Bereits früh hielten die Mitglieder der "kleinen Göttinger Fakultät" Vorträge in ganz Norddeutschland und begannen auf diese Weise, ihre wissenschaftlichen Forschungsergebnisse in kirchlichen und gemeindlichen Kreisen bekannt zu machen. Neben die Untersuchungen des zeitgenössischen Judentums traten nun sporadisch Untersuchungen zur hellenistischen Religion als demjenigen Hintergrund, auf dem die neutestamentlichen Schriften entstanden waren, und ihrem Einfluß auf den Kultus des jungen Christentums. Gleichzeitig grenzten sich die "Religionsgeschichtler" - die "Jungen" - weiter von den Bewahrern des Erbes Ritschls - den "Alten" - ab [Die Termini beziehen sich dabei nicht auf das Lebensalter der Personen, sondern auch ihr Stellung contra bzw. pro Ritschl]: "Die Abkehr von Ritschl vollzog sich zunächst durch die Entdeckung des 'Spätjudentums', sodann durch die Erkenntnis der hellenistischen Religionswelt als entscheidenden historischen Voraussetzungen der neutestamentlichen Schriften" [Gerd Lüdemann, Die Religionsgeschichtliche Schule, in: Bernd Moeller, Theologie in Göttingen. Eine Vorlesungsreihe, Göttinger Universitätsschriften A1, Göttingen 1987, S. 325-361, hier S. 335 Anm. 55; Hervorhebungen im Original].
1895 waren fast alle Mitglieder der "kleinen Göttinger Fakultät" an andere Universitäten berufen worden [Zu diesem Zeitpunkt waren lediglich Bousset und Rahlfs, der sich allerdings inzwischen ausschließlich Spezialstudien am griechischen Text des Alten Testaments widmete und sich an keiner der für die anderen "Religionsgeschichtler" typischen Aktivitäten beteiligte, noch in Göttingen]. Dort traf ihr Wirken zumeist auf fruchtbaren Boden. Doch außer Hackmann, der schon 1894 nach Asien aufgebrochen war, blieben die "Religionsgeschichtler" untereinander in ständigem Kontakt und wirkten auch weiterhin in denselben Gruppen mit ("Christliche Welt" bzw. "Freunde der Christlichen Welt", "Wissenschaftlicher Predigerverein" u.a.). Diese Zeitspanne ist anfangs gekennzeichnet von Dialogbereitschaft auf allen Seiten der "liberalen" Theologie. Diskussionen zwischen unterschiedlichen, ja oft gegensätzlichen theologischen Positionen wurden zwar vehement, aber sachlich in "liberalen" Publikationsorganen geführt. Zum wichtigsten Diskussionsforum entwickelte sich die Zeitschrift "Christliche Welt". Obwohl diese von Martin Rade u.a. 1886 ohne jegliche kirchen- oder parteipolitischen Bindungen gegründet wurde, hatten sich viele "konservative" Mitarbeiter schon bald zurückgezogen. In den Jahren kurz vor der Jahrhundertwende bestand der Autorenkreis der "Christlichen Welt" fast ausschließlich aus "liberalen" Mitarbeitern Ritschl'scher Prägung, und zwar verstärkt aus Mitgliedern der "Jungen". Der Vorwurf, Rade würde den "Jungen" in seiner Zeitschrift zu viel Raum gewähren, wurde von ihm zurückgewiesen mit dem Hinweis, daß ja erst die mangelnde Mitarbeit der "Alten" das Emporkommen der "Jungen" fördern würde.
Die in lockerer Folge einberufenen Eisenacher Zusammenkünfte der "Freunde der Christlichen Welt" boten jedes Jahr Gelegenheit zu Aussprache und Diskussion. Gerade der hier in Vorträgen der "Religionsgeschichtler" propagierte (historische) Radikalismus bot Zündstoff für erhitzte Debatten zwischen "alt" und "jung" [Die Vorträge der Mitglieder der "kleinen Göttinger Fakultät" waren: Bousset, Der geschichtliche Christus (1893); Weiß, Die gegenwärtige kirchliche Lage (1893); Troeltsch, Über den Begriff der Offenbarung (1895); Gunkel, Zum religionsgeschichtlichen Verständnis des Neuen Testaments (1901)]. Auf der Versammlung von 1896 ging es besonders kontrovers zu. Hier wurde in der Debatte über die Vorträge von Julius Kaftan ("Das Verhältnis des evangelischen Glaubens zur Logoslehre") und Adolf Harnack ("Die gegenwärtige Lage des Protestantismus") die eigentliche Trennung zwischen "alt" und "jung" innerhalb des Freundeskreises der "Christlichen Welt" eingeleitet.
In ChW 12 setzte sich Kattenbusch 1898 eingehend mit der durch den Einbruch der "Jungen" geschaffenen theologischen Lage auseinander. Dabei wird der Kritikpunkt deutlich:
Troeltsch wollte zu dieser Kritik nicht schweigen und formulierte die Trennungspunkte zwischen "alt" und "jung" seinerseits noch im selben Jahrgang der ChW:
Die Forderung Troeltschs nach radikaler historischer Forschung ohne dogmatische Rücksichten macht noch einmal die Abgrenzung von Ritschl und dessen Anhängern deutlich. Alf Özen, 1996
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