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Theologe: "Christentum gibt es gar nicht!"

Hamburger Abendblatt 10.11.1999

Gerd Lüdemann stellte in St. Katharinen seine provokanten Thesen vor

Von GEORG PAKSCHIES

"Es gibt keinen persönlichen Gott, auch keinen Schöpfergott, den ich in Gebeten ansprechen kann. Woher das Leben kommt, wissen wir nicht." "Aber es gibt eine Ur-Sehnsucht des Menschen nach einem unbekannten Gott, der nicht persönlich ist."

"Für mich ist dieser Gott das kosmische Bewusstsein des Menschen."

"Glaube als Mystik ist dann die Macht, ja, geradezu das Anteilnehmen an der Allmacht des Kosmos."

"Christentum ist gar nicht möglich. Denn Jesus wurde nicht von einer Jungfrau geboren. Und er ist auch nicht auferstanden, sondern verwest."

Theologieprofessor Gerd Lüdemann war in Hamburg. In der Hauptkirche St. Katharinen zerschlug der Göttinger Neutestamentler während seines Vortrags praktisch das letzte "christliche Porzellan", das für ihn noch erreichbar war. Lüdemanns Thema: "Warum ich kein Christ mehr bin, sondern Mystiker". Der akademische Gott-Leugner ist mit theologischem Prüfungsverbot belegt. Wie lange er noch bei vollem Staatsgehalt Professor für Geschichte und Literatur des frühen Christentums sein kann, soll ein Gericht noch in dieser Woche entscheiden.

Den rund 600 Zuhörern, die alle brav fünf Mark Eintritt gezahlt hatten, hielt dieser Gerd Lüdemann immerhin vor: "Sie können ja gar keine Christen sein! Christentum gibt es nicht." Und der äußerst liberale St.-Katharinen-Hauptpastor Axel Denecke, der Lüdemann noch aus Göttinger Uni-Zeiten kennt, bekam gleichfalls sein Fett ab. Lüdemann zum Gastgeber und St.-Katharinen-Hauptpastor: "Sie sind ja auch kein Christ. Sie tun nur so." Denecke schüttelte nur belustigt den Kopf.

Bei seinen Ketzer-Attacken gibt sich Lüdemann nicht als Eiferer. Wenn er spricht, schwingt keine Spur Erregung in der Stimme. Aber gegen christliche Glaubensformen und Inhalte geht er mit hammerharten Sätzen vor. Zur biblischen Verheißung der Wiederkehr Christi sagte er zum Beispiel: "Nach mehr als 20 Jahren des Wartens möchte ich mir den Unsinn nicht mehr anhören, dass das, was die Bibel über Auferstehung und Wiederkunft Jesu sagt, wahr sei, aber nicht stattgefunden habe bzw. nicht stattfinde.

Außerdem wissen alle, dass angesichts der unglaublichen Vielfalt oder auch Widersprüchlichkeit der christlichen Lehren und Verhaltensregeln der Name Christen eigentlich längst zu einer leeren Formel geworden ist. Nur Evangelikale und Fundamentalisten können sich als richtige Christen bezeichnen mit einem persönlichen Verhältnis zu Gott - und tun das auch penetrant oft."

Diese Art zu glauben sei ihm verschlossen, den meisten aufgeklärten Zeitgenossen auch, fügte er hinzu. Und dann kam mit sanfter Stimme wieder so eine Lüdemann'sche Provokation: "Christ zu sein ist heute, nachdem die historische Kritik ihr Werk getan hat, nicht mehr möglich. Denn vor allem: Jesus verweste im Grab und konnte deswegen gar nicht so auferstehen, wie es in der Bibel steht. Daraus folgt, dass wir zu ihm nicht wie zu einer gegenwärtigen Person in Verbindung treten können - auch nicht im Gebet." Doch es gebe noch eine andere Seite christlicher Frömmigkeit, deren "Vertreter seit alters her von Bischöfen und anderen Helfershelfern der Kirche unterdrückt" würden.

Lüdemann: "Diese immer wieder in den Untergrund gedrückte Strömung sei mit dem aus dem Griechischen stammenden Namen Gnosis ( = Erkenntnis) bezeichnet. Originalquellen aus diesen Kreisen liegen seit dem spektakulären Fund von 50 vorher unbekannten Schriften aus Nag Hammadi in Oberägypten vor. Diese Schriften - sie sind seit kurzem in einer deutschen Gesamtübersetzung zugänglich - zeichnen sich durch eine radikale Abkehr von dogmatischen Glaubenssätzen aus, deren Ausmaß und Reflektiertheit ins Auge sticht. Gnosis, die ich mit Mystik gleichsetzen würde, ist der Wille zur totalen Lebensvollendung."

Persönlicher Schöpfergott oder nur " kosmisches Bewusstsein" - darüber wurde in der anschließenden Diskussion kontrovers gestritten. Dieses Streitgespräch wird im Juli 2000 zwischen Hauptpastor Axel Denecke und Gerd Lüdemann fortgesetzt:, St. Katharinen feiert 700-jähriges Bestehen.


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Letzte Aktualisierung am 22. April 2020
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