Institut für Humangenetik

Universität Göttingen

  letzte Änderung:

8.3.2000

 
       
       
   

Informationsblatt

 
   
Spastische Paraplegie, autosomal dominante Form, SPG-4

Im Jahre 1880 beschrieb Adolf Strümpell eine hereditäre spastische Spinalparalyse in Zusammenarbeit mit Erb wie auch acht Jahre später Lorrain und Charcot. Die klinisch und genetisch heterogene Gruppe von Erkrankungen ist heute unter den Synonymen Strümpell-Lorrainsche Erkrankung oder Erb-Charcotsche Erkrankung wie auch als hereditäre spastische Spinalparalyse (HSP), spastische Spinalparalyse (SSP), familiäre spastische Paraplegie (FSP) oder Spastische Paraplegie (SPG) bekannt.

Die Einteilung erfolgt in "reine" Formen, bei denen nur eine spastische Lähmung vorliegt, und "komplizierte" (auch komplexe) Formen, bei denen weitere Symptome wie Epilepsie, Ataxie, Taubheit, Ichthyosis, Opticusatrophie oder Nebenniereninsuffizienz hinzukommen. Bei den reinen Formen werden in der Reihenfolge ihrer Entdeckung genetisch die Formen SPG-1 bis SPG-10 unterschieden.

Die Erkrankung kann bei beiden Geschlechtern in jedem Alter beginnen mit zwei Erkrankungsgipfeln, vor dem 6. Lebensjahr und in der 2. bis 4. Dekade. Diesbezüglich unterscheidet man eine Frühform (Typ I) bei einem Beginn vor dem 35. Lebensjahr von einer danach einsetzenden Tardivform (Typ II), die in der Regel schwerer verläuft. Es besteht eine langsam progrediente Degeneration der kaudalen Anteile des Truncus corticospinalis der Pyramidenbahn und des Fasciculus gracilis in der Hintersäule des Rückenmarks.

Die phänotypische Variabilität in und zwischen Familien ist erheblich. Es tritt eine plötzlich beginnende beidseitige Gangstörung auf. Als Diagnosekriterien gelten:

1. Ausschluß anderer Erkrankungen,
2. positive Familiengeschichte,
3. progressive bilaterale Gangstörung,
4. Pyramidenbahnzeichen wie Klonus, Hypereflexie oder Babinski-Reflex.

Der Muskeltonus, insbesondere der der Streckermuskulatur ist erhöht. Motorische Schwächen treten hauptsächlich am M. ilopsoas und am M.tibialis auf. Der Muskelschwund ist mild. Parästhesien unter den Knien sind möglich. Schmerz- und Vibrationsempfinden sind in den Beinen distal mäßig gestört. Die Reflexe sind in den Beinen pathologisch verstärkt (+3 oder +4). Blasendysfunktion (urge-Inkontinenz), Circumductionsgang und Hohlfuß treten in der Spätphase auf. Die Lebenserwartung ist nicht verkürzt.

Evozierte Potentiale (SSEP) sind unauffällig in den Armen, gestört in den Beinen. Die NLP sind normal. Das MRI kann Veränderungen in der Substantia alba zeigen.

Differentialdiagnostisch müssen Infektionskrankheiten wie Syphilis oder AIDS, metabolische Störungen wie Vitamin B12-Mangel, Vitamin E-Mangel, Abetalipoprotein- ämien oder Leukodystrophien, degenerative Erkrankungen wie multiple Sklerose, spinocerebelläre Ataxie oder amyotrophe Lateralsklerose oder strukturelle Anomalien wie Arnold-Chiari-Läsion, Spondylosis, Syringomyelie, Gefäßfehlbildungen oder Tumoren ausgeschlossen werden.

Nach dem Erbgang erfolgt eine Einteilung in die meist vorliegenden (70-80%) autosomal dominant vererbte Formen (AD-HSP) (SPG-3: 14q11; SPG-4: 2p24; SPG-6: 15q11; SPG-8: 8q23; SPG-9: 10q23; SPG-10: 12q13), seltenere (20%) autosomal-rezessive Formen (AR-HSP) (SPG-5A: 8p12; SPG-7 (5C): Paraplegin, 16q24; Murillo: 15q13) und die nur in Einzelfällen auftretenden X-chromosomal rezessiven Formen (X-HSP) (SPG-1: L1-CAM, Xq28; SPG-2:Proteolipoprotein, PLP, Xq21). Die Prävalenz der spastischen Spinalparalyse wird mit 0.9 je 100000 in Dänemark, mit 14/100000 Einwohner in Norwegen und 3/100000 in Frankreich angegeben.

SPG-4 ist die häufigste der autosomal vererbten Formen und wird bei etwa 40-50% der Familien gefunden. Im Jahr 1999 wurde das SPG-4-Gen (Spastin) aufgeklärt. Dieses umfaßt 17 Exons auf Chromosom 2 (2p24). Es handelt sich um eine vermutlich im Zellkern lokalisierte ubiquitär im menschlichen Körper vorkommende ATPase, die eine Metalloprotease aus der AAA-Familie ist (67 kD, 616 Aminosäuren) und als Chaperon wirkt. Bisher wurden fünf Mutationen beschrieben.1

Für die molelulargenetische Diagnostik wird von uns EDTA-Blut (10ml) der Betroffenen bzw. der Angehörigen benötigt und diese erfolgt als PCR-Amplifizierung der entsprechenden Exons mit anschließender DNA-Sequenzierung.

1 Hazan, J. et al.: Nature Genetics 23 (1999): 296-303

Anfragen von Familien und Ärzten bitte an:

Dr. F. Laccone, Institut für Humangenetik, Universität Göttingen, Telefon: 0551-399019

flaccon@gwdg.de

 
       
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