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WAMS: Schwelgen in Ausrottungsphantasien

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Gerd Lüdemann kritisiert die Jahreslosung der christlichen Kirchen für 2006: "Ich lasse dich nicht fallen und verlasse dich nicht" - historisch eine Rechtfertigung des Massenmords

Über das Jahr 2006 haben die christlichen Kirchen als Losung ein Wort aus dem Buch Josua gestellt, Kapitel 1, Vers 5. Der Gott Jahwe verspricht dort Josua, dem Nachfolger Moses, vor dem Einzug in das gelobte Land Kanaan: "Ich lasse dich nicht fallen und verlasse dich nicht."

Die Wahl dieses Spruches als Jahreslosung lebt förmlich von der Nicht-Berücksichtigung seines biblischen Kontextes: der im Josuabuch von Gott befohlenen Vernichtung der Urbewohner Kanaans. Deren Anfang macht die Zerstörung Jerichos, beschrieben in Kapitel 6, Vers 21: "Sie vollstreckten den Bann aber an allem, was in der Stadt war, mit der Schärfe des Schwerts, an Mann und Frau, jung und alt, Rindern, Schafen und Eseln." Andere Städte unterliegen derselben greulichen Maschinerie der Ausrottung. Bei diesen Säuberungsaktionen in Jericho sowie in anderen Städten Kanaans läßt Gott Josua nicht fallen und verläßt ihn nicht.

Der große französische Bibelkritiker Ernest Renan hat seinen Abscheu vor diesen "bluttriefenden Barbarensitten" vor gut einem Jahrhundert so ausgedrückt: "Die menschliche Grausamkeit nahm die Form eines Paktes mit der Göttlichkeit an. Man legte ein feierliches Gelöbnis ab, alles zu töten, und verbot damit sich selbst, der Vernunft oder dem Mitleid Folge zu leisten. Man weihte eine Stadt oder ein Land der Vernichtung und glaubte Gott zu beleidigen, wenn man den greulichen Eid nicht hielt."

Immerhin hat der Bann wenig mit Rache, Haß oder Plünderung zu tun. Er ist vielmehr eine rituelle Heiligmachung mit dem Ziel, der Gottheit als Spenderin des Lebens gefangene Menschen und Tiere als Opfergaben zurückzugeben. Wer wie später König Saul den Bann brach und sich an gesundem Vieh bereicherte, wurde daher unverzüglich bestraft.

Nun hat der Heilige Krieg so, wie ihn das Josuabuch beschreibt, niemals stattgefunden. Die neuere Forschung zeigt deutlich: Die biblische Erzählung über den Auszug aus Ägypten und die Eroberung Kanaans ist keine Wiedergabe des historischen Verlaufs. Ihre Verfasser sind vielmehr politisch machtlose Theologen, die im babylonischen Exil mehr als ein halbes Jahrtausend nach dem vermeintlichen Einzug ins Gelobte Land aus Eifer für Gott in Ausrottungsphantasien schwelgen. Aber das Problem besteht für uns heute gar nicht darin, ob die Erzählungen Faktum oder Fiktion sind.

Ärgernis erregt, daß die rituelle Zerstörung überhaupt empfohlen wird. Die Texte aus dem Josuabuch schildern die totale Abschlachtung der kanaanäischen Bevölkerung, und es gibt keine einzige Passage im Alten Testament, die den Bann kritisiert oder seine Anordnung durch Gott bestreitet. Der Bann hat einen erschreckend grundsätzlichen Charakter: Gott läßt seine Exekutoren nicht fallen und verläßt sie nicht.

Die Jahreslosung für 2006 stammt aus einem der schlimmsten Zeugnisse für die blutige Seite der Bibel, die indes nicht auf das Alte Testament beschränkt ist, wie etwa die "Offenbarung" zeigt. Die Kirchenführer, die sie auserkoren und aus dem Kontext gerissen haben, sollten sie daher schleunigst wieder aus dem Verkehr ziehen. Dr. Gerd Lüdemann ist Professor für Geschichte und Literatur des frühen Christentums in Göttingen. Von ihm erschien im Verlag zu Klampen "Das Unheilige in der Heiligen Schrift. Die dunkle Seite der Bibel" (3. Auflage 2004)

Artikel erschienen am 8. Januar 2006

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