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Staat und Kirche im Hochschulwesen

- die Verhältnisse in Deutschland im Vergleich mit anderen europäischen Staaten

von Gerd Lüdemann

Vorbemerkung

Zu Beginn sei meine nur eingeschränkte Kompetenz hinsichtlich dieses Themas genannt, denn eigentlich brauchte man dafür einen Juristen, der sich zudem noch gut im Kirchenrecht auskennt. Ich betone das auch deswegen, weil die mangelnde Kompetenz der meisten Theologen, sich zu diesem Thema zu äußern, auch mit der Grund dafür ist, dass die großen Kirchen von der gegenwärtigen Lage profitieren. Das sage ich als jemand, der als Theologieprofessor in den letzten Jahren Objekt von Zwangsmaßnahmen seiner eigenen Universität infolge der Beanstandung seiner Lehre durch die Konföderation evangelischer Kirchen in Niedersachsen geworden ist. Ich habe mir daher selbst erst den Weg durch die Literatur zum Kirchenrecht bahnen müssen.

Im Blick auf die Informationen, die ich meinem Vortrag zugrunde lege, sind das für die Lage in Deutschland die einschlägigen Lehrbücher von MARTIN HECKEL und AXEL VON CAMPENHAUSEN und hinsichtlich des europäischen Auslands Auskünfte von den zuständigen Fakultäten. Außerdem ziehe ich einzelne Dokumente aus meinem eigenen Gerichtsprozess heran. Auf die neuere Spezialliteratur, die sich teilweise ausdrücklich mit meinem "Fall" befasst, konnte ich aus Zeitgründen nicht eingehen. Auf sie sei aber ausdrücklich verwiesen.

Ich beginne also mit einer Darstellung der Lage in Deutschland, unternehme dann mehrere Exkurse in Nachbarländer und schließe mit einigen grundsätzlichen Erwägungen.

I. Die Verhältnisse in Deutschland

I.1 Zum Staatskirchenrecht in der Weimarer Republik

Das landesherrliche Kirchenregiment hatte mit der Abschaffung der Monarchie im Jahre 1918 ein Ende gefunden. Zugleich nahm der Staat nun auch seine kirchenhoheitlichen Ansprüche zurück, womit eine Trennung von Staat und Kirche einherzugehen schien.

Folgende Artikel der Weimarer Reichsverfassung weisen in diese Richtung: das Grundrecht auf Glaubens- und Gewissensfreiheit in Verbindung mit der Kultus- und Religionsfreiheit (WRV Art. 135; 137 II), die Unabhängigkeit der bürgerlichen und staatsbürgerlichen Rechte von der Religionszugehörigkeit (Art. 136), das Staatskirchenverbot (WRV Art. 137 I) und die Autonomie der Kirchen im Rahmen der für alle geltenden Gesetze (WRV Art. 137 III). Zudem wurden die Kirchen als "Religionsgesellschaften" grundsätzlich auf dieselbe Ebene versetzt wie andere religiöse und weltanschauliche Vereinigungen unterhalb der Staatsebene (WRV Art. 137 VII).

Indes wurde die Trennung von Staat und Kirche nicht konsequent durchgeführt. Denn diejenigen Religionsgesellschaften, die schon bislang im Besitz der Korporationsrechte waren - im wesentlichen die beiden großen Kirchen - erhielten weiterhin den Status der Körperschaften des öffentlichen Rechts und durften deswegen Kirchensteuern mit Hilfe der staatlichen Steuerlisten erheben (WRV Art. 137 VI).

Außerdem erhielt der konfessionelle Religionsunterricht als ordentliches Lehrfach in den Lehrplänen der Schulen ebenso eine feste Verankerung (WRV Art. 149 I) wie die theologischen Fakultäten an den staatlichen Hochschulen (WRV Art. 149 III).

Nicht allein die Weimarer Reichsverfassung bestimmte das Verhältnis zwischen Staat und Kirche. Dies taten ferner Staatskirchenverträge zwischen den Ländern Bayern (1924), Preußen (1931) und Baden (1932) mit den evangelischen Landeskirchen in diesen Ländern, die in der Regel die Existenz theologischer Fakultäten und den konfessionellen Religionsunterricht garantierten.

Zum Staatskirchenrecht in der Bundesrepublik Deutschland

Für das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland regelte das Grundgesetz aus dem Jahre 1949 das rechtliche Verhältnis von Staat und Kirche. Seine Väter knüpften ausdrücklich an das Staatskirchenrecht der Weimarer Reichsverfassung an. Art. 140 GG nahm die Art. 136 - 139 und 141 WRV in die neue Verfassung auf, während Art. 4 GG mit der Garantie der Glaubens-, Gewissens- und Religionsfreiheit dem Art. 135 WRV eine prominente Stellung unter den Grundrechten sicherte.

Außerdem legte Art. 5 III GG als Grundrecht die Freiheit von Kunst, Wissenschaft, Forschung und Lehre fest sowie Art. 7 III GG den Religionsunterricht an den öffentlichen Schulen als ordentliches Lehrfach, "der in Übereinstimmung mit den Grundsätzen der Religionsgemeinschaften" zu erteilen sei. Indes enthält das Grundgesetz im Gegensatz zur Weimarer Verfassung (Art. 149 III) keine Bestandsschutzklausel für die theologischen Fakultäten.

Eine große Bedeutung für das Verhältnis von Staat und Kirche kommt dem Niedersächsischen Kirchenvertrag (Loccumer Vertrag) von 1955 und dem Ergänzungsvertrag von 1966 zu, umso mehr als alle darauf folgenden Verträge (Schleswig-Holstein [1957], Hessen [1960], Rheinland-Pfalz [1962] und Nordrhein-Westfalen [1984]) sich am Loccumer Vertrag orientieren. Dem Loccumer Vertrag kommt daher ein Modellcharakter zu.

Der Loccumer Vertrag sichert die Fortexistenz der theologischen Fakultät in Göttingen für die Vorbildung der Geistlichen zu. Die Kirchen erhalten das Recht einer gutachterlichen Stellungnahme vor der Anstellung eines ordentlichen oder außerordentlichen Professors zugesichert (Art. 3 Nds.KV).

Eine den Staat bindende Wirkung der kirchlichen Stellungnahme und ein nachträgliches Beanstandungsrecht der evangelischen Kirchen gegen einen Lehrstuhlinhaber wurden jedoch nicht vereinbart. Aus den Protokollen der Hannoverschen Landessynode geht eindeutig hervor, dass auf ein nachträgliches Beanstandungsrecht mit Absicht verzichtet wurde. Der Loccumer Vertrag knüpft im übrigen an die Bestimmungen der älteren Kirchenverträge an, insbesondere an die des preußischen Kirchenvertrages von 1931.

Zum Neuabschluß von Staatskirchenverträgen in den neuen Bundesländern als Folge der deutschen Einheit

Sachsen-Anhalt im September 1993, Mecklenburg-Vorpommern im Januar 1994, der Freistaat Thüringen im März 1994 und der Freistaat Sachsen im April 1994 schlossen Kirchenverträge mit den zuständigen evangelischen Landeskirchen ab. Diese knüpfen ausdrücklich an das Vertragsrecht der Weimarer Zeit an, sofern Kirchenverträge in diesen Ländern zu jener Zeit bestanden haben. Inhaltlich ist auch für diese Verträge der Loccumer Vertrag von 1955 das Vorbild.

Indes sind auch einige Abweichungen festzustellen. Sie finden sich insbesondere in den Präambeln und in den Bestimmungen über die theologischen Fakultäten.

Bei den Regelungen zum Mitwirkungsrecht der Kirche in den theologischen Fakultäten dürften heute herrschende Rechtsauffassungen eingeflossen sein.

In allen Verträgen haben Kirchen nicht nur ein unverbindliches Recht der gutachterlichen Äußerung, sondern ein bindendes Mitbestimmungsrecht bei der Anstellung von Professoren und Dozenten hinsichtlich ihres Bekenntnisses und ihrer Lehre. Die Mitbestimmungsbefugnis bezieht sich auf Professoren und Hochschuldozenten an theologischen Fakultäten sowie auf Inhaber theologischer bzw. religionspädagogischer Lehrstühle außerhalb theologischer Fakultäten in den Lehramtsstudiengängen. Ebenso bedürfen die Prüfungs-, Promotions- und Habilitationsordnungen der Zustimmung der Kirchen.

Die erweiterten Rechte der Kirchenleitungen zur Einflussnahme bei Berufungen zeigen deutlich die Handschrift der Vertreter der heute herrschenden Rechtsauffassung. Sie haben offenbar den Neuabschluss von Staatskirchenverträgen als Chance genutzt, ihre Verfassungsinterpretation in positives Recht umzusetzen.

Der Leiter des Kirchenrechtlichen Instituts der EKD, Axel von Campenhausen, hat auf Anfrage wie folgt zu diesem Problem Stellung genommen.

"Nunmehr ist es undenkbar, daß das Urteil der Kirche über die Eignung oder Nichteignung einer Person, im Namen der Kirche Religionsunterricht zu erteilen oder Theologie zu lehren, für den Staat unverbindlich sei. Er hat darüber nicht nur kein Urteil, sondern vor allem kein besseres Urteil. Insofern herrscht bereits heute ... die Meinung vor, daß die Gutachterliche Äußerung einer Landeskirche den Staat bindet ... die neue Regelung (entspricht) der Rechtslage ... Der Vertragsabschluß war zugleich die Gelegenheit, dies eindeutiger in positives Recht umzusetzen. Besondere ostdeutsche Befindlichkeiten sind für die Formulierung in den neuen Verträgen nicht maßgeblich gewesen."

Hans-Georg Babke, der Autor der gerade erschienenen Studie zur Stellung der Theologie an der Universität, bemerkt hierzu:

"Diese Antwort läßt an Eindeutigkeit nichts zu wünschen übrig. Auffällig ist dann aber der Tatbestand, daß die weitergehenden rechtspolitischen Forderungen der herrschenden Rechtsauffassung, wie die Forderung nach einem nachträglichen Beanstandungsrecht, nach Entfernung eines beanstandeten Universitätstheologen und nach einer staatlichen Ersatzgestellungspflicht, nicht durchgesetzt wurden."

Ein Blick hinüber zu den Europäischen Nachbarn

Österreich

Die Existenz der staatlichen katholischen Fakultäten ist durch Konkordat gesichert. Daneben gibt es eine Reihe kirchlicher Hochschulen (z.B. in Heiligenkreuz oder St. Gabriel in Mödling). Die direkt dem Vatikan unterstellte Theologische Hochschule Linz (nicht mit der Uni zu verwechseln!) ist vom Staat gerade als Privatuniversität anerkannt worden.

Die Belange der Evangelisch-Theologischen Fakultät der Universität Wien – der einzigen evangelischen Fakultät in Österreich – werden durch das sog. "Protestantengesetz" von 1961 geregelt, dessen Bestimmungen auch in neuere Gesetze (Universitätsstudiengesetz und Universitätsorganisationsgesetz von 1993) Eingang gefunden haben. Einschlägig ist § 15 des "Bundesgesetzes über die äußeren Rechtsverhältnisse der Evangelischen Kirche". Er legt in Abs. 1 die Mindestzahl der Professuren fest, die Konfessionsbindung der beiden Systematisch-Theologischen Lehrstühle (einer für Augsburgisches Bekenntnis, einer für Helvetisches Bekenntnis). Abs. 2 bestimmt, daß die Mitglieder des Lehrkörpers der Evangelischen Kirche angehören müssen. Gastprofessoren, Gastdozenten sowie das wissenschaftliche Personal können gemäß Abs. 3 "anderen Kirchen oder Religionsgemeinschaften, insbesondere Mitgliedskirchen des ökumenischen Rates der Kirchen, angehören". Abs. 4 legt fest, daß bei Berufung eines Professors vor Einreichung der Liste be im Wissenschaftsministerium "mit der Evangelischen Kirche in Fühlungnahme über die in Aussicht genommenen Personen zu treten" ist.

Die Einzelheiten des Theologiestudium werden jeweils durch ein Studienrichtungsgesetz geregelt. Derzeit ist für die Evangelische Theologie noch das Studienrichtungsgesetz von 1993 in Geltung (einschließlich Studienordnung und Studienplan für die fachtheologische sowie für die kombinierte religionspädagogische Studienrichtung und für das Doktoratsstudium). Voraussichtlich mit 1. Oktober 2001 tritt eine neue Studienordnung auf der Basis des neuen Universitätsstudiengesetzes in Kraft. Die in Deutschland sog. Erste Theologische Prüfung wird in Österreich obligatorisch an der Universität abgelegt. Die Absolventen erhalten ein Diplom. Lediglich das 2. Examen am Ende des Vikariats wird von der Kirche abgenommen.

Tschechien

Nach der Wende im Jahre 1990 wurden die drei theologischen Fakultäten wieder in die Universität eingegliedert. Es handelt sich um die evangelische, die hussitische und die römisch-katholische Fakultät. Letztere ist sehr konservativ und direkt Rom unterstellt. Die beiden protestantischen Fakultäten sind einander ähnlich. Zwar bestehen enge Beziehungen zu den entsprechenden Kirchen. Indes sind beide unabhängig und haben etwa den gleichen Status wie den der evangelischen Fakultäten in den skandinavischen Ländern.

Dänemark

Um Pfarrer in der Volkskirche zu werden ist es normalerweise eine Bedingung, dass man die theologische Examen einer der zwei theologischen Fakultäten in Kopenhagen oder Aarhus bestanden hat. Trotzdem haben die Fakultäten generell keine kirchlichen Bindungen, sondern sind als Teile der Universitäten von dem Unterrichts- und dem Forschungsministerium gesteuert. Es gibt also keine konfessionelle Bindungen für den Lehrer. Gegenwärtig lehrt z. B. ein Katholik Altes Testament an der theologischen Fakultät der Universität Kopenhagen. Und es gibt keine konfessionelle oder weltanschauliche Beschränkungen für die Studierenden. Nur sollen sie die notwendigen sprachlichen Voraussetzungen besitzen. Die Kirche hat so weder Einfluss auf Berufungen noch kann sie Beanstandungen aussprechen. Nach dem Kandidatenexamen an der Fakultät müssen dann die Theologiestudenten unter der Leitung des Kirchenministerium ein halbes Jahr praktische Fächer absolvieren und dann in Verbindung mit dem Amtsantritt ein sogenanntes Bischofsexamen ablegen, was aber eher eine Formalität ist.

Finnland

(1) Theologische Fakultät und Kirche sind in Finnland nicht in ähnlicher Weise miteinander verbunden wie in Deutschland.

Die theologischen Fakultäten in Helsinki und übo sind grundsätzlich nicht "konfessionsgebunden"; dies wird auch von der neuen theologischen Fakultät gelten, die demnächst in Joensuu eingerichtet wird.

Die Theologieprofessoren werden in der Universität ausgewählt, ohne dass die Kirche ein Votum bzw. ein Gutachten zum Kandidaten abgeben darf.

Es gibt kein kirchliches Examen für die Studierenden in der theologischen Fakultät, sondern alle Examen und Prüfungen werden innerhalb der Universität absolviert. Das heißt auch, dass die Professoren als Prüfer nicht von der Kirche akzeptiert werden müssen. Sie brauchen auch nicht Mitglieder der (ev.-luth.) Kirche von Finnland zu sein (obwohl die meisten solche sind).

(2) Abgesehen von der grundsätzlicher Selbständigkeit der theologischen Fakultät, gibt es zwischen ihr und der Kirche einige administrative Berührungspunkte:

Die Kirche anerkennt grundsätzlich das staatliche theologische Examen. Dessen Absolventen werden, wenn Stellen offen sind, gleich nach dem Abschluss ihrer Studien in der Universität ordiniert. Es gibt kein Vikariat, sondern nur eine kirchliche, lediglich formale "Ordinationsausbildung", die normalerweise ein bis zwei Wochen dauert.

Die Kirche setzt allerdings bei Studierenden, die ordiniert werden wollen, eine bestimmte Anzahl von Scheinen in "klassischen theologischen Fächern" (Exegese des Alten und Neuen Testaments, Kirchengeschichte, Systematische Theologie, Praktische Theologie) voraus. Wer beispielsweise Religionswissenschaft als Hauptfach wählt und die Ordination anstrebt, muss seine Studien in "klassischen Fächern" über das hinaus vervollständigen, was der von Universität regulierte Studiengang verlangt.

Ein Vikariat gibt es in der Kirche deswegen nicht, weil die Studierenden sog. praktische Übungen schon innerhalb ihrer Universitätsausbildung absolvieren müssen. Normalerweise gehören zu diesen Studien Übungen in Predigt, Liturgie, Religionsunterricht und Seelsorge.

Die praktischen Übungen sind in der Praxis oft nach Konfessionen orientiert. Da die meisten Studierenden Lutheraner sind, ist z.B. die eingeübte Liturgie meistens die der ev.-luth. Kirche. Die für die Übungen Verantwortlichen sind allerdings gehalten, Alternativen für diejenigen anzubieten, die nicht Lutheraner sind. Zu betonen ist auch, dass statt der "kirchlichen" praktischen Übungen die Studierenden auch "nicht-kirchliche" Übungen (z. B. unterschiedliche schriftliche Übungen) wählen.

Seinerzeit gab es zwischen dem Neutestamentler Heikki Räisänen und der finnischen lutherischen Kirche Spannungen. Das hatte aber keine Folgen für seinen Status an der theologischen Fakultät, eine Vorstellung, die aufgrund der grundsätzlichen Unabhängigkeit der theologischen Fakultät von der Kirche ohnehin absurd gewesen wäre. Die Kirche gibt nur ziemlich allgemeinen Richtlinien vor, welche und wieviel Scheine, und in welchen Fachgebiete, die Studierenden absolvieren müssen, wenn sie die Ordination zum Pfarramt anstreben.

Auch kann die Kirche kein Veto gegen einen an der Fakultät lehrenden Professor einlegen. Wenn die Vertreter der Kirche mit der Universitätsausbildung unzufrieden sind, müssten sie ein alternatives Ausbildungssystem entwickeln; dies scheint allerdings eine nur sehr entfernte Möglichkeit zu sein

Schweden und Norwegen

Die Universitätstheologie in Schweden und Norwegen hat eine ähnliche akademische Freiheit wie in Finnland hat. Der größte Unterschied ist, dass die Vikariatszeit sowohl in Norwegen als auch in Schweden erheblich länger ist als in Finnland.

England

Die Kirchen haben keinen Einfluss auf die theologischen Fakultäten, außer wenn diese eine kirchliche Trägerschaft haben. Hier kommt es vor, dass wie im Falle des katholischen Heythrop College in London Teile der Fakultät "ausgewechselt" wurden. Das ist aber eine große Ausnahme und hat in der Öffentlichkeit starke Kritik hervorgerufen.

Thesen zum Abschluss

a) Deutschlands theologische Fakultäten sind eine Insel inmitten Europas.
b) Theologie in Deutschland genügt nicht den Mindestanforderungen der Wissenschaftlichkeit.
c) Den Kirchenrechtlern um Heckel u.a. ist es gelungen, die Existenz der theologischen Fakultäten sturmfest zu machen, z.T. auch mit abenteuerlichen Spekulationen zum Pluralismus der Wissenschaft. So schreibt Heckel:

"Der moderne freiheitliche Kulturstaat fördert die verschiedenen Wissenschaften, Kunstrichtungen, sonstigen Kulturphänomene pluralistisch und frei jeweils in der Verschiedenheit und Vielfalt ihres geistigen - auch religiösen und weltanschaulichen – Profils. Er hat sich verfassungsrechtlich versagt, sie auf den nivellierenden Leisten eines autoritativen Wissenschafts- bzw. Kunstbegriffs zu schlagen. Die Garantie der Wissenschaftsfreiheit in Art. 5 III GG ist nach so gut wie unbestrittener Auffassung i.(m) S.(inne) pluralistischer Offenheit und Enthaltsamkeit des Staates von einer materialen Selektion und Präklusion des Wissenschaftsbegriffs der Verfassung zu verstehen ... So schützt sie auch die Theologie als eigenen überkommenen Wissenschaftszweig von kaum bestreitbarem, in der Breite anerkanntem Rang in der deutschen Wissenschaftstradition ... Als eigene Wissenschaft wurde die Theologie faktisch wie rechtlich von den Verfassungen vorgefunden und normativ weiter anerkannt und garantiert."

Das Motto der juristischen und heute geltenden Ausführungen Heckels ist: Weil es immer so war, muß es weiter so bleiben. Auf die Idee, daß die Existenz verschiedener theologischer Fakultäten ein gewichtiges Argument gegen die Theologie als wissenschaftliche Disziplin ist, scheint Heckel nicht zu kommen. Vielmehr entkräftet er dies mit dem Argument, dass der Staat in Sachen Wissenschaft pluralistisch denke. Merkt er nicht, daß damit der Beliebigkeit innerhalb der Universität Tür und Tor geöffnet wird? Die Wissenschaften außerhalb der Theologie werden sich solche Beliebigkeiten verbieten, falls sie die Theologie überhaupt noch ernst nehmen.

Außerdem hat Heckel, ebenso wie seine juristischen Kollegen, die neueste Epoche historisch-kritischer Wissenschaft nicht wahrgenommen und versteht unter Theologie immer die dogmatische Theologie. Für ihn ist das Evangelium nicht nur unverkürzt in den Worten und Taten Jesu sowie seiner Auferstehung enthalten, es ist gleichzeitig, reformatorisch geurteilt, die Wahrheit und das Erlösungshandeln Gottes, welches "aus dem sola scriptura, sola gratia, sola fide erwächst und von Sünde, Irrtum und vom Zorne Gottes zum Glauben und Heil befreit."

Am Schluss noch etwas Persönliches:

Ich nenne es Unaufrichtigkeit, ja, Unterdrückung der historischen Wahrheit hinsichtlich der Ursprünge des Christentums, wenn im Streit um meinen Lehrstuhl an der theologischen Fakultät sich wissenschaftliche Theologen des Votums von Heckel bedienen, um meine Entfernung aus der theologischen Fakultät zu empfehlen. Es entspricht theologischem Analphabetentum, wenn die Richter des OVG Lüneburg mit folgenden Argumenten die Sanktionen gegen meine Person begründen: Lüdemann habe sich öffentlich vom Christentum losgesagt und erklärt, er sei nicht mehr Christ, "er glaube nicht mehr an Christus. Dieser sei nicht ohne Sünde gewesen und nicht Gottes Sohn. Er habe das Sakrament des Abendmahls nicht eingesetzt, sei nicht den Sühnetod gestorben, nicht auferstanden und werde nicht zum Jüngsten Gericht wiederkommen."

Diese von der Kirchenbehörde sachlich vorformulierten und vom OVG Lüneburg übernommenen Sätze stammen von staatlichen Juristen. Sie nehmen offenbar die überlieferten zentralen Glaubenssätze für bare Münze und wissen nicht bzw. haben niemals Unterricht darüber erhalten, daß die moderne Bibelwissenschaft alle angeführten Aussagen als unhistorisch erwiesen hat.

Nun – da man einen Abweichler loswerden will, ist offenbar jegliches juristisches Mittel recht. Die gegenwärtige Lage erinnert mich daran, dass kein evangelischer Theologieprofessor unter Hinweis auf das wissenschaftlich abgesicherte Wissen protestierte, als der Erzbischof von Paderborn, Degenhardt, Eugen Drewermann u.a. wegen dessen symbolischem Verständnis der Jungfrauengeburt vor einem Jahrzehnt die Lehrerlaubnis entzog.

Offenbar geht es in diesen Auseinandersetzungen gar nicht mehr um die Wissenschaftlichkeit der Theologie, sondern darum, ihren Platz innerhalb der Universität zu erhalten, zu der sie wegen ihrer kirchlichen Bindung eigentlich nicht mehr gehört. Denn wer behauptet, Wissenschaft zu betreiben, und bei seiner Arbeit die Wahrheit des kirchlichen Bekenntnisses nicht antasten darf und will, schlägt der Wissenschaft ins Gesicht. Wie er es auch immer drehen mag, er ist unter diesen Voraussetzungen ein Diener der Kirche und nicht der Wissenschaft.

Dieses harte Urteil ist umso bedauerlicher, als viele der konfessionellen Theologen philologisch und historisch Hervorragendes leisten und geleistet haben. Aus der Bindung an die Kirche kommen sie aber nicht heraus, da diese das Recht hat bzw. sich das Recht dazu herausnehmen kann, ihre Lehre zu beanstanden. Unter diesem Vorzeichen wird eine wirklich freie Wissenschaft nicht entstehen oder gar gedeihen. Konfessionelle Theologie als Wissenschaft entspricht demnach der Quadratur des Kreises. Wer als konfessioneller Theologe trotzdem die Wissenschaftlichkeit für seine gesamte Arbeit in Anspruch nimmt, sagt nicht die Wahrheit.

Vielmehr begegnen wir in der akademischen Theologie dem Spiel mit einer doppelten Wahrheit: der Wissenschaftlichkeit einerseits und der kirchlichen Bindung andererseits. Und das Eigentliche der konfessionellen Theologie wird neuerdings immer klarer in ihrer kirchlichen Funktion gesehen. Ich würde meinen: Wenn letzteres allgemein bekannt würde, wären die Stunden der Theologie an der deutschen Universität gezählt. Denn warum sollten dann die Kirchen für die Ausbildung ihres theologischen Nachwuchses nicht auch die Finanzen aufbringen?

Indes ist der heutige gesellschaftliche Trend, Wissenschaft nur noch im Hinblick auf ihre Relevanz und nicht mehr im Hinblick auf die von ihr erreichten Erkenntnisse zu beurteilen, günstig für die gegenwärtigen theologischen Fakultäten. Denn von einem funktionalem Ansatz her hat ein Dissident keinen Raum mehr in einer theologischen Fakultät, die Pastoren ausbildet. Doch täusche man sich nicht. Unter solchen Bedingungen gedeiht Wissenschaft langfristig auf keinen Fall. Und nur wegen der großen historischen Leistungen der deutschen protestantischen Fakultäten, wurde nach langem Hin und Her überhaupt eine Bestandsschutzgarantie für sie in die Weimarer Reichsverfassung aufgenommen.


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Letzte Aktualisierung am 22. April 2020
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