Das schwarze Buch

Von Peter Altenberg und Egon Friedell

Wir alle haben unter gemeingefährlichen Menschen zu leiden. Weil wir uns zu lange mit ihnen eingelassen haben. Wie leicht wäre ein Solcher im Anfang der Bekanntschaft abzuschütteln! Aber man erkennt ihn erst später.

Wir wollen helfen. Wir haben damit begonnen, ein "schwarzes Buch" anzulegen, in das eine Reihe von Bemerkungen eingetragen werden, durch die ein Mensch sogleich seine Zugehörigkeit zu jener fürchterlichen Klasse kundgibt. Wer eine solche Bemerkung von sich gibt, dem hat man unverzüglich den Verkehr zu kündigen; man hat ihn nicht mehr zu grüßen und ihm einen Brief zu schreiben, in dem man ihm eine andere Stadt als Wohnort anrät. Alle Freunde sind vor ihm zu warnen. Wir machen unsere ersten Eintragungen hiemit bekannt und bitten alle Leser um Mitteilungen zur Vervollständigung unserer Liste an die Redaktion des "Schwarzen Buches".

1. Meine Herren! Ich weiß nicht, wie Sie über die Sache denken, aber ich muß Ihnen aufrichtig sagen: Ich halte den Selbstmord einfach für eine Feigheit.

2. Ja, – Nietzsche. Sehr interessant. Aber finden sie nicht auch: wie er seine letzten Sachen geschrieben hat, war er doch schon nicht mehr ganz bei sich.

3. Ich bitt Sie, die Juden sind auch Menschen. Ich kenne gute Juden und schlechte Christen.

4a. (Über die Tatsache, daß eine Ansichtskarte verloren ging:) Aha, Briefe, die ihn nicht erreichten. 4b. (Über den Physiologen Verworn in Göttingen:) Schreibt der auch verworr’n? (N.B. Diese beiden Bemerkungen sind als Repräsentanten zweier großer Gruppen aufzufassen.)

5. (Im Gasthause:) Sie, was essen Sie denn da für eine merkwürdige Sache? Lassen Sie mich kosten – –.

6. (Zu einem Schriftsteller:) Sagen Sie, Herr Doktor, was haben Sie jetzt unter der Feder?

7. (Einer sagt: Gestern hab ich eine junge Schauspielerin als Grille gesehen. Sie war ausgezeichnet.) Lassen’s mich aus! Da hätten Sie die Goßmann sehen müssen!

8. (In einem Gespräch über Sekt-Marken:) Ich sag Ihnen, ein guter Gespritzter, schön ausgekühlt, ist mir lieber als der beste Champagner.

9. (Über eine Dame, die mit drei Herren sitzt; in vertraulichem Tone:) Sagen Sie, Sie wissen das doch sicher: welcher von den Dreien ist denn "derjenige, welcher"?

10. (Über einen Herrn, der soeben die Gesellschaft verlassen hat:) Ein sehr netter und gescheiter Mensch. Aber sagen Sie mir: von was lebt der eigentlich?

11. (Über ein naturalistisches Stück:) Die Kunst soll uns erheben. Den Schmutz der Gasse habe ich zu Hause.

12. (Zum Herausgeber der ‚Fackel‘:) Sagen Sie mir, ich bitt‘ Sie, was haben Sie eigentlich gegen den – –?

Das von Otto Erich Hartleben angeregte Projekt ist in der Fackel vom 21. Dezember 1905 (Nr. 191) eröffnet und von Karl Kraus in der Fackel vom 10. Februar 1906 (Nr. 195) wieder geschlossen worden. Das Motiv kehrt fünf Jahre später verwandelt in dem Aphorismus wieder (Nr. 315/316, Januar 1911, 35): "Es empfiehlt sich, Herren, die das Anbot einer Zigarre mit dem Satz beantworten: ‚Ich sage nicht nein‘, sofort totzuschlagen. Es könnte nämlich sonst der Fall eintreten, daß sie auf die Frage, wie ihnen eine Frau gefalle, die Antwort geben: ‚Ich bin kein Kostverächter‘."