ICZN-Code und Probleme

Mandatory change

Gryllus migratorius --> Locusta migratoria.

Die zoologische Gemeinschaft hatte sich im Vorfeld der Code-Revision 1999/2000 mit breiter Mehrheit dafür ausgesprochen, den mandatory change in der Zoologie ganz aufzugeben. Die Code-Kommission hat den mandatory change dennoch im Code gelassen. Die Nomenklaturkommission ist nicht demokratisch legitimiert, Entscheidungen fallen willkürlich im kleinen Kreis weniger Personen, die sich teure Flugreisen leisten können.

Probleme:

- Nicht alle Zoologen kommen mit den genders klar. Gibt keine genders in Englisch, Chinesisch und Japanisch.

- Es ist unklar, was ein Adjektiv ist, nicht alle Zoologen kennen alle lateinischen Adjektive. Manche Substantive sehen denen verdammt ähnlich. Was ist lecta, noverca, pellita, dictaea, zonella, naxiana, berytensis?

- Nicht alle wissen die Deklinationsregeln für Adjektive, also wie die gewechselt werden. albus, alba, album ist allgemein bekannt (ausser in China); berytensis, berytensis, berytense wissen schon weniger und produziert häufig Fehler; ater, atra, atrum (glaber, ruber, niger, wie viele noch?) wissen noch weniger; major, major, majus weiss kaum noch jemand.

- Es ist nicht immer klar, welches Geschecht eine Gattung hat. Probleme mit unklaren Handhabungen in verschienenen Jahrhunderten, Probleme mit common genders. Tenthredo, Papilio, Fruticicola, Metafruticicola. Der Code wurde nicht von Linguisten geschrieben, manche Regelungen sind abenteuerlich. Geschlechter nach Wörtern aus lateingeschriebenen europäischen Sprachen. Pfrille. Uter gender wurde gar nicht berücksichtigt (Dänisch, Niederdeutsch, Schwedisch).
Wenn ein common gender name mit einem femininen Art-Epithet kombiniert eingeführt wurde, gilt feminine. Wenn der Gattungsname aber ganz normal in einem lateinischen Text als feminin verwendet wurde, ist es nicht explizit geregelt. Und in einem deutschen Text, "die Fruticicole"?

- Es ist unklar, was Latein und was Griechisch ist (bei Namen, die in Standard-Latein- und Griechisch-Lexika stehen, gilt das Geschlecht dort). Ist eine lateinisierte Endung schon Latein, oder noch Griechisch? Wenn ein Name sowhl griechisch als auch lateinisch interpretiert werden kann, was hat Priorität?

- Was passiert, wenn ein Autor bei einer Originalbeschreibung das falsche Geschlecht nimmt? Kommt auch öfter bei lateinischen Publikationen vor.

- In der Botanik wird kein mandatory change vorgenommen.

- Lepidopterologen nehmen keinen mandatory change vor. Niemand wusste genau, was Papilio war.

- Character-sensitive Suchfunktionen: nur wenige Spezial-Suchmaschinen sind in der Lage, Wortendungen zu ignorieren und finden bei Suche nach alba auch Taxa, die albus heissen. Google gehört zu denen, die zwar bei Suche nach Hare "hair" ausspucken, aber kein Latein können.

- Je nach Tiergruppe müssten, wenn der mandatory change aufgegeben wird, etwa 2-5 % der Namen in der Endung gewechselt werden.

- Die Stimmung geht nach wie vor in die Richtung, dass Diskussionen zu dem Ergebnis kommen, dass nur wenige wirklich gegen eine Aufhebung der mandatory-change-Regelung wären.


Elektronische Publikationen

Code 8: eine Publikation muss für den permanent scientific record publiziert sein, aber in welcher Anzahl? 200? 50? Wird nicht definiert. Mindestens 2, weil in 8.1.3 die Mehrzahl verwendet wird.

Code 8.6: nach 1999 dürfen Publikationen herauskommen, ohne dass bedrucktes Papier involviert ist, also elektronisch oder sonstwie. Dazu müssen mindestens 5 Ausdrucke in explizit benannten öffentlichen Bibliotheken hinterlegt werden.

Probleme:

- Gibt wohl schon Insektenbeschreibungen, die kein Mensch mehr bekommen kann. Die Bibliotheken heben einzelne Zettel nicht immer auf. Gab wohl schon tatsächlich welche, die im Internet auf unstabilen Seiten Beschreibungen publiziert haben und 5 Ausdrucke an irgendwelche Lokalbibliotheken gegeben haben, die kaum Personal hatten und den Kram hinterher dann auch tatsächlich nicht mehr finden konnten.

- Es scheint auch aus der Vergangenheit Publikationen zu geben, die es heute nur noch einmal gibt, vielleicht in London, und kaum einer kommt da ran.


Bibliographische Indikation

Was genau ist eine bibliographische Indikation?
ist das reine zitieren eines namens mit autor(abkürzung) ohne intentionelle bibliographische angabe eine bibliographische indikation?
auch wenn dieser name nur einmal beschrieben wurde und die indikation von daher eindeutig ist?
und wenn der name schon öfter verwendet wurde, muss dann die erstverwendung als bibliographische angabe verstanden werden (auch wenn der autor vielleicht gar nicht weiss wo die erstverwendung war, und er den namen vielleicht gar nicht aus der literatur hat, sondern nur vom hörensagen kennt)? 


Replacement names

Muss ein replacement name explizit hingeschrieben werden, oder reicht es wenn implizit klar ist, dass ein ersatzname verwendet wird (weil zwei gleichlautende taxa zitiert werden)

Beispiele:

Helix obvia Menke 1828

Aufgeführt ohne Beschreibung in einer Artenliste als Synonym von Helix neglecta Hartm[ann].. Nichts was auf eine explizite Verwendung als Ersatzname hindeuten würde. Ein paar Zeilen weiter steht aber Helix neglecta Dr[aparnaud].. Menke wusste also, dass es zwei Helix neglectas gab. Immerhin.
Nach
Gittenberger (1975) ist Helix obvia Menke, 1828 als replacement name verfügbar.

Helix balmei Beck 1837:

5. C. Balmei. Michd!
H. He. convexa. Fer! F. H. LXXXII, 1. I. Sicilia.
Notes: C. = [Helix] Circinaria, Michd! = Michaud, H = Helix, He. = Helicella, Fer! = Férussac, F. H. LXXXII, 1. = Férussac & Deshayes [1832]: pl. 82 Fig. 1. , I. = Italia.

Eigentlich ist das eine ganz normale Beschreibung von Helix (Circinaria) balmei Beck, 1837. Mit Indikation, nämlich Férussacs Abbildung.
Oder (
Bank & Menkhorst 1991) ein replacement name für Helix convexa Férussac, 1832 (not Helix convexa Link, 1807)? Offenbar bilden Ferussac & Deshayes 1832 eine libanesische Art ab. Sizilien ist also falsch, hat Beck verwechselt bzw. die falsche Referenz genommen.
Helix balmei Potiez & Michaud, 1838 ist auch von Sizilien, heute Pleurodiscus balmei (Potiez & Michaud, 1838) .
 


Subordinate variants

Code 72.4.1 rules that distinct variants have their own types, they do not automatically belong to the type series of the species taxon.

Code 12.1 rules that a taxon must have either a description or an indication, with an indication (12.2) being restricted to previously published forms.
Es ist unklar, warum sich das nur auf previously published forms bezieht, und warum simultan im selben Werk nicht auch möglich ist. Wahrscheinlich hatten die das einfach übersehen.

Problem: wenn das eigentliche Taxon keine Beschreibung oder Indikation hat, nur die subordinaten Varianten. Die Sache wird inkonsistent gehandhabt, Helix draparnaldi wurde anerkannt (= Oxychilus draparnaudi (Beck, 1837)), Helix olivieri Férussac, 1821 und Helix barbata Férussac, 1821 nicht. Helix lenticula Férussac, 1821 macht jeder wie er will (= Caracollina lenticula).
Beispiele:

Helix Draparnaldi Beck 1837:

H. Draparnaldi B.
a. gallica.    Drp. VIII, 23-5.   Gall.
H. nitida Drp. sec. Michaud! - H. cellaria Fer!
b. italica. - H. cellaria var. Rossm.      Rossm. 22*.   
Ital. bor.

Notes: H = Helix, B = Beck 1837, Drp = Draparnaud, Gall. = Gallia/France, Rossm. = Rossmaessler, Ital. bor. = N Italy (The words gallica and italica are meant as adjectives here and not as names).

Helix lenticula Férussac, 1821:

No. 154. LENTICULA, nobis.
[alpha]) Striis valde notatis; an Spec. dist.?
Habit. L'Andalousie. Ténériffe; MAUGÉ. [alpha])
Alexandrie en Égypte, OLIVIER.

Férussac thought that variant a could be a different species, but he was not sure and classified it under Helix lenticula. Although the only available description in these lines refers to a questionable form, the name is accompanied by a description. 

Nur eine einzige subordinate Variante beschrieben. Könnte man als eindeutige Indikation sehen, aber simultan publiziert.
Die meisten Autoren erkennen nur Helix lenticula Michaud, 1831 an. 

Helix olivieri Férussac, 1821:
Férussac described 3 variants of this new species taxon and named these variants with Greek letters.
Are the descriptions to be attributed to the species name with which such a variant is classified? Or can we say that the species name was not accompanied by a description?

Helix barbata Férussac, 1821: 
2 variants [alpha] and [beta], no proper description of the "pure" name itself. Helix barbata was later described in Férussac 1832. Helix barbata Férussac 1821 is not recognized, but the case is more complicated, see below.

------------------------------

Without modifying the Code, there are three ways to solve the problem of the species name:

(a) - nomen nudum because the typical form has no description, and the subordinate variants were not published previously but simultaneously in the given work.

(b) - available name because the compound of all subordinate variants is the combined description of the name, and a first revisor can select one form for a lectotype in those cases where several subordinate variants were described. The others from that form become paralectotypes, those from the other forms not.

(c) - the decision "available or not" depends on the intention of the author and cannot be judged on formal aspects alone.

We know at least 2 such cases where the Commission took decisions. These decisions were contradictory.

Op. 336 and Op. 1924: Helix drapanaldi Beck, 1837 (the example given above), described with variants a and b, was considered as available (and to be spelled Helix draparnaudi).

Op. 1690: Helix barbata Férussac, 1821, described with variants [alpha] and [beta], was not considered as available. In that case, a lectotype for this name had been designated 5 years before, which referred explicitely to the publication of Férussac 1832, which might have influenced the decision of the Commission not to recognize the 1821 name.

Mögliche Lösung: Code-Änderung
"12.2.9. a description, definition or indication referring to one or more distinct variants (e. g. by name, letter or number) in the given work." 


Names published in synonymy

Code 11.6: Eine Name der "in an available work" als junior Synonym publiziert wurde ist nicht verfügbar.
Ausnahme:
Code 11.6.1: Wenn der Name vor 1961 als available name übernommen ("adopted") wurde (als Name oder senior synonym). Dann datiert das Taxon von seiner ersten Publikation als Synonym.

Mit dieser Regelung gibt es grosse Probleme. Völlig unklar ist, warum der Code nicht (wie in der 2nd edition) das Datum des validierenden Autors nimmt. Code 2nd, 3rd und 4th edition haben unterschiedliche Regelungen formuliert.

- "in an available work" - lässt die Möglichkeit offen, sich aus non-available works von nach 1758 die Synonyme rauszusuchen. Absolut missverständlich.

- jeder non-binominale Name (oder nomen nudum), der von einem späteren Autoren validiert wurde, bekommt in der 4th edition möglicherweise frühere Jahreszahlen als in der 3rd edition.

- es ist super-arbeitsaufwendig herauszubekommen, wo ein bestimmtes Synonym zuerst verwendet wurde. Der validierende Autor muss nicht auf dieses Synonym verwiesen haben. Die Frage ist, ob der "validierende" Autor das Synonym überhaupt gekannt haben muss.

- bei der Einführung des Synonyms braucht keine Beschreibng und nichts dabei sein.

- bei den Typen darf man sich aussuchen, welche Typen man verwendet: die des Synonym-Autors, oder des validierenden Autors.

- es ist unklar, wie die original combination zu zitieren ist.

Beispiel:

1. sinnvolles Beispiel:

Polyphemus dilatatus Philippi, 1836

Wurde von Philippi 1836 als Synonym von Achatina algira verwendet (= Bulimus algirus Bruguière, 1792). Dicke Beschreibung dabei. Beck (1837) verwendet den Namen als Glandina dilatata, und bezieht sich explizit auf Philippis Werk. Die Art heisst heute Poiretia dilatata (Philippi, 1836).

2. höchst wenig sinnvolles Beispiel:

Helix claustralis Menke, 1828:

[Helix]
carthusianella, Dr.
a. maior, Dr. (H. carthusianella, Fér. H. claustralis, Zgl.)
b. minor, Dr. (H. Olivieri, [gamma], Fér.)
ß. apertura operculata.

Notes: Dr. = Draparnaud, H. = Helix, Fér. = Férussac, Zgl. = Ziegler

Rossmässler (1837) schreibt, dass sich Zieglers Name auf eine italienische Art bezieht, und bildet die Art auch ab. Benutzt den Namen aber auch als Synonym von Helix carthusianella.
   "Die oben genannten Ziegler'schen Arten [= claustralis etc.] sind gewiss nur Varietäten von H. carthusianella (...)".
Ist das eine "valide" Verwendung eines Namens? Was bedeutet "gewiss" 1837? Ist eine mit Fragezeichen versehene Verwendung eines Namens bereits valide? (wohl ja, Code 11.5.1: "A name proposed conditionally for a taxon before 1961 is not to be excluded on that account alone".)
Mousson (1854) beschreibt Helix carthusiana var. claustralis aus Griechenland. Mousson hat offenbar keine Ahnung, dass der Name schon von Menke einmal als Synonym für eine Form aus Italien verwendet wurde und kennt auch Rossmässlers Notiz nicht, ist also tatsächlich der Meinung, dass er eine neue Unterart beschreibt.
Hausdorf (2000) geht hin und findet für Mousson's Namen das Synonym Helix claustralis Menke, 1828, und da Menkes Taxon keine Typen hat, werden Moussons Exemplare jetzt Typen von Helix claustralis Menke, 1828. Die Art wird seit 2000 Monacha claustralis genannt (vorher Monacha dissimulans Pintér, 1968).

Im Prinzip ist das das reine Chaos, weil solche Vorgehensweisen den Grundgedanken hinter der zoloogischen Nomenklatur ziemlich widersprechen. Menke hatte mit der griechischen Art nichts zu tun, Mousson hat die beschrieben und sich die Arbeit gemacht, der Name claustralis war 1854 auch nicht präokkupiert, trotzdem bekommt er die Autorenschaft entzogen. Menke hatte nie die Absicht, den Namen einzuführen, und hat auch nichts getan um zu verraten, was für eine Form er überhaupt meinte.

Anderen Artnamen kann jederzeit ein ähnliches Schicksal blühen, wenn erkannt wird, dass ein Name irgendwo in einer Synonymieliste auftaucht (völlig egal welcher Art, völlig ohne Beschreinung, Lokalität oder sonstwas, Hauptsache die Gattungskombination stimmt). Hier kann es auch zu Prioritätsproblemen kommen, was völlig unnötig die Stabilität der Nomenklatur bedrohen kann.

Bei einem nomen nudum kann niemand wissen, was für eine Form überhaupt gemeint ist. Es hat ja einen Grund, warum ziemlich früh für eine Namenseinführung eine Beschreibung gefordert wurde.

Mögliche Lösung: das Datum des validierenden Autors nehmen, und der validierende Autor sollte unbedingt auch das Synonymiewerk mit Seitenzahl zitieren.


Schreibweisen von Namen

Ein Name muss aussprechbar sein und als Wort verwendet werden. Erlaubt sind Phantasiewörter, aber keine willkürliche Aneinanderreihung von Buchstaben (abcdfg). Unklar ist, wo genau die Grenzen sind. Was ist ein Wort?
Eigennamen und Ortsnamen sind Wörter, sind Abkürzungen Wörter?
Abkürzungen: SCUBA, RADAR, NATO, PIN, TAN.

Paradebeispiel für fragwürdige Namen: mdfrc. Abkürzung für ein australisches Institut. Sowas sollte man nicht einführen. Nicht alle Zoologen sind bereit, sowas anzuerkennen. Ist aber keine ganz willkürliche Aneinanderreihung von Buchstaben.

Buchstabenprobleme:

Laelaps berlesii/berlesei
Ist das die gleiche Schreibweise? ei = i und ii = i, aber kombiniert?

Pupa stabili/stabilei
stabilei = emendation. Von Stabile (italienischer Name) bzw. Stabilus (lateinisiert). Original Pupa stabili Martens, 1865, Malakologen erkennen aber alle nur stabilei an.


Official List

...