«Razzia auf
Literarhistoriker»
Karl Kraus und die Germanistik seiner
Zeit
Als Vortrag gehalten im Juli 1999 in Braunschweig, im
April 2000 in Göttingen
Ich möchte zweierlei vorausschicken. Erstens: Wenn
Sie in dem Bild, das ich von der Germanistik der Zeit um 1900 zu zeichnen habe,
Ähnlichkeiten mit gewissen Erscheinungen unserer Tage wahrnehmen sollten,
so wären solche Übereinstimmungen, jedenfalls die meisten, rein zufällig
und keineswegs beabsichtigt. Natürlich kann ich Ihnen nicht verwehren, auf Karl
Kraus die Sätze anzuwenden, die er selbst einmal über einen Vorläufer gesprochen
hat: «Was hat Nestroy gegen seine Zeitgenossen? Wahrlich, er übereilt sich. Er
geht antizipierend seine kleine Umwelt mit einer Schärfe an, die einer späteren
Sache würdig wäre.»1 Und zweitens: Wenn Sie umgekehrt finden sollten, daß
die Kritik, die Kraus an der Germanistik seiner Zeit geübt hat, sich in keinem
Punkt auf die Arbeit Ihrer akademischen
Lehrer beziehen läßt, so kann ich Ihnen zu so viel Glück nur gratulieren. – Und
nun zur Sache.
«Im vorigen Jahrhundert war’s, im letzten | vor
solchem Wechsel schon erstarrten Jahr» – eigentlich nicht im letzten, sondern
(nach Lichtenberg und Adam Riese) im vorletzten Jahr des 19. Jahrhunderts, also
vor etwas mehr als hundert Jahren, am 1. April 1899 erschien, ein «ernsthafter
Aprilscherz»,2 in Wien die erste Nummer einer Zeitschrift, die
es im Lauf von mehr als 30 Jahren auf mehr als 900 Nummern bringen sollte.
Die Fackel, dies der Name, wurde eröffnet mit einer
Absichtserklärung des damals kaum fünfundzwanzigjährigen Herausgebers
Karl Kraus:
Das politische Programm dieser Zeitung scheint […]
dürftig; kein tönendes «Was wir bringen», aber ein ehrliches «Was wir umbringen» hat sie sich als
Leitwort gewählt. Was hier geplant wird, ist nichts als eine Trockenlegung des
weiten Phrasensumpfes, den andere immerzu national abgrenzen
möchten.3
Aufgerufen wird «zu einer beherzten Fronde gegen
cliquenmäßige Verkommenheit auf allen Gebieten» des öffentlichen
Lebens,4 und zu diesen Gebieten wird, wie man schon
einen Monat später unmißverständlich erfährt, auch die Hochschule gerechnet. In
einer Folge von Artikeln, überschrieben mit Universitätsbummel, leuchtet
Die Fackel der Wiener Alma Mater heim, «jener würdigen Matrone, die noch
Spuren einstiger Schönheit zeigt».5 Karl Kraus hat die Universität nur als Student
gekannt, die Fakultäten nicht von innen, die Seminare nur als Übungsräume. Wie
es in den Sitzungen der akademischen Organe zugegangen ist, was für Ziele
«die sogenannten maßgebenden Herren» verfolgt,6 welche Querelen und welche Intrigen
stattgefunden haben – davon wußte er nichts, oder doch nicht mehr, als er
wissen mußte, um den einen oder anderen Habilitationsskandal und vor allem das
herrschende «Verwandtensystem»: «Protectionswirtschaft und Nepotismus»
aufzudecken. Und zwar ging es damals noch um die professorale Förderung von
leiblichen Verwandten, nicht schon (wie man aufgrund heutiger Erfahrung meinen
könnte) um die Unterbringung bloß geistesverwandter Leute zumal aus dem eigenen
Schülerkreis. «Vornehmlich wird die Abtheilung für medicinisches
Gönnerthum berücksichtigt werden müssen»7 – in der solche Mißstände zwar nicht die
Regel, aber auch keine Ausnahme seien. «Da es sich um gelehrte Herrschaften
handelt, wird sich zum Beweise des Vorgebrachten die in wissenschaftlichen
Arbeiten übliche Form der Tabelle empfehlen. Für das pünktliche Zusammentreffen
von Blutsverwandtschaft und Talent sprechen folgende Fälle» – nicht weniger als
15, davon 4 in Tabelle A: «Onkel und Neffen» und 11 in Tabelle B: «Väter und
Söhne».8 Auch andere Fakultäten seien von diesem System
infiziert. «Die [katholisch-]theologische ist im Rahmen der durch
wissenschaftliche Inzucht degenerierten Universität die einzige Facultät, bei
der sich der Protectionismus zwischen Vätern und Söhnen bis heute
nicht nachweisen lässt .... Es wäre angezeigt, auch unsere medicinischen
Gelehrten zum Cölibat zu verhalten [verpflichten]».9 Es folgt, wieder einen Monat später, die Tabelle C:
«Söhne einflussreicher Väter»10 – und da nun sind erstmals auch zwei
Mitglieder der philosophischen Fakultät aufgeführt, und unter diesen:
Hofrath Professor Dr.
Richard Heinzel
sein Sohn Dr. Karl Heinzel
lehrt deutsche
Philologie
ist Assistent an der II. Augenklinik
an der philosophischen
Facultät;
des Hofrathes Fuchs.
Im nachfolgenden Heft der Fackel mußte Karl
Kraus diese Angabe allerdings berichtigen, nämlich erklären, «dass der frühere
Assistent an der II. Augenklinik Herr Dr. Karl Heinzel nicht der Sohn, sondern ein Neffe, des
Hofrathes und Philologieprofessors Dr. Richard Heinzel ist, den übrigens sein
vornehm wissenschaftliches Wirken dem Verdachte bewusster Machenschaften
entrückt.»11 Dazu die Fußnote:
Herr Prof. Dr. Richard Heinzel macht mich in einer Zuschrift auf
den Irrthum aufmerksam und ehrt mich dabei durch die objective
Anerkennung, dass ich in meinem «Universitätsbummel» «in der That auf eine
wunde Stelle des Universitätslebens den Finger gelegt
habe.»
Damit ist erstmals ein Philologe ins Blickfeld der
Fackel geraten – und zugleich der Maßstab bezeichnet, den Karl Kraus
später an eine ganze Schar von Germanisten gelegt hat. Richard Heinzel, geboren
1838, Gymnasiallehrer, seit 1873 als Nachfolger von Wilhelm Scherer
Ordinarius in Wien, war um 1900 zusammen mit Jakob Minor Vorsteher des Seminars
für deutsche Sprache und vertrat in Lehre und Forschung die Deutsche Philologie
des Mittelalters. Im Lexikon, der Neuen deutschen Biographie, ist über
ihn zu lesen: «H[einzel] war Altgermanist, beschäftigte sich eingehend auch mit
außerdeutschen Literaturen und repräsentierte als einer der letzten universale
Gelehrsamkeit. [...] Als Forscher fußt H[einzel] mit äußerster Konsequenz
auf mathematisch-naturwissenschaftlichen Prinzipien. [...] Durch sein hohes
Forscherethos, durch unbestechliche Sachlichkeit und souveräne Beherrschung
des Gegenstandes wurde er zum Heranbildner einer angesehenen
Philologengeneration.»12 Sein wichtigstes Werk, die Beschreibung des
geistlichen Schauspiels im deutschen Mittelalter, ist 1898 erschienen – zu
einer Zeit, da Karl Kraus die Universität bereits verlassen
hatte.13 Denn nachdem der junge Mann 1892 am
Franz-Josephs-Gymnasium, wo Latein und Mathematik seine Lieblingsfächer waren,
«mit durchschnittlichem Erfolge» die Maturitätsprüfung, das Abitur, bestanden
hatte, war er (wie man aus einer autorisierten Vita erfährt) «ein Jahr lang für
Jus inskribiert und drei Jahre hindurch für Philosophie und Germanistik. Die
juristischen Vorlesungen besuchte er gar nicht, die übrigen nur selten,
gelegentlich etwa die der Philosophen Jodl und Zimmermann und der Philologen
Heinzel und Minor.»14 Die juristische Beschlagenheit, die Kraus
besonders während den zwanziger Jahre in einer Vielzahl von Prozessen bewiesen
hat, erlaubt allerdings die Vermutung, daß ein heller Kopf, um es in einem Fach
zu etwas zu bringen, schon damals nicht auf Vorlesungen angewiesen war. Welche
germanistischen
Lehrveranstaltungen der Student besucht hat, wissen wir nicht, aber welche er
hat besuchen können, das ist den
Vorlesungsverzeichnissen zu entnehmen. Richard Heinzel las vor allem
über ältere deutsche Literatur sowie Historische Grammatik; Jakob Minor Kapitel
aus der neueren Literaturgeschichte und deutsche Metrik. Man
konnte außerdem den Privatdozenten Alexander von Weilen über die Geschichte
der Schauspielkunst und bei den Philosophen den Extraordinarius Alfred von
Berger über Shakespeare hören – den Schöpfer, übrigens, des Wortes
«Journaille», das durch die Fackel Flügel bekommen hat. Hingegen wird
Karl Kraus in die Vorlesungen seines Namensvetters, der sich später
Carl (mit C) von Kraus genannt hat, wohl schon darum nicht gegangen sein, weil
sie morgens von 9–10 stattgefunden haben. (Sofern nämlich schon der Student die
Morgenstunden lieber verschlafen hat – gemäß der Überzeugung, daß alle
größeren Dummheiten am Vormittag geschehen.15) In der Fackel der späteren Jahre treten
Heinzel und vor allem Minor noch des öfteren auf. Jakob Minor nicht im Guten. Er
wird für sein «elendes Deutsch»16 gerügt und einmal geringschätzig als «der
Mann» bezeichnet, «der die Literaturgeschichte macht». Seinen Vorlesungen
meint Karl Kraus «eine Abneigung gegen den ‹Schüller› und den Goethe» zu
verdanken, «die diese wahrscheinlich gar nicht verdienen» – «mit einem
Worte ein Germanist».17 So im Jahre 1909. Von Heinzel ist in der
Fackel vor allem darum die Rede, weil der Freitod des
Sechsundsechzigjährigen, 1905, der mit einer fortschreitenden
Augenerkrankung in Verbindung gebracht worden ist, in den Zeitungen
törichte Nachrufe veranlaßt hat. Schlimmer als ein Journalist, der ja weder
Deutsch können noch kluge Dinge sagen müsse, habe sich der Grazer Linguist
Rudolf Meringer in der Neuen Freien Presse vernehmen lassen – mit so
heillos verrenkten Sätzen wie: «Für die Sage unserer Altvordern hatte er
[Heinzel] ein Herz, für ihre Dichtung, wo er strenge über jede Hebung und Senkung achtete und ob auch das Wort an seiner
gewöhnlichen Stelle stand». «Herr Meringer», heißt es weiter, «zählt alle Größen
auf, die aus dem Seminar Heinzel’s hervorgegangen sind»:
«Seemüller, Minor, Werner, Brandl, Much, Detter,
Kraus, Zwierzina, Luick, v. Weilen, Walzel, Singer, M. H. Jellinek, Murko und
ich ... So viele Namen, so viele Individualitäten.» Herr Meringer war
bescheiden genug, sich selbst zuletzt zu nennen. Ich weiß aber wahrhaftig
nicht, ob Professor Heinzel, wenn er sein Feuilleton noch hätte lesen können,
nicht aus Gram am Leben geblieben wäre und Herrn Meringer verhalten
[verpflichtet] hätte, wieder in das Seminar
einzutreten.18
Daß Germanisten nicht Deutsch können und Professoren
der Presse zu Diensten sind – das hat Kraus ihnen zeitlebens übelgenommen. Darum
hält er es mehr mit Heinzel als mit Minor, mit der Literaturgeschichte weniger
als mit der Philologie. Während nämlich Literaturgeschichte bloß «die
Unfähigkeit zum Journalismus» bedeutet,19 in dem ihre akademischen Vertreter sich dennoch
hervortun möchten, kann die Philologie für sich in Anspruch nehmen, daß sie
dieser Versuchung gar nicht erst ausgesetzt ist. Denn wer interessiert sich
schon (zum Beispiel) für Textkritik? Die kann des Guten freilich auch zu viel
tun – wie im Fall der großen Nestroy-Ausgabe, die Karl Kraus einmal
«philologisch überladen» nennt,20 oder auch zu wenig – wie dieselbe Ausgabe dort,
wo nicht bemerkt worden ist, daß es sich bei einem neuentdeckten Stück nur um
die unbekannte Fassung eines bekannten Stückes handelt, ein faux pas, der zum
Glück kaum seinesgleichen hat.21 Seinesgleichen hat jedoch der eine oder andere
Fehler textkritischer Art. In dem
Artikel Lesarten (wobei «Lesart» aber bloß ein Synonym von «Variante» ist
und nicht schon so viel heißt wie heutzutage auch «Lektüre», nämlich
«Interpretation») – in diesem Artikel moniert Karl Kraus einen von den
Herausgebern übersehenen Druckfehler in Jean Pauls pädagogischem Hauptwerk
Levana, einen von jenen Fehlern, die «dieses schwierigste aller Genies
noch unwegsamer machen»22 – und die eine verantwortungsbewußte Philologie
zu verbessern, mindestens aber zu bemerken hätte.
Der Schutz der Dichter gegen das Recht ihrer
Verbreitung ist eine grauenvolle Sorge. Der deutsche Literarhistoriker, dem das
deutsche Wort immer ein Fremdwort ist, ahnt nicht, selbst wenn er «Lesarten
vergleicht», was aus den Klassikern im Lauf jener Jahrzehnte, in denen die
deutsche Bildung grassiert, geworden ist. Wie sollte es da der Leser
ahnen?23
Ein ähnliches Unheil ist Lichtenberg widerfahren, der
einen seiner Korrespondenten gefragt haben soll:
Haben Sie wohl die Stelle in dem ‹Kampaner Tal›
gelesen, wo Chiaur [Djaur] in einem Luftball aufsteigt?
Nein, sagt Karl Kraus, sie haben es nicht; sonst hätten sie bemerkt, daß bei Jean Paul nicht ein Chiaur aufsteigt, also ein Mann, den der Islam für einen Ungläubigen hält, sondern: die junge Gione, die Braut des Barons Wilhelmi.24 Die falsche Lesung, ein Versehen zunächst in der Sammlung von Lichtenbergs Briefen, die sein Sohn veranstaltet hat (1846), geistert nach dem Nachweis in der Fackel (1912) noch weitere fünf Jahrzehnte lang, bis 1964, durch Ausgaben und Abhandlungen25 – so daß man die Empörung verständlich finden kann, mit der Karl Kraus seinerzeit die rhetorische Frage gestellt hat:
Was muß aus den Gedanken Lichtenbergs geworden sein, wenn selbst Eigennamen, die er niederschreibt, verhunzt wurden, und in Stellen, deren Nachprüfung den Herausgebern nicht nur geboten, sondern auch möglich war. 26
Das sind Fälle philologischer Unachtsamkeit, jeder ein Ärgernis, aber nicht ärgerlich genug, um ein ganzes Fach in Verruf zu bringen. Eine solche Diskreditierung hat die Deutsche Philologie, die ältere kaum weniger als die neuere, erst sehr viel später bewirkt – mit dem peinlichen Versuch, nur ja nichts zu versäumen, was anderwärts gerade in Mode gekommen ist, vom Marxismus über die Psychoanalyse bis zur Dekonstruktion. Es fällt nicht schwer, sich vorzustellen, wie schneidend Kraus solche Tendenzen verurteilt, wie lebhaft er die Tradition verteidigt hätte. Denn ein Philologe – das war er selbst, zumal mit den Arbeiten, die 1937, gleich nach seinem Tod, in dem Buch Die Sprache gesammelt erschienen sind. Vor der Kraft des Beobachtens und der Deutlichkeit des Beschreibens, die dieser Außenseiter in seinen grammatischen und metrischen Studien bewiesen hat, hätten viele bestallte Professoren («die sogenannten Lehrkörper»)27 wohl einen schweren Stand. Was aber das insgesamt nicht eben freundliche Bild betrifft, das Karl Kraus von den Herren der Zunft gezeichnet hat (und gewiß auch von den Damen gezeichnet hätte, wären die schon damals auf Lehrstühle gelangt), so muß zu seinen Gunsten und zu Gunsten der Professoren eingeräumt werden, daß er sie kaum jemals dort aufgesucht hat, wo sie sozusagen von amtswegen anzutreffen waren: in den Zeitschriften des Faches, etwa der Zeitschrift für Deutsche Philologie, dem Euphorion, später der Deutschen Vierteljahrschrift für Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte – nicht zu verwechseln mit den gleichnamigen Periodika unserer Tage, die ihren Raum bereitwillig auch dem «rasenden Gefasel»28 der Hamacher und Hörisch zur Verfügung stellen. Mehr als die Philologen, mehr sogar als die Linguisten, die Sprachlehrer, die leider selbst der Sprachlehre bedürften,29 haben Kraus die Literarhistoriker interessiert, die später so genannten Neugermanisten, die er bereits in der Tages- und Wochenpresse antreffen und darum als «Literaturreporter»30, später gar als «rückwärts gekehrte Analphabeten»31 verspotten konnte. Dieser Typus war, wie die Historiker des Faches wissen, damals noch vergleichsweise jung.
Was hierzulande früher die Neue Abteilung des Faches hieß und heute bisweilen einfach als Literaturwissenschaft bezeichnet wird, albernerweise, als gäbe es die Literatur erst seit Gutenberg, hat sich nur langsam von der Deutschen Philologie alten Stils emanzipiert. Benecke in Göttingen, von der Hagen in Berlin, die Gebrüder Grimm zunächst in Göttingen, dann ebenfalls in Berlin waren mit der Literatur des Mittelalters befaßt; erst Karl Lachmann, und nur als Herausgeber, einmal auch mit Lessing. Kaum einem namhaften Germanisten dieser Generation ist es eingefallen, über Hans Sachs oder Andreas Gryphius zu lesen, geschweige denn über Goethe und Schiller. In Breslau zum Beispiel konnte man 1837, im Jahr der Göttinger Sieben, Heinrich Hoffmann (von Fallersleben) hören über: Freidanks Bescheidenheit und Reineke Fuchs (nach der eigenen Ausgabe) sowie Grammatik des 13. Jahrhunderts anhand des Nibelungenlieds.32 Die allerdings schon gegen Ende des 18. Jahrhunderts einsetzenden Vorlesungen über Haller, Wieland, Klopstock fanden, wie man festgestellt hat,33 «außerhalb des institutionellen Rahmens» statt und wurden zumeist von jungen Privatdozenten, auch aus anderen Fächern, gehalten. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts stand es schon ein wenig anders. Im Wintersemester 1893/94 hielten in Göttingen Vorlesungen und Übungen ab:
Moriz Heyne über: altdeutsche Dialekte / Otfrieds Evangelienbuch / Gottfried von Neiffen;
Gustav Roethe über: Wolframs Parzival / Grammatik, Metrik, Synonymik des Neuhochdeutschen / Gedichte von Goethe und Schiller;
Privatdozent Victor Michels über: Gottfrieds Tristan.
Etwas moderner, freilich auch reicher, war das Angebot in Wien. Im Wintersemester 1894/1895 hätte Karl Kraus hören können:
Richard Heinzel über: Historische Syntax / Gottfrieds Tristan / Gudrun;
Jakob Minor über: Hans Sachs / Goethes Faust / Das junge Deutschland / Lenau;
Privatdozent Alexander von Weilen über: Lessing;
Privatdozent Oskar Walzel über: Episch-lyrische Dichtungen seit 1750;
Privatdozent Karl Kraus über: Kleinere angelsächsische Gedichte.
Wie man sieht, hatte die zünftige Literaturgeschichte sich inzwischen auch der neueren, ja sogar der neuesten Literatur zugewandt, nach Lessing und Goethe dem Jungen Deutschland und Nikolaus Lenau, der damals erst seit fünfzig Jahren tot war – ungefähr so lange wie heutzutage Thomas Mann und Bertolt Brecht, die aber schon zu Lebzeiten Gegenstand des akademischen Unterrichts gewesen sind. Im Zentrum des Interesses stand um 1900 weiterhin die klassische Literatur des Mittelalters, daneben konnte sich bereits die neue Klassik der Goethezeit behaupten. Weiter aber ging es nur selten – und zwar aus mehr als einem Grund. Erstens, versteht sich: weil das schon immer so war. Zweitens: weil die Philologen hier ihr Hauptgeschäft, das Edieren, nicht wohl betreiben konnten. Von Dichtern nämlich, die noch die damals fünfzigjährige Schutzfrist genossen und deren Werke fest in der Hand der angestammten Verleger waren, durften in anderen Verlagen selbst kritische Ausgaben nicht erscheinen.34 Und drittens schließlich: weil es nach damaligem Dafürhalten an den Werken der Jüngeren und Jüngsten kaum etwas zu interpretieren gab.
Das muß ich erläutern. Im Göttinger Vorlesungsverzeichnis für das Wintersemester 1893/94 war von Gustav Roethe angekündigt:
Carmina selecta Goethi et
Schilleri
interpretabitur
Das versteht man noch leicht. Aber von Moriz Heyne heißt es an derselben Stelle:
Ottfridi harmoniam evangeliorum interpretari perget
– und das sieht schon ein wenig seltsam aus. Was soll mehrere Semester lang an der Evangelienharmonie zu interpretieren gewesen sein? In Wien wollte um dieselbe Zeit Heinzel ebenfalls Otfrieds Werk und Minor das älteste Faustbuch interpretieren.35 Das Rätsel löst sich auf, sobald man erkennt, daß «interpretieren» hier ein Synonym für «erklären» ist. So kündigt in anderen Semestern Richard Heinzel an:
Erklärung des Beowulf
Erklärung spätalthochdeutscher Dichtungen
Und der Privatdozent von Weilen:
Erklärung Shakespeare’scher Dramen in Schlegel-Tiecks Übersetzung
Auch da wird es sich nicht um Interpretation im heutigen Sinn des Wortes gehandelt haben: um Auslegung oder Sinndeutung. Was man seinerzeit unter «Interpretation» verstand, ist mit einiger Deutlichkeit dem gleichnamigen Kapitel in Hermann Pauls germanistischer Methodenlehre von 1896 zu entnehmen. Danach soll es sich bei diesem «Geschäft», als welches hier die später so genannte und als solche auch betriebene «Kunst» der Interpretation bezeichnet wird, um die gewissermaßen pädagogische Aufgabe des Kommentierens handeln, um die Aufgabe nämlich,
das Verständnis eines Textes auch für solche Kreise zu gewinnen, auf die bei der Abfassung nicht gerechnet ist, oder deren geistige Organisation nicht berücksichtigt werden konnte. […] Es handelt sich immer darum, [...] eine Kluft zu überbrücken, welche verschiedene engere oder weitere Verkehrskreise, verschiedene Berufs- und Bildungsklassen, verschiedene Nationen, verschiedene Zeitalter von einander trennt.
Dementsprechend unterscheidet Hermann Paul (halbwegs im Sinne von August Boeckhs Hermeneutik) zwischen «sprachlicher» und «sachlicher» Interpretation – je nachdem ob bloß ein Wörterbuch oder auch ein Lexikon zu Rate gezogen werden muß.36 Bei Lenau schienen beide Hilfsmittel kaum erforderlich zu sein.37 Erst recht konnte man sich seinerzeit kaum je dazu verstehen, die Hörsäle schon der Literatur der Gegenwart zu öffnen. Zwar: In halbprivaten Zirkeln wie in Litzmanns «Literarhistorischer Gesellschaft» in Bonn gab es Vorträge über zeitgenössische Autoren, fanden Lesungen zum Beispiel aus dem Werk von Stefan George statt.38 Erich Schmidt in Berlin und Jakob Minor in Wien hielten Verbindung mit Schriftstellern der Gegenwart und nahmen auch gern an Dichterehrungen und Preisverleihungen teil. Völlig undenkbar aber war, und Kraus hätte sich als erster darüber lustig gemacht, daß ein Wiener Ordinarius eine Vorlesung hielt etwa über Schnitzler und Hofmannsthal.39 Wenn sich die Professoren einmal über Literaturwerke der Gegenwart, etwa Fontanes Effi Briest oder Die Weber von Gerhart Hauptmann vernehmen ließen, in Zeitschriften oder Zeitungen, dann nicht, weil sie gemeint hätten, diese Werke Romanlesern und Theatergängern auslegen zu sollen. Was Hans Magnus Enzensberger einmal das «häßliche Laster der Interpretation» genannt hat40 – das hatte seine große Zeit noch vor sich. Hinsichtlich der klassischen Werke war man zwar nicht immer einig über den Wert, der ihnen beizumessen wäre; über den Sinn aber, den man ihnen zuzuschreiben hätte, gab es (außer etwa im Falle des Faust) keinen erheblichen Streit. Und so war die Lage noch in den zwanziger Jahren – jedenfalls in den Augen von Karl Kraus, der in einem anderen Fall ohne alle hermeneutischen Skrupel ein Problem bloß in der Frage erkennen mochte, ob Nestroy für einen österreichischen Dialektdichter oder nicht vielmehr für einen deutschen Satiriker zu halten sei.41 Kraus trug die Stücke vor, damit hatte es sich, eine andere Interpretation war nicht vonnöten – im Falle des Lumpazivagabundus so wenig wie bei Offenbachs Blaubart oder selbst bei Shakespeares König Lear. Man weiß nicht, ob er Franz Kafka gelesen hat, vielleicht hätte diese Erfahrung ihn eines anderen belehrt – wahrscheinlich aber nicht zu der Überzeugung gebracht, es müßte ebenso auch dem Verständnis von Heinrich Manns Der Untertan oder von Brechts Mahagonny nachgeholfen werden. Und zwar von Universitätsprofessoren! Die vielleicht nicht einmal imstande waren, von amtswegen ja auch nicht dazu verpflichtet, das eine oder andere Werk richtig vorzulesen.
Was aber taugt die akademische Literaturgeschichte dann überhaupt? Karl Kraus hat die Frage mit einem klaren «Nichts» beantwortet – Anfang 1914 im Zusammenhang des Problems, wann der Lehrstuhl (oder, wir sind in Wien, die Lehrkanzel) des 1912 verstorbenen Jakob Minor endlich wieder besetzt würde.42
Man ist versucht zu glauben, daß es wirklich Interessenten für derlei gibt, man hört aufgeregte Zeitungsstimmen und wenn man wissen will, worin denn eigentlich die Gefahr einer ferneren Nichtbesetzung der Lehrkanzel Minors liege, so bekommt man die Antwort: «Zu Ende des laufenden Schuljahres wird sich das Ungeheuerliche ereignen – « ja was denn? «daß künftige Lehrer des Deutschen an den österreichischen Mittelschulen [den Gymnasien] die Universität verlassen, ohne eine eingehende Vorlesung über Lessing oder Herder, Goethe oder Schiller gehört zu haben».
Dazu Karl Kraus:
Wie ich über die Schülergenerationen denke, die sich von der Lehrkanzel Minors aus geistig entwickeln lassen, ist ja bekannt; auch daß ich das Nichtbesetztsein solcher Örtlichkeiten für das weitaus kleinere Übel halte. Das ganze Geschrei, das die Bildung gegen das Unterrichtsministerium erhebt, wird aber von einem gewissen Hock instrumentiert, einem Zeitungsschreiber, der auch eine Dozentur betreibt und der jetzt sichtlich ungehalten ist, weil man einen Literaturprofessor aus Posen ihm vor die Nasen [sic] setzen will.
Für die Kultur sei aber nichts belangloser als die Frage, «wer künftig in Wien über den Unterschied zwischen Schiller und Goethe unmaßgebliche Behauptungen aufstellen soll». Mehr als Gewäsch und Geschwätz sei da kaum zu erwarten. Was aber mache den Literaturprofessor eigentlich so beliebt? Die Zeitung erklärt:
«Aus seinem Hörsaal, aus seinem Seminar entspringen die Quellen, die noch nach tausendfältiger Verästelung den Durst unserer Mittelschüler löschen.»
Dazu wieder Kraus:
Hier tritt bereits Delirium ein. Und hier muß wieder einmal die im eigenen Nebel torkelnde Bildung mit der Beruhigung ernüchtert werden, daß das wahre Studium bis zur Matura reicht und an den Brüsten der Alma mater aufhört. […] Daß Mathematik wichtiger für die Literatur ist als Literaturgeschichte. Daß man Deutsch durch Latein besser lernt als durch Deutsch. Und daß es ganz egal ist, welchen Literaturprofessor die Deutschlehrer der Mittelschulen gehört haben. Und daß die Frage, ob eine so anrüchige Kanzel frei oder besetzt ist, zwar die wartenden Herren beschäftigen mag, aber daß es die unbeteiligte Öffentlichkeit keineswegs dringend hat, und daß sie sich durchaus nicht dafür interessiert, wer dort sitzt, steht oder hockt.
Fairerweise muß aber festgestellt werden: daß zu Minors Nachfolger nicht dessen Schüler Stefan Hock, sondern Walther Brecht aus Posen berufen worden ist.
Die «Razzia auf Literarhistoriker», deren Plan Karl Kraus Anfang 1911 entworfen hat und die sich unter diesem Titel dann bis Anfang 1912 durch die Fackel zieht, richtet sich jedoch, wie bei näherem Hinsehen die Namen der Opfer erkennen lassen, nicht allein und nicht vor allem gegen die akademische Germanistik.43 Im Vordergrund seines Interesses stehen Sprach- und Literaturkritiker vom Schlage der Titularprofessoren Eduard Engel (Sprich Deutsch!, 1916) und Adolf Bartels (Jüdische Herkunft und Literaturwissenschaft, 1925). Selbst Jakob Minor, der «Schillerbiograph»,44 wie Kraus ihn einmal herabsetzend nennt, wird von der Fackel hauptsächlich darum zur Kenntnis genommen, weil er, ein «Kathederjournalist»,45 als Theaterrezensent und als Preisrichter den Hörsaal verlassen und sich in den Kulturbetrieb, unter die «literarhistorischen Schmocks»46 der Tagespresse begeben hat. In der Glosse Blutiger Ausgang einer Faschingsunterhaltung ist von der alljährlichen Verleihung – Kraus sagt: «Verteilung» – eines Literaturpreises die Rede:47
Veranstaltet wird der Ulk von den Herren Minor, Professor der Literaturgeschichte, Ritter von Stadler, Sektionschef im Unterrichtsministerium, Intendant Gregori, Redakteur Kalbeck und Advokat Weissel.
Kraus will spaßeshalber an dieser «Faschingsunterhaltung» teilgenommen haben:
Ich kam eben dazu, als die Preisrichter in ihrer Vermummung – Herr Kalbeck trug einen Schlapphut, Herr Minor seinen natürlichen Vollbart – auf die Estrade traten und verkündeten, ein Vertreter der Manufakturbranche namens Salten [den man heute nur noch als Autor des Bambi und der Josefine Mutzenbacher schätzt] und ein reicher Seidenfabrikant namens Trebitsch [der bekannte Shaw-Übersetzer] seien die preiswürdigsten Dichter des Jahres.
Für einen ähnlich peinlichen Auftritt, seine Lobrede auf den Literatur-Impresario Hermann Bahr, ist später der angesehene Renaissance- und Goethe-Forscher Konrad Burdach in der Fackel satirisch abgestraft worden.48 Ärger noch hat Kraus zwei Privatdozenten mißhandelt, die später freilich auch zum Titel, gar zum Amt eines Professors gekommen sind.49 Der eine war der Chemnitzer Albert Soergel mit seinem überaus erfolgreichen Werk Dichtung und Dichter der Zeit – dessen erster Band 1911, dessen letzter (Dichter aus deutschem Volkstum) 1934 erschienen ist. Kraus zitiert die Zueignung: «Meiner Braut gewidmet.» und fügt hinzu:
Solche Intimitäten werde ich dem Herrn bald abgewöhnt haben. Daß die Fortpflanzung der Literarhistoriker nicht erwünscht ist und tunlichst erschwert werden soll, habe ich bereits zu verstehen gegeben. Heiratet dennoch einer, so erspare er dem Publikum die Anzeige!50
Einen besseren Namen hatte, und hat mit Recht auch heute noch, der Berliner Privatdozent, spätere Extraordinarius Richard M. Meyer.51 Er hatte 1883 seine Doktorarbeit über die Lieder Neidharts von Reuenthal geschrieben, war 1886 mit einem Vortrag über Lichtenberg habilitiert worden, hatte 1895 eine dreibändige Goethe-Biographie veröffentlicht. Im Jahre 1900, pünktlich zur Jahrhundertwende, kam sein tausend Seiten starkes Buch über Die deutsche Literatur des Neunzehnten Jahrhunderts heraus – in dem, was seinerzeit nicht bloß Kraus albern gefunden hat, «die Literatur in Dekaden eingeteilt» ist.52 Andreas Heusler, damals gleichfalls Professor in Berlin, hat den Kollegen in Privatbriefen zu den «publizistischen Naturen» gezählt, zu denen,
die bei jedem Gedanken, der ihnen durch den Kopf geht, sogleich sich fragen: wie mach ich daraus ein Buch, oder wenigstens einen Aufsatz, oder allerwenigstens eine «Miszelle»?53
Heuslers Kritik mag nicht frei von Antipathie gegen den Juden Meyer gewesen sein. Der Jude Kraus hat seinerseits die Gelegenheit einer Antwort auf den törichten Vorwurf, er gebrauche «Scheltwörter» wie «Metze» und «Eunuch», dazu benutzt, den Kontrahenten, der mit zweitem Vornamen eigentlich Moritz hieß, Richard Moses Meyer zu nennen:
weil es wirklich nichts gegen Moses beweist, daß ein Berliner Literaturprofessor nicht so heißen will und deshalb die Kastrierung seines Vornamens befürwortet, während er für die Erhaltung seines Zunamens in dessen vollständiger Banalität mit Recht besorgt ist.54
Die Auseinandersetzung zog sich noch bis Dezember 1913 hin; im Oktober 1914 ist Meyer, erst 54jährig, verstorben. Einen Nachruf hat Karl Kraus ihm nicht gehalten; auch gab es im Weltkrieg für den Satiriker Wichtigeres zu tun. In den zwanziger und dreißiger Jahren ließen dann einerseits die politischen Kampagnen um die Republik, andererseits die Bemühungen um ein «Theater der Dichtung» nur wenig Zeit und Raum für die Beobachtung der Universität überhaupt und der Germanistik im besonderen. Der einzige Germanist von Rang, den Kraus einer ausführlichen Kritik unterzogen hat, war Friedrich Gundolf – aber bloß darum, weil der George-Schüler, später Ordinarius in Heidelberg, sich als Herausgeber eines Shakespeare in deutscher Sprache an Wilhelm Schlegels Übersetzung vergriffen hatte. Der Aufsatz Hexenszenen und anderes Grauen ist 1926 in der Fackel erschienen.55 Hingegen scheint Karl Kraus nicht einmal wahrgenommen zu haben, daß 1928 im vierten Band von Josef Nadlers Literaturgeschichte der deutschen Stämme und Landschaften nach einer verächtlichen Bemerkung über Peter Altenberg zu lesen war:
Sein eigener Schlag war der sudetendeutsche Jude Karl Kraus, 1874 zu Gitschin geboren, mit seiner eigenen Zeitschrift seit 1899, «Die Fackel». Sie wurde in den Händen dieses genialen Stilkünstlers und Schelters ein schonungslos sengendes Werkzeug.56
Das ist (bis auf das «sudetendeutsche») richtig, aber es ist auch schon alles: gut drei Zeilen gegen die drei Seiten, die Josef Nadler einem Hermann Bahr gewidmet hat. – Aber es würde zu weit führen, wenn ich außer über Karl Kraus und die Germanistik auch über die Germanistik und Karl Kraus sprechen wollte, also zum Beispiel über die Heine-Forscher Mechthild Borries und Paul Peters oder gar über den auch sonst unrühmlich bekannten Fritz J. Raddatz.57 Das will ich (nicht ohne Schadenfreude) anderen überlassen.
Was hat Karl Kraus bewirkt? Der Mediävist Carl von Kraus hat sich wahrscheinlich seinetwegen umbenannt, und in den jüngsten Lichtenberg-Ausgaben steigt statt eines Chiaur die junge Gione auf. Die Linguisten haben, wenn mir nichts entgangen ist, nur wenig von Kraus gelernt – verbuchen alternative Ausdrücke wie «nur noch» und «nur mehr» weiterhin bloß als fakultative Varianten und betreiben Sprachkritik allenfalls in der Weise, daß sie jede Modevokabel, jede Zeitungsphrase schon darum, weil sie leider in aller Munde ist, zunächst gelten lassen und und dann ins Wörterbuch setzen. Immerhin: Ohne sein Wirken dürften Ekelworte wie «unverzichtbar» und «nichtsdestotrotz» noch öfter zu hören und zu lesen sein. Und was die Literaturgeschichte betrifft: Erst durch Karl Kraus ist der Lyriker Goeckingk, ist selbst Goethes Pandora zu höherem Ansehen gelangt. Das wäre, alles in allem, nicht viel. Aber vielleicht darf ich zum Schluß Karl Valentin zitieren, der auf die Frage, warum er einen Zwicker ohne Gläser trage, geantwortet haben soll: «Besser is schon wie gar nix.»58
Abkürzungen:
F = Die Fackel (Wien); S = Schriften (Frankfurt am Main).
1
S 4, 238. 2 S 9, 287. 3 F 1, 1f.
4 F 1, 3. 5 F 4, 3. 6 F 4,
6. 7 F 4, 3. 8 F 4, 7 ff.
9 F 4, 10. 10 F 7, 11 f.
11 F 8, 3. 12 Blanka Horacek, NDB.
13 Ein Motiv
des Buches, die Beobachtung, daß bisweilen ein «sehr ungebildetes [...] Publikum
den Schauspieler, welcher den Tyrannen giebt oder gegeben hat, ermorden oder
wenigstens durchprügeln will» (333), findet sich 1912 auch in einer Glosse von
Karl Kraus: «Ist es ein Beweis für Schiller, wenn die Bauern den Darsteller des
Franz Moor nach der Vorstellung prügeln?» (S 19, 62.) 14
Liegler 1920, Anhang. – Im Wiener Kraus-Archiv ist ein Brief des Jugendfreundes
Karl Rosner (München, 15. Oktober 1895) erhalten, in dem es heißt: «Verfolgst Du
die Feuilletons meines Vaters [Leopold Rosner] über das ‹Leopoldstädter Theater›
im Tagblatt? Da findest Du vielleicht Einiges, was Du für Deine
Dissertation verwerthen kannst!» Ich verdanke den Hinweis auf die ziemlich
rätselhafte Stelle Gilbert Carr (Dublin). 15 S
2, 169. 16 F 336, 20. 17 F 279, 33.
18 F 179, 19. 19 S 4, 100.
20 F 909, 45. 21 Vgl. S
14, 170. 22 Anders August Sauer – der eine Literaturgeschichte
tadelt, weil darin «Jean Paul zum siebenten Klassiker emporgeschraubt wird».
S
3, 259. 23 S 7, 150 f.
24 S 8, 337.
25 Vgl. den Hinweis in Kraus-Heft 9 (1979), 20 und
Bernd Achenbachs Aufsatz in Photorin 2 (1980), 51 f. – Schon einige Jahre
früher hat Friedrich Lauchert in seiner Rezension der Ausgabe von Leitzmann und
Schüddekopf (Euphorion 1908) den Fehler bemerkt – was aber (anders als
die Lichtenberg-Herausgeber) Karl Kraus nicht wissen mußte. Selbst Paul Requadt,
der noch in der zweiten Auflage seines Lichtenberg-Buches (1964, 106) die
falsche Lesung bietet, führt nur anmerkungsweise die richtige an – unter Hinweis
bloß darauf, daß Karl Kraus sie vorgeschlagen habe (183). 26 S
8, 337. 27 F 751, 58. 28 Nach dem schönen
Wort von Klaus Laermann. 29 Vgl.
S 7, 442-445. 30 S 3, 255. 31
F 751,
58: «Welchen Beruf die Journalisten verfehlt haben, läßt sich nicht im einzelnen
Fall so genau bestimmen. Von den Literarhistorikern aber kann man wenigstens
sagen, daß sie den Beruf des Journalisten verfehlt haben und eben nur weil sie
die Fähigkeit besitzen, noch schlechter zu schreiben, Literarhistoriker geworden
sind. Der Literarhistoriker ist ein rückwärts gekehrter Analphabet.» Als den
stärksten (und gefährlichsten, weil beliebtesten) «Vertreter dieser Branche»
nennt Kraus im folgenden Eduard Engel. – Vgl. auch F 336, 21 und F 343, 23.
32 Poëma Teutonicum Vrîdankes Bescheidenheit inscriptum
/ Poëma Saxonicum Reineke Vos inscriptum secundum editionem suam /
Grammaticam Teutonicam saec. XIII
et explicationem poëmatis Der Nibelunge nôt inscript. Außerdem
privatissime: De codicibus manuscriptis [...] duce libro suo
Handschriftenkunde für Deutschland und De lingua Teutonica
litterarumque Teutonicarum historia scribendi disputandique.
33 Klaus
Weimar in seiner Geschichte der Literaturwissenschaft, 1989, 169.
34 Darum konnte den Studenten, wenn man ihnen eher Goethe als
Stifter zu lesen gab, auch eine Ausgabe zur Anschaffung empfohlen werden, an der
man – wie beispielsweise Minor und Walzel an der Sophien-Ausgabe – selber
beteiligt war. 35 Schon in Vorlesungsankündigungen des 16.
Jahrhunderts heißt es in diesem Sinne «Interpretabitur» – gleichviel, ob Juvenal
oder Herodot (Clemen 1911, 34 und 70 ff.). 36 Hermann Paul,
Grundriß der germanischen Philologie, 1896, 179. 37 Wie
man an Viktor Hehns Dorpater Vorlesung von 1848 sehen kann: auch nicht im Fall
von Goethes Gedichten. Eduard von der Hellen nennt sie eine «Erklärung» (1912,
S. III). 38 Allerdings hat eben Berthold Litzmann, der
aufgrund seiner Arbeiten über Günther und Liscow nach Bonn berufen worden war,
bereits in den neunziger Jahren eine öffentliche Vorlesung «Über die
literarischen Bewegungen der Gegenwart» gehalten – womit er «bei den
Fachgenossen auf Kopfschütteln und Stirnrunzeln» stieß. Vgl. B. L.: Im alten
Deutschland, 1923, 335. Noch in den siebziger Jahren hatte Wilhelm Scherer
den Studenten wissen lassen, daß «17. und 18. Jahrhundert für Dissertationen
einstweilen in Berlin noch Tabu» sei. Ebenda 187. 39 Solche
Bestrebungen mag es gegeben haben, zum Beispiel wird berichtet: «Ein Verehrer
Hartlebens [eines seinerzeit sehr geschätzten, heute leider vergessenen, 1905
verstorbenen Dichters] hat der zünftigen Literaturgeschichte heftige
Vorwürfe gemacht, daß es über seinen Helden noch keine Doktordissertation gibt.»
(Richard M. Meyer: Gestalten und Probleme, 1905, 246.) Aber auch da hätte
man nichts zu interpretieren gehabt.
40 Bescheidener Vorschlag zum Schutze der Jugend ...,
in: FAZ 11.09.1976. Jetzt auch in HME: Mittelmaß und Wahn, 1988, 40.
41 F
676, 25. 42 S 4, 103 ff. 43 S 4, 99 f.
/ S 19, 30 ff. - Die ganze Reihe: F 321, 16 ff.; 336, 15 ff.; 341,
29 ff.; 343, 22 ff.; 345, 30 ff. 44 S 4, 100.
45 S 4, 99.
46 S 19, 30. 47 S 19, 65 ff.
48 F 632, 89 ff. 49 Um die
Finessen der akademischen Hierarchie hat Kraus sich anscheinend wenig gekümmert.
50 S 3, 253. 51 Über ihn zuletzt:
Roland Berbig: «Poesieprofessor» und «literarischer Ehrabschneider». Der
Berliner Literaturhistoriker Richard M. Meyer (1860–1914). In:
Berliner Hefte zur Geschichte des literarischen Lebens 1 (1996), 37–99.
52 S 3, 310. 53 Andreas Heusler an
Wilhelm Ranisch, hrsg. von Beck und Düwel, 1989, 298 (16.10.1910).
54 S 3, 313. – Die Deutung des «M.» als Abkürzung für «Moses»
war unter den Zeitgenossen verbreitet; man findet sie schon bei Wilhelm Raabe
(an Erich Liesegang, 20.11.1900; an Robert Lange, 3.1.1901) und noch bei Victor
Klemperer (Curriculum Vitae, Band 1, 1989, 355; Ich will Zeugnis ablegen,
Band 1, 1995, 341). 55 S 7, 160 ff.
56 Literaturgeschichte der deutschen Stämme und
Landschaften, Band 4, 1928, 914. In der Neubearbeitung aus dem Jahre 1941
ist «der böhmische Jude» Karl Kraus kein «genialer» Stilkünstler mehr
(Literaturgeschichte des Deutschen Volkes, Band 4, 1941, 198). – Vgl.
auch Edwin Hartl: Karl Kraus im Spiegel der Literaturgeschichte oder
Literaturgeschichte im Spiegel von Karl Kraus? In: Österreich in
Geschichte und Literatur 13 (1969), 183-196. 57 Die
allesamt Adorno dafür tadeln, daß der in seiner Rede über Heine gesagt hat: «Man
mag das Verdikt der Georgeschule dem Nationalismus zuschreiben, das von Karl
Kraus läßt sich nicht auslöschen.» Noten zur Literatur, hrsg. von
Tiedemann, 1981, 95. 58 Nach F 657, 212.