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Die "Religionsgeschichtliche Schule"

Der "religionsgeschichtliche Ansatz" oder: das "Programm" der "Religionsgeschichtlichen Schule"

Hermann Gunkel beschrieb 1903 das "Programm der Religionsgeschichtler" allgemein:

    "Die 'religionsgeschichtliche' Forschung will mit der Erkenntnis vollen Ernst machen, daß die Religion, auch die b i b l i s c h e Religion, wie alles Menschliche ihre G e s c h i c h t e hat. Das Leben der Menschheit ist Geschichte, d.h. es ist ein ungeheures Lebendiges, ein großes Ganzes, ein gewaltiger Zusammenhang, in dem alles Frucht ist und alles Samen. Und in diese viel umschlungene Kette von Ursache und Wirkung gehört auch die Religion mitten hinein. Nur aus diesem Zusammenhang kann sie verstanden werden. Die religionsgeschichtliche Betrachtung [...] besteht also in dem beständigen Aufachten auf den geschichtlichen Zusammenhang jeder einzelnen religiösen Erscheinung; wir fragen immer wieder: warum ist sie gerade an d i e s e m Punkt der Geschichte entstanden und an keinem andern? was mußte vorausgehen, daß sie so werden konnte, wie sie vorliegt? wie pflegen überhaupt solche Erscheinungen zu werden? [...] Und keine Rede davon, daß diese religionsgeschichtliche Betrachtung da zu verstummen hätte, wo der einzelne große Mensch von seinem persönlichen Leben redet. Im Gegenteil, dies gerade ist unsere schönste Aufgabe, jenes persönliche Leben, das wir nachfühlend in uns wiederholen, als wäre es unser eigenes, im Zusammenhange der großen Geschichte zu sehen: Ein Wassertropfen, die Sonne widerspiegelnd! Diese gewaltigen Personen zu belauschen, zu erkennen, wie auch sie geworden sind nach der geheimnisvollen Ordnung Gottes, die alles zusammenhält und in allem Mannigfaltigen immer dieselbe ist, dies wahre, intime, geschichtliche Verständnis der großen Personen der Religionen, das ist die K r o n e d e r 'R e l i g i o n s g e s c h i c h t e'."
      (Hermann Gunkel, Rezension von Max Reischle: Theologie und Religionsgeschichte, in: DLZ 25 [1904], Sp. 1100-1110, hier Sp. 1109f; Hervorhebungen im Original.)
Alf Özen, 1996