Home Veröffentlichungen 1994 SPIEGEL Nr. 13/28.3.1994 Evangelische Zeitung, 20. Februar 1994
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 Veröffentlichungen 1994

Spektrum 3/94

Das "verflixte" siebte Buch

Eine Entgegnung von Gerd Lüdemann

Die Zahl 7 hat es offenbar doch in sich. Das Buch "Die Auferstehung Jesu. Historie, Erfahrung, Theologie" war mein siebtes Buch im Verlag Vandenhoeck & Ruprecht in Göttingen. Es wurde nach Lektüre durch den Verleger als Publikation angenommen und ganz normal im Verlagsprogramm angekündigt. Ebenso wie bei meinen letzten Büchern und den Forschungsprojekten, die nennenswerte Drittmittel erhalten hatten, verfaßte ich eine Kurzbeschreibung für die Pressestelle der Universität und/oder für das Göttinger Tageblatt, weil eine überlegte Öffentlichkeitsarbeit einer modernen Universität gemäß ist. Nach der Veröffentlichung der von mir eingereichten Presseerklärung, die in ihrer möglichen Brisanz vom Pressesprecher ein wenig abgemildert wurde, brach der Sturm los. Die Presseberichte bezogen sich in den Schlagzeilen auf das geschichtliche Ergebnis meines Buches ("Das Grab war voll und nicht leer"), referierten dann aber in der Regel völlig korrekt die dem historischen Resultat entsprechende Visionshypothese (die Behauptung der Auferstehung Jesu beruhe auf Visionen der ersten Jünger), und telefonische Anfragen beantwortete ich, so gut es ging. Mein Verleger war über die Reaktion der Presse bestürzt und ebenfalls darüber, daß der historische Teil meiner These so sehr in den Vordergrund geschoben wurde (z.B. "Jesu ist nicht leiblich auferstanden") und fühlte sein Ansehen als "christlicher Verleger" bedroht. Er sah eine von ihm selbst entworfene Änderung der diesbezüglichen Sätze als unumgänglich an, in die ich nach langem Zögern einwilligte - aus menschlicher Rücksicht auch angesichts einer langen Zusammenarbeit sowie in dem Wissen, daß das Buch noch nicht gedruckt und ein Vertrag noch nicht unterzeichnet war. Aus dem ursprünglichen Anfang des 6. Kapitels "Wir können die Auferstehung Jesu nicht mehr im wörtlichen Sinne verstehen, (...) denn, konkret gesprochen, war das Grab gar nicht leer, sondern voll, wenn es überhaupt ein Einzelgrab gegeben hat, und der Leichnam Jesu ist jedenfalls nicht entwichen, sondern verwest. Selbst heute oder heute wieder versuchen nicht wenige diesem unumgänglichen Schluß zu entgehen (...)" wurden die Sätze: "Wir können die Auferstehung Jesu nicht mehr im wörtlichen Sinne verstehen, (...) denn, historisch gesehen, wissen wir nicht das geringste über das Grab (war es leer? war es überhaupt ein Einzelgrab?) und über das Schicksal des Leichnams Jesu: Ist er verwest? Ich halte diesen Schluß allerdings für unumgänglich."

Die Hoffnung, damit seien alle Probleme beseitigt, trog allerdings. Wenig später erhielt ich gleich zweimal unter Hinweis auf eine nicht mit dem Verlag abgesprochene "PR-Aktion" den Bescheid in die USA geschickt, daß das Buch sofort in einem anderen Verlag übergehe oder nach der ersten Auflage von Vandenhoeck & Ruprecht nicht mehr betreut werden könne. Der Radius-Verlag in Stuttgart sprang freundlicherweise ein und veröffentlichte inzwischen die zweite Auflage, die den vom ersten Verlag ursprünglich akzeptierten Text enthält. So weit die faktengetreue Schilderung eines für mein Gefühl ungeheuerlichen Vorgangs. Einige mehr persönliche Dinge übergehe ich auch jetzt noch.

Einzelne Vorwürfe gegen mich, die mir allerdings nur aus zweiter Hand zugetragen wurden, erledigen sich damit von selbst, so die Kritik, die Pressemitteilung stimme nicht mit dem Inhalt des Buches überein. Was die eliminierte Formulierung der Zentralthese angeht, konnte sie dies nach der Reihenfolge der Ereignisse gar nicht. Diese Kritik wendet nun die von mir geübte Rücksicht gegen mich, und die angeblich betriebene PR-Kampagne reduziert sich auf den von mir auch sonst geübten Brauch der einen Pressemitteilung. Ich sage das noch einmal, weil bedauerlicherweise der Hinweis auf die von mir angeblich betriebene Pressekampagne, in "fachlichen" Verrissen wieder auftaucht, und zwar als eine Art Rufmord und Ehrabschneidung, ebenso aber auch in Kreisen, die dem Verfasser ohnehin schaden wollen. So veröffentlichte ein Kollege aus Süddeutschland gleich drei Verrisse, und zwar in der FAZ, in den liberalen Evangelischen Kommentaren und im evangelikal-fundamentalistischen ldea-Spektrum, und ein anderer publizierte in einer bei Vandenhoeck & Ruprecht verlegten Zeitschrift "dogmatische Beohachtungen" zu meinem Buch, und zwar unter der Überschrift "[Nonsense (Lk 24,11)]".

Offenbar deuten all die emotionalen Reaktionen, angefangen vom "Rausschmiß" durch den Verlag Vandenhoeck & Ruprecht, auf ein sachliches Problem hin. In der Theologie scheint es immer noch eine Tabuzone zu geben, über die niemand oder nur wenige ohne Wenn und Aber zu sprechen wagen. Im Vorwort zur 2. Auflage meines Buches habe ich dazu folgendes ausgeführt: "Die Thesen des vorliegenden Buches haben schon vor seinem Erscheinen in der Öffentlichkeit ein lebhaftes Echo gefunden. Sie wurden leidenschaftlich abgelehnt in Kreisen, die die Bestreitung der körperlichen Auferstehung Jesu als Verrat am Evangelium ansehen und juristische Maßnahmen gegen den Verfasser als natürliche Konsequenz fordern. Anderen, die sich als moderne Christen auffassen, ging die Aussage zur Verwesung des Leichnams Jesu zu weit und sie warfen dem Buch eine Überschätzung der Geschichtswissenschaft und eine Unterschätzung der Theologie vor. Aber trotz aller Einwände und Widerstände hat das Buch doch bereits etwas in Bewegung gesetzt und einen Prozeß der Diskussion eingeleitet, der der Klärung dessen dient, was überhaupt unter "Auferstehung" zu verstehen ist. Es will belehren, um zu beleben, und einen menschlich-vernünftigen Zugang zur 'Auferstehung' vermitteln.

Das ist umso wichtiger, als die 'Auferstehung' Jesu weithin zu einem unentbehrlichen Requisit der Theologie und dadurch zu einer Leerformel geworden ist. Viele Christenmenschen sind heute einer schizophrenen Bewußtseinsspaltung verfallen. Die geheiligten Sperrbezirke kirchlicher und theologischer Überlieferung stehen vielfach dem natürlichen menschlichen Wahrheitssinn unvermittelt gegenüber. Gelingt hier kein Brückenschlag, ist die Glaubwürdigkeit von Theologie und Kirche dahin, und beide erstarren in scheinhaftem Glanz zu Tode."

Es hat mich betroffen gemacht zu hören, daß das Buch auch Gegenstand einer Anfrage in einer Senatssitzung war, in der Hinweise auf Verrisse des Buches seine Wissenschaftlichkeit und seine Bedeutung anzweifeln sollten. Die Nicht-Theologen oder Theologen, die sich hier engagiert und dem Buch eine Antikirchlichkeit vorgeworfen haben, sind sich anscheinend nicht klar darüber, daß Theologie nur dann eine Existenzberechtigung an der Universität hat, wenn sie in ihren historischen Disziplinen denselben Maßstäben verpflichtet ist wie die historisch-philologischen Wissenschaften und ihre Ergebnisse auch offen ausspricht. Um die Freiheit der Forschung geht es hier und um die Glaubwürdigkeit einer wissenschaftlichen Theologie an der Universität. Die deutsche Theologie - und gerade die Göttinger Fakultät - hat in dieser Hinsicht eine großartige Geschichte hinsichtlich ihrer Leistungen und ihres internationalen Ansehens, aber auch im Blick auf ihre Privilegien. (Das Gleiche gilt ja für meinen Erstverlag, der wie kein anderer in Deutschland sich vor allem in den historischen Disziplinen der Theologie bleibende internationale Verdienste erworben hat.) Christliche Verleger und kirchliche Theologen, die hier einschreiten wollen, bedrohen - das ist mein Fazit - letztlich die Existenz theologischer Fakultäten an der Universität. Nicht die kirchliche Brauchbarkeit, sondern die historische Wahrheit muß zunächst Ziel in den geschichtlichen Disziplinen der Theologie sein.

(Spektrum 3/94; Informationsorgan der Universität Göttingen)


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Letzte Aktualisierung am 22. April 2020
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