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 Die Auferweckung Jesu von den Toten

Leseprobe aus Gerd Lüdemann: Die Auferweckung Jesu von den Toten

Ursprung und Geschichte einer Selbsttäuschung,
Lüneburg: zu Klampen, 2002, S. 218-228 (aus Beigabe 4)

Die Auferstehung Jesu - in Auseinandersetzung mit zwei neueren dogmatischen Entwürfen (Dalferth und Ringleben)1

Nicht die historische, sondern die systematische Theologie macht die Krisis offenbar, in der sich die protestantische Theologie befindet. (Gerhard Ebeling)

Einführung

Eigentlich verspüre ich keine Neigung mehr, mich zur Frage der Auferstehung Jesu zu äußern. Denn den meisten, die an dieser Frage Interesse haben, sind meine einschlägigen Thesen bekannt. Außerdem ist die Diskussionsatmosphäre unerfreulich, und dort, wo in neueren Beiträgen meine Thesen Gegenstand der Darlegungen sind, wird mir immer gleich bescheinigt, sachlich nichts Neues beizutragen.2

Außerdem habe ich vor allem wegen meiner Auferstehungsthesen und der damit verbundenen Negierung der Wiederkunft Christi berufliche Nachteile in Kauf nehmen müssen: mir sind Forschungsmittel gekürzt, meine einzige Assistentenstelle ist entzogen und überhaupt sind mir jegliche Prüfungsrechte aberkannt worden.3 All das geschah, weil die Konföderation evangelischer Kirchen in Niedersachsen beim Wissenschaftsministerium in Hannover vorstellig wurde, meine Entlassung aus dem Staatsdienst verlangte und, als dieser Wunsch abgelehnt wurde, schließlich erfolgreich meine Ausgliederung aus den theologischen Studiengängen durchsetzte. Meine Kollegen haben dieses Ansinnen mitgetragen und theologisch weiter begründet. In meinem Buch "Im Würgegriff der Kirche" (1998) sind die entsprechenden Dokumente abgedruckt und kommentiert. Der vorläufige Ertrag des theologischen und juristischen Tauziehens ist die Einsicht, dass auch ein evangelischer Theologieprofessor für Neues Testament ein konfessionsgebundenes Staatsamt innehat. Die von ihm betriebene Theologie muss glaubensgebunden sein, d.h., wenn er in seinen Forschungen zu Ergebnissen kommt, die in den meisten Punkten dem Bekenntnis der Kirche widersprechen, hat er kein Recht mehr, im bekenntnisgebundenen Fach "Neues Testament" tätig zu sein. Anders gesagt: Da die Auferstehung Jesu ein zentrales Bekenntnis der Kirche ist, war in meinem Fall die Aussage, Jesus ist nicht auferstanden, ein entscheidender Grund, die genannten Sanktionen gegen mich zu verhängen.

Angesichts dieses Hintergrundes fällt es mir immer schwerer, mich mit Argumenten von Kollegen auseinanderzusetzen, die zumindest indirekt an den juristischen Maßnahmen gegen mich beteiligt waren. Denn damit hatten sie von vornherein sichergestellt, dass ihre Auffassung obsiegte.

Ansatz und Methode

Zunächst werde ich meinen eigenen Zugang zur Frage der Auferstehung Jesu entfalten, dann die ältesten Auferstehungstexte betrachten und in einem Schlussteil meinen eigenen "Glauben" formulieren.

Mein eigener Zugang zur Auferstehungsproblematik sei in Abgrenzung von der Vorgehensweise Ingolf Dalferths entwickelt. Da er Argumente vorträgt, die in der Systematik weit verbreitet sind, steht das Folgende stellvertretend für die Auseinandersetzung der historischen Theologie mit der Dogmatik. Der Streit zwischen beiden zieht sich durch die neuere Theologiegeschichte hindurch. Dalferth erhebt im Namen der kritischen Theologie Einspruch gegen "historische, empirische, wissenschaftliche Engführungen des Wirklichkeitsverständnisses". Er fährt begründend fort:

"Das Leben umfasst mehr, als die Wissenschaften auf ihre methodisch abstrahierende ... und präparierende Art und Weise erfassen. Und 'Gott' steht für mehr als das, was das Leben umfaßt. Auf dieses Mehr zielt die Theologie."4

In diesem Zusammenhang ist für Dalferth

"historisches Fragen (für sich) genommen noch nicht einmal eine Annäherung an das, um das es im Auferweckungsbekenntnis geht. Solches Fragen ist theologisch unzureichend, weil es gerade das methodisch ausblendet, worum es in dem christlichen Bekenntnis zentral geht: die Auferweckung des Gekreuzigten."5

Um ein evtl. Missverständnis auszuschließen, lässt Dalferth ausdrücklich historische, psychologische, physikalische und wissenssoziologische Fragen zu, doch nur mit dem Ziel, "die Wahrnehmung der Wirksamkeit Gottes in den Erfahrungen der Zeit"6 zu präzisieren. Und weiter besteht er darauf, dass unter Absehung von Gott die dem christlichen Auferweckungsbekenntnis zu Grunde liegenden Erfahrungen nicht zu erklären und zu verstehen seien.7

Indes hinterlassen die Ausführungen Dalferths bei mir vorwiegend Ratlosigkeit. Ich brauche nicht darüber belehrt zu werden, dass das Leben mehr umfasse als Wissenschaft. Diese Einsicht ist jedermann evident. Die Frage stellt sich aber, wieso und kraft welchen Erkenntnisprivilegs Dalferth und alle, die seiner Meinung sind, ihrer Disziplin den Rang einer Wissenschaft zugestehen. Auf sie trifft eher der Ausdruck "Meinerei" zu, die unverzüglich von der Universität verschwinden wird, sobald die Macht der Kirchen ihr nicht mehr die Stange hält. In ihr ist nämlich "Gott" eine unhinterfragbare Größe, obwohl diese in den modernen wissenschaftlichen Disziplinen gar nicht mehr vorkommt, und das mit Recht.

Im Gegensatz zu Dalferth ist Theologie für mich nur dann eine wissenschaftliche Disziplin, wenn sie die wissenschaftlichen Normen der modernen europäischen Universität einhält und von Erkenntnisprivilegien jeglicher Art - auch von dem Privileg der Erkenntnis Gottes - Abschied nimmt. Theologie ist insofern eine geschichtliche Disziplin, als sie das Christentum mit Hilfe der historisch-kritischen Methode untersucht. Und für die historische Methode gelten drei Voraussetzungen: die Kausalität, die Berücksichtigung von Analogien und die Erkenntnis von der Wechselbeziehung der historischen Phänomene zueinander. Ihre Arbeitsweise folgt dem methodischen Atheismus der Neuzeit ("als ob es Gott nicht gäbe"), der freilich von einem dogmatischen Atheismus zu unterscheiden ist. Befreit von den übernatürlichen Voraussetzungen und ausgerüstet mit einem Instrumentarium historischer Kritik, hat die so verstandene Theologie als wissenschaftliche Disziplin geradezu eine kopernikanische Wende für alle Kirchen- und Religionsgemeinschaften zur Folge. Sie hat sich in den geisteswissenschaftlichen Disziplinen behauptet und völlig neue Einsichten geliefert.

Die historische Methode ist Teil des emanzipatorischen Prozesses wissenschaftlicher Neugierde. Sie will Sinngebungen nachvollziehen, d.h. verstehen, muss sich aber, will sie denn Objektivität anstreben und die Welt entzaubern, gerade deshalb von allen ihr begegnenden fremden Ansprüchen emanzipieren:

a) vom Anspruch des kanonischen Status bzw. der Heiligkeit bestimmter Schriften,

b) vom Anspruch einer Offenbarung, da Offenbarung kein wissenschaftlicher Begriff ist,

c) vom Anspruch, zwischen Rechtgläubigkeit und Ketzerei in einem Sinn zu unterscheiden, der über die Rekonstruktion und Wahrnehmung historischer Ansprüche hinausgeht. Denn hier stehen sich essentiell nicht entscheidbare dogmatisch-theologische Urteile einander gegenüber.

Die historische Methode verweigert eine Antwort auf die religiöse Wahrheitsfrage und kann nur verschiedene Wahrheitsansprüche miteinander vergleichen. Sie ist darin ideologiekritisch. Als geschichtswissenschaftliches und philologisches Instrument ist sie den Methoden der Geisteswissenschaften in all ihren Ausprägungen verpflichtet. Entscheidend bei der Übernahme neuer Methoden aus den Nachbardisziplinen, wie Soziologie, Psychologie und Ethnologie, ist deren Überprüfbarkeit und Fruchtbarkeit in der Aufhellung geschichtlicher Phänomene. Ihre Voraussetzungen müssen revidierbar bleiben und können immer nur durch ihre erklärende und deutende Wirkung, aber nicht durch kirchlichen Machtwillen in Geltung gehalten werden.

Rede ich hier an Dalferth und seinen Vorgängern vorbei? Um sicherzustellen, dass dies nicht der Fall ist, sei betont: Wenn Dalferth den Wahrheitsanspruch der christlichen Rede von Gott als unabdingbare Voraussetzung theologischer Reflexion einführt, dann soll er sich zunächst einmal dem Befund stellen, dass die Bibel - schon sichtbar an ihren verschiedenen Gottesbezeichnungen - eine Vielzahl unterschiedlichster Gottesbilder enthält. Auf welchen Gott will man sich denn einigen, wenn es um Wahrheitsansprüche geht, die wissenschaftlich diskutierbar sein sollen? So haben Juden und Christen jedenfalls dasselbe heilige Buch, das Alte Testament bzw. die hebräische Bibel, und damit denselben Gott. Wie aber verhält sich dieser zum Gott des Neuen Testaments, der dem christlichen Bekenntnis zufolge seinen Sohn in die Welt gesandt hat? Ist nicht schon die Existenz verschiedener Religionen - Judentum einerseits, Christentum andererseits - mit derselben Bibel und demselben Gott ein starkes Argument gegen den Wahrheitsanspruch der christlichen Religion? Als weiterer Einwand kommt die Existenz des Islam hinzu, dessen Gottesgedanke einerseits auf der Bibel fußt und andererseits auf arabischen Elementen.

Der systematische Theologe Dalferth mag angesichts dieses Befundes mit einer höheren Einsicht oder Offenbarung argumentieren. Aber dasselbe werden der jüdische oder muslimische Theologe auch tun, und beide werden nachdrücklich die christliche Lehre von der Dreieinigkeit Gottes zurückweisen.

Zusätzlich kompliziert sich die Sache für Kirche und Israel mit Blick auf Gnostiker jüdischen und christlichen Ursprungs. Die degradierten nämlich in einer Art Protestexegese den alttestamentlichen Gott kurzerhand. So heißt es in einer Ende 1945 bei Nag Hammadi in Oberägypten entdeckten Schrift mit dem Titel " Zweiter Logos des großen Seth" :

Und dann ertönte eine Stimme des Weltherrschers zu den Engeln: "Ich bin Gott, und es gibt keinen außer mir" (Jes 45,5). Ich aber lachte voller Freude, als ich seine eitle Herrlichkeit prüfte.8

Statt dessen führten diese Gnostiker göttliche Wesen ein, die über diesem alttestamentlichen Gott stehen. Dies haben sie in zahlreichen Texten mit großer Plausibilität getan, während Juden und Christen mit guten Gründen am Gott des Alten Testaments festhielten, aber unter sich wegen des verschiedenen Verständnisses Jesu verfeindet blieben.

Demnach gilt: Der Wahrheitsanspruch der christlichen Rede von Gott erliegt ebenso wie der Wahrheitsanspruch der jüdischen, der muslimischen und der gnostischen Rede von Gott historischer Relativität. Er ist ausschließlich ein Urteil oder ein Bekenntnis der jeweiligen Glaubensgemeinschaft. Das muss gegenüber Dalferth und anderen kirchlich gebundenen Theologen betont werden, die, wenn sie "Gott" sagen, unter der Hand immer den christlichen Gott meinen und unverzüglich einen Wahrheitsanspruch der Rede von ihm erheben.

Das tut auch Joachim Ringleben in seinem Buch "Wahrhaft auferstanden", das eine in vielen Einzelheiten mit Dalferth übereinstimmende Position vertritt. Ringleben schreibt:

"Zuletzt geht es bei der Erörterung der Auferstehung Jesu Christi um die Frage, ob Gott in Christus wirklich selber in die Welt gekommen ist und von sich aus Gemeinschaft mit uns Menschen hergestellt hat ... Darum ist der Glaube an die Auferstehung wesentlich eins mit dem Glauben an Gottes Gottheit ... An die Auferstehung zu glauben, ist nicht schwerer, als überhaupt an Gottes Wirklichkeit zu glauben."9

Hier verlegt der Dogmatiker das zunächst historisch zu lösende Problem der Auferstehung Jesu in den Bereich der Gottesfrage. Die Empirie bleibt außen vor. Es sei daran erinnert, dass in der Geschichte der Bibelkritik der Hinweis auf Gott regelmäßig dazu diente, die Vernunft zum Schweigen zu bringen. David Friedrich Strauß hat das einmal so karikiert:

"Von irrigen und widersprechenden Berichten, von falschen Meinungen und Urtheilen kann in der Bibel keine Rede sein. Sie mag erzählen oder lehren, wogegen unsere Vernunft sich noch so sehr sträubt: wo Gott spricht, da steht der menschlichen Vernunft einzig bescheidenes Schweigen an."10

Ringlebens Ausführungen werfen überhaupt zahlreiche allgemeine Fragen auf. Er postuliert einseitig, dass die Theologie in all ihren Disziplinen immer neu lernen müsse, "auf die Schrift im Ganzen zu hören"11. Dem entspricht die harmonisierende Behandlung des Osterzeugnisses bzw. der Ostererzählungen des Neuen Testaments. Ringleben zufolge soll man "den Unterschied zwischen den Ostererscheinungen der Evangelien und der Erscheinung vor Paulus nicht übertreiben oder gegeneinander ausspielen." 12 Weiter berücksichtigt er an keiner Stelle Berichte von Erscheinungen des auferstandenen Jesus außerhalb des Neuen Testaments13 - ein Vorgehen, das ausschließlich durch das Dogma vom Neuen Testament14 begründet ist. Gleichzeitig sagt er, dass die Urgemeinde die Ostererscheinungen begrenzt habe.15 Diese auf einer zaghaften Anleihe bei der historischen Forschung beruhende Aussage sollte um die weitere ergänzt werden, dass Paulus dem lk Werk zufolge gar kein Osterzeuge war - der Bericht von seiner Hinwendung zum christlichen Glauben (Apg 9) steht in einer Reihe von drei Bekehrungsgeschichten16 - und dass die Urgemeinde dem Anspruch des Paulus, ein vollwertiger Osterzeuge gewesen zu sein, äußerst skeptisch gegenüberstand. Letzteres sei hier nochmals betont, da Ringleben in Verkennung des historischen Sachverhalts behauptet:

"Die den Christenverfolger Saulus zum Apostel machende Erscheinung des Auferstandenen an ihn vor Damaskus (I Kor 9,1; Gal 1,15f.; Phil 3,8) hat ihn in den Augen der Urgemeinde und ihrer 'Säulen' völlig als Apostel legitimiert (I Kor 15,8f.)."17

Schließlich konstatiert Ringleben, theologisch abwegig sei

"jede enge Fixierung auf das Thema dergestalt, dass man über das isolierte Mirakel der Wiederbelebung eines Leichnams streitet ... oder über die ... scheinbar hart realistische Frage, ob das Grab Jesu leer gewesen sei oder nicht."18

Aber wenn er sagt, dass der Leichnam Jesu "weder entwendet wurde noch auch natürlich verwest ist"19 und

"daß sich an Jesus in einer Art 'Zeitraffung' antizipatorisch auch im Leiblichen vollzogen hat, was sich im Eschaton mit den Leibern aller Gestorbenen begeben wird"20,

dann setzt er das leere Grab doch voraus.21

Es nimmt daher nicht Wunder, dass der Göttinger Systematiker Dietz Lange die Gedankenführung seines Kollegen kritisiert hat. Ringlebens Behauptung,

"daß aus dem Grab Erwecktwerden nicht einfach identisch ist mit der Wiederbelebung eines Leichnams, der aus dem Grab hervorkommend sich den Jüngern zeigte"22,

erweist er durch die Folgerung als absurd: dann müsste man sich

"wohl den 'geistlichen Leib' als eine durch chemische Veränderung entstandene quasi physikalische Substanz denken."23

Genug der Einzelkritik. Ein historisch denkender Mensch wird den tollkühnen Ausführungen Ringlebens schwerlich etwas abgewinnen können. Daher möchte ich ihnen auch nicht unter ihren eigenen dogmatischen Bedingungen begegnen, sondern nur noch auf den hohen - um nicht zu sagen: den uneinlösbaren - Anspruch hinweisen, den Ringleben erhebt: Die Auferstehung Jesu habe "eine objektive Bedeutung ... für die Geschichte der Welt, ja mit Jesu Tod zusammen" sei sie "deren Wendepunkt ... und zugleich ein Ereignis von kosmischer Bedeutung."24

Aus der Welt der Dogmatik gilt es nun, in niedere Gefilde zu steigen und einen Blick auf die Quellen zu werfen, der in die Tiefe geht.

Die ältesten christlichen Auferstehungstexte

Ich beginne mit dem ältesten Bericht der neutestamentlichen Evangelien zur Auffindung des leeren Grabes durch Frauen, Mk 16,1-8. Vorweg sei betont, dass sich allein an diesem Text die Frage entscheidet, ob dem leeren Grab ein historischer Wert zukommt. Denn die Berichte der anderen drei Evangelien verarbeiten die Erzählung des MkEv und verändern diese gemäß ihren Intentionen. Insbesondere fällt auf, dass alle die Nicht-Erzählung der Kunde vom leeren Grab, wie sie sich bei Mk (16,8) findet, in ihr gerades Gegenteil verkehren.

Die Erzählung Mk 16,1-8 besteht aus drei Teilen: Die Frauen sind zunächst auf dem Wege zum Grab (V. 2-4), dann im Grab (V. 5-7), und schließlich fliehen sie vom Grab (V. 8). Eigentlich entdecken sie gar nicht das leere Grab, sondern den Jüngling, dessen Verkündigung: "Jesus wurde auferweckt" (V. 6), den Mittelpunkt der Geschichte bildet. Demnach steht fest, dass die Geschichte kunstvoll aufgebaut ist.

Wie ist es um die Historizität des Erzählten bestellt?

Oftmals wendet man eine Subtraktionsmethode an, um zum historischen Kern vorzustoßen. Da sich recht viele unglaubwürdige Elemente in dem Text finden, bleibt dann häufig nur der Befund übrig, dass drei namentlich genannte Frauen das Grab Jesu am dritten Tag besucht haben, zuweilen aber auch, dass das von Ihnen vorgefundene Grab leer war.

Merkwürdigerweise hat man bisher ein Argument gegen die Historizität des Erzählten noch nicht recht gewürdigt. Am Ende der Geschichte heißt es, die Frauen hätten entgegen dem Befehl des Jünglings den Jüngern nichts von dem Geschehenen weitererzählt. Begründung: "Denn sie fürchteten sich" (V. 8). Dieser Vers ist das Ende des MkEv. Es ist sicher, dass der Vf. sich dabei etwas gedacht hat, denn auch in der Antike wurden Anfang und Ende eines literarischen Werkes mit besonderer Sorgfalt gebildet. Was folgt daraus für die Interpretation?

Mk gibt mit dem Schluss zu verstehen, dass die Kunde vom leeren Grab bisher unbekannt geblieben ist, denn die Frauen haben geschwiegen. Er selbst erzählt als erster davon.

Daraus folgt: der erste Bericht vom leeren Grab ist etwa in das Jahr 70, der mutmaßlichen Abfassungszeit des MkEv, zu versetzen - vierzig Jahre nach dem Tode Jesu. Es leuchtet ein, dass damit der historische Wert dieses Berichts vom leeren Grabes Jesu gleich Null ist.

Das gleiche Resultat ergibt sich aus der Betrachtung des ältesten Textes zur Auferstehung Jesu, 1Kor 15,3-5.Hier erinnert Paulus die Adressaten zunächst daran, was er ihnen bei der Gründung der Gemeinde überliefert hat (V. 1.3a), und betont, dass er dies selbst - wohl bald nach seiner Bekehrung (etwa 34 nChr) - empfangen habe (V. 3b). Es ist nun ein großer Glücksfall für die historische Rekonstruktion, dass der Apostel im Anschluss daran in V. 3c-5 diese auch in chronologischem Sinne vorpaulinische Überlieferung noch einmal zitiert.

In dieser Tradition, die aus einem parallel gebauten Zweizeiler besteht, geht es um einen je doppelten "Beweis": einerseits aus den Schriften, auf die jedoch nur allgemein verwiesen wird, und andererseits aus einer bestätigenden Tatsache. Dabei bekräftigt die Aussage über das Begräbnis Jesu die Tatsache seines Todes, und die Aussage über die Erscheinung vor Kephas die Tatsache der Auferstehung. Die Erscheinung vor Kephas ist offenbar der Grund für das Bekenntnis: "Jesus wurde auferweckt".

Was ergibt sich daraus für das Problemfeld "Auferstehung Jesu"?

Am Anfang stand eine umstürzende visionäre Erfahrung des Kephas, an die sich fast ansteckend Einzel- und Gruppenvisionen anschlossen. Ihr Inhalt war der himmlische Jesus, den Gott zu sich erhöht hatte. Also hatte Gott - so die theologische Folgerung - den schmählich am Kreuze Hingerichteten von den Toten erweckt. Da Primärquellen aus dem unmittelbaren Jüngerkreis fehlen, müssen viele Einzelheiten und Deutungsmuster offen bleiben. Ich habe bereits in meinem Auferstehungsbuch aus dem Jahre 1994 die Vision des Kephas als missglückte Trauerarbeit zu verstehen gesucht.25 Jedoch ziehe ich aus dieser Einsicht heute andere Konsequenzen.26

Die Erscheinung Jesu geschah vom Himmel und nicht in der Gestalt einer Begegnung mit einem himmlischen Wesen auf dieser Erde, wie es die neutestamentliche Osterlegende zeichnet. In dieser verzehrt Jesus vor den Augen der Jünger Fisch und Brot, bietet seine eigene Berührung an und kehrt erst 40 Tage nach seiner Auferstehung in den Himmel zurück. Mit anderen Worten, ein Großteil der neutestamentlichen Ostergeschichten ist späteren Datums und dient beispielsweise in der Betonung der Körperlichkeit des auferstandenen Jesus der Abwehr der These, Jesus sei nur geistig auferstanden. Für die früheste Zeit zwischen Karfreitag und Ostern tragen diese Legenden demnach nichts aus.

Wissenschaftlich ergiebiger ist die Untersuchung der Ostererfahrung des Paulus, weil wir von ihr Primärquellen von dem Betroffenen selbst zur Verfügung haben. Sie kann eindeutig aus anderen Belegstellen seiner Briefe als Vision verstanden werden. Man vgl. besonders 1Kor 9,1: Paulus hat den Herrn gesehen. Dieser Sachverhalt wird in der protestantischen Bibelforschung und Dogmatik oft abgestritten, und die Geschichte der Verständnislosigkeit gegenüber Phänomenen wie Visionen und Auditionen muss erst noch geschrieben werden. Visionen waren bei Paulus nicht auf das "Damaskusereignis" beschränkt. Auch in späterer Zeit war sein Leben von visionären Erfahrungen begleitet27, die er oft mit einer Krankheit bezahlen musste.28

Wie konnte es zu der Christusschau des Paulus kommen, zumal er selbst Jesus persönlich gar nicht gekannt hat? War damit nicht von vornherein ein ganz anderes Bild des Auferstandenen als bei den Jüngern mitgegeben? Wie war dann Paulus überhaupt in der Lage, die persönlichen Jünger Jesu von der "Echtheit" seiner eigenen Christusvision zu überzeugen? Solche und ähnliche Fragen türmen sich nur so auf, wenn man die früheste Zeit der christlichen Bewegung historisch zu verstehen sucht.

Ein wichtiger Schlüssel zum Verständnis der Ostererfahrung des Paulus liegt in seiner Tätigkeit als Christenverfolger. Im Alter von etwa 30 Jahren nahm sein Leben durch das sogenannte Damaskusereignis eine entscheidende Wende. Wie konnte dies geschehen?

Führen wir das Gedankenexperiment durch, man hätte Paulus vor der Damaskusvision analysieren können, so dürfte die Analyse eine starke Strömung zu Christus hin aufgewiesen haben, ja, die Annahme seiner unbewussten Christlichkeit29 liegt dann nicht mehr so fern. Die vehement aggressive Haltung des Paulus gegen die Christen, sein Eifer, mag damit zusammenhängen, dass die Grundelemente der von ihm verfolgten Christen ihn unbewusst angezogen haben. Jedoch aus Angst vor seinen unbewussten Strebungen hat er diese auf die Christen projiziert, um sie dort um so ungestümer attackieren zu können.

Mit der Vision Christi ergab sich für Paulus eine Umschichtung. Der mit der Verfolgung aufgestaute Schuldkomplex wurde durch die Gewissheit, in Christus zu sein, abgelöst. Der Verfolger stürzte in Christus förmlich hinein und erlebte dies als Befreiung, Erleuchtung und Leben. Dabei machte Paulus die ungeheure Erfahrung, ein neues Ich zu bekommen, das mit Christus identisch war. Dieses fremde, ihm geschenkte Ich kam seit der Damaskusvision immer mehr zum Durchbruch und überstand auch die Verzögerung der Wiederkunft Jesu. Zeitvorstellungen überholend, kam Paulus am Ende seines Lebens zur Überzeugung, dass die Vereinigung mit Christus als kosmisch-persönlicher Gestalt unmittelbar im Tod erfolgt und nicht erst am Ende der Zeit.

Das Resultat der Analyse der ältesten christlichen Auferstehungstexte ist in historischer Hinsicht eindeutig: Am Anfang stand die Vision Jesu, und daran heftete sich die Folgerung, dass Jesus lebe und Gott ihn zu sich erhöht habe. Demgegenüber war Jesu Grab voll und sein Leichnam verweste, soweit er nicht überhaupt von Geiern und Schakalen direkt vom Kreuzesbalken weggefressen wurde.

Gleichzeitig muss betont werden, dass die Ergebnisse meiner Analysen des ältesten Osterglaubens in Widerspruch zum christlichen Bekenntnis stehen und eigentlich keinem mehr erlauben, sich mit ehrlichem Gewissen Christ zu nennen.

1 Vortrag an der Universität St. Gallen im Mai 2000 (überarbeitet). Herrn Dr. Frank Jehle danke ich für Einladung und freundliche Aufnahme.
2 Vgl. nur Ingolf U. Dalferth, Volles Grab, leerer Glaube?, in: Zeitschrift für Theologie und Kirche 95 (1998), S. 379-409, hier S. 380. Dalferth hält es daher für erstaunlich, dass meine Thesen weit und kontrovers diskutiert werden.
3 Die meisten dieser offiziellen gerichtlichen Dokumente können auf meiner Homepage (www.gerdluedemann.de) in der Rubrik "Presse/Vorträge" eingesehen werden.
4 Dalferth, Grab, S. 381f.
5 Ebd., S. 385.
6 Ebd., S. 393 Anm. 36.
7 Ebd., S. 402.
8 53,27-34 (NHC VII,2). Deutsche Übersetzung nach Gerd Lüdemann und Martina Janßen, Bibel der Häretiker: Die gnostischen Schriften aus Nag Hammadi, Stuttgart 1997, S. 408. Diese Übersetzung der Nag-Hammadi-Schriften wird im Folgenden mit "BdH" abgekürzt.
9 Joachim Ringleben, Wahrhaft auferstanden: Zur Begründung der Theologie des lebendigen Gottes, Tübingen 1998, S. 49 Anm. 102.
10 David Friedrich Strauß, Der alte und der neue Glaube: Ein Bekenntniß, 12.-14. Aufl. Bonn 1895, S. 12.
11 Ringleben, Wahrhaft auferstanden, S. 5.
12 Ebd., S. 105.
13 Vgl. nur Brief des Jakobus 2,8-39 (NHC I,2 [BdH, S.17]); Apokryphon des Johannes 1,5-26 (NHC II,1 [BdH, S. 103-105] ); Sophia Jesu Christi 90,14-91,24 (NHC III,4 [BdH, S. 258]); Brief des Petrus an Philippus (NHC VIII,4 [BdH, S. 500-506]).
14 Es gab kein Neues Testament im 1. Jahrhundert.
15 Ringleben, Wahrhaft auferstanden, S. 100-102.
16 Apg 8,26-40 (Bekehrung des äthiopischen Eunuchen); Apg 9,1-19a (Bekehrung des Saulus); Apg 10,1-11,18 (Bekehrung des Kornelius).
17 Ringleben, Wahrhaft auferstanden, S. 102. Kursivsetzung G.L.
18 Ebd., S. 3.
19 Ringleben, Wahrhaft auferstanden, S. 110.
20 Ebd.
21 Man vgl. auch Ringlebens Erläuterung: Grundsätzlich sei die Bedeutung des leeren Grabes "darin zu sehen, daß es ein Index für die Tatsächlichkeit der Auferstehung ist und für ihre Wirklichkeit steht. ... Es besagt, daß der auferweckte Christus als solcher sein leibliches Leben wieder in Besitz genommen hat, und das ist gerade nicht das vereinzelte Wiederbelebtwerden eines Leichnams, das ja wieder nur die Richtung auf ein erneutes Sterben in sich hätte" (ebd., S. 109). Doch ist die Wiederherstellung des Leichnams Jesu - als Wiederbelebung - die Voraussetzung dafür, dass Jesus im Sinne Ringlebens sein leibliches Leben wieder in Besitz nehmen konnte.
22 Ringleben, Wahrhaft auferstanden, S. 107f.
23 Dietz Lange, Glaubenslehre, Band II, Tübingen 2001, S. 134.
24 Ringleben, Wahrhaft auferstanden, S. 47 Anm. 93.
25 Gerd Lüdemann: Die Auferstehung Jesu. Historie, Erfahrung, Theologie, Göttingen 1994, S. 126-128 (Neuausgabe Stuttgart 1994, S. 113-116).
26 Vgl. den fiktiven "Brief an Jesus" in meinem Buch: "Der große Betrug. Und was Jesus wirklich sagte und tat", Lüneburg 1998, S. 9-18.
27 Vgl. Gal 2,2; Apg 16,9.
28 Vgl. 2Kor 12,7-8.
29 Vgl. Carl Gustav Jung: Die psychologischen Grundlagen des Geisterglaubens (1919), in: ders.: Ges. Werke VIII, Zürich 1967, S. 348f.


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Letzte Aktualisierung am 22. April 2020
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