, die sich auf Kulturbegriffe, Kulturtheorien und Kulturprozesse beziehen. Dazu gehören vor allem Ethnologie, Soziologie, Kulturphilosophie und Kulturgeschichte.

Zur zweiten These: Bei Maßnahmen interkultureller Bildung sollte - wie übrigens bei anderen Bildungsveranstaltungen auch - Methodenvielfalt angestrebt werden, weil nur so ein breites Spektrum von Anforderungen und Kompetenzen repräsentiert und weil nur so unterschiedlichen Lernstilen entsprochen werden kann. Jede dieser Maßnahmen sollte sorgfältig im Sinne didaktischer Handlungs- und Entwicklungsforschung gestaltet werden, mit dem Anspruch zunehmender Perfektionierung und ständiger Qualitätssicherung. Dazu gehört im besonderen die wiederholte Durchführung von Maßnahmen mit jeweils nachfolgender spezifischer und professioneller Evaluierung, die auch eine Revision und Überarbeitung der verwendeten Lernmaterialien mit sich bringt. Diese Evaluierung sollte die Qualität und die Einschätzung der Wichtigkeit der einzelnen Elemente der Bildungsmaßnahme betreffen. Sie sollte auch eine Einschätzung des Lerngewinns und der Lernmotivation durch die Teilnehmer enthalten aber auch deren selbstkritische Beurteilung eigener Beiträge nicht ausklammern. Wie weit auch klassische Verfahren zur Erhebung des Lerngewinns Anwendung finden können, ist von Fall zu Fall zu entscheiden.

Die These enthält auch die Forderung, daß interkulturelle Trainings nur von gut ausgebildeten und speziell in die einzelnen Methoden eingewiesenen Personen durchgeführt werden sollten. Dies kann in der Weise erfolgen, wie es beispielsweise in Bereichen psychologischer Kompetenzentwicklung üblich ist. Im ersten Schritt nimmt man als Teilnehmer an der betreffenden Bildungsmaßnahme teil. Im zweiten Schritt in der Rolle eines Assistenten oder Tutors, im dritten Schritt führt man dann die Maßnahme in eigener Verantwortung durch jedoch unter Supervision. Anschließend darf man dann erwarten, daß die so Ausgebildeten die Maßnahme nach professionellen Standards durchführen können.

Literatur

Brislin, R. W., The Culture-General Assimilator. In: Fowler, Sandra M. & Mumford Monica G. (eds.) Intercultural Sourcebook: Cross-Cultural Training Methods. Vol.1. Maine 1995, S. 169-178.

Brislin, R. W. & Yoshida, T., Improving Intercultural Interactions. London 1994.

Casse, P., Training for the Cross-Cultural Mind. Washington 19813.

Cushner, K. & Brislin R.W., Intercultural Interactions. A Practical Guide. Cross-Cultural Research and Methodology Series. Vol.9. Beverly Hills 1996.

Dadder, Rita, Interkulturelle Orientierung. Saarbrücken 1987.

Deutscher Volkshochschulverband - Pädagogische Arbeitsstelle (Hrsg.), Literaturrecherche aus der Datenbank Erwachsenenbildung der PAS "Interkulturelles Lernen" 1980-1993. Frankfurt DVV 1993.

Featherstone, M. & Lash, S., Globalization. Modernity, and the Spatialization of Social Theory: An Introduction. In: Featherstone, M. et al., Global Modernities, London 1995, S. 1-24.

Flechsig, K.-H., Kulturelles, interkulturelles und transkulturelles Lernen als Aneignung kultureller Skripte. Internes Arbeitspapier 9/1996. Institut für Interkulturelle Didaktik Göttingen 1996.

Flechsig, K.-H., Interkulturelles und kulturelles Lernen. Internes Arbeitspapier 1/1997. Institut für Interkulturelle Didaktik, Göttingen 1996.

Flechsig, K.-H., Kleines Handbuch Didaktischer Modelle. Eichenzell 1995.

Fowler, Sandra M. & Mumford Monica G. (eds.) Intercultural Sourcebook: Cross-Cultural Training Methods. Vol.1. Maine 1995.

Friedman, J., Cultural Identity & Global Process. London 1994.

Gaston, J., Cultural Awareness Teaching Techniques. Brattleboro 1984.

Gudykunst, W.B. & Hammer, M.R., Basic Training Design: Approaches to Intercultural Training. In: Landis, D. & Brislin, R.W. (eds.), Handbook of Intercultural Training. Vol 1. New York 1983, S. 118-154.

Kanther, Martina, Kommentierte Literaturliste "Interkulturelles Training und Interkulturelles Lernen", Institut für Interkulturelle Didaktik, Göttingen 1997.

Kohls, L. R., Survival Kit for Overseas Living, Maine 1984.

Kohls, L. R. & Knight, J.M., Developing Intercultural Awareness: A Cross-Cultural Training Handbook. Maine 1994.

Kohls, R., Developint Interculutral Awareness. Washington 1981.

Krewer, B., Interkulturelle Trainingsprogramme - Bestandsaufnahme und Perspektiven. In: Nouveaux Cahiers d'Allemand. Revue de Linguistique et de Didactique, 12/2 1994, S. 141-151.

Kurtz, Gunde, Der Interkulturalitätsbegriff - Geschichte und Entwicklung bis zu seiner Renaissance im Intertklassenansatz der WDSE/V. Zeitschrift für Interkulturellen Fremdsprachenunterricht (Online) 1997.

Landis, D. & Bhagat, R. S., Handbook of Intercultural Training. London 1996.

McCaffery, J.A., Independent Effectiveness and Unintended Outcomes of Cross-Cultural Orientation and Training. In: Paige, R.M.(ed.), Education for the Intercultural Experience. Maine 1993 (2. Auflage), S. 219-240.

Ridley, C.R. et al. Multicultural Training: Reexamination, Operatinalization, and Integration. The Counselling Psychologist 22/2 1994, S. 227-289.

Schwenk, O. G. (Hrsg.), Lebensstil zwischen Sozialstrukturanalyse und Kulturwissenschaft, 1996.

Seelye, N., Experimental Activities for Intercultural Learning. Vol.1. Maine 1996.

Sieferle, R. P., Epochenwechsel. Berlin 1994.

Sisk, Dorothy, Simulation Games as Training Tools. In: Fowler, Sandra M. & Mumford Monica G. (eds.) Intercultural Sourcebook: Cross-Cultural Training Methods. Vol.1. Maine 1995, S. 81-92.

Triandis, H.C., Culture-Secific Assimilators. In: Fowler, Sandra M. & Mumford Monica G. (eds.) Intercultural Sourcebook: Cross-Cultural Training Methods. Vol.1. Maine 1995, S. 179-186.

Von Helmolt, Katharina & Müller, B.-D., Zur Vermittlung Interkultureller Kompetenzen. In: Müller, B.-D.(Hrsg.), Interkulturelle Wirtschaftskommunikation, Band 9. München 1991, S. 509-548.

Wight,A.R., The Critical Incident as a Training Tool. In: Fowler, Sandra M. & Mumford Monica G. (eds.) Intercultural Sourcebook: Cross-Cultural Training Methods. Vol.1. Maine 1995, S. 127-140.