Home Veröffentlichungen 1994 Veröffentlichungen 1994 SPIEGEL Nr. 13/28.3.1994
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Das Christentum mit der Barbarei und die Wissenschaft mit dem Unglauben

Gerd Lüdemann antwortet Kritikern seines "Auferstehungs-Buches"

Eine bemerkenswerte öffentliche Reaktion hat das Buch "Die Auferstehung Jesu - Historie, Erfahrung, Theologie" von Gerd Lüdemann hervorgerufen. Die EZ informierte darüber In einem ausführlichen Interview (Nr. 7/94, S. 8 und 9) mit dem Autor, einem Bericht über die Göttinger Streitgespräche (Nr. 27, S. 3) und weiteren Texten. An negativen Kritiken aus theologischen und kirchlichen Kreisen hat es nicht gefehlt. Zu den herausragenden PersönIichkelten, die eine Stellungnahme abgaben, zählen der Theologe Wolfhart Pannenherg aus München und Landesbischof Horst Hirschler aus Hannover. Lüdemann bewertet sie als "Außenseitermeinung" und "nicht erstrebenswerten Fundamentalisus".

Der Münchener Fundamentaltheologe Wolfhart Pannenberg hielt am 23. Juni 1994 in Göttingen einen Vortrag (publiziert in der "Zeitschrift für Theologie und Kirche" 91. 1994, S. 318-328), in dem er mit großer Nüchternheit und mit Akribie den Gedankengang meines Buches nachgezeichnet hat. Seine Theologie hat mich schon während meines Studiums beeindruckt, weil sie die historische Frage wieder in den Mittelpunkt gerückt und dem Schriftprinzip den Abschied gegeben hat. Er erklärte mit erfrischendem Mut: Das Urteil darüber, ob ein noch so ungewöhnliches Ereignis geschehen sei oder nicht, sei letztlich Sache des Historikers und könne durch naturwissenschaftliche Erkenntnisse nicht vorentschieden werden. Hier hat Pannenberg wie kein anderer in der neueren Theologiegeschichte die historische Erforschung der mit der Auferstehung Jesu verbundenen Ereignisse und diese selbst als bleibende Aufgabe erkannt.

Sehe ich es richtig, so bezogen sich Pannenbergs Einwände in Göttingen auf zwei historische Punkte der Rekonstruktion. Erstens: Zwar sei die Erscheinung vor Kephas in Galiläa als eine Vision zu bezeichnen, doch gehe bei ihr wie bei allen anderen Ostererscheinungen die Initiative vom erhöhten Herrn selbst aus. Zweitens: Die Zuschreibung der Entdeckung des leeren Grabes an Frauen und vor allem das Fehlen einer Christuserscheinung am Grabe bei Markus mache die Annahme einer rein legendären Bildung unglaubwürdig. Da auch seiner Meinung nach gegen Hans von Campenhausen, der die Entdeckung des leeren Grabes durch Frauen als auslösenden Faktor der Erscheinung in Galiläa ansieht, die im Worte des Engels Mk 16,6 reflektierte Erscheinungstradition (vor Kephas in Galiläa) unabhängig von der Grabestradition entstanden ist, spricht er von einer Konvergenz verschiedener Befunde, nämlich a) der Entdeckung des leeren Grabes durch Frauen in Jerusalem und b) der Erscheinung Jesu vor Kephas in Galiläa.

Damit ist für Pannenberg der wahrscheinliche historische Befund rekonstruiert, der seinerseits auf die historische Tatsache der leiblichen Auferstehung Jesu verweise. Ich muß gesehen, daß ich mit dieser Konvergenztheorie nichts anfangen kann, und zwar nicht wegen des säkularistischen Dogmas, daß Tote nicht auferstehen, sondern weil sie phantastisch ist (wie soll man sich das denn - ohne Hokuspokus - konkret vorstellen?). Nicht zufällig haben sich in den letzten 25 Jahren nur wenige der Konstruktion Pannenbergs anschließen können, und es stimmt bedenklich, daß sich im Zusammenhang der Diskussion meiner Osterthese eine solche Außenseitermeinung wieder erneut Gehör verschafft.

Eine weitere Stellungnahme zu meinem Buch, von der ich zuerst durch ideaspektrum Nr. 24 vom 15. Juni 1994 erfuhr (Überschrift: "Kritik an Auferstehungsthesen: Theologieprofessor "stochert im Nebel") stammt von Landesbischof Horst Hirschler. Er hat sie öffentlich vor der Hannoverschen Synode am 10. Juni 1994 abgegeben. Diese Stellungnahme dürfte eine sehr hohe Auflage erreicht haben, da sie nicht nur an alle Kirchenkreise der Landeskirche Hannovers verschickt, sondern auch - durch den redaktionellen Zusatz "Skandal Lüdemann" ergänzt - in fundamentalistisch-evangelikalen Kreisen in ganz Deutschland gezielt verbreitet wurde. Bischof Hirschler hatte bereits in der Osterbetrachtung der EZ vom 3. April 1994 die Visionsthese meines Buches verworfen, weil sie "das Wesentliche des Osterglaubens zunichte" mache. Nun holt er weiter aus und begründet diese Kritik mit dem Anspruch auf Wissenschaftlichkeit.

Das ganze Buch bespricht er freilich nicht, sondern vor allem die letzten beiden Kapitel.

Er hält es "für wissenschaftlich problematisch, aus einer beliebig wirkenden Auswahl von tiefenpsychologischen Deutungen und Erfahrungen mit Erscheinungen Verstorbener einen scheinbar plausiblen, lückenlosen Weg von der Karfreitagsverzweiflung hin zu den österlichen Erfahrungen zu konstruieren". Dann folgt der von ideaspektrum so gierig aufgespießte Satz. "Lüdemann stochert mit einem wissenschaftlich problematischen Instrumentarium im Nebel". Er entspricht der später folgenden Bemerkung zu Gal 1,12 und 1,16: "Wenn ich das als Vision bezeichne, so ist das nicht vielmehr als ein Stochern im Nebel", denn die ausgeführten Verse bei Paulus seien wie folgt zu verstehen: "Gott hat das in mir klargestellt."

Nun habe ich im Buch (S. 70-106 der ersten Auflage, S. 61-94 der Neuausgabe) ausführlich die Visionshypothese zu begründen versucht und sehe nicht ein, daß sie durch solche Sätze widerlegt worden sei. Ich hatte mich ausführlich mit verschiedenen Verständnissen von Visionen auseinandergesetzt und beispielsweise Anm. 679 geschrieben: "Eine Vision ist eine Primärerfahrung und trägt die religiöse Wahrheit ganz in sich selbst." Und auch Gerhard Ebeling hat in seiner Dogmatik des christlichen Glaubens II, 1979, dessen Lektüre Bischof Hirschler empfiehlt, die Ostererscheinungen Jesu ausdrücklich als Visionen bezeichnet, weil dieser Begriff stets auf etwas hintendiert, "was man nicht aus sich selbst hervorbringt, sondern was einem widerfährt" (S. 299). Wie kann daher Bischof Hirschler die von mir erneut begründete Visionshypothese geißeln und auf eine Dogmatik hinweisen, deren Verfasser sie gleichfalls vertritt? Bischof Hirschlers in diesem Zusammenhang geäußerter Vorwurf des Eklektizismus rührt an einen Kern heutiger wissenschaftlich-theologischer Arbeit, weil niemand mehr sowohl sein eigenes Fach als auch die Nachbarfächer als auch die übrigen Geisteswissenschaften sowie die Naturwissenschaften überblicken kann. Ich weiß nicht, wem da ein solcher Vorwurf nicht gemacht werden könnte, wenn er Einsichten anderer Disziplinen verwendet. Solche Anleihen sind mit Einschränkung sogar notwendig, weil reines Spezialistentum das Denken verhindert.

Wenn ein solches "Stochern im Nebel" aber doch nicht weiterhelfen sollte, wie will Bischof Hirschler da weiterkommen? Seiner Meinung nach sind die messianischen Texte des Alten Testaments, zum Beispiel Jesaja 53, als Schlüssel für Karfreitag einleuchtender als tiefenpsychologische Hilfskonstruktionen. Wie konnten die ersten Jünger überhaupt dazu kommen, im Gottesknecht von Jesaja 53 Jesus zu entdecken? Das konnten sie erst, nachdem sie ihn lebendig gesehen hatten und dann im Rückblick die Sühnekraft seines Todes auszusagen in der Lage waren. Mit anderen Worten, der theologischen Gleichsetzung von Jesus mit dem Gottesknecht muß eine umstürzende Erfahrung erst vorangegangen sein, und um das Verständnis dieser Ostererfahrung geht es mir in meinem Buch.

Seinen Beitrag durchzieht die Kritik, ich hätte zu Kreuz und Auferstehung Jesu als Heilsereignis nur mühsam ein Verhältnis. Das trifft zweifellos zu, und in den ersten beiden, von Bischof Hirschler nicht berücksichtigten Kapiteln des Buches wurden ja die Schwierigkeiten geschildert, die ich seit dem Beginn des Theologiestudiums mit der wissenschaftlichen Theologie in dieser Hinsicht gehabt habe. Dort ist auch das Buch als Denkversuch bezeichnet, "der anderen vielleicht helfen kann, ein Zwischenresultat zu erzielen, das jenseits von geschichtsloser Heilsgewißheit und historischem Besserwissen liegt". Dieser Denkversuch hat mich zunächst weg von der kirchlichen Interpretation von Kreuz und Auferstehung als Heilsereignis zurück zu Jesus von Nazareth geführt, und ich entdeckte dann zu meiner Freude, daß in seiner Verkündigung bereits alle wesentlichen Elemente des Osterglaubens des Petrus und des Paulus enthalten waren. Wenn Bischof Hirschler anmerkt, mein Credo ähnele stark dem der liberalen Theologie der Jahrhundertwende, so sei mir - mit Verlaub - die Bemerkung gestattet, daß die von der liberalen Theologie aufgeworfenen Fragen zu schnell als erledigt betrachtet worden sind und daß das allzu schnelle Sich-Hinwegsetzen über die Probleme, mit denen das 19. Jahrhundert rang, die immer spürbarer werdende Schwäche der Gegenwart ist. Ein wissenschaftlicher Theologe kann aus Gewissensgründen heute gar nicht anders, als über historische Dinge im Urchristentum offen zu sprechen und zu schreiben, auch wenn er sich sofort den Vorwurf des Rationalismus oder des "verobjektivierenden wissenschaftlichen Eros" (Hirschler) zuzieht. Ich halte diese Kritik für ein verdächtiges Zeichen eines Mangels an Bedürfnis nach Wahrhaftigkeit.

Wenn mein Buch sich den Tadel des Bischofs einhandelt, schön. Es wäre seinerseits auch eine Stellungnahme zum Votum des Leiters des Arbeitskreises für evangelikale Theologie geboten, der in Kritik meines Buches die Auferstehung Jesu zu den "historisch am besten belegten Ereignissen der Antike" bezeichnet hatte. Falls ein solcher Satz, den ich nur als Versuch der Verdummung bezeichnen kann, fortan Geltung hätte, so würde das Christentum mit der Barbarei und die Wissenschaft mit dem Unglauben gehen. Da dieser Fundamentalismus aber nicht erstrebenswert ist, bleibt uns nichts anderes übrig, als die Spannung zwischen Wissenschaft und Glauben getrost auszuhalten. Gerd Lüdemann

Die sechs EZ-Texte zum Thema "Auferstehungdiskussion und Lüdemann-Buch" können mit drei Mark in Briefmarken bei der EZ-Redaktion, Knochenhauerstraße 38/4O, 30159 Hannover, als Kopie angefordert werden.

(Evangelische Zeitung, 16. Oktober 1994)


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Letzte Aktualisierung am 22. April 2020
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