William S. Burroughs: Junkie

Frankfurt a.M.: Zweitausendeins, 1978

EST: William Lee [Pseud.]: Junkie (1953)

Es wird oft gefragt, wie es dazu komme, daß jemand rauschgiftsüchtig wird. Ein Süchtiger wird darauf in der Regel antworten, daß es so nicht geplant war. Man wacht nicht eines schönen Morgens auf und beschließt, von nun an ein Leben als Rauschgiftsüchtiger zu führen. Man muß sich erst mindestens drei Monate lang zweimal am Tag einen Schuß setzen, um überhaupt so etwas wie eine Sucht zu entwickeln. Und was Entzugserscheinungen sind, daß weiß man erst wirklich, wenn man die Droge schon ein paarmal abgesetzt hat. Bei mir dauerte es sechs Monate, bis ich meine erste Sucht hatte; und als ich nichts mehr nahm, waren die Entzugserscheinungen harmlos. Ich glaube, es ist keine Übertreibung, wenn man sagt, daß einer erst nach einem Jahr, d.h. nach mehreren hundert Injektionen, eine echte Sucht am Hals hat

[...]

Ich habe es nie bereut, daß ich Drogen genommen habe. Ich glaube, daß ich nach all den Jahren, in denen ich - mit gelegentlichen Unterbrechungen - auf Junk war, heute bei besserer Gesundheit bin, als ich es wäre, wenn ich nie süchtig gewesen wäre. Wer nicht mehr wächst, der hat schon angefangen zu sterben. Ein Süchtiger hört nie auf, zu wachsen. Die meisten machen von Zeit zu Zeit einen Entzug, was zur Folge hat, daß der Organismus zunächst schrumpft und dann die junk-abhängigen Zellen nach und nach ersetzt. Der Körper eines Süchtigen befindet sich in einem ständigen Prozeß von Zellschrumpfung und Erneuerung, von einem Schuß zum nächsten.

[...]

Ich habe die Junk-Gleichung begriffen. Junk ist nicht wie Alkohol oder Marihuana ein Mittel zu erhöhtem Lebensgenuß. Junk ist kein Rausch. Es ist eine Lebensweise.

[aus dem Vorwort, S. 22 ff]

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