Ballade

Gedicht-, meist liedförmige Erzählung einer merkwürdigen Begebenheit.

Expl: (1) Fiktionaler Text (2) geringen Umfangs (3) in Versen, worin (4) ein konflikthaftes Ereignis (5) erzählt wird. – Zu (1): Die Fiktionalität der Ballade schließt (wie im Fall der Novelle) die historische Verbürgtheit des Geschehens nicht aus. Zu (2): Ihr geringer Umfang unterscheidet die Ballade insbesondere von der (Vers)-Novelle; er verlangt zugleich eine zügige, gegebenenfalls 'elliptische' Darbietung. Zu (3): Die vershafte (meist auch strophische) Bindung trennt die Ballade von verwandten Gattungen prosaischen Erzählens wie der Sage und dem Schwank und rückt sie (jedenfalls in der Spielart der 'Volksballade') mit anderen Gattungen sangbarer Dichtung zusammen. Zu (4): Der dargestellte Konflikt kann ebensowohl tragischen (jedenfalls ernsten) wie komischen Charakters sein. Zu (5): Die Mannigfaltigkeit der erzählerischen Darstellungsmittel erlaubt auch der Ballade den Gebrauch 'szenischer' Formen wie des Gesprächs ('Dialogballade') und des Monologs ('Rollenballade').

[Terminologisches Feld:]

Bei entsprechend engerer Fassung des Balladen-Begriffs hat man zumal im 18. Jh. die Romanze und neuerdings (weniger glücklich) das Erzählgedicht als eigene, wenngleich mit der Ballade verwandte Gattungen aufgefaßt.

Erzählgedicht: Gedicht von balladischer Prägung, jedoch ohne die im 19. Jh. dominant gewordenen 'heroischen' Züge. Stattdessen werden Elemente populärer Gattungen wie der Moritat und des Chansons aufgegriffen. Andererseits verliert sich vielfach die Sangbarkeit, und selbst das Moment des Epischen tritt oftmals in den Hintergrund.

 

WortG: Auf lat. ballare (nach griech. ballizein 'tanzen') gehen ital. ballata, prov. balada, franz. ballade 'Tanzlied' zurück. Das dem Französischen entlehnte engl. ballad, das hier nun (anders als engl. ballade!) ein volksläufiges Lied erzählenden Charakters bezeichnet, wird in dieser Bedeutung seit 1770 als Ballade (Bürger, Goethe) ins Deutsche übernommen. Die Ableitung balladisch verwendet schon Bürger (1773); gegen Ende des 19. Jhs. kommt balladesk (Liliencron, Fontane) hinzu.

In neuerer Zeit verwenden einzelne Dichter Ballade bisweilen auch im ungefähren Sinn des ital. oder franz. Wortes (Hofmannsthal: 'Ballade des äußeren Lebens', Brecht: 'Ballade vom angenehmen Leben').

Peter F.Ganz: Der Einfluß des Englischen auf den deutschen Wortschatz 1640-1815. Berlin 1957, S. 34 f. - Erwin Kircher: Volkslied und Volkspoesie in der Sturm- und Drangzeit. Ein begriffsgeschichtlicher Versuch. In: Zeitschrift für deutsche Wortforschung 4 (1903), S. 1-57, bes. S. 8–10.

BegrG: Seit seiner Einführung im späten 18. Jh. wird der Balladen-Begriff teils im engeren und teils im weiteren Sinn verstanden. Es fällt nämlich darunter teils nur der 'nordische', teils auch der 'südliche' Typus (die 'Romanze'). Noch Hans Benzmanns Anthologie 'Die deutsche Ballade' (Leipzig 1913) nennt sich im Untertitel 'Eine Auslese aus der gesamten deutschen Balladen-, Romanzen- und Legenden-Dichtung'. Seither aber hat sich der weitere Begriff (oft mit der Unterscheidung zwischen 'Volks-' und Kunstballaden') allgemein durchgesetzt.

SachG: Balladische Dichtungen hat es wahrscheinlich bei vielen Völkern schon in den ältesten Zeiten gegeben. Hierzu gehören die schwankhafte Erzählung von Ares und Aphrodite, von der die 'Odyssee' berichtet (VIII, 266-369), und im deutschen Sprachbereich das sogenannte 'Ältere Hildebrandslied' (8. Jh.). Als Gattung hat sich die Ballade jedenfalls in Deutschland erst im späteren Mittelalter ausgebildet. Erste Bezeugungen enthält vielleicht ein Gedicht des Marner (Mitte 13. Jh.); die ersten Aufzeichnungen sind (von einzelnen Vorläufern abgesehen) nicht vor dem 15. Jh. erfolgt ('Jüngeres Hildebrandslied‘). Diese später so genannte 'Volksballade' überführt das adeliger Vorzeitkunde dienende 'Heldenzeitlied' (Fromm) in die bürgerliche Welt der Zeitenwende um 1500. Das hergebrachte Corpus solcher Balladen wird insbesondere um 'Historische Volkslieder' (Episodengedichte zu historischen Ereignissen) erweitert und unter mancherlei Abwandlung der Texte (durch 'Zersingen') größtenteils weiterhin mündlich überliefert. Schon darum hat die Regelpoetik des Barock und der frühen Aufklärung (von Opitz bis Gottsched) im Kanon der Gattungen für die Ballade keinen Platz. Erst im späteren 18. Jh. geht man zunächst in Frankreich und England, dann auch in Deutschland an die Sammlung der in mündlicher Überlieferung noch lebendigen oder in schriftlicher Form (etwa durch Einblattdrucke) festgehaltenen Lieder. Unter Berufung zumal auf Macphersons vermeintliche Entdeckung des schottischen Barden Ossian (1760-1765) und die von Thomas Percy zusammengetragenen 'Reliques of Ancient English Poetry' (1765) wollen Herder und Bürger nun auch die 'Volkslieder' der Deutschen (darunter "Balladen, Romanzen, Bänkelgesänge" [Goethe]'Balladen' und 'Romanzen') ins Bewußtsein der Gebildeten, zumal der Dichter des gegenwärtigen Zeitalters, gehoben sehen. Herder selbst legt gegen Ende der siebziger Jahre seine weitgespannte Sammlung europäischer 'Volkslieder' (1778/1779) vor, und zur selben Zeit ist dem Widerstand, den die späte Aufklärung der neuen Mode leistet, mit Nicolais 'Kleynem feynen Almanach' (1777/1778) ein Vortrab dessen zu verdanken, was zu Beginn des 19. Jahrhunderts dann Arnim und Brentano mit 'Des Knaben Wunderhorn' (1806/1808) für das deutsche Volkslied unternehmen werden. Bereits in die siebziger Jahre fallen auch die ersten Versuche einer Fortführung und Erneuerung der 'Volksballade' – fällt die Begründung der deutschen 'Kunstballade' im Göttinger Hainbund, durch Höltys 'Adelstan und Röschen' (1771), mit epochaler Wirkung dann durch Bürgers 'Lenore' (1773). Gleichfalls in diesen Jahren entstehen Goethes erste Balladen – von denen eine, der 'Klaggesang von der edlen Frauen des Asan Aga', die Nachbildung einer serbokroatischen Volksballade, zugleich die Spielart der in stichischer (statt strophischer) Form abgefaßten Ballade begründet. Wenig später prägt ebenfalls Goethe zumal mit dem 'Erlkönig' (1782) den Typus der 'numinosen' Ballade exemplarisch aus. Der neue Standard jedoch, den Goethe und Schiller mit den Produktionen des "Balladenjahrs" 1797 setzen, indem sie die Gattung nach Stoff, Gehalt und Form auf die Grundsätze der Weimarer Klassik verpflichten, insbesondere Schillers Konzept der 'Ideenballade' ('Die Bürgschaft'), wird schon von den Dichtern der Romantik kaum mehr anerkannt. Stattdessen breitet sich nach dem Erscheinen des 'Wunderhorns', wohl auch im Gefolge der Freiheitskriege, die 'vaterländische' Ballade sagenhafter und historischer Richtung erheblich aus (Uhland, Strachwitz, Geibel). Das spätere 19. Jh. bietet ein diffuses Bild: ein "undeutliches Neben- und Ineinander romantischer, 'biedermeierlicher', vormärzlich-jungdeutscher und sonstiger [...] Bestrebungen" (Laufhütte) – darunter auch allerlei Versuche, der Gattung die Lebenswelt der Gegenwart zu erschließen. So bildet sich auf der Spur von Goethes 'Vor Gericht' (um 1775) nun erst die Spielart der 'Sozialen Ballade' heraus (Chamisso, Heine, Droste-Hülshoff). Im übrigen fällt die Balladik des 19. Jhs. außer durch einzelne Meisterwerke (Mörike, C.F. Meyer, Fontane) besonders durch ihre inflationäre Menge auf – mithin auch dadurch, daß sie je später desto mehr epigonale (auch dilettantische) Züge trägt. Als gegen Ende des 19. Jhs. im Zeichen der 'Moderne', die in Deutschland mit dem Naturalismus beginnt, die Ballade (wie in geringerem Maß auch die Novelle) obsolet zu werden droht, unternimmt ein Kreis um Münchhausen (Miegel, Strauß und Torney) den Versuch einer Restauration der Gattung nach dem Muster der 'Heldenballade' romantischer Prägung – der Jahrzehnte später bequem in die Literaturpolitik des Nationalsozialismus eingepaßt werden kann. Gleichfalls um 1900 leitet (neben anderen) Wedekind eine Erneuerung der Ballade dadurch ein, daß er sie (noch halb parodistisch) mit Elementen des populären Bänkelsangs versetzt ('Der Tantenmörder'). Auf diesem Wege folgt ihm in den zwanziger Jahren Brecht, dessen Balladen ihrerseits den 'Liedermachern' der letzten Nachkriegszeit (Biermann, Degenhardt) zum Muster dienen. Daneben greift die Balladendichtung des 20. Jhs. immer wieder auch auf die ältere Ballade zurück – bald in strengerer (Kolmar), bald in freierer Gestaltung (Bobrowski).

Hans Fromm: Das Heldenzeitlied des deutschen Hochmittelalters. In: Balladenforschung (s. Lit.) – Goethe: Claudine von Villa Bella. HA 4, S. 240 – Laufhütte: Deutsche Balladen (s. Lit.)

ForschG: Was die ältere, die sog. 'Volksballade' betrifft, so mußte die Forschung das größtenteils mündlich Überlieferte zunächst einmal sammeln und sichern, bevor sie versuchen konnte, das erstmals von Uhland 1844/1845 (später unter anderem von Erk und Böhme, Meier, schließlich vom Deutschen Volkslied-Archiv) zuverlässig edierte Material historisch und systematisch zu ordnen. Diese Aufgaben hat im wesentlichen die Volkskunde wahrgenommen, während die Literaturwissenschaft ihr Augenmerk so gut wie ganz der neueren Kunstballade gewidmet hat. Im Vordergrund des Interesses standen (1) die Definition, (2) die Typologie, (3) die Genese der Gattung.

(1) Das 'Wesen' der Ballade hat mit lange anhaltender Wirkung Goethe dahingehend bestimmt, daß in ihr "die Elemente" der Dichtung, nämlich das Lyrische, das Epische und das Dramatische, "noch nicht getrennt, sondern wie in einem lebendigen Ur-Ei zusammen sind". Das mochte im Zeitalter der 'klassischen' Ästhetik der Unbequemlichkeit Rechnung tragen, daß die Ballade sich im Gefüge der lyrischen Gattungen (neben Lied, Ode, Hymne, Sonett usw.) nicht recht unterbringen ließ. Erst vergleichsweise spät hat sich die Literaturtheorie aus dem Schatten des Goetheschen Aperçus gelöst und die Ballade in die Reihe der epischen Gattungen (neben Sage, Schwank, Anekdote, Novelle usw.) gestellt – ohne sich davon beirren zu lassen, daß die Ballade durch die Gespanntheit der Handlung dem Dramatischen und durch die Anteilnahme des Sprechers dem Lyrischen verwandt erscheint.

(2) Während sich die namhaftesten Ästhetiker des 19. Jhs., Hegel und Vischer, noch damit beschieden haben, die hergebrachte Unterscheidung zwischen 'Balladen' und 'Romanzen' systematisch zu begründen, hat die spätere Literaturtheorie auf diesem Gebiet die nunmehr eine Gattung meist in eine Vielzahl von Arten, und kaum je dieselben, zu unterteilen gesucht. Einige solche Arten führen seitdem auch recht passende Namen – so die 'Helden-', die 'Geister-', die 'Ideenballade'. Systematisch wohlbegründete Typologien sind allerdings selten geblieben. Im Anschluß an Goethes Bemerkungen über die Ballade als "Urei", in dem die "Naturformen der Dichtung" noch vereinigt seien, hat der Slavist Neumann 1937 den von der Deutschen Philologie leider kaum beachteten Vorschlag gemacht, in erster Instanz zwischen epischen, lyrischen und dramatischen Balladen zu unterscheiden. Die von Hinck 1972 ins Gespräch gebrachte Dichotomie von "nordischer" und "Legendenballade", aus dem Gesichtspunkt der Aktivität / Passivität des 'Helden', hat sich wohl schon darum nicht auf Dauer zu bewähren vermocht, weil sie im Grunde nur die Auffassung bestreiten sollte, die Gattung falle mit der Spielart 'Heldenballade' so gut wie vollständig zusammen. Fruchtbarer ist Hassensteins 1986 unternommene Typologie: die das Corpus unter Bezugnahme auf Jolles' 'Einfache Formen' (1930) nach "Erzählmustern" einzuteilen empfiehlt in 'Sagen-', 'Anekdoten-', 'Parabel-' und 'Schwankballaden'.

(3) Die vieldiskutierte Frage, ob die Geschichte der Kunstballade mit Hölty oder mit Bürger beginnt, also schon im Zeichen der 'Romanze' nach romanischem oder erst im Zeichen der 'Ballade' nach englischem Muster, kann heute für geklärt gelten in der Weise, daß die 'Romanzen' Gleims (und seiner Nachfolger) die 'Balladen' Bürgers (und Goethes) nur vorbereitet haben. Den entscheidenden Anstoß hat nämlich Herder gegeben: im II. Teil der 'Fragmente' (1767) und mit dem 'Auszug aus einem Briefwechsel über Ossian und die Lieder alter Völker' (1773). Erst seitdem gibt es neben der Volks- die Kunstballade – mit Bürgers 'Lenore' als Prototyp. Die von den Romantikern um 1800 herbeigeführte Erneuerung der 'Romanze' spanischer Prägung gehört dann schon der neueren Balladen-Geschichte an.

Die künftige Forschung wird insbesondere Laufhüttes 'Grundlegung einer Gattungsgeschichte' zu überprüfen und fortzuführen haben.

Goethe: Ballade. Betrachtung und Auslegung. WA I 41/1, S. 223-227.

Lit: Balladen. Hg. v. John Meier. 2 Bde. Leipzig 1935. - Das große deutsche Balladenbuch. Hg. v. Beate Pinkerneil. Königstein (Ts) 1978. - Deutsche Balladen. Hg. v. Hartmut Laufhütte. Stuttgart 1991. - Deutsche Volkslieder mit ihren Melodien. Hg. v. Deutschen Volksliedarchiv. Bd. 1-4: Balladen. Berlin 1935-1959. - Deutsche Volkslieder. Texte und Melodien. Hg. v. Lutz Röhrich und Rolf Wilhelm Brednich. Bd. 1: Erzählende Lieder. Düsseldorf 1965. - Deutschland's Balladen- und Romanzendichter. Hg. v. Ignaz Hub. Karlsruhe 1846. - Die deutsche Ballade. Hg. v. Hans Benzmann. 2 Bde. Leipzig 1913. - Neue deutsche Erzählgedichte. Hg. v. Heinz Piontek. Stuttgart 1964. - Volkslieder. Hg. v. Johann Gottfried Herder. 2 Bde. Leipzig 1778/1779.

Balladenforschung. Hg. v. Walter Müller-Seidel. Königstein (Ts) 1980. - Rolf Brednich: Schwankballade. In: Handbuch des Volksliedes, Bd. 1 (1973), S. 157-203. - Die deutsche Ballade. Wege zu ihrer Deutung auf der Mittelstufe. Hg. v. Kurt Bräutigam. Frankfurt 1962. - Winfried Freund: Die deutsche Ballade. Theorie, Analysen, Didaktik. Paderborn 1978. - Gedichte und Interpretationen: Deutsche Balladen. Hg. v. Gunter E. Grimm. Stuttgart 1988. - Geschichte im Gedicht. Hg. v. Walter Hinck. Frankfurt 1979. - Rupert Hirschenauer, Albrecht Weber: Wege zum Gedicht, Bd. 2: Interpretation von Balladen. München, Zürich 1963. - Gerhard Köpf: Die Ballade. Probleme in Forschung und Didaktik. Kronberg (Ts) 1976. - Börries von Münchhausen: Meister-Balladen. Ein Führer zur Freude. Stuttgart, Berlin 1923. - Probleme der Volksballadenforschung. Hg. v. Elisabeth Pflüger-Bouillon. Darmstadt 1975. - Gottfried Weißert: Ballade. Stuttgart 1980.

Ludwig Chevalier: Zur Poetik der Ballade. In: Jahresberichte des K.K. Staats-Obergymnasiums in Prag-Neustadt. 10 (1891), S. 3-61; 11 (1892), S. 3-56; 13 (1894), S. 3-39; 14 (1895), S. 3-26. - Adalbert Elschenbroich: Anfänge einer Theorie der Ballade im Sturm und Drang. In: JbFDtHochst. 1982, S. 1-56. - Friedrich Hassenstein: Die deutsche Ballade. Grundlagen und Beispiele. Hannover 1986. - Walter Hinck: Die deutsche Ballade von Bürger bis Brecht. Versuch einer Neuorientierung. Göttingen 1968. - Hartmut Laufhütte: Die deutsche Kunstballade. Grundlegung einer Gattungsgeschichte. Heidelberg 1979. - Rolf Schneider: Theorie der Ballade. Diss. [Masch.] Bonn 1950.

Wolfgang Kayser: Geschichte der deutschen Ballade. Berlin 1936. - Karl Riha: Moritat, Song, Bänkelsang. Zur Geschichte der modernen Ballade. Göttingen 1965. - Ulrike Trumpke: Balladendichtung um 1770. Ihre soziale und religiöse Thematik. Stuttgart, Berlin 1975.

Christian Wagenknecht