http://www.gwdg.de/~cwagenk/

DER SOMMERSPROSSEN ZWEYTER THEIL

 

I

An den Kramets-Vogel

 

Du, Philomenens glücklichster Sang-Rival,

Des Zwitzer-Töne mir und der Liebsten spät

Am Abend, da Cupid' regierte,

Gleichsam im Takte der Herzen schlugen –

Wie vollends heute gehst du mir allem vor,*

Was je des Morgens einem beglückten Paar,

Nach kurzem Schlummer auferstanden,

Freundlich die Wirtin zum Frühstück briete.

* Würde verständlicher heißen:

Du gehst mir vollends allem Geflügel vor, Das je des Morgens etc.

 

II

An die katholische Religion (Petrinism)

 

Mittelpunkt der Christenheit,

Ausgedrückt in tausend Bildern,

Ist mein Pinsel wohl bereit,

Dich aufs neue abzuschildern?

Wohl ein Dutzend Kirchen ziert

Jeden deiner sieben Berge,

Doch der höchste Preis gebührt

Michel Angels Meisterwerke.

Unter dieser Kuppel Rund

Und der Marmorsäulen Kette

Liegt auf unerschloss'nem Grund

Des Apostels Grabesstätte.

–––––––––– *

Ach der teufelischen List!

Mußte Peter darum sterben,

Daß der Papst, der Antichrist,

Sich darf nennen seinen Erben?

* Die nachfolgenden Gesätze (beiläufig drei) sind verlorengegangen.

 

III

Bey Confirmation meines Neveus

(unehlichen Zwitters meines Bruders)

Mel.: Die Kröte, die einst muthig strich etc.

 

Es spricht der Doktor Göthe wahr:

Die Kirch' hat einen guten Magen.

Sie wird pardieu auch den bastard

Zum Ritter ihres Ordens schlagen!

Doch in der Welt behält der Schneck

Auf immer einen Fleck.

 

IV

Meine Ähnlichkeit mit v. Matthisson

Critisches Poem

 

Ob der Criticus irrt, ob er recht hat, wenn er verkündet,

Keinem vergleiche mein Lied sich mehr als Matthisson seinem?

Viele fragen sich das. Doch mich hat oft der Gedanke

Eingenommen, es sei dem Sänger der Adelaide

Niemand näher verwandt als Wispel, Liebmund Maria.

Schwer, dem Sprießling Alkmenens die Keule zu rauben, unmöglich,

Gültigem Werk nur einen seiner gediegenen Verse.

Tiefer Empfindungen voll, im sicheren Gange des Rhythmus,

Wort an Wort in wohlgefällige Reihen gerichtet,

Sprechend jegliches Bild und treffend jegliche Wendung –

Edler! erblickest du nicht in diesem Spiegel dich selber?

Bin ich es wert, daß mit deinem göttlichen Namen der meine

Auf die Nachwelt gelangt? Fürwahr, das sollte mich freuen.

V

An Friederich von Schiller*

und wider seine Verkleinerer

(auf die Melodie: "Lauretta am Flügel")

 

Wenn dein Finger durch den Stahldarm geistert,

Fühl' ich, Schiller! völlig übermeistert

Mich vom Scheutel bis zum Zeh.

Spielend herrschst du über jede Nerve,

Greifst du so in deine Dichter-Härfe,**

Wie Homère berichtet von Orphée.***

Neuer Geister Sonnensitze

Winken durch zerrißner Himmel Ritze –

Überm Grabe Morgenroth!

Weg, ihr Spötter, mit Insektenwitze!

Fürchtet euch vor Seinem Geistes-Blitze!****

Weg! Er ist ein Gott. *****

* Der Verfasser hat das Glück, noch zu Lebzeiten des Dichters geboren zu sein.

** Licentia poetica.

*** Lies: Eschyle. In den Epopöen steht davon nichts.

**** Man bemerke, daß Herrn v. Schillers Strophe, der ein Versikel fehlt, hier komplettiert worden ist.

***** Oder: Er ist nicht tot.

 

VI

Kehrreim, wider die Neu-Heiden

 

Doch wie Doktor Luther spricht:

Meinen Jesum lass' ich nicht.

 

VII

An Nane Z.

Als sie einen angeschriebenen Gänserich von mir wünschte

 

Die Feder, die den Sträfling schrieb,

Sie hat sich waidlich abgemattet.

Doch was davon noch übrig blieb,

Sei (Fräulein Nane Z. zulieb)

Dem Gänse-Volk zurückerstattet.*

 

* Mangels ziemlicher Galanterie hat der Verfasser ein älteres Poem gleichen Sinnes verworfen. Dasselbe hätte gelautet:

Die Feder, die den Sträfling schrieb,

Sie hat sich würdig ausgezeichnet.

Ein Gänse-Kiel mit Adlers-Trieb

Wird keiner dummen Gans gebaichnet!

 

 

VIII

Bey Betrachtung des Glanz-Gaifers der Gartenschnecke (cochl. hort. Lin.)

Didaktisches Gedicht im Geschmack des Herrn v. Brockes

 

Ich ging im Park von Ohne-Sorg spazieren,

Als meinem Augenblick von ohngefähr

Ein Schauspiel, hochbedeutend, sich erbot.

Ein unscheinbares Tierchen hatte eben

Gesetzten Schritts den Fußweg überquert –

Doch ohne nicht, daß ich es richtig sage,

Die Spur sein selbsten glänzend nachzulassen.

Wem, dacht' ich, fiele da nicht in den Sinn,

Wie solches einem Dichterleben gleicht?

(Es sei nun Schillern seines, oder meines.)

Das ohne Aufseh'n, ja wohl unbemerkt

Von all- und jedem, stillen Gangs verläuft –

Und doch, entschwunden schon dem Blicke,

Im Werk, dem glänzenden, zurückebleibt!

 

IX

Sonett / Unter heftigen Schmerzen,

als ich in einem Gehölze bey Zwerenberg lag und zu sterben meinte

(Einem Lützow'schen Jäger nachgesprochen)

 

Die Weiche schmerzt, die bleichen Lippen beben,

Das Herz wird matter mir mit jedem Schlage.

Ich glaube mich am Ende meiner Tage

Und will bereits dem Schicksal mich ergeben.

Viel schwarze Bilder seh' ich um mich schweben

Und höre schon die laute Totenklage.

Den ich seit Kindheit leider an mir trage,

Der Nabelbruch, er bringt mich um das Leben.

Doch Mut! Was ich als Heiligtum erkannte,

Wofür ich rasch und jugendlich entbrannte,

Ob ich's nun Wahrheit, ob ich's Dichtung nannte –

Als lichten Seraph seh' ich's vor mir stehen,

Und wie die Sinne langsam mir vergehen,

Trägt mich der Geist zu Theo Körners Höhen.

 

X

Das Beutelthier

(Dem H. Grafen v. Skrzynecki zugebaichnet)

Im Ton: "Der Kehlkopf"

 

Es trägt im Antipoden-Land

Um kleinen Lohn von Haus zu Haus

Tagaus, tagein, geschwind, gewandt,

Das Beutelthier die Briefe aus.

Die Sitte sei zunächst den Polen,

Doch auch den Deutschen, anempfohlen. FINIS!