Georg Christoph Lichtenberg

Ueber die Wochenblätter überhaupt, als eine Einleitung zu dem Göttingischen.

Wer nur so viel Welt Kenntniß besizt, als man in jeder Familie gemeiniglich im 18ten Jahr gefaßt hat, und so viel gelehrte Historie, als man von vierthel Jahr zu vierthel Jahr aus der allgemeinen Bibliotheck erlernt, der weiß wie viele Mühe es kostet der Welt gewisse Wahrheiten beyzubringen. Selbst Personen von denen man eben nicht sagen kan, daß sie weltlich gesinnt wären, verlangen jezt daß der Theil von Wahrheit, den sie zu sich zu nehmen gedencken, so klein er auch seyn mag, nicht blos nehre, sondern auch noch das habe, was sie hohen Gout nennen. Trifft der Schrifftsteller diesen nicht, so sezt der Mann das ganze bey Seite, und genießt dafür lieber etwas selbst angesetztes, das außer diesem Gout offt nichts weder ergötzendes noch nahrhafftes hat. Kan man sich, die Sache von dieser Seite angesehen, also wohl noch wundern, daß so viele Leute, durch ihre freylich offt schlechte, aber doch immer wohlgemeinte Schrifften, um alles zeitliche Glück gekommen sind? Gewiß haben sie nicht alle sowohl die unveränderlichen Regeln der gesunden Vernunfft und des guten Geschmacks verfehlt, als vielmehr die Familien-Recepte, an welche sich ein witziger Kunstrichter zuweilen in seiner gelehrten Haushaltung gewöhnt hat. Doch ist dieses bey weitem noch nicht die Hauptschwierigkeit. Wie viele Kunst erfordert es außerdem noch, wenn man einmal weiß, was allgemein angenommene Süßigkeiten sind, sie in gehörigem Maaß in den Unterricht zu mischen, nicht zu wenig, damit nicht der Unterricht sich durch seinen eigenen Geschmack verrathe, nicht zuviel damit er auch noch würcke, oder das Publikum nicht den Zucker wie am Calmus abnage, und das übrige mit verzogenem Gesicht wegwerfe. Daß dieses große Schwierigkeiten sind, wissen die Gelehrten, und die übrigen werden es nun aus der Aehnlichkeit mit dem Ansetzen Magenstärkender Liqueurs bald anfangen zu glauben, und doch ist die größte noch zurück. Gesezt man habe den allgemeinen Geschmack so ziemlich in seiner Arbeit getroffen, wird man eben deswegen gleich von allen gelesen? Von einem Recensenten vielleicht einmal, dessen Spott man auswendig lernt, und dessen Lob man überschlägt oder doch bald vergißt. Der Mann, von dem wir nicht sowohl blos Lob, als Anwendung erwarten, der uns vielleicht mit Nutzen gelesen hätte, wenn er uns zu finden gewußt hätte, bekommt uns selten oder nie zu sehen. Und doch ist dieses unter allen diesen Schwierigkeiten diejenige an deren Hebung das Publikum selbst dencken könte, während als die Schriftsteller sich nur um die ersten bekümmern.
Nun glaube ich mit meinen Gedancken da zu seyn, wo der Mann war, der zuerst den kühnen Einfall hatte die philosophische Betrachtung hinter der Edicktal Citation und dem Steckbrief einher tretten zu lassen. Ein Einfall der von der feinen Menschenkenntniß dessen zeugt, der ihn gehabt hat. Er sah wie ungehindert sich dergleichen Blätter durch Boutiquen und Antichambern durchfanden, wo das Journal und die gelehrte Zeitung selten hinkommen; Dachte überhaupt zuerst recht deutlich, was man täglich dencken könnte, wenn man nur acht gäbe, daß nemlich kleine Stattneuigkeiten offt geschickter sind, als Vorreden und mythologische Einkleidung, den Rand des Kelchs zu überzuckern, aus dem ein Hausvater, den bittern Tranck der Wahrheit einziehen soll. Gewiß die meisten unsrer Leser die auch nach dem gelehrten Blatt greifen würden, wenn es allein wäre, werden es uns dennoch zu gute halten, daß man dem ohngeachtet dieses auch in unserer Statt als den Grund einer sonst seltsamen Verbindung angiebt. Wenigstens wissen wir, daß sie überzeugt sind, man müsse diese Verbindung offt einer einzigen unbekannten Person wegen treffen, die in ihrer Trägheit dahin lebt, und um ein ganz fleißiger Leser zu werden nichts braucht, als daß man ihrer Lesebegierde auf der unedlern Seite einmal die Sporen giebt, um die edlere zugleich dadurch in den Gang zu setzen. Eine von diesen Schwierigkeiten wäre also hier gehoben, Abhandlungen, die für Bücher zu klein sind, können nun hier Lesern in die Hände fallen, die sich die erweiterte Ausgabe nicht kaufen, oder sie, eben ihrer Grösse wegen, nicht lesen würden. Wie der Geschmack der Leser überhaupt befriedigt werden wird, davon kann ich nur so viel sagen, daß man die Materien nie nach einem mittlern Geschmack bearbeiten wird; denn allen alles verständlich machen zu wollen, ist just der Weg vielleicht keinen zu befriedigen. Zu dencken, daß, was uns nicht gefällt, vielleicht nicht für uns geschrieben ist, macht aber dem Gelehrten so viel Ehre, als jedem andern ehrlichen Mann, der weiter nichts ist, als ehrlich; der erste, wenn er anders ein Philosoph ist, hat ohnehin schon gelernt Fehler eintzelner Stücke ins Gantze zu vertheilen, und muß noch zugleich mit dem andern dencken, daß wenn auch seine Hofnung allemal fehlschlüge, die Summe aller dieser fehlgeschlagenen Hofnungen noch nicht 9 mggr. im vierthel Jahr betragen würde. Ausserdem aber solte ich dencken, daß wenn vorzüglich Oekonomie, Naturlehre und schöne Wissenschafften in einem Wochenblatt vorkämen, wo wäre es unmöglich den Geschmack aller Leser zu verfehlen. Der Kartenkünste und Räthsel wegen, es seyen nun tiefsinnige Metaphysische, oder eben so vieldeutige aus dem gemeinen Leben, hält wohl niemand ein Wochenblatt mehr. Lesern, die dieses nur allein suchen, sagen wir voraus, daß sie hier vergeblich suchen werden.
Oekonomische Abhandlungen werden allzeit mit vielem Vergnügen angenommen werden, doch glaubt man nicht durch Oekonomie allein, dem Theil der Aufschrifft dieses Blattes: zum Nutzen ein Gnüge zu thun, so gemäß dieses auch dem Sprachgebrauch einiger Leser scheinen mögte. Abhandlungen, die im Leben, nicht von der Seite des Brodts betrachtet, nützlich seyn können, finden hier auch statt und bedürfen am meisten der Fürsprache eines Intelligenz-Blattes um gehörig eingelassen zu werden. Die letztere Art von Aufsätzen kann verschiedene Gestalten annehmen, und durch diese auch noch besonders dem Vergnügen des Lesers genug thun. Doch wird man die Liscovische verstärckte Satyre ausschliessen müssen; nicht als ob man die ohnmächtige Gemeinde der kleinen Geister auf irgend eine Art fürchtete, sondern weil der Beyfall, den die witzigere Helffte der Leser solchen Abhandlungen schenckt, allemal durch das Anathema der wichtigeren, im Gantzen wieder aufgehoben wird. Ferner werden gewisse moralische Betrachtungen wegbleiben müssen, die sich sonst wegen der wenigen Kenntnissen, die sie erfordern, zu erst in dergleichen Blätter eingeschlichen haben, die aber doch wegen der wenigen die sie wieder andern mittheilen, am ersten verdienen ausgeschlossen zu werden. Wir meinen solche, wozu ein falsch verstandener Klopstock oder Wieland leicht einen Menschen verleiten kann, daß er nemlich mit einer pretieusen Geschwätzigkeit uns das Sittenbüchelgen paraphrasirt, und bey ganz kaltem Blut, und Empfindungen, die wir Menschen alle haben, sich in Zeilenlange Worte zwingt, so feyerlich als immer Ficktuld, wenn er in seinem Brunnen Wasser den Abdruck aller Dinge, und die Feuer-Essenz des grosen Gottes erblickt. Daß aber nicht alle Satyre ausgeschlossen werden wird, darf wohl nicht erinnert werden. Wie viel ein so[l]cher Scherz, wenn er nicht beleidigend ist, die Sitten bessere, glauben nun ohne das vorgesetzte ridiculum acri &c. auch solche Leute, die diesen Vers nicht verstehen würden. Vielleicht gewähren auch dergleichen Aufsätze denen, die sie verfertigen können noch ein vorzügliches Vergnügen; Und über die Thorheiten der Welt in einem Wochenblatt zu lachen, ist doch immer ein paar Grade süßer, als es im blosen Manuscript zu thun. Dieses hat man, so wohl für die Leser, als auch für diejenigen einrücken wollen, die willens sind uns mit ihren Beyträgen zu beehren. L.




Göttingische Gelehrte Beyträge zum Nutzen und Vergnügen 1tes Stück. Mittewochen den 6ten April 1768.