Transkulturelles Lernen

Kulturverständnis und internationale Zusammenarbeit

Internationale Zusammenarbeit ist in ihrer konkreten Gestaltung in erster Linie die Zusammenarbeit von Menschen mit unterschiedlichen kulturellen Orientierungen, ganz unabhängig davon, welche Aufträge in welchen institutionellen Bezügen sie erfüllen. Dabei aber können sie schon deshalb nicht Vertreter von "Nationalkulturen" sein, weil dieser Begriff explizit oder implizit die Einheit von Territorium, Staatszugehörigkeit, Ethnizität, Sprache und womöglich gar noch von Religion, Weltanschauung und Verhaltenstypik voraussetzt, die empirisch für real existierende Staaten nicht nachgewiesen werden kann und wohl auch historisch eher ideologischen Charakter hatte, nicht aber ein reales Phänomen bezeichnete. Kulturelle Sachverhalte lassen sich nicht mit geographischen, politischen oder linguistischen Kategorien erfassen.

Die Bezeichnung "internationale Zusammenarbeit" akzentuiert noch die ältere Vorstellung, daß es Vertreter von Nationalstaaten sind, die bei bestimmten Aufgaben kooperieren. Sie suggeriert zugleich, daß die Zugehörigkeit von Menschen zu einem Bezugssystem "Nation" (konkret "Staat") die ausschlaggebende Einflußgröße für solche Zusammenarbeit ist. Schon seit einigen Jahren wird jedoch der Begriff "international" in einzelnen Bereichen solcher Zusammenarbeit vom Begriff "interkulturell" abgelöst. "Interkulturelles Management", "interkulturelle Theaterarbeit", "interkulturelle Mediation" sind Beispiele dafür. Damit wird hervorgehoben, daß nicht die Staatsbürgerschaft, sondern die kulturellen Orientierungen der Beteiligten ein für Erfolg oder Mißerfolg der Zusammenarbeit entscheidender Faktor sind, ihre Werte und Normen, ihre Verhaltensweisen und ihre Deutungsmuster, ihre Kommunikationsstile und ihre Menschenbilder, ihre Vorstellungen von Zeit und Raum (Flechsig 2000). Das schließt nicht aus, daß auch die staatlichen und institutionellen Aufträge, die bei der Zusammenarbeit zu erfüllen sind, weiterhin wichtige Faktoren sind.

Wenn im vorliegenden Zusammenhang die "kulturellen Orientierungen" von Individuen und nicht die (vermeintlichen) Eigenschaften von Kollektiven ("Volkscharakter", "Nationalcharakter") den Ausgangspunkt unserer Überlegungen bilden, so geschieht dies aus folgenden Gründen: Zum einen soll dies betonen, daß sich der Begriff "transkulturelles Lernen" zunächst immer auf die Veränderung und Entwicklung der kulturellen Orientierungen von Individuen bezieht. Diese können sich dann auch auf Kollektive auswirken und zu kulturellem Wandel führen. Dies muß aber nicht der Fall sein. Zweitens aber wird damit die immer noch weit verbreitete Auffassung, daß die kulturellen Orientierungen von Menschen aus ihrer Zugehörigkeit zu nur einem kulturell homogenen Kollektiv abgeleitet werden können - sei dieses nun als "Volk", als "Nation", als "Land", als "Kultur" oder als "Staat" bezeichnet - in ihren ideologischen Voraussetzungen zurückgewiesen. Die Tatsache, daß sich Menschen ihre kulturellen Orientierungen in sozialen Kontexten, und zwar in einer Vielzahl sozialer Bezugssysteme und über sozial vermittelte Konstrukte aneignen, steht dazu nicht im Widerspruch.

Die kulturellen Orientierungen derjenigen, die bei Projekten internationaler Zusammenarbeit - auftragsgemäß und informell - einander begegnen und einander helfen, Programme entwerfen und Lösungen suchen, Konflikte bearbeiten und Neues gestalten, sind entsprechend komplex. Die kulturelle Orientierung jedes einzelnen spiegelt eine Vielfalt kultureller Bezugssysteme wider: Sie können zugleich Weltbürger, Europäer, Bürger der Bundesrepublik Deutschland oder Bayer sein. Sie können sich gleichzeitig auch einer Generationskultur, einer Organisationskultur, einer Weltanschauung, einer Religionsgemeinschaft oder einer Profession zugehörig fühlen. Sie können einen bestimmten Lebensstil verkörpern. Und sie entscheiden letztlich darüber, welche dieser Bezugssysteme überhaupt und in einer gegebenen Situation für sie welche Bedeutung haben. Diese Form einer "komplexen kulturellen Identität" moderner Menschen eröffnet - wie noch zu zeigen sein wird - die Chance transkultureller Projekte und transkulturellen Lernens.

Dies aber bedeutet, daß in konkreten Situationen internationaler Zusammenarbeit nicht nur Interessen und Aufträge von Organisationen aufeinandertreffen, sondern immer auch - oder gar in erster Linie - Personen als komplexe kulturelle Persönlichkeiten. Daß daneben auch individuelle Persönlichkeitsmerkmale und individuelle Beziehungsprobleme eine Rolle spielen können, ist anzunehmen, soll aber in unserem Zusammenhang nicht das Thema sein.

Schöfthalers Konzept einer transkulturellen Erziehung

In bezug auf die Erziehung in multikulturellen Gesellschaften hat Schöfthaler darauf hingewiesen, daß es zwei Grundkonzepte von prinzipiell kosmopolitisch gemeinter Erziehung gibt, "multikulturelle" und "transkulturelle Erziehung" (Schöfthaler 1984). Dabei zeichnet sich multikulturelle Erziehung dadurch aus, daß sie für Kinder von Minderheiten Förderungsprogramme vorsieht, um ihnen bessere Chancen zu vermitteln, sich in der - letztlich von der dominanten Mehrheit bestimmten Gesellschaft - zu behaupten. Die Kinder der Mehrheit sind von diesem Erziehungskonzept im Grunde nicht betroffen. Transkulturelle Erziehung hingegen zeichnet sich dadurch aus, daß sie Kinder von Mehrheiten und Minderheiten betrifft. Sie müsse "den Schülern dabei helfen, die Selbstverständlichkeiten der eigenen Kultur zu überschreiten. Wenn erkannt werde, daß die Deutung einer fremden Kultur eine Deutung der eigenen Kultur einschließt, sei eine Voraussetzung für das 'Lernen von fremden Kulturen' gegeben: Neue Informationen über Fremdkulturen sind dann auch neue Informationen über die eigene Kultur" (a. a. O., S. 16).

Konzepte transkultureller Erziehung implizieren jedoch darüber hinaus unterschiedliche Vorstellungen von "Weltgesellschaft". "So sind kulturelle Differenzen für multikulturelle Erziehungskonzepte Varianten oder organisierende Faktoren einer sich durchsetzenden Weltgesellschaft. Für Konzepte transkultureller Erziehung hingegen ist die Erhaltung kultureller Differenzen auch die Erhaltung von Widerstandspotentialen gegen die Herrschaft des Stärksten in der Weltgesellschaft" (a. a. O., S. 19).

Hervorzuheben ist bei diesem Gedanken, daß transkulturelle Erziehung also nicht dazu tendiert, Monokulturen generell und Welt-Monokultur im besonderen zu unterstützen oder zu entwickeln; sie ist immer auch auf die Weiterentwicklung von Einzelkulturen gerichtet, seien es Mehrheits- oder Minderheitenkulturen. Diese Weiterentwicklung, so muß man hinzufügen, schließt für beide kulturtranszendierende Momente ein. Diese werden einerseits durch kulturelle Selbstreflexion und wechselseitig verbessertes Fremdverstehen gestützt, andererseits durch das Bewußtsein, in einer Welt zu leben und durch Nutzung aller kulturellen Potentiale Lebens- und Überlebensaufgaben zu lösen. Daß dabei von jedem Individuum und jedem Kollektiv immer auch Verzicht auf einzelne kulturelle Traditionen und Gewohnheiten verlangt wird, ist in jedem Entwicklungsgedanken mit enthalten. Transkulturelle Erziehung ist somit immer auch gegen den status quo von Kultur gerichtet. Ihre Gegner wird sie deshalb vor allem im Lager von Fundamentalisten finden.

Transkulturalität als Kern eines veränderten Kulturverständnisses

Es ist das Verdienst von W. Welsch, mit dem Begriff "Transkulturalität" auf einen Sachverhalt aufmerksam gemacht zu haben, der im Zusammenhang mit weltweit stattfindenden neueren Entwicklungen zunehmend Bedeutung erlangt (Welsch 1998). Welsch weist darauf hin, daß unser Kulturbegriff, der im 18. Jahrhundert entstand und seit dem 19. Jahrhundert bis in unsere Gegenwart vorherrschend ist. Dieser meint letztlich noch immer Einheiten, in denen biologische ("Rasse"), geographisch-territoriale ("Land"), ethnische ("Volk"), historische ("Tradition"), linguistische ("Sprache"), moralische ("Werte und Normen") und politische ("Staat") Grenzen zusammenfallen. Dieser Kulturbegriff legte und legt die Unterscheidung von "eigener" und "fremder" Kultur nahe, von denen die eine innerhalb des eigenen Territoriums, die anderen außerhalb angesiedelt waren. Abweichende Verhältnisse konnten so als Anomalien gelten, die es abzuwehren galt und gilt, mit gesetzgeberischen Maßnahmen bis hin zu Maßnahmen "ethnischer Säuberung". Doch "die Kulturen haben de facto nicht mehr die unterstellte Form der Homogenität und Separiertheit" (Welsch, a. a. O., S. 40).

Welsch hat dies wie folgt charakterisiert: "Die traditionelle Beschreibung von Kulturen als Inseln oder Sphären ist in deskriptiver Hinsicht falsch, weil Kulturen heute intern durch eine Lokalisierung der Identitäten ausgezeichnet sind und extern durch grenzüberschreitende Konturen" (a. a. O., S. 42).

Soweit wir - wie in Deutschland - nicht schon von der Geschichte her eher als "kulturelle Mischlinge" denn als kulturell homogene Population zu sehen sind, haben Entwicklungen in neuerer Zeit dazu geführt, daß "kulturelle Reinheit" auf diesem Globus nur noch auf ganz wenigen kleinen Territorien zu finden ist, die eher den Charakter von Reservaten als den von Gesellschaften haben. Zu diesen Entwicklungen gehören im besonderen

Als Konsequenz dieser Entwicklungen fordert Welsch: "Es kommt künftig darauf an, die Kulturen jenseits des Gegensatzes von Eigenkultur und Fremdkultur zu denken" (a. a. O., S. 39) und das Konzept der "Transkulturalität" ernst zu nehmen. Dieses "zielt auf ein vielmaschiges und inklusives, nicht auf ein separatistisches und exklusives Verständnis von Kultur. Es intendiert eine Kultur, deren pragmatische Leistung nicht in Ausgrenzung, sondern in Integration besteht. Stets gibt es im Zusammentreffen mit anderen Lebensformen nicht nur Differenzen, sondern auch Anschlußmöglichkeiten. Solche Erweiterungen, die auf die gleichzeitige Anerkennung unterschiedlicher Identitätsformen innerhalb einer Gesellschaft zielen, stellen heute eine vordringliche Aufgabe dar" (a. a. O., S. 43).

Um Mißverständnisse zu vermeiden, sei unterstrichen, daß Transkulturalität nicht mit der Entwicklung globaler Monokultur verwechselt werden darf. Vielmehr ist das Gegenteil der Fall: Transkulturalität setzt die Vielfalt kultureller Bezugssysteme voraus. Wenn auf den einzelnen Territorien wie auch auf dem Globus insgesamt die Vielfalt kultureller Bezugssysteme nicht nur erhalten bleiben, sondern auch weiterentwickelt werden soll, bedarf es bestimmter übergeordneter Regulative und Vereinbarungen (z. B. von Menschenrechten). Solche Regulative dürfen sich jedoch nicht auf Vereinbarungen bloßer "Toleranz" von Verschiedenheit beschränken. Sie müssen vielmehr wechselseitige Akzeptanz und intensive Kommunikation ebenso wie die Kooperation an Aufgaben von gemeinsamer Bedeutung und die Erzeugung neuer kultureller Entwürfe einschließen. Und diese Regulative müssen zur Absicherung kultureller Vielfalt dienen.

Komplexe kulturelle Identität als Grundlage und Chance für transkulturelles Lernen

Eng verbunden mit dem von Welsch charakterisierten neuen Kulturverständnis ist eine veränderte Auffassung von kultureller Identität. Kulturelle Identität kann dann nicht mehr verstanden werden als Identifizierung einer Person mit einem einzigen Kollektiv (mit welchem auch immer). Angesichts der Vielfalt kultureller Bezugssysteme, die moderne Gesellschaften mit starken individualistischen Orientierungen anbieten, nimmt kulturelle Identität einen komplexen Charakter an; d. h. Individuen können sich identifizieren (und werden identifiziert) mit jeweils mehreren dieser Bezugssysteme: "Wenn ein Individuum durch unterschiedliche kulturelle Anteile geprägt ist, wird es zur Aufgabe der Identitätsbildung, solche transkulturellen Komponenten miteinander zu verbinden. Nur transkulturelle Übergangsfähigkeit wird uns auf Dauer noch Identität und so etwas wie Autonomie und Souveränität verbürgen können" (Welsch, a. a. O., S. 43).

Bei dieser Identitätsbildung können diese Bezugssysteme mit unterschiedlichen Anteilen wirksam sein. Wahrnehmung und Darstellung kultureller Identität können dann abhängig sein von Situationen und Kontexten. Kulturelle Identität kann sich im Laufe eines Lebens entwickeln und verändern. Vorstellungen, die Menschen von ihrer eigenen kulturellen Identität haben, sind dann entsprechend als individuell (bewußt oder unbewußt) gewählte und erzeugt Konstrukte anzusehen, die zwar auf die in der Gesellschaft sozial vermittelten Konstrukte von kulturellen Bezugssystemen zurückgreifen, jedoch persönliche Gestalt angenommen haben.

Komplexe kulturelle Identität im beschriebenen Sinn eröffnet Chancen für transkulturelle Orientierungen und transkulturelles Lernen: Die an der Zusammenarbeit beteiligten Partner (Individuen oder Gruppen) können Gemeinsamkeiten in bezug auf das eine oder andere ihrer kulturellen Bezugssysteme erfahren, während in bezug auf andere Bezugssysteme Differenzen fortbestehen. Sie können beispielsweise feststellen, daß sie an der gleichen Hochschule studiert haben und von deren "Organisationskultur" beeinflußt wurden. Sie können gemeinsame weltanschauliche Grundlagen entdecken. Sie können ihre generationsbedingten, professionellen oder disziplinären Gemeinsamkeiten betonen. Und sie können vielleicht entdecken, daß sie einen ähnlichen Lebensstil pflegen.

Damit sind in der Regel Lernprozesse verbunden. Zum einen bekommen Vorstellungen und Vorurteile von "Eigenem" und "Fremdem" Risse: Etwas kulturell Eigenes findet sich auch beim Anderen wieder; was als Spezifikum des Fremden angesehen wurde, entpuppt sich als Element des eigenen kulturellen Selbst. Das Repertoire kognitiver Schemata, das ja in solche kulturelle Bezugssysteme eingebettet ist, wird in dem Maße erweitert, wie die Menge dieser Bezugssysteme verfügbar ist (Flechsig 1998).

Verfügbare eigene kognitive Schemata können auf diese Weise Anwendung finden auf das Verstehen von vermeintlich "Fremden", ohne daß die Gefahr von Mißverstehen oder gar von Vereinnahmung entsteht. Kulturkontrasterfahrungen werden dann nicht nur auf Differenzen (die meistens interessanter sind) hin geprüft, sondern auch auf ihre gemeinsamkeitsstiftenden Elemente, ihre "Anschlußmöglichkeiten" im Sinne von Welsch.

Über das Verstehen hinaus, ist es so auch leichter, Akzeptanz eines zunächst als fremd erscheinenden Verhaltens zu erreichen, wenn man in ihm eigene kulturelle Motive entdeckt. Und schließlich eröffnet sich die Möglichkeit "transkultureller Kreativität", d. h. der Entwicklung kultureller Lösungen, die den Lösungen der jeweiligen kulturellen Ausgangsorientierungen überlegen sind und auf diese zurückwirken.

Grundannahme für die folgenden Überlegungen ist demnach, daß in modernen oder in sich modernisierenden Gesellschaften in der Regel Personen und Gruppen mit komplexer kultureller Identität einander begegnen. Der seltene Fall von isoliert in fernen Regionen lebenden „Stämmen" von „Eingeborenen" ohne Kontakt zur Außenwelt soll somit ausgeklammert bleiben. Auf diese Weise können wir uns dann dem Phänomen von Transkulturalität und transkulturellem Lernen weiter nähern und es von Interkulturalität und interkulturellem Lernen abgrenzen.

Transkulturelles und interkulturelles Lernen

An dieser Stelle erscheint es sinnvoll, eine Unterscheidung von "interkulturellem" und "transkulturellem" Lernen vorzunehmen. Die folgende Analogie möge dabei zur Veranschaulichung dienen: Wenn zwei oder mehr Staaten über eigene monetäre Bezugssysteme, d. h. über eigene Währungen, verfügen, jedoch Austauschbeziehungen haben, so besteht ihr interkulturelles Verhältnis darin, daß sie die Währungssysteme der jeweils anderen kennen, ebenso wie die Umrechnungskurse, d. h. die "Äquivalenzregeln" die es erlauben, die Werte in der Währung des einen in die der anderen Partner umzurechnen. Im Falle transkultureller Verhältnisse einigen sich die Staaten auf eine neu zu schaffende gemeinsame Währung (weil sie sich davon Vorteile versprechen) und verzichten auf ihre bisherigen Währungen (oder behalten diese als Parallelsysteme bei). Dabei bringen sie ggf. Erinnerungen an ihre alten Währungen ein oder halten solche Erinnerungen auf andere Weise aufrecht.

Interkulturalität betont zumeist den Aspekt der Differenzen und stellt das Bemühen um das Verstehen "des Fremden" und "des Anderen" in den Mittelpunkt. Transkulturalität betont den Aspekt des Gemeinsamen und sucht nach Anschlußmöglichkeiten "im Eigenen", welche Grundlagen für transkulturelle Entwicklungsmöglichkeiten bilden können. Dies gilt dann jeweils für alle an einem "transkulturellen Projekt" beteiligten Personen.

Daß beim interkulturellen Lernen das Fremdverstehen im Mittelpunkt steht, belegen nahezu alle Maßnahmen interkulturellen Trainings. Es geht darum, die kulturellen Orientierungen und das Verhalten von Menschen zu verstehen, die in anderen Ländern wohnen oder aus anderen Ländern kommen. Es geht darum, diese Orientierungen und dieses Verhalten zu akzeptieren. Und es geht darum, auf diese Orientierungen und auf dieses Verhalten in angemessener Weise zu reagieren und es ggf. sogar zu übernehmen - so wie es ist.

Beim transkulturellen Lernen tritt zum Fremdverstehen das Selbstverstehen, das Verstehen des "kulturellen Selbst", mit gleichem Anspruch hinzu. Denn nur so können die Gemeinsamkeiten und "Anschlußmöglichkeiten" entdeckt werden, welche die komplexen kulturellen Identitäten der beteiligten Partner bergen. Und nur so können die innovativen Lösungen gefunden werden, um neue kulturelle Orientierungen und neues Verhalten zu entwickeln - so wie es sein könnte.

Transkulturelles Lernen steht jedoch nicht im Widerspruch zum interkulturellen Lernen. Es kann - und die später zu erwähnenden entwicklungstheoretischen Konzepte interkulturellen Lernens implizieren dies - als eine (letzte) Stufe interkulturellen Lernens betrachtet werden. Es kann aber auch als ein zum interkulturellen Lernen komplementäres Lernen gesehen werden. Um jedoch qualitative Unterschiede hervorzuheben, erscheint es sinnvoll, für beide Arten des Lernens andere Bezeichnungen zu wählen. Zu den qualitativen Unterschieden beider Lern-arten gehören die (bereits skizzierte) Annahme einer komplexen kulturellen Identität und die noch zu beschreibenden Aspekte der kulturellen Kreativität und der didaktischen Akzentuierung.

Kulturelle Kreativität

Was das innovative Moment anbelangt, das beim transkulturellen Lernen ins Spiel kommt, so bieten sich Modelle der „Entwicklung zur interkulturellen Persönlichkeit" an. Dabei beziehe ich mich auf die Darstellungen von Krewer, da diese ausreichen, um die für unseren Zusammenhang wichtigen Gesichtspunkte aufzuweisen.

Im Rahmen eines entwicklungstheoretischen Konzepts, das den Übergang von der Stufe "ethnozentrischer Personalisierung" über die Stufen "kulturalistischer Überinterpretation" und "kulturbewußter Re-personalisierung" hin zur Stufe der "(inter-)kulturellen Kreativität" (Synergie) verläuft, hat Krewer einen wichtigen Beitrag zur Charakterisierung transkulturellen Lernens geliefert. Diese Entwicklungsstufen bezeichnen einen zunehmend differenzierten Umgang mit Fremdheit, wobei die vierte Stufe der "(inter-)kulturellen Kreativität" (Krewer 1994) sich auch als Stufe von Trans-Kulturalität verstehen läßt, da sie die kulturellen Orientierungen der beteiligten Partner transzendiert, wobei neue und gemeinsame kulturelle Orientierungen entwickelt werden.

Nach Krewer zeichnet sich diese Stufe durch folgende Merkmale aus: "Mit der Einsicht in die Gestaltungsmöglichkeit interkultureller Handlungsregeln und -formen treten die interpersonalen und intergruppalen Potentiale der Schaffung neuer interkultureller Lösungen in den Vordergrund. Voraussetzung dafür ist die ständige Bereitschaft zur Entwicklung und die Akzeptanz der Vorläufigkeit jeweils gefundener Muster der Kooperation und der Kommunikation. Trainingsprogramme auf dieser Stufe fokussieren auf Strategien zur interkulturellen Problemlösung. Förderung der Kommunikationsfähigkeit und flexiblen Identitätskonstruktion in interkulturellen Überschneidungssituationen ... und die Entwicklung von Umsetzungsstrategien für für innovative Neuschöpfungen in den jeweiligen Herkunftskulturen" (Krewer, a. a. O., S. 149/150).

In bezug auf die kognitive Entwicklung kommt es dabei zur Entwicklung neuer Schemata, die von den beteiligten Partnern gemeinsam entwickelt, übernommen und in den gewohnten Lebenszusammenhang übernommen werden. Zunächst handelt es sich dann um individuell verfügbare Schemata. Sofern sie von Kollektiven übernommen werden, können sie zu kulturellem Wandel führen. Bei solchen kleinen kulturellen Erfindungen oder Innovationen kann es sich um neue Begriffe, Rituale oder Praktiken handeln, um neue Formen der Gestaltung sozialer Beziehungen, um Institutionengründungen oder neue ästhetische, wissenschaftliche oder moralische Konzepte.

Ansätze einer Didaktik transkulturellen Lernens

Wie müssen nun didaktische Konzepte beschaffen sein, die auf eine Umsetzung der bisherigen Überlegungen zum transkulturellen Lernen in die Praxis von Bildungs- und Trainingsmaßnahmen geeignet erscheinen? Solche Konzepte sollten zum einen positive Gestaltungsprinzipien enthalten, zum anderen aber auch Prinzipien für den Umgang mit zu erwartenden Widerständen.

Was die positiven Gestaltungsprinzipien anbelangt, die für eine Didaktik transkulturellen Lernens in Anspruch genommen werden können, so bietet das Konzept der "transkulturellen Kompetenz" ("transcultural competence") von Trompenaars einen Ansatzpunkt, der sich für weitere Konkretisierungen eignet (Trompenaars 1997). Trompenaars versteht unter "transkultureller Kompetenz" Fähigkeiten zur "Versöhnung kultureller Dilemmata bzw. Unterschiede" ("reconciling cultural dilemmas/differences"). Unter "kulturellen Dilemmata bzw. Differenzen" versteht er Unterschiede kultureller Orientierungen von Menschen, die sich nach sieben Kategorien bestimmen lassen:

Hinzu kommen Differenzen in bezug auf Diese sieben Kategorien gehen teilweise auf Kluckhohn und Strodtbeck zurück (Kluckhohn & Strodtbeck 1961) und finden sich bei einer Reihe weiterer Autoren, wobei allerdings weitere Kategorien eingeführt werden (Flechsig 2000). Kulturelle Orientierungen von Individuen und sozialen Bezugsgruppen lassen sich mit Hilfe solcher Kategorien (bzw. mit Instrumenten, die auf deren Grundlage entwickelt werden) danach unterscheiden, in welche der beiden Richtungen auf solchen (zumeist als bipolar gedachten) Skalen sie tendieren.

Wenn nun Individuen und/oder Gruppen mit unterschiedlichen kulturellen Orientierungen einander begegnen, dann geht es darum, sie zu "versöhnen". Daß Trompenaars mit seinen Beispielen suggeriert, daß diese kulturellen Orientierungen jeweils länderspezifisch verteilt sind, sei an dieser Stelle nicht diskutiert. Statt dessen sollen hier die von ihm vorgestellten "Versöhnungsstrategien" als Grundlage für eine Didaktik transkulturellen Lernens genannt sein. Von zehn dieser Versöhnungsstrategien (Trompenaars, a.a.O., S. 195 ff.) erscheinen fünf dafür besonders hilfreich zu sein:

Angesichts des relativ jungen Konzepts von "transkulturellem Lernen" ist verständlich, daß spezifische didaktische Konzeptionen und Trainingsmethoden für eine Umsetzung noch kaum verfügbar sind. Vorerst wird man sich damit begnügen müssen, die auch für kulturelles und interkulturelles Lernen entwickelten Verfahren auf ihre Eignung zu prüfen, wie sie z. B. bei Fowler & Mumford (1995, 1999) oder Landis & Bhagat (1996) dargestellt sind. Möglicherweise lassen sich auch Methoden der Konfliktbearbeitung und der Mediation anwenden, wie sie im Rahmen von Friedenssicherung und Friedenspädagogik entwickelt wurden. Neue Perspektiven ergeben sich aber auch aus Konzepten des "diversity training" und des "interkulturellem Managements".

Einen wichtigen Punkt gilt es jedoch festzuhalten: Aus diesem von Trompenaars abgeleiteten Ansatz ergibt sich, daß eine Didaktik transkulturellen Lernens nicht allein aus praktischen Erfahrungen und Übungen (Simulationen, Fallstudien etc.) bestehen kann. Sie muß auch kultur-theoretische Reflexion eigener und fremder kultureller Orientierungen einbeziehen.

Widerstände gegen transkulturelles Lernen

Diesen Chancen für eine praktische Umsetzung transkulturellen Lernens im Rahmen internationaler und interkultureller Zusammenarbeit stehen jedoch auch Widerstände entgegen, die hier nur als Problemkomplexe skizziert werden können: Dominanzprobleme, Sprachprobleme und Beziehungsprobleme.

Bei Projekten internationaler bzw. interkultureller Zusammenarbeit ergeben sich häufig Dominanzverhältnisse, die transkulturelles Lernen behindern. Neben den bekannten Phänomenen finanzieller Dominanz (wer bezahlt, bestimmt die Musik) und dem Ort der Begegnung ("wer hat das Heimspiel?") spielen dabei auch mannigfaltige Formen kultureller Dominanz eine Rolle, die z. B. in Kommunikationsstilen, unterschiedlichen Werthierarchien, Sinngebungen, Bedeutungen, Werten und Normen ausgedrückt werden können.

Ein zweiter Problemkomplex sind Sprachprobleme. Wenn Menschen gezwungen sind, miteinander in einer Sprache zu kommunizieren, die nicht ihre Muttersprache ist, so können sie ihre kulturelle Orientierung nicht in der differenzierten Weise ausdrücken, wie dies für transkulturelles Lernen erforderlich ist. Genauer: Information kann nicht in dem Umfang fließen, wie dies nötig wäre, um vorhandene Schemata der jeweils anderen Seite zu korrigieren, so daß mögliche Gemeinsamkeiten nicht erkannt werden. Möglicherweise geraten Menschen dadurch sogar in den Verdacht, schlichteren Gemüts zu sein. Umgekehrt haben Menschen, in deren Muttersprache die Kommunikation erfolgt, den Vorteil, für differenzierter zu gelten (als sie vielleicht sind). Auch die Einschaltung von Dolmetschern kann solche Probleme nicht ausschließen.

Auch Beziehungsprobleme können transkulturelles Lernen erschweren. Zum einen können (konfliktreiche) historische Beziehungen zwischen Kollektiven (Staaten, Religionsgemeinschaften etc.), mit denen sich die Beteiligten identifizieren oder mit denen sie identifiziert werden, die Zusammenarbeit belasten und sich damit negativ auf transkulturelles Lernen auswirken. Zum anderen spielen immer auch persönliche Beziehungen eine Rolle, die auf eine individuelle Beziehungsgeschichte verweisen, so daß es "menschelt".

Daraus ergibt sich, daß transkulturelles Lernen nicht einfach dadurch erfolgreich sein kann, daß guter Wille und klare didaktische Konzepte vorhanden sind. Auch die Kontexte, in denen dieses Lernen stattfinden und in denen transkulturelle Kompetenzen Anwendung finden sollen, bedürfen der Thematisierung, Bewußtmachung und Klärung.

Transkulturelles Lernen in der internationalen Zusammenarbeit

Welche Akzente werden nun gesetzt, wenn an der Stelle von "international" und "interkulturell" der Begriff "transkulturell" auftaucht und wenn man vermuten darf, daß es sich dabei nicht nur um eine modische Vokabel handelt? Interkulturelle Zusammenarbeit und interkulturelle Kommunikation beruhen auf der Annahme, daß die beteiligten Partner ihre eigenen kulturellen Orientierungen letztlich zwar beibehalten, jedoch lernen, die kulturellen Orientierungen der jeweils anderen zu verstehen, zu akzeptieren und nachzuvollziehen. Sie entwickeln dabei interkulturelle Kompetenz, doch die eigenen kulturellen Orientierungen bleiben dabei im Prinzip unbetroffen; Rückwirkungen auf die eigenen kulturellen Orientierungen kann es dabei geben, sie sind aber nicht unbedingt intendiert. Bei der transkulturellen Zusammenarbeit und beim transkulturellen Lernen ist eine solche Rückwirkung und die Veränderung der eigenen kulturellen Orientierungen intendiert. Es geht darum, daß Menschen unterschiedlicher kultureller Orientierung gemeinsam (neue) Lebenspraxis entwickeln, die in ihrem jeweiligen kulturellen Bezugsrahmen (noch) nicht vorhanden ist. Dabei bringen sie Elemente aus ihren eigenen kulturellen Bezügen ein und bringen diese zu einer Synthese. Wenn dies nicht nur Folgen für die kulturellen Orientierungen der beteiligten Individuen hat, sondern wenn auch die Vermittlung von der individuellen auf die kollektive Ebene erfolgt, wenn eigene kulturelle Bezugssysteme beeinflußt werden, dann trägt eine in diesem Sinne transkulturelle Lebenspraxis zur Veränderung und Entwicklung eigener sozialer Praxis bei.

Ein Beispiel dafür ist Umsetzung der Formel "global denken - lokal handeln" in Projekte wie "Globe", bei dem Kinder und Jugendliche aus verschiedenen Ländern und Landschaften Umweltdaten vor Ort erheben, diese weltweit austauschen, die Ergebnisse im Internet diskutieren und beraten und dann Konsequenzen ziehen, die sie dann vor Ort bei sich in veränderte Praxis umzusetzen versuchen. Die daraus resultierenden Veränderungen der Lebensgewohnheiten umfassen dann in der Regel sowohl Verbesserungen und Vorteile als auch Verzichtsleistungen und Aufgabe bisheriger Gewohnheiten.

Chancen für transkulturelle Orientierungen und transkulturelles Lernen

Transkulturelles Lernen kann somit zum dritten Element einer großen pädagogischen Gegenwartsaufgabe werden. Es zielt ab auf die Entwicklung von Kompetenzen, die Menschen mit unterschiedlichem kulturellen Hintergrund befähigen, auf lokaler wie auf globaler Ebene Aufgaben zu bearbeiten und Lösungen zu finden, die sowohl auf die Erhaltung und Weiterentwicklung eigener kultureller Identität als auch der Ermöglichung gemeinsamer Lebens- und Überlebensleistungen gerichtet sind. Transkulturelles Lernen ist somit eine Absage sowohl an Kulturseparatismus und Fundamentalismus jeder Art als auch an Tendenzen globaler Monokultur.

Angesichts des relativ jungen Konzepts von transkulturellem Lernen ist verständlich, daß spezifische didaktische Konzeptionen und Trainingsmethoden noch kaum verfügbar sind. Vorerst wird man sich damit begnügen müssen, die auch für kulturelles und interkulturelles Lernen entwickelten Verfahren auf ihre Eignung zu prüfen.

Literatur

Flechsig, K.-H., Kulturelle Schemata und interkulturelles Lernen. Internes Arbeitspapier 3/1998. Göttingen (Institut für Interkulturelle Didaktik) 1998.
(Im Internet: http://www.gwdg.de/~kflechs/iikdiaps3-98.htm)

Flechsig, K.-H., Kulturelle Orientierungen. Internes Arbeitspapier 1/2000. Göttingen (Institut für Interkulturelle Didaktik) 2000.
(Im Internet: http://www.gwdg.de/~kflechs/iikdiaps1-00.htm)

Fowler & Mumford (eds.), Intercultural Sourcebook: Cross-Cultural Training Methods, vol. 1, Yarmouth (Intercultural Press) 1995; vol. 2, Yarmouth (Intercultural Press) 1999.

Kluckhohn, F. R. & Strodtbeck, F. L., Variations in Value Orientations, Evanston 1961).

Landis, D. & Bhagat, R. S. (eds.), Handbook of Intercultural Training, 2nd edition, Thousand Oaks (Sage) 1996.

Schöfthaler, T., Multikulturelle und transkulturelle Erziehung: Zwei Wege zu kosmopoliti- schen kulturellen Identitäten. International Review of Education 1984, S. 11 - 24.

Trompenaars, F. Riding the Waves of Culture, London 1997.

Welsch, W. Transkulturalität. In: Zeitschrift für Kulturaustausch 1995, S. 39 - 44.