Zur Erinnerung

Was heute bei uns literarische Diskussion, geistige Auseinandersetzung heißt, scheint sich vielfach auf erschreckende Weise noch in demselben Vakuum abzuspielen, das der Ungeist und Widergeist der zwölf Jahre hinterlassen hat. Nicht neue Grundlagen, nicht einfache und deutliche Begriffe, sondern schon wieder pompöse Luftgebäude, schon wieder Schlagworte, schon wieder Geschwätz. Ja, das platteste Geschwätz dringt auf uns ein als literarische Kritik, als literarhistorische Deutung, als geistige Zeitdiagnose. Plattes Geschwätz, gleichviel, ob es in schlichter Sprachstümperei zu Fuß oder auf den Stelzen jener neudeutschen Literatenbedeutsamkeit daherkommt, deren koketter Tiefsinn nur das verschnörkelte, gewundene und sich windende Ornament der Leere ist. Die Ornamentalen sind die bedenklicheren Stümper, sie wissen sich wunders was mit ihren weit hergeholten Bezüglichkeiten, die nichts sind als mechanische Sprachassoziationen in einem barocken Gewirr und Geschlinge unverdauter Vokabeln. Sie berufen sich auf Gott und die Weit, auf Europa, Philosophie und Christentum, sie sind Existentialisten oder Surrealisten, sie sind abstrakt oder konkret, metaphysisch oder hiesig, auf alle Fälle transparent, sie sind Kunstdeuter und Literaturpropheten, aber sie kennen nichts als die Stichworte ihrer Eitelkeit und lassen sichs wohl sein im Untergangsbehagen einer geistigen Sintflut, aus der jedenfalls sie trockenen Fußes hervorzugehen gedenken, wenn schon die übrige Menschheit darin umkommen sollte. Leichenfledderer sind sie, ihr Kostüm geflickt und gestückelt aus allen europäischen Literaturmoden, von denen sie auf dem Wege des Gerüchts erfahren haben.

Aus: Paul Rilla: Literatur und Lüth. Eine Streitschrift. Berlin 1948.